systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

8. September 2008
von Tom Levold
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Tat-Sachen. Narrative von Sexualstraftätern

Wenn ein neues Werk von Michael B. Buchholz auf den Markt kommt, wird man nicht enttäuscht. Nun kommt im Psychosozial-Verlag eine phantastische Studie heraus, die Buchholz gemeinsam mit Franziska Lamott und Kathrin Mörtl verfasst hat. Ausgangspunkt der Untersuchung ist eine vollständig transkribierte Gruppentherapie von inhaftierten Sexualstraftätern von 90 Sitzungen (!), die von den AutorInnen konversations- und metaphernanalytisch ausgewertet worden sind. Das Versprechen des Klappentextes, aus dieser Vorgehensweise seien„überraschende Einsichten in bewegende Geschichten, interessante Gesprächsformate und Redezüge sowie Sprachbilder zur Abwehr und Selbstreflexion (entstanden), die Leser (erhielten) Einblicke in Biografiemuster, Täuschungsstrategien und Aufdeckungshilfen, Zweifel und Rechtfertigungen, die Mühen der Einsicht und die mühsame Arbeit am Sinn“, wird auf großartige Weise eingelöst. Das Buch ist nicht nur ein herausragendes Beispiel für die Reichweite qualitativer Forschungsprogramme, sondern widmet sich auch einem Thema, dessen vertieftes Verständnis wie kein zweites durch ideologische und moralische Diskurse erschwert worden ist. Pflichtlektüre für alle, die professionell mit Delinquenten zu tun haben, darüberhinaus eine außerordentliche intellektuelle Bereicherung für jeden, den die Dynamik von Scham und Schuld interessiert. systemagazin freut sich, kurz vor Erscheinen einen ausführlichen Vorabdruck bringen zu können, in dem die AutorInnen einführend zu ihrem Forschungsfeld und den Zielen ihrer Studien Stellung nehmen und erste Einblicke in ihre Arbeitsweise geben.
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7. September 2008
von Schlingensiepen
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Achtsamkeit

Achtsamkeit – Ein Meditationshandbuch für Therapeuten und Klienten. Wer sich ein wenig mit Stressbewältigungsprogrammen und Burnout-Prophylaxe beschäftigt, sollte das 75 Seiten-Büchlein von Alois Burkhard lesen. Und natürlich all jene, die neugierig sind auf innere Zustände, in denen es um nichts anderes geht, als die gezielte und bewusste Wahrnehmung aller Phänomene, die in diesem Augenblick geschehen. Das klingt beschwerlicher oder mystischer als es ist. Den Fokus einfach mal auf die Geräusche um sich herum lenken, das Auto, das gerade vorbeifährt oder das leise Surren des Computers beachten und nur konzentriert hinhören. An die Kunst ganz bewusst wahrzunehmen ohne zu werten, führt der Autor den Leser heran. Es ist also kein Ratgeber für Bewältigungs- und Erledigungsprogramme „weg mit dem Stress“, sondern die konsequente Hinführung zu innerer Ruhe und damit zu DIR selbst. Eine Verneigung vor der eigenen Wahrnehmung. Alois Burkhard arbeitet als Ergotherapeut am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim. Man spürt beim Lesen der vielen Übungen seine Erfahrung und seine Liebe zu diesem Thema. Konsequent ohne Geschwafel schreibt er im one-page Design, konzentriert, nicht wertend, wirkungsvoll, freundlich. Und immer wieder der Hinweis, was immer auch geschieht, ist das Einzige was geschehen kann, und das ist viel. Es ist nicht kompliziert, es ist einfach. Aber „nicht das Beginnen wird belohnt, sondern einzig und allein das Durchhalten“. Die ersten 20 Seiten eine schnelle und konsequente Hinführung zu den Übungen. Man möchte eigentlich viel mehr lesen und mehr und mehr, aber nein, mehr gibt es nicht und es reicht absolut. Der Leser wird neugierig, lernt die Rituale kennen, trifft eine Entscheidung und kommt sofort mit sich in Kontakt. Und dann gibt es wunderschöne Übungen. Und jetzt gibt es nichts mehr zu sagen. Tun! CIP Medien-Verlag, 75 Seiten Preis: 18,00 EUR ISBN-13:978-3-932096-47-1

6. September 2008
von Tom Levold
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Die Systemtheorie und das Unbewusste

