systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

6. Dezember 2012
von Tom Levold
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Verstehen oder Nicht-verstehen, das ist hier die Frage

Am Nikolaus-Tag berichtet systemagazin-Leserin  Kerstin Matthiessen im Adventskalender kritisch von ihrer systemischen Weiterbildung:

Meine systemische Geschichte spielt in einer Großstadt in Deutschland im Jahre 2011. Während meiner systemischen Ausbildung in irgendeinem systemischen Institut in unserem riesengroßen Land begab es sich also, dass eine kurdischstämmige, politisch engagierte und frei denkende Frau die Ausbildung zur systemischen Beraterin und Therapeutin erlernen wollte. Sie arbeitet mit Migranten. In diesem Kurs befanden sich neben dieser Kurdin 17 deutschsprachige und deutschstämmige (was immer das auch sein mag) Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Die erste Grundregel, die wir während unserer systemischen Exkursion wissenschaftlich wie auch praktisch erlernen sollten, war folgende: Wir gehen immer davon aus, dass wir den anderen nicht verstehen können. Nach mehreren Monaten des systemischen Studiums, kamen wir zur Familienskizze … Wir brachten alle Fotos aus unserer Familie mit. Ganz „brave“ Nazi-Großeltern blickten uns von Fotos an, und wir alle wurden uns nochmal unserer Nachkriegsgenerationen bewusst und den Einwirkungen, welche diese schreckliche Nazi-Herrschaft auch auf uns als Kinder und Enkel, in unserer Erziehung, Gesellschaft und Sozialisation hat. Die kurdischstämmige Frau zeigte Fotos aus einem Bergdorf. Das systemische Studieren setzte sich fort … mehr oder minder erfolgreich, aus meinem systemischen Verständnis heraus. Die starke, politisch engagierte Frau aus dem Süden wurde allerdings aufgrund von Verständigungsproblemen aus dem Kurs ausgeschlossen! Als Grund wurde ihre mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache angeführt. Ich hatte und habe keine Probleme, sie zu verstehen. Bei der Arbeit mit Migranten frage ich mich, wie ein systemischer Berater Migranten beraten will, wenn er sich nicht auf ihre Holprigkeit in der Verwendung der deutschen Sprache einlässt. Und auf den Versuch, ein anderes Denken und Handeln zu akzeptieren und sich dem eigenen Nicht-Verstehen zu öffnen. Soviel zu meiner Erfahrung innerhalb einer ganzen Gruppe angeblicher Systemiker.

5. Dezember 2012
von Tom Levold
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Die neuere Systemtheorie und ihre Implikationen für das Verständnis von Organisation, Führung und Management

Im Haupt-Verlag in Bern ist in diesem Jahr eine Festschrift für Peter Gomez erschienen, die von Johannes Rüegg-Stürm und Thomas Bieger herausgegeben worden ist. Peter Gomez ist Vertreter der St. Gallener Management-Schule, die explizit systemisch ausgerichtet ist. Im Klappentext heißt es:„Es war und ist Peter Gomez stets ein grosses Anliegen, Organisationen als komplexe Systeme und Management als eine voraussetzungsreiche Form einer geteilten und verteilten Praxis des Organisierens mit weitreichenden strategischen und ethischen Implikationen zu verstehen. Dieses Buch zu Ehren von Peter Gomez möchte eine kleine Reflexionsplattform für Management als Praxis eröffnen – und Inspiration bieten für konstruktive Debatten zu aktuellen und absehbaren Herausforderungen und Entwicklungsperspektiven von Management als gesellschaftlicher Funktion“ Einen umfassenden Beitrag (von fast 60 Seiten) zum Buch hat Rudolf Wimmer mit einem Aufsatz über„Die neuere Systemtheorie und ihre Implikationen für das Verständnis von Organisation, Führung und Management“ beigesteuert:„Der vorliegende Beitrag tritt mit dem Ziel an, zu einer kraftvollen Revitalisierung des Systemansatzes zu ermutigen. Das Zeitfenster für einen solchen Neustart ist im Moment außerordentlich günstig. Die Auswirkungen der jüngsten Wirtschafts- und Finanzkrise, die anhaltenden Turbulenzen um die wachsende Staatsverschuldung und die damit verbundenen Verunsicherungen der gesamten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in einem globalen Maßstab haben vielen bislang unhinterfragten Grundüberzeugungen der ökonomischen Forschung die Legitimationsbasis entzogen. Dies gilt sowohl für fundamentale makroökonomische Zusammenhänge wie auch für das Verständnis des Stellenwertes von Unternehmen, eingebettet in diesen weiteren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kontext. Die folgenden Überlegungen verdanken sich der festen Überzeugung, dass eine Weiterentwicklung des St. Galler Systemansatzes in Richtung der Erkenntnisse der neueren Systemtheorie jenes metatheoretische Begriffsrepertoire und Denkvermögen zu mobilisieren vermag, das in der Lage ist, einen angemessenen Zugang zum Verständnis der aktuellen gesellschaftlichen wie auch wirtschaftlichen Eigendynamik zu gewinnen. In diesem Sinne gilt es im Folgenden zunächst einige zentrale Dimensionen des zurzeit beobachtbaren gesamtgesellschaftlichen Strukturwandels zu benennen, um dann vor diesem Hintergrund ein paar zentrale Theorieangebote für ein weiterentwickeltes Verständnis von Organisation, Management und Führung zu formulieren“ Der Text ist auf der Seite der osb AG zu finden,
und zwar hier…

