systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

1. Dezember 2013
von Tom Levold
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Stephan Baerwolff: Ein starkes Gefühl beim Lesen von Fachartikeln: Rührung

Liebe Leserinnen und Leser,

auch in diesem Jahr gibt es wieder – in mittlerweile guter Gewohnheit – einen Adventskalender im systemagazin. Dieses Mal dreht er sich thematisch um Fragen, die mit eigenen Lektüre- und Schreiberfahrungen verbunden sind. Welche Erinnerungen gibt es an Texte, die einen seit langem begleiten, wie hat man erste Schreib- und Veröffentlichungsversuche in Erinnerung, welche Erfahrungen mit Verlagen, Herausgebern, Redakteuren, Lesern wurden gemacht, waren amüsant, berührend oder verwunderlich, wie erlebt man das Wiederlesen von Texten, die man vor ewigen Zeiten geschrieben hat, etc. etc. Hierbei hatte ich zunächst die Idee, in erster Linie Kolleginnen und Kollegen einzuladen, die bereits Text veröffentlicht haben. Es hat sich aber gezeigt, dass die Publikationserfahrungen nicht im Zentrum der bislang eingegangenen Beiträge liegen. Deshalb möchte ich gerne auch Sie einladen, Ihre eigenen Geschichten zum Adventskalender beizusteuern. Wie auch in den vergangenen Jahren ist er zum 1.12. noch nicht voll und ich freue mich über Beiträge. Alle Texte, die zu diesem Thema eingehen, werden auf jeden Fall veröffentlicht, wenn der Adventskalender dafür nicht ausreichen sollte, dann vielleicht als eine Sonderseite im systemagazin oder auch als systemagazin-eBook! denkbar.

Den Reigen der Kalendertürchen eröffnet heute Stephan Baerwolff aus Hamburg, der von seiner ersten (Lese-)Begegnung mit Michael White erzählt (der Text, auf den er sich in seinem Beitrag bezieht, ist übrigens 2005 in systhema auf Deutsch erschienen):