In der Zeitschrift„Soziale Systeme“ erschien 2004 ein bemerkenswerter Beitrag von Harald Wasser, Autor zahlreicher Publikationen u.a. zu den Themen Medientheorie, Systemtheorie, Psychologie, Hirnforschung und Psychoanalyse, der sich mit der Problematik des Ausschlusses des Unbewussten aus der Luhmannschen Systemtheorie beschäftigt, für die das psychische System mit Bewusstsein zusammenfällt. Der Artikel ist auch im Internet zu lesen. In der Zusammenfassung heißt es:„Durch aktuelle Forschungen veranlasst gehen zunehmend auch psychologische Strömungen, die teilweise über Jahrzehnte konträr zu Freuds Ansichten gestanden hatten, davon aus, dass die Psyche nicht nur bewusst, sondern auch unbewusst operieren kann. Nun lässt sich, wenn man Luhmann beim Wort nimmt, systemtheoretisch kein Unbewusstes konstruieren. Damit ist für die Systemtheorie die Möglichkeit, an derartige Forschungen bzw. Forschungsrichtungen anzuschließen, verbaut. Entgegen des transdisziplinären Versprechens, das Luhmann gegeben hatte, können somit aber nur bewusstseinsphilosophisch-kognitivistische Psychologien von Systemtheoretikern berücksichtigt werden. Das wäre – so bedauerlich es ist – vertretbar, wenn es sich konsequent aus der systemtheoretischen Theoriearchitektur ableiten ließe. Der Artikel versucht nachzuweisen, dass genau dies aber nicht der Fall ist. Ganz im Gegenteil ergibt sich die Rejektion der Annahme, die Psyche könne auch unbewusst operieren, aus einem einzigen Postulat, das nicht nur revidierbar ist, sondern aus ganz verschiedenen Gründen revidiert werden sollte. Es handelt sich dabei um das Postulat von der Identität von Psyche und Bewusstsein. Dieses Identitätspostulat lässt sich aber nur aus einer subjekt- bzw. bewusstseinsphilosophischen Tradition heraus rechtfertigen, aus einer Tradition also, mit der die Systemtheorie bekanntlich gerade brechen möchte. Interessant ist nun, dass, sobald man auf dieses Postulat verzichtet, die Konstruktion eines Unbewussten systemtheoretisch keinerlei Schwierigkeiten mehr macht. Der Artikel versucht darzulegen, dass mit dem Entfallen des Identitätspostulats neben der konsequenten Darstellung der Systemtheorie als einer transdisziplinären Theorie einige weitere Vorteile entspringen sowie eine Reihe von Widersprüchen aufgelöst werden können. Selbstverständlich sind umgekehrt bewusstseinsphilosophisch orientierte Psychologien mit der Verabschiedung vom Identitätspostulat keineswegs gezwungen, nun ebenfalls ein Unbewusstes zu postulieren: Die Annahme eines Unbewussten wird ja nicht zwingend, aber sie wird zu einer tragfähigen Option. In jedem Fall kann die Systemtheorie auf diese Weise deutlich Abstand zur Bewusstseinsphilosophie gewinnen, womit zugleich ihre Distanz zur Subjektphilosophie mehr Substanz erhielte“
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4. September 2008
von Tom Levold
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Soziale Arbeit: systemisch

Wolf Ritscher erfreut sich in der systemischen Szene eines ausgezeichneten Rufes, der sich neben seinem freundlichen Wesen vor allem seinen vielfältigen Unternehmungen zur Weiterentwicklung einer systemischen Sozialarbeitswissenschaft sowie seinen intensiven publizistischen Tätigkeiten verdankt. Der Psychologie-Professor an der Hochschule für Sozialwesen in Esslingen hat 2007 bei Vandenhoeck & Ruprecht ein Buch veröffentlicht, das sich mit der Theorie und Praxis systemischer Sozialarbeit beschäftigt. Jürgen Beushausen hat es rezensiert und vermerkt kritisch:„Ritscher unterstützt ein Konzept, das Ernst macht mit Empowerment und der Partizipation der Adressaten. Gewünscht hätte ich mir eine präzisere Diskussion der ‚Machtproblematik‘. Zu Recht verweist er darauf, dass Menschen als non-triviale Systeme einen Eigensinn haben und entscheiden können, wie sie auf Umwelteinflüsse reagieren, der Autor thematisiert jedoch zu wenig, dass die viele Adressaten der Sozialen Arbeit besonderen vielfältigen und wirksamen Faktoren ausgesetzt sind“. Dennoch empfiehlt er das Buch ausdrücklich zur Lektüre:„Mit diesem Band leistet Wolf Ritscher einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung systemischer Sozialer Arbeit. Erneut bietet er mit der Verknüpfung von Theorie und Praxis ein Grundlagenwerk systemischer Sozialer Arbeit. Dieses Buch empfehle ich neben den „Praktikern“ besonders Studentinnen und Studenten sozialer Fachbereiche“.
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3. September 2008
von Klein
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Alles Geschmackssache?