5. Dezember 2012
von Tom Levold
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Traurig

Heute öffnet Wiltrud Brächter die fünfte Türe des Adventskalenders mit einer kleinen Episode:

Zu meiner Arbeit in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Praxis gehört auch die Eingangsdiagnostik, in der es um einen Eindruck davon geht, wie sich ein Kind fühlt und was es beschäftigt. Im Satzergänzungstest, bei dem vorgegebene Satzanfänge von Kindern beendet werden, bildet ein etwa siebenjähriger Junge den Satz: „Ich bin traurig, … dass ich ein Brauner bin.“ In solchen Momenten kann ich nicht ruhig und neutral bleiben, sondern muss Stellung beziehen. Doch wie erklärt man einem Kind, dass nicht seine Hautfarbe das Problem ist, sondern rassistische Ausgrenzungen und Zuschreibungen, die sich bis in die Mitte der Gesellschaft ziehen? Ich habe ihm wohl gesagt, dass ich seine braune Farbe schön finde und niemand das Recht hat, in deswegen zu ärgern. Ich hätte auch sagen können: „Ich bin traurig und wütend, dass Du deswegen traurig sein musst“.

4. Dezember 2012
von Tom Levold
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Wunder und Zauber

Wie die Wunderfrage und andere lösungsorientierte Interventionen von einer Klientin nicht als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden, sondern als echter therapeutischer Zauber erlebt wurde, schildert im heutigen Adventskalendertürchen Peter Kaimer, systemagazin-Lesern auch bestens bekannt:

Meine erste Therapie mit einer Angehörigen eines mir fremden Kulturkreises (wenn man davon absieht, dass ich aus Österreich stamme ;-)) hatte ich vor ca. 25 Jahren. Und ich hatte keine Ahnung von den kulturspezifischen Hintergründen dieser Frau, die erst vor wenigen Jahren nach Deutschland gekommen war. Auch muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich trotz einer damals bereits lösungfokussierten Haltung glaubte, mich nicht allzu intensiver mit diesem Hintergrund beschäftigen zu müssen. Ich hatte ja meine lösungsfokussierten Fragen und ergänzend mein kognitiv-verhaltenstherapeutisches Handwerkszeug. Und ich hatte ein engagiertes Team hinter dem Monitor, welches mich in dieser Arbeit begleiten wollte. Wir begannen unsere gemeinsame Arbeit und Schritt für Schritt (er)fanden wir kleine für die Klientin brauchbare Schritte in Richtung ihres persönlichen Wunders. Der Weg der Arbeit erwies sich – wie es wohl für die meisten von uns Psychosozialarbeiter(inne)n so üblich ist – als gewundener Verlauf mit Erfolgen, Rückschlägen sowie Lernprozessen aus beiden. In den Rückmeldungen vermittelten wir der Klientin im Rahmen der Komplimente immer wieder unsere Anerkennung für das, was sie alles geschafft und ausprobiert hatte. Und schlussendlich kamen wir zu dem Punkt, wo es gut sein sollte und konnte. Die Klientin hatte einen Großteil ihrer Ziele erreicht und wir versuchten eine gemeinsame Bilanz der Therapie zu ziehen. In der Vorbereitung überlegten wir sehr sorgfältig, wie wir die „Verantwortung“ für die Erfolge bei der Klientin lassen und unsere Rolle als Begleiter (oder wie Wolfgang Loth schreiben würde „Beisteuernde“) formulieren könnten. Doch dies erwies sich als vergebliches Unterfangen. Trotz all der Einzelpunkte, welche die Klientin bereit war als ihren Beitrag zu sehen, bestand sie darauf, dass wir „gezaubert“ hätten. Das wäre ihr ja schon bei der „Wunderfrage“ aufgefallen, dass sich da etwas geändert hätte, und die folgenden Schritte wären nur aufgrund dieses Beginns möglich gewesen. Und sie wisse auch, dass dieser „Zauber“ notwendig gewesen sei, um ihr einen Ausweg aus ihrer schwierigen Situation zu ermöglichen. Tja, wir verabschiedeten uns von ihr (mein Team und ich) höflich, irritiert, etwas sprachlos. Sechs Monate später berichtete sie beim Follow-Up, dass der „Zauber“ zwar etwas von seiner Wirkung verloren hätte, aber er würde nach wie vor ausreichen … die einzelnen erarbeiteten Bewältigungsstrategien wende sie gelegentlich an.