„Auf Tom Levolds Frage nach einer einschneidenden Lektüreerfahrung fiel mir sofort ein Text ein, den ich am 10.6.1989 auf der Zugfahrt von Heidelberg nach Hamburg las. Warum ich das so genau erinnere? Dazu folgende kleine Geschichte:
Durch meinen Kontakt zu Kurt Ludewig Anfang der 80er Jahre hatte ich das Glück, schon relativ früh in die systemische Szene hineinzugeraten und deren Entwicklung mitzuerleben. Da zudem mein Arbeitsplatz eine lange Busstrecke von zuhause entfernt lag, hatte ich jeden Tag ausführlich Gelegenheit, mich in systemische Texte zu versenken. So stieß ich auch auf die ersten Artikel von Michael White, die Helm Stierlin dankenswerterweise aufgestöbert und in der Familiendynamik veröffentlicht hatte. Mir gefielen der Witz und die Kreativität, mit der dort Angst-Monster gezähmt und Paarbeziehungen in Bewegung gebracht wurden. So war es für mich keine Frage, dass ich mich 1989 für einen Workshop in Heidelberg anmeldete, zu dem Michael White (ich vermute das erste Mal) nach Deutschland kam. Dort beeindruckte mich sein ebenso bescheidenes wie klares Auftreten, mit dem er seinen Ansatz darstellte. Seine Verschmitztheit zeigte sich z.B. in der Bemerkung, seine KollegInnen und er würden die psychiatrischen Akten der an sie überwiesenen PatientInnen nicht mehr lesen, sondern wiegen! Seine Therapie-Videos zeigten nicht die üblichen gebildeten Mittelschichts-Familien, sondern auch KlientInnen, wie ich sie aus meiner Arbeit in einem Psychiatrischen Landeskrankenhaus  kannte. Ich war beeindruckt, wie warmherzig Michael White mit diesen schwer belasteten Menschen umging und mit ihnen zusammen aus kleinsten Ansatzpunkten von Ressourcen hoffnungsvolle Geschichten entwickelte. Schließlich erinnere ich noch, dass Michael Whites Frage an das Publikum, ob wir die von ihm zitierten (meist anthropologischen) Theoretiker kennen würden, allseits Kopfschütteln auslöste, selbst bei der versammelten systemischen Prominenz.
Wie die LeserIn richtig vermutet, verließ ich also den Workshop höchst zufrieden und angeregt, mich weiter mit dem narrativen Ansatz zu beschäftigen. Dazu gab es gleich noch auf der Bahnfahrt Gelegenheit, denn ich fuhr zusammen mit einer Hamburger Kollegin, die längere Zeit in Australien gewesen war und sich von daher getraut hatte, Michael White anzusprechen und dafür mit einem Haufen an Texten von ihm „belohnt“ worden war. In einen davon schaute ich nun hinein, einen kurzen englischsprachigen Artikel, dessen Lektüre (eben weil kurz!) ich mir zutraute. Schon bald überfiel mich ein starkes Gefühl, das mir beim Lesen von Fachartikeln unbekannt war: Rührung! Im Kern ging es in dem Artikel um eine Klientin, deren Mann gestorben war und die nicht über seinen Tod hinweg kam, so dass ihre Mitmenschen (auch Fachleute) begannen, ungeduldig zu werden. Michael Whites Vorgehen basierte auf der Idee, die gängige Vorstellung der Trauerverarbeitung (Loslassen) zu dekonstruieren und der Klientin die Vorstellung anzubieten, den Kontakt zum verstorbenen Ehemann zu verstärken. Dazu bat er sie, sich ihre Situation durch die Augen des Verstorbenen anzusehen (technisch gesprochen handelte es sich also um zirkuläre Fragen) und gewissermaßen seinen Rat einzuholen. Aus dem Artikel (besonders vor dem Hintergrund der aktuellen Erfahrung des Workshops) sprach eine so große Menschenfreundlichkeit und Warmherzigkeit, dass ich hätte heulen können – ein gewisser Kontrast zu der „Aura“ der systemischen Szene zur damaligen Zeit, die mir doch eher durch ausgesprochene Intellektualität und kognitive Brillanz geprägt schien. Diese überaus emotionale Reaktion mag ein Beleg sein für die These, dass wir Ereignisse besonders gut erinnern, die mit starken Gefühlen verbunden sind. Was wiederum plausibel macht, dass ich ausgerechnet diesen Text hier auswählte.
In der folgenden Zeit habe ich mich intensiv mit dem narrativen Ansatz beschäftigt, der mich lange Zeit fasziniert und begeistert hat – besonders in Verbindung zu der sozialkonstruktionistischen Infragestellung scheinbarer Selbstverständlichkeiten als gesellschaftlich konstruiert. Zwar fand ich später die Art der therapeutischen Fragen, die individuelle Probleme gesellschaftlich kontextualisieren sollen, für meinen Geschmack manchmal etwas suggestiv und spürte einen Anflug von Selbstgewissheit darin, die ich gern wieder „radikal konstruktivistisch“ hinterfragt hätte. Aber dennoch bildet m. E. der narrative Ansatz einen sehr geeigneten Rahmen, um z. B. systemisch über Biographie und deren Thematisierung in der Therapie nachzudenken (und dabei durchaus Michael Whites Arbeitsweise zu erweitern).
Wenn ich auch seit dem Sommer 1989 viele vielleicht intellektuell „wertvollere“ Beiträge als den besagten Artikel gelesen habe, steht er doch auch heute noch für die Fähigkeit, flexibel die eigenen Prämissen infrage zu stellen und die Perspektive des Denkens zu wechseln wie für das Vermögen, eine warmherzige, zutiefst empathische Beziehung zu anderen Menschen zu gestalten. Beides (und gerade ihr aufeinander-bezogen-sein) sind für mich Eckpfeiler des systemischen Ansatzes. Das ließe sich theoretisch ausgefeilter sagen, aber in einem Adventskalender-Türchen ist (zum Glück) nicht so viel Platz …“

29. November 2013
von Tom Levold
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Psychotherapie als Förderung von Selbstorganisationsprozessen