Kürzlich war ich mal wieder auf der Suche nach neuen Genüssen in Sachen Wein und wollte wissen, wie die neuen Weine schmecken. Schmecken – etwas, was jeder Mensch kennt, jeder unweigerlich tut, unter halbwegs normalen Umstanden sogar mehrmals täglich. Und nicht nur, was den Geschmack von Wein betrifft. Wir wissen nämlich, dass Tomaten den Geschmack von Tomaten haben, Milch den Geschmack von Milch, Gurken den Geschmack von Gurken. Das alles kennt man – glaubt man. Aber was ist der Geschmack von Wein?
Mir fällt also auf der Suche nach Wein ein Katalog eines Weinhandels in die Hände. Und was lese ich da über die Weine? Manche duften nach Kirschen, Brombeeren und haben den Geschmack von Marzipan, frischen Mandeln, von Weichselkirschen, Vanille, Süßholz usw. So steht es da. Und das muss wohl stimmen. Immerhin haben sich Experten mit dem Geschmack des Weins beschäftigt.
Ich bestelle also verschiedene Weine und probiere. Ich lese die Beschreibung, koste und stelle fest, dass ich genau das schmecke, was ich über den Wein gelesen habe: Pflaumen, Rosinen, dunkle Beerenfrüchte und, mit etwas Mühe: Datteln.
Dann probiere ich einen anderen Wein im Vergleich. Leider habe ich vergessen, vorher die Beschreibung des Weins zu lesen. Ist auch egal, denke ich. Schmecken kann ja jeder. Ich trinke und schmecke Schokolade, entdecke Brombeernoten und eine Anspielung an Leder. Nicht schlecht, denke ich, aber dieser Wein kann noch etwas lagern.
Da fällt mir ein, dass ich ja mal überprüfen könnte, ob ich den Geschmack richtig erkannt und alle Geschmacksnuancen wahrgenommen habe. Ich hole mir die Beschreibung der Experten und lese: „Der Duft hat neben seiner feinen Frucht von Kirschen und Brombeeren auch sehr attraktive Noten von Kirschkompott oder Konfitüre zu bieten, durch das sich eine feine Spur von Pfeffer und roter Paprika zieht. Der Wein ist trinkreif.“
Donnerwetter! Was nun? Schmecke ich unzureichend, vielleicht etwas dumpf und kann ich deshalb den Geschmack des Weins nicht feststellen? Schmecken die Experten falsch? Schmeckt der Wein mal so, mal so? Und wieder die Frage: Was ist der Geschmack des Weins?
Da kommt mir der Gedanke, dass Schmecken und Geschmack zwei durchaus unterschiedliche Phänomene sein könnten. Sie vielleicht ein Verhältnis zueinander haben wie der japanische Autor Haruki Murakami in seinem Buch „Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede“ über die Beziehung von Schmerz und Leiden schreibt: „Schmerz ist unvermeidlich, Leiden ist eine Option.“ (S. 8) Also: „Geschmack ist unvermeidlich. Schmecken ist eine Option?“ Hat man denn noch nicht einmal beim Weintrinken in seiner Freizeit Ruhe vor den Tücken des konstruktivistischen Denkens?
Ich recherchiere also im Internet. Und tatsächlich finde ich eine Seite, auf der sich Autorinnen und Autoren mit dem Phänomen des Weinschmeckens, nicht etwa des Weingeschmacks beschäftigen. „Die Weinprobe findet im Kopf des Konsumenten statt“ lese ich da und erfahre, einiges über die Bedeutung des Riechens beim Schmecken, über die Geschmackszonen meiner Zunge und über neurophysiologische Zusammenhänge beim Schmecken.
Und als ob ich nicht schon genug bei meiner Wahrheitssuche über den Geschmack eines Weins verunsichert worden wäre, muss ich auch noch den Einfluss emotionaler Prozesse und den Bedeutungszuschreibungen, die aus spezifischen Narrationen über Weine resultieren, erkennen. Menschen könnten, so steht es da, Geschmack nicht objektiv wahrnehmen. Das alles kommt mir doch irgendwie bekannt vor.
Als Krönung werden verschiedene Experimente mit professionellen Verkostern geschildert, von denen mir eines besonders gut gefiel: Die Önologen sollten einen Weißwein und einen Rotwein blind verkosten, d.h. es wurden keine näheren Angaben zu den Weinen gemacht. In Wirklichkeit enthielten beide Flaschen denselben Weißwein, wovon eine Probe mit geschmackloser Lebensmittelfarbe rot eingefärbt worden war. Dennoch schrieben die Önologen dem Weißwein typische Weißwein- und dem angeblichen Rotwein Rotweinaromen zu.
Übrigens: Mir haben beide Weine (und die anderen bestellten Exemplare auch) sehr gut geschmeckt – nach was auch immer. Vielleicht sollten wir Weinproben in der Ausbildung berücksichtigen. Zur Verdeutlichung der radikalkonstruktivistischen Perspektive – versteht sich.
Wer sich mit diesen und anderen Experimenten oder mit dem Thema Schmecken und Geschmack näher beschäftigen will – hier gibt es einen Beitrag im Ärzteblatt – und hier noch einen – und einen Beitrag in wikipedia zum Stichwort „Geschmack“.