3. Dezember 2012
von Tom Levold
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Dick ist nicht immer dick!

Das heutige Adventskalendertürchen machen Haja Molter und Karin Nöcker aus Köln auf, beide LehrtherapeutInnen am Weinheimer Institut für Familientherapie:

„Die Sprache ist das
Haus des Seins“
(Martin Heidegger)(1)

In der Arbeit mit Menschen im Kontext interkultureller Begegnungen ist es wichtig, eine Sensibilität dafür zu entwickeln, wie kulturelle Unterschiede die Bedeutungsgebung der gesprochenen Sprache entscheidend mitbestimmen. Begriffe wie Autonomie und Individuation z.B. – hohe westliche Werte – haben in anderen Kulturen  eine völlig andere Bedeutung, sie sind nicht mit einem so hohen Wert belegt wie in der westlichen Kultur.
Wenn Berater einem Konzept folgen, wo Beratung bedeutet, dass Klienten die Bereitschaft zeigen müssen, über ihre Probleme zu reden und diese sich ihrer Wahrnehmung nach verweigern, dann wird schnell von Widerstand, Unfähigkeit, Boykott, Mangel an Problembewusstsein, Veränderungsmotivation und Verantwortungsübernahme gesprochen. Dabei übersehen sie, dass der kulturelle Hintergrund der Klienten ein kultursensibles Beratungskonzept verlangt.
In einer Supervision stellte eine Teilnehmerin den Fall einer in Deutschland lebenden jungen indischen Familie vor. Ihre Herausforderung bestand darin, in der Erziehungsberatung mit den Eltern eine Ebene der Kooperation zu finden. Sie beschrieb das fast resigniert mit den Worten: „Ich bekomme keine Eintrittskarte in das Familiensystem.“ Bisher hatte sie vorsichtig versucht, die Eltern auf das „Dick sein“ ihres vierjährigen Jungen, des jüngsten von drei Kindern, anzusprechen. Die Eltern konnten das Verhalten ihres Jungen nicht als problematisch ansehen und verstanden  nicht so recht, was an ihrem glücklichen Jungen problematisch sein sollte.
Die Eltern hatten auf Empfehlung der Erzieherinnen des Kindergartens die Beratungsstelle aufgesucht. Die Erzieherinnen fanden, dass der Junge zu dick sei, sie formulierten schon in Richtung der möglichen Diagnose: Adipositas. Die Eltern sagten in der Beratung: „Das wächst sich aus, wenn er erst mal in die Schule kommt, bei unseren anderen Kindern war das auch so und jetzt ist doch alles gut …“ Alle Versuche, mit Hausaufgaben und Empfehlungen Einfluss auf ihr Erziehungsverhalten zu nehmen, waren bisher gescheitert. Die Beraterin wertete das als Nichtkooperation.
In der Reflexion des Falles hatte die Supervisandin Gelegenheit, sich mit einer Teilnehmerin der Supervisionsgruppe austauschen. Diese Frau war drei Jahre mit einem Inder liiert und hatte in dieser Zeit Anschluss an seine Familie in Indien gefunden. In dem Gespräch konnten wichtige kulturelle Unterschiede herausgearbeitet werden. Fazit war: Pummelige Kinder sind ein Zeichen besonderer „Liebe“ und Fürsorge der Eltern ihren Kleinkindern gegenüber und indische Familien bereden ihre Probleme nur im familiären Kontext. Gegenüber Fremden sind sie gastfreundlich und höflich.
Durch die Anregung der Supervisorin wurde eine Lösungsidee entwickelt, die diese Regel – Probleme werden nur im Kontext der Familie besprochen – nicht verletzt und gleichzeitig das Anliegen der Beraterin, das  „Dick sein“ mit Hilfe der Erziehungsberatung bei den Eltern zu thematisieren, aufgreift.
Die Teilnehmer wurden eingeladen, auf Moderationskarten dazu Fragen zu formulieren. Die Supervisorin hatte die Idee, diese Fragen dem familiären System zur Verfügung zu stellen und die Eltern einzuladen, sich gemeinsam zuhause Zeit zu nehmen und zu überlegen, welche Fragen wichtig wären, innerhalb der Familie zu besprechen.
Die Beraterin wollte dann die Eltern bitten, die ausgewählten Fragen auf den Karten, sofern sie diese das als hilfreich fänden, in die nächste Sitzung  als Rückmeldung mit zu bringen, ohne dass darüber gesprochen werden sollte.
Die Supervision ermöglichte es der Teilnehmerin, eine kultursensible Sichtweise auf die Familie zu entwickeln, ihr Beratungskonzept zu modifizieren, um die Familie  in den Beratungskontext zu integrieren.
In einer späteren Supervision berichtete sie, dass es Ihr gelungen war, ein Arbeitsbündnis mit der Familie herzustellen.

(1) Heidegger, M. (1949. Über den Humanismus. Frankfurt a.M.: Klostermann, 1949. S. 5.

2. Dezember 2012
von Tom Levold
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Jürgen Hargens wird 65! eine herzliche Gratulation und eine Besprechung seines neusten Buches

Normalerweise erscheinen Buchbesprechungen im systemagazin ja in einer eigenen Sektion. Aber dieses Mal hat Cornelia Tsirigotis ihre Besprechung als Gratulation zu Jürgen Hargens 65. Geburtstag ausgestaltet, der ich mich nur von Herzen anschließen kann. Als mich Jügen Hargens im Januar 1983 – also vor ziemlich genau 30 Jahren – fragte, ob ich Lust hätte, an der projektierten„Zeitschrift für Systemische Therapie“ mitzuwirken, war ich 29, er 35 – wie geht die Zeit dahin 🙂 Was Jürgen Hargens in den 80er Jahren mit der Zeitschrift geschaffen hat, hat wie kaum ein anderes Projekt die Systemischen Therapie in Deutschland konzeptuell nach vorne gebracht, dafür gebührt ihm Dank und allerhöchste Anerkennung. Da trotz Eintritt in das Rentenalter kein Zweifel daran besteht, dass er auch zukünftig als kundiger Wegbegleiter aktiv sein wird, können wir beruhigt sein und alles Gute wünschen!

und nun zum Text von Cornelia Tsirigotis über sein Buch Kundige Menschen sind HeldInnen. Lösungs- und ressourcenorientierte Arbeit. Einblicke – Orientierungen – Möglichkeiten. Dortmund 2012 (Borgmann):