2. September 2008
von Tom Levold
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Dissoziation als Leistung und Störung

Hans Christ, den ich als alten Freund und neuen systemagazin-Autor an dieser Stelle herzlich begrüße, ist als Psychoanalytiker und systemischer Therapeut der ersten Stunde ein ausgesprochen erfahrener Kliniker, der sich immer wieder auch mit übergreifenden theoretische Perspektiven und ihrer Integration in klinisches Denken befasst hat. 2005 erschien in„systeme“ ein umfangreicher Aufsatz über„Dissoziationen als Leistung und Störung“, in dem diese Fähigkeiten zum Ausdruck kommen, und der jetzt auch in der Systemischen Bibliothek zu lesen ist. Im abstract schreibt Hans Christ:„Dissoziative Prozesse der Spannungsregulation können Alltagsphänomene ebenso gut erklären wie Krankheitsphänomene. Ich beginne mit dem vernachlässigten Alltagsbereich salutogenetisch bedeutsamer Dissoziation für Erholungsprozesse, affektive Diskriminierung und die Förderung von kreativen Prozessen und wende mich darauf der Begriffsgeschichte zu um dann den heutigen Stand der Dissoziationsforschung zu skizzieren. Unter Berücksichtigung neurowissenschaftlicher und mentalistischer Konzepte der Psychoanalyse und Bindungsforschung stelle ich ein Aufmerksamkeitsmodell der Dissoziation vor. Komplexitätsreduktion als Prozess der Erregungsabkopplung durch Konstriktion und Selbsterregung verdeutliche ich an Fallmaterial aus der eigenen Praxis als Psychotherapeut und Supervisor. Therapeutische Überlegungen beschließen die vorliegende Arbeit“
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31. August 2008
von Tom Levold
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Beendigung einer Psychoanalyse

Das aktuelle Heft von Psychotherapie & Sozialwissenschaft ist den empirischen Zugängen zum Thema„Die letzte Stunde – Beendigung einer Psychoanalyse“ gewidmet. Im Editorial von Gastherausgeber Bernhard Grimmer heißt es:„Die in diesem Heft versammelten Beiträge beschäftigen sich alle mit der Beendigung der gleichen hochfrequenten Psychoanalyse. Es handelt sich um den »Musterfall« der deutschen Psychoanalyse (Thomä & Kächele, 2006, S. 167), die Patientin Amalie. Die Analyse (517 Sitzungen mit einer Frequenz von drei Wochenstunden) wurde auf Tonband aufgenommen, transkribiert und interessierten Wissenschaftlern zu Forschungszwecken zur Verfügung gestellt. Die bisher durchgeführten Studien zum Verlauf der Behandlung sind im dritten Band des Ulmer Lehrbuchs zur psychoanalytischen Therapie (Thomä & Kächele, 2006) zusammengefasst. Auch in diesem Fall spielt in der bisherigen Forschung das Thema der Beendigung eine vergleichsweise geringe Rolle. Deshalb sind wir dankbar, dass Horst Kächele uns mit der Bereitstellung der Transkripte und der Erlaubnis ihrer Veröffentlichung ermöglicht hat, diese Forschungslücke mit Beiträgen zu füllen, die auf der Basis unterschiedlicher qualitativer Methoden den Abschluss dieser Analyse unter die Lupe nehmen. Der Fokus der verschiedenen Aufsätze liegt dabei auf der letzten Sitzung, in der die Analysandin und der Analytiker ihre Beendigung vollziehen und Abschied nehmen müssen. Der Leser erhält so die Gelegenheit, aus der Nähe zu betrachten, was in dieser letzten Sitzung passiert und auch, was sich beispielsweise auf der Ebene der Traumerzählungen im Vergleich zum Anfang verändert hat“
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30. August 2008
von Tom Levold
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Kontrollierte Offenheit: Luhmanns Einführung in die Theorie der Gesellschaft