Zeitlich passend zum „Übergang in das Rentenalter“ hat Jürgen Hargens ein Buch geschrieben, in dem er auf den Kern kommt, was systemisches oder lösungs- und ressourcenorientiertes Arbeiten ausmacht, sozusagen den in vielen Jahren zur (Komplexitäts)Reduktion eingekochten „Saft“ seines professionellen Tuns: „einzuladen, zur Beobachterin eines Geschehens zu werden, aus unterschiedlichen Perspektiven und darüber zu sprechen.“ (S. 38). Auf dem Boden (radikal)konstruktivistischer Ideen – „es ,gibt’ nicht nur das eine, sondern auch das andere und möglicherweise noch mehr“ (S. 104) – wird die Rolle der TherapeutIn im therapeutischen Geschehen bescheiden.
Er erzählt uns von seiner professionellen Entwicklung und ihren Phasen, von Sprüngen und Umwälzungen durch das Studium systemischer Literatur Ende der 70iger Jahre2. In einfachen Sätzen wird deutlich, wie sich große komplexe Ideen in kleinen therapeutischen Anstößen und Handlungsschritten in der Arbeit mit kundigen Menschen breit machten – in der konsequenten Bezeichnung seines Gegenübers in der therapeutischen Arbeit als „kundigen Menschen“ kommt der Kern, die grundsätzliche professionelle Haltung – wertschätzen und respektieren – zum Ausdruck: „Ich habe die Erfahrung gemacht – meine Konstruktion -, dass es sich bewährt, etwas zu tun und bei diesem Tun zugleich die Unterschiedlichkeit der Menschen zu respektieren und zu würdigen.“ (S. 29). Kundige Menschen als HeldInnen – das erinnert mich an Hero Client3 und daran, dass meine Gegenüber in der therapeutischen Arbeit die HeldInnen des Geschehens sind und auch HeldInnen in ihrer Lebensbewältigung.
Mich hat an Jürgen Hargens Texten immer schon beeindruckt, wie es ihm gelingt, die respektvolle und wertschätzende Haltung für mich als Leserin spürbar werden zu lassen. Er macht das, indem er beschreibt, wie er Haltung ganz kleinschrittig in konkrete Handlungen übersetzt. Das macht diese Buch aus, die Erzählungen, wie fast unmerklich „große“ theoretische Grundlagen und Ideen in seine Fragen münden und wie die kundigen Menschen dann antworten, wie er eine andere Rahmung anbietet, Möglichkeitensprache im Konjunktiv, ein vor den kundigen Menschen geführter Meta-Dialog…die Selbstreflexion, die für Professionalität unabdingbar sei, die „verständnisvolle Zurückhaltung“ (S. 83) des nicht zu schnell Verstehens. Jürgen Hargens bleibt dabei bescheiden, als Therapeut in Bezug auf die Wirksamkeit seines Tuns, als Autor, indem er erzählt, was beim einfachen und nicht leichten (im Sinne Steve de Shazers) Arbeiten mit kundigen Menschen geholfen hat.
Es ist ein kleines „großes“ Buch geworden. Wenngleich nicht das erste Hargens-Buch, das ich gelesen habe, ich habe mir diesen zum Jus verdickten Hargens-Saft angeregt und mit Gewinn für meine eigene professionelle Haltung zu Gemüte geführt und ich vermute, dass die Beschäftigung nachhaltige Auswirkungen auf mich haben könnte – welche, wird sich noch zeigen. Ein Buch also für alle Phasen der professionellen Entwicklung (S. 15ff), von der Laienhelfer-Phase (S. 16) bis zur „senior professional phase“ (S.17)

Lieber Jürgen, alles Gute und ein gutes Beginnen Deiner persönlichen „senior professional phase“!

Cornelia Tsirigotis (Frankfurt am Main)

PS: PS: Als Zugabe gibt es noch eine kurze Besprechung des spannenden Sammelbandes zum Reflektierenden Team, das Jürgen Hargens gemeinsam mit Arist von Schlippe 1998 herausgebracht hat – von Johannes Herwig-Lempp.

2. Dezember 2012
von Tom Levold
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Dialog der (Regional-)Kulturen

Inspiriert vom letzten Thema der DGSF-Tagung in Freiburg,„Dialog der Kulturen — Kultur des Dialogs“, beschlossen die Mitarbeiter des Carl-Auer Teams, sich bei einem gemeinsamen Geburtstagsessen in der jeweiligen„Muttersprache“ zu unterhalten. Diese Art der Kommunikation führte zu einigen sprachlichen Missverständnissen — war aber auch durchaus amüsant – und ist ihr Beitrag zum diesjährigen Adventskalender – viel Vergnügen!

1. Dezember 2012
von Tom Levold
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Stell Dir vor, es herrscht kulturelle Vielfalt – und keiner geht hin…


Liebe Leserinnen und Leser,

der diesjährige Adventskalender ist eröffnet. Nach anfänglicher Skepsis, ob das mit dem Kalender überhaupt etwas werden würde, bin ich jetzt zuversichtlich, dass wir die 24 Türchen zusammenbekommen. Zwei Drittel der Beiträge sind da, lassen Sie sich ermutigen, auch selbst noch etwas beizusteuern, das Thema„Interkultureller Dialog“ ist interessant genug, auch über den 24.12. hinaus weitergeführt zu werden. Die gesammtelten Texte werden zum Schluss in einem gemeinsamen PDF noch zum Download bereitstehen. Den Anfang macht heute der Psychologe und Ethnologe Clemens Metzmacher, der sein„Atelier für systemische Beratung und Supervision“ in Dresden betreibt. Lesen Sie, was er uns zu erzählen hat:

1. Stell Dir vor, es herrscht kulturelle Vielfalt – und keiner geht hin…
Gerade lese ich die wiederholte Einladung von Tom Levold zur Einsendung von Geschichten aus interkulturellen Begengungen für diesen Adventskalender mit der verwundert klingenden Frage, ob denn keine interkulturellen Begegnungen stattfänden, da fast keine Einsendungen eingetroffen seien. Ich fühle mich erinnert, denn das ist mir schon oft so ergangen: Wie oft habe ich gehört, dass das „Problem“ der interkulturellen Verständigung wirklich drängend sei. Da müsse man unbedingt mal z.B. „ein Seminar zu machen“. Und wenn dann eines angeboten wird – kommt niemand.
Mit warmem Gefühl denke ich an einen Einrichtungsleiter einer Kinder- und Jugendhilfe-Einrichtung, der sich in eine „Schnupper-Veranstaltung“ zu diesem Thema verirrt hatte. In einer kleinen Übung fand er sich plötzlich in einer Minderheitengruppe wieder und erlebte, wie es sich anfühlt, nicht mehr Teil der normgebenden Gruppe zu sein. „Ich habe mich in dieser kurzen Situation richtig ausgestoßen gefühlt, richtig anders. Und ich hatte das Gefühl, dass den anderen das eigentlich egal ist. Das war hart.“ Er ging mit dem Gefühl aus der Veranstaltung, dass das Thema „Umgang mit Andersartigkeit“, in das er das Thema Interkulturalität umbenannte, doch auch sein eigenes Thema ist, denn er hatte einmal „auf eine andere Seite geschaut“.

2. Zugang zum „System“ von „ganz woanders“
Meinen ganz individuellen Zugang zur systemischen (Familien-)Therapie habe ich vor etlichen Jahren in KwaZulu/Südafrika gefunden: Während einer längeren Mitarbeit in einem Selbsthilfeprojekt von Behinderten in weit abgelegenen Bergtälern hat es mich irritiert zu erleben, wie viel mehr sich die Menschen als Teil einer Familie oder Gruppe erleben, denn als Individuum. Das war ein völlig anderes „Selbst-“Erleben, als ich mir das bisher vorstellen konnte. Und das hatte auch im Umgang mit fast allen Lebensbereichen tiefgreifende Konsequenzen, angefangen beim Umgang mit Leiden („Therapien“) bis hin zur Eigentumsverteilung. Als Philosophie formuliert steht dahinter: Umuntu ubuntu xabantu („Der Mensch ist Mensch durch andere Menschen“). Bei genauerem Hinschauen, fing ich an, diese Anteile bei mir selbst zu entdecken. Als systemischer Familientherapeut ist das mittlerweile nicht mehr überraschend, aber dennoch sind mir die genannten Erlebnisse immer wieder eine Hilfe, die Tiefgründigkeit dieses Gedankens wach zu halten. Für mich steht die Wiege der Familientherapie in Südafrika.
Ein weiterer frappierender Aspekt dieses Arbeitsaufenthalts war der allgegenwärtige Rassismus, ein gelebter „Diskurs“, an dem ich teilnehmen musste, ob ich wollte oder nicht. Und natürlich wollte ich nicht. Auf der späteren Suche, dieses Phänomen für mich auch theoretisch „fassbar“ zu machen, bin ich bei der Systemtheorie luhmann’scher Prägung gelandet: Gesellschaft als Kommunikation.
Ein drittes Mal überwältigt war ich viel später bei einem anderen Arbeitsaufenthalt in der Elfenbeinküste: Die Menschen verhielten sich mir als Weißem gegenüber lange nicht so „unterwürfig“, wie ich es oft in Südafrika erlebt hatte. Mir wurde schlagartig deutlich, wie stark ich bestimmte Erlebnisse als Persönlickeitszuschreibung mit Hautfarbe bzw. einem europäisch generalisierenden Begriff „Afrika“ verknüpft hatte und wie wenig ich den Kontext einbezogen hatte. Kurz: Wie rassistisch ich bin! Ich bin jetzt etwas vorsichtiger geworden. Deutlicher hätte ich für mich die Lektion vielleicht nicht lernen können, die ich später in der Kybernetik zweiter Ordnung fand: Als „Beobachter“ erschaffe ich das System immer mit. Vor allem aber versuche ich heute immer wieder, mich als „Beobachter“ zu beobachten. Denn da stecken noch viele „Rassismen“.
Das Erlebnis, als „Weißer“ in verschiedenen Kontexten in Afrika zu leben, stößt mich immer auf einen Punkt, der mir im systemtheoretischen Diskurs bislang etwas fehlt: Das Wissen darum, dass ich „Weißer“ bin. Das ist mir sonst ja so selbstverständlich, dass ich es gar nicht zu thematisieren brauche. Vor allem aber prägt es mich so, dass ich das gar nicht merke. Es geht mir um das Benennen und das Hinterfragen des „Selbstverständlichen“. Etwas weiter sind wir vielleicht in der Geschlechterdebatte. Ich wünsche mir, dass auch im systemtheoretischen Diskurs die Frage nach der Verortung von uns als „Beobachtern“ genauer beleuchtet wird. Als Frage formuliert: Von welchen Positionen aus gesehen bin ich „anders“ – und was ist die Konsequenz?