In der neuen Ausgabe des Online-„Forums für Qualitivative Sozialforschung“ (FQS) findet sich ein umfangreicher Rezensionsaufsatz zu Luhmanns posthum erschienener„Einführung in die Theorie der Gesellschaft“, die als Niederschrift seiner letzten Vorlesung 2005 im Carl-Auer-Verlag erschienen ist (systemagazin brachte damals ausführliche Rezensionen von Tom Levold und Wolfgang Loth). Andreas Wenniger, Soziologe an der Universität Bielefeld, hat sich gründlich mit dem Text auseinandergesetzt und kommt zu folgenden Fazit:„Das Konzept einer Gesellschaftstheorie ist bis heute im Wesentlichen ein theoretisches Unterfangen, das selten Kontakt zur empirischen Sozialforschung sucht. Daraus ergibt sich ein großes Problem für den system- bzw. gesellschaftstheoretischen Ansatz, will er nicht nur als ‚reine‘ Theoriearbeit wahrgenommen werden. Diesem theoretischen Paradigma ist solch eine Selbstbeschränkung aber meines Erachtens nicht zwangsweise eingeschrieben. Aufgrund des explorativen Charakters des Konzepts einer systemtheoretischen Gesellschaftstheorie scheint dieses grundsätzlich vereinbar zu sein mit einigen Richtungen der qualitativen Sozialforschung. Dort geht es in vielen Fällen gerade um die Verhinderung zweier Probleme: Erstens soll verhindert werden, dass empirische Realitäten mit vorgefertigten Kategorien betrachtet werden. Zweitens sollen wissenschaftliche Theorien nicht bloß zur Hypothesengenerierung dienen, die dann an der Wirklichkeit überprüft werden. Wissenschaftliche Untersuchungen sollen offen bleiben können gegenüber einer erst noch zu erkundenden ‚Wirklichkeit‘. Ich habe zumindest ansatzweise zu zeigen versucht,
dass LUHMANNs Begrifflichkeiten gerade keine ‚Kategorien‘ darstellen, unter die Empirisches bloß subsumiert wird. Meines Erachtens kann die LUHMANNsche Gesellschaftstheorie so gelesen werden, dass sie versucht, sich auf kontrollierte Weise offenzuhalten für eine erst noch zu erkundende soziale Wirklichkeit“
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29. August 2008
von Tom Levold
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Loss, Trauma, and Resilience

Heute erscheint das Buch von Pauline Boss über„Verlust, Trauma und Resilienz: Die therapeutische Arbeit mit dem »uneindeutigen Verlust«“ in deutscher Übersetzung. Bereits gestern war im systemagazin ein Vorabdruck zu lesen. Das Original ist bereits 2006 bei Norton in New York erschienen. Jörg Leonhard hat es rezensiert und empfiehlt die Lektüre:„Pauline Boss gibt einen sehr guten Überblick über das Thema und führt in ihre Gedanken behutsam doch stringent ein. Leser werden sich sicherlich an Situation und an Klienten/-innen erinnern und neue Wege und Denkweisen entdecken können. Sicherlich bietet das Buch keine neue Methode oder ein neues Konzept. Die aufgezeigten Gedanken werden sich Praktiker in ihrer Arbeit immer wieder machen und sich den systemischen Herausforderungen einer Arbeit mit Menschen, die unklare oder ungeklärte Verluste bewältigen müssen, stellen. Trotzdem ist das Buch sehr empfehlenswert, da es eine gute Sammlung und Konzentration des Themas bietet und eine thematische Vernetzung schafft, die bisher so deutlich nicht hergestellt wurde“
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28. August 2008
von Tom Levold
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OVG NRW: Systemische Therapie ist ein wissenschaftlich anerkanntes Verfahren