3. Häusliche Gewalt – auf Englisch…
Sie hatte sich mit ihrem Mann angemeldet als „Täterin bei häuslicher Gewalt“. Ihr Mann sollte mitkommen, weil „er natürlich auch was damit zu tun hat“. Sie, resolute und Kompetenz ausstrahlende Mitteleuropäerin, er aus Zentralasien stammend. Als Beratungsteam arbeiten wir bei Paaren gemischtgeschlechtlich, um eine Balance herzustellen. Angefragt war Beratung in Englisch, da er kein Deutsch könne.
Sie sind beide gekommen. Die Situation ist komplex, da meine Kollegin nur wenig Englisch spricht. Auch er spricht so wenig Englisch, dass selbst seine Frau ihn oft nicht versteht. Ihre Beziehungssprache sei Englisch, er lerne Deutsch, sie könne seine Sprache nicht sprechen. Es geht bisher nur um den Beratungsrahmen. Alles ist zäh, dauert ewig. Er zeigt sich als „Besucher“, es wird jedoch immer deutlicher, dass er massive körperliche Gewalt ausübt. Mehr und mehr gibt sie sich als Opfer zu erkennen. Die aufenthaltsrechtlichen Fragen sind recht komplex. Zentraler Dreh- und Angelpunkt ist das gemeinsame Kind und die unterschiedlichen Ansprüche an die Elternschaft…
…Beratungsalltag in meiner Beratungsstelle. Ich habe den Eindruck, dass man an jedem Eckchen anfangen könnte und müsste, dass überall Fallstricke lauern. Um so mehr bin ich überrascht, dass er wiederkommen will. Und beim nächsten Termin bin ich gerührt, als er beginnt, sich zu öffnen und plötzlich etwas von Herzlichkeit spürbar wird: Er ist angekommen. Sie auch. Aber jeweils einzeln. Eine Lösung haben wir als Beratende nicht, können wir auch nicht haben. Und das ist vielleicht das Entlastende, niemand verlangt, dass wir die Expertenlösung für diese Komplexität haben. Wir gestalten den Prozess und den Rahmen, mir kommt der Satz einer Lehrtherapeutin in den Sinn: Wenn Du schnell sein willst, sei langsam…

30. November 2012
von Tom Levold
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„re-source“ in Zagora: 8.-15. Februar 2014