Anni Michelmann teilt für die DGSF mit:
Am 4. August 2008 hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) für das Land Nordrhein-Westfalen die Berufung des Landesprüfungsamtes der Bezirksregierung Düsseldorf gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Düsseldorf vom 7. April 2006 zurückgewiesen ( Az.: 13 A 2146/06).
Der 13. Senat des OVG entschied über die Berufung durch Beschluss „weil er sie einstimmig für unbegründet und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich hält“.
In dem angefochtenen Urteil hatte das Verwaltungsgericht die Landesbehörde verpflichtet, den Antrag eines Institutes der DGSF vom 3. März 2003 auf Erteilung der Anerkennung als Ausbildungsstätte nach § 6 Abs.2 PsychThG für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten mit dem Vertiefungsgebiet Systemische Therapie/Familientherapie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes neu zu bescheiden. Das Landesprüfungsamt hatte zuvor den Antrag des Institutes mit der Begründung abgelehnt, dass der WBP 1999 die Wirksamkeit der ST/ FT verneint habe. Darauf komme es jedoch nicht an, vertrat das Gericht. Vielmehr sei entscheidend, ob die ST/ FT in der Wissenschaft und der Profession eine breite Resonanz gefunden habe. Dies sei unbestreitbar der Fall.
Das OVG „macht sich die Feststellungen des Verwaltungsgerichtes in vollem Umfang zu eigen“ und setzt sich bei der Auslegung des zentralen Begriffs der „wissenschaftlich anerkannten psychotherapeutischen Verfahren“ gemäß § 1 Abs.3 Psychotherapeutengesetz ausführlich mit der Intention des Gesetzgebers auseinander und zitiert aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 13/8035): „Der Gesetzesentwurf enthält keine Aufzählung der zulässigen psychotherapeutischen Verfahren. Weiterentwicklungen in diesem Bereich sollen nicht ausgeschlossen werden. Gerade im Bereich der beruflichen Definition psychotherapeutischer Tätigkeiten ist es nicht angezeigt, Verfahren auszugrenzen. Ihre wissenschaftliche Anerkennung bleibt indes Voraussetzung für die anerkannte Ausübung von Psychotherapie, um zu verhindern, dass die Befugnis zur Ausübung von Psychotherapie missbraucht wird.“ Vor diesem Gesetzeshintergrund „erscheint es dem Senat deshalb nicht geboten, die Anerkennung eines psychotherapeutischen Verfahrens (ausschließlich) von einem durch Studien belegten und nachgewiesenen Wirksamkeitsnachweis abhängig zu machen.“ Sowohl die Landesbehörden als auch der WBP seien an die dargelegte Auslegungsprämisse des Begriffs wissenschaftlich anerkannter Verfahren – nämlich Ausschluss von Scharlatanerie und Missbrauchsabwehr – gebunden.
Abschließend begründet das OVG den Zeitpunkt seiner jetzigen Entscheidung verbunden mit der Zulassung der Revision und dem inzwischen beim Bundesverwaltungsgericht anhängigen Verfahren zur Gesprächspsychotherapie damit, auf diesem Wege eine bundesgerichtliche Klärung zu ermöglichen.

28. August 2008
von Tom Levold
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Vorabdruck von Pauline Boss: Verlust, Trauma und Resilienz

Pauline Boss ist auch hierzulande vielen Kolleginnen und Kollegen durch ihre Arbeiten zum Thema des uneindeutigen Verlustes bekannt geworden. Damit wird einerseits der unklare Verlust einer Person bezeichnet, die körperlich nicht mehr präsent ist, etwa bei vermissten Personen, die aber aufgrund des unklaren Status ihrer Existenz auch nicht aufgegeben und betrauert werden kann. Andererseits kann aber auch ein uneindeutiger Verlust darin bestehen, dass ein Mensch noch körperlich anwesend ist, aber seine soziale Rolle nicht mehr erfüllen und in der Beziehung nicht mehr als Partner präsent sein kann, etwa bei Demenzkranken. Mit diesem Buch, das von Astrid Hildenbrand in gewohnter Qualität übersetzt worden ist und Ende dieser Woche bei Klett-Cotta erscheint, hat Pauline Boss ihr forscherisches und therapeutisches Lebenswerk zusammengefasst. systemagazin bringt einen Vorabdruck aus dem 7 Kapitel„Ambivalenz als etwas Normales begreiflich machen“, eine Rezension folgt.
Zum Vorabdruck geht es hier