Vom 8.-15. Februar wird eine ganz besondere Tagungswoche in Zagora (Marokko) für Professionelle aus Therapie, Beratung, Supervision und Coaching unter dem Thema„re-source“ stattfinden, veranstaltet von Liane Stephan, Mohammed El Hachimi und Tom Levold. Die dahinterliegende Idee geht davon aus, dass eine tragfähige Beziehung zwischen Professionellen und Kunden den entscheidenden Faktor für einen erfolgreichen Beratungsprozess darstellt. Die Persönlichkeit des Professionellen ist daher eine wesentliche Ressource in der Beratungspraxis. Neben dem expliziten Wissen um Theorien, Konzepte und Methoden, also allem, was gelernt und wiedergegeben werden kann, kommt es im Beratungsprozess ganz wesentlich auf das implizite Wissen der Professionellen an, d.h. auf ihre Erfahrung und Könnerschaft, ihre Präsenz, ihre Intuition und ihre Fähigkeit, unterschiedliche Wissensbestände situativ zu einer guten Gestalt zu verbinden.Dieses implizite und intuitive Wissen ist im Unterschied zum (meist schulenspezifischen) Lehrbuchwissen nicht ohne weiteres vermittelbar, sondern im eigenen Stil und der eigenen Vorgehensweise„embodied“, d.h.„verkörperlicht“. Die Tage in Zagora sollen einen Zugang zur Mobilisierung vorhandenen und Entwicklung neuen impliziten und intuitiven Wissens eröffnen. Routinen und volle Terminkalender legen nahe, Gewohntes abzurufen anstatt Neues zu wagen, Sicherheit zu suchen, anstatt sich neuen Erfahrungen auszusetzen. Verengung statt Erweiterung. Meist fehlt es an Zeit, sich zu überprüfen, zu spüren und die Sinnespotenziale zuzulassen. Um den  Zugang zu diesen besonderen Re-Sourcen zu aktivieren und Selbsterweiterung zu ermöglichen, sind reflexive Zugänge weniger hilfreich. Wir schaffen mit einem Angebot an kreativ-expressiven Methoden wie Gestaltung, Malerei, Tanz, Theater, Musik usw. einen Rahmen, in dem die Teilnehmenden mit ihren Potentialen in Kontakt kommen können. Da Menschen von- und miteinander lernen, schaffen wir darüber hinaus Raum für die Vernetzung kollektiven Wissens und den Transfer in den professionellen Arbeitskontext der Beteiligten.
An der Tagung beteiligt sind Maria Amon (Malerei), Steve Clorfeine (Theater), Thomas Hecking (Musik), Matthias Ohler (Denken und Schreiben), Ulrich Schlingensiepen (Fotografie), Anke Böttcher (Rhythm) und Jürgen Kriz (Reflexion). Ort ist das Riad Lamane in Zagora, die Kosten betragen für Tagungsgebühren inkl. Unterkunft und Vollpension 989,00 €. Da die Anzahl der Plätze begrenzt ist, empfiehlt sich eine baldige Buchung.
Alle Informationen zur Tagung gibt es hier…

29. November 2012
von Tom Levold
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Dieser lebende Tod – dieses sterbende Leben

Von Kurt Buchinger, bestens bekannt für seine Beiträge zur systemischen Supervision und Organisationsberatung, sind schon einige Texte in der Systemischen Bibliothek des systemagazin zu lesen. Heute geht es um einen außergewöhnlichen und sehr persönlichen Text, der auf einem Vortrag basiert, in dem Kurt Buchinger sich mit seiner eigenen Erkrankung, dem Tod und dem Lebenswillen auf eine berührende und herausfordernde Weise auseinandersetzt, die Mut machen kann und soll. Dabei geht es ihm nicht um den 100sten Bericht über eine Spontan-oder ‚Wunderheilung‘, sondern um riskante Entscheidungen und die Überwindung oder Aufhebung der damit verbundenen„anthropologischen Widersprüche“. Der unbedingt lesenswerte Text schließt folgendermaßen ab:„Das Lebendige Allgemeine, das ich im Besonderen mehr erleben als begreifen durfte, lautet: Dieses Leben ist in seiner Fülle nur als sterbendes Leben, als lebender Tod zu haben. Und das ist etwas anderes als das viel strapazierte wunderbare ‚Stirb und Werde‘. Denn es ist keine Aufeinanderfolge von Tod und Leben in der Achterbahn des Lebens, es ist deren ruhige immer währende Gleichzeitigkeit, echte Gegenwart. Nur so, als sterbendes Leben, als lebender Tod lässt uns das Leben seinen gesegneten Reichtum erahnen, zu dem der Tod die Türe öffnet. Das alles auf eigenes Risiko, natürlich“.
Zum vollständigen Text…
    

28. November 2012
von Tom Levold
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Virtual Issue Solution-Focused Brief Therapy

Auf der Online-Seite des Verlagshauses Wiley ist seit heute eine„virtuelle Ausgabe“ von Artikeln zum lösungsfokussierten Ansatz aud dem Journal of Marital and Family Therapy zu finden. Enthalten sind 15 Beiträge der vergangenen Jahre u.a. aus der Feder von Steve de Shazer, Alex Molnar, Eve Lipchik, Terry S. Trepper, Yvonne Dolan u.v.a. Alle Beiträge sind bis zum 15. Februar kostenfrei erhältlich,
und zwar hier… 

27. November 2012
von Tom Levold
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Jimi Hendrix (27.11.1942-18.9.1970)