Im Hogrefe-Verlag wird derzeit eine neue Buchreihe mit dem Titel „Systemische Praxis“ aufgelegt, deren erster Band mittlerweile vorliegt. Herausgeber der Reihe sind Günter Schiepek, Wolfgang Eberling, Heiko Eckert, Matthias Ochs, Christiane Schiersmann, Rainer Schwing und Peter A. Tass. Die Programmatik der Reihe liegt in der Vermittlung von Modellen zur Funktionsweise komplexer, nichtlinearer Systeme für die psychotherapeutische Praxis. In einem Einführungsband entwickeln Günter Schiepek, Heiko Eckert und Brigitte Kravanja „Grundlagen systemischer Therapie und Beratung“ und konzipieren Psychotherapie als „Förderung von Selbstorganisationsprozessen“ im Sinne der Synergetik. Wolfgang Loth hat sich intensiv mit dem Buch auseinandergesetzt, das er zur Lektüre empfiehlt, gleichwohl er hinsichtlich der Praxis der Modellierung des therapeutischen Prozesses vermittels digital erfasster Daten ambivalent bleibt: „Nach wie vor fasziniert mich die ,Möglichkeit, einer systemwis­senschaftlichen Erklärung für systemische Reorganisationsprozesse (…), welche sehr spezifisch (durch Prozessmonitoring und Prozessfeedback) unterstützt werden können‘ (S. 91). Das hat nicht nur mit pragmatischen (und womöglich pragmatisch-naiven oder pragmatisch-furchtsamen) Wünschen zu tun, ,wirksam/wirklich‘ helfen zu können, sondern auch mit existenziell-sinnhaften: das vorgestellte Modell verknüpft einen hocheffizienten Umgang mit Komplexität mit einem ebenso hochsensiblen Respekt vor individuell erlebtem Leben (und Leiden). Das hat schon was … und es bleibt – und daher mein Zögern – angewiesen auf die Vertrauenswürdigkeit derjenigen, die das anbieten. So hoffe ich, dass mit der zunehmenden Erfahrung mit SNS und SNS-basierten Gesprächen auch die Sensibilität dafür bleibt, wie ausgeklügelte ,Behandlungskonzepte‘, insbesondere technisch hochgerüstete, ihren ,Grund‘ in Emanzipation und Teilhabe sehen anstelle in Macht und Sicherung von Ordnung. Mit anderen Worten: Ich verstehe das vorgestellte Konzept als ein differenziertes ,Hilfsmittel‘ dabei, sich in der Komplexität des eigenen Lebens, seiner physischen, psychischen und sozialen Bezüge, klarer zu werden und darin eine eigene Lebens-Form zu finden. Der immer wieder explizit betonte Respekt vor der individuellen Auseinandersetzung mit ,den Umständen‘ ist mir hier ein Wort, auf das ich mich verlasse. Dieses Vertrauen und eine ebenso ausgeprägte Vorsicht lassen mich neugierig darauf sein, wie es weitergeht. Um das nicht zu vergessen: Ich empfehle die Lektüre dieses Buches sehr, bin gespannt auf die Fortsetzung der Reihe und wünsche ihm und ihr nicht nur viele LeserInnen, sondern mehr noch viele, die sich ernsthaft damit auseinandersetzen. Dann wäre diese Reihe viel­ leicht nicht nur eine weitere, die einen eigenen Akzent setzt (das tut sie), sondern auch eine, die einen dann tatsächlich umgreifenderen Unterschied macht. Ernsthafte Empfehlung!“
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27. November 2013
von Tom Levold
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Kurt Buchinger (27.11.1943)

Kurt Buchinger ist ein wichtiger Wegbereiter für die Theorie und Praxis systemischer Supervision und Organisationsberatung. Er begeht heute seinen 70. Geburtstag und systemagazin gratuliert von Herzen. Kurt Buchinger ist den systemagazin-Lesern durch eine ganze Reihe von Texten bekannt, die in der Systemischen Bibliothek  des systemagazin zu finden sind. Im vergangenen Jahr erschien von ihm ein berührender Text über seine Kranken- und Behandlungsgeschichte und die Auseinandersetzung mit dem Leben und dem Tod, der einige Resonanz erzeugt hat. seinem neuesten Text führt er dieses Thema weiter fort, es geht es um einen „Alten Wunsch und neue Erfahrungen“ im Rahmen seiner Selbstbeobachtung in dieser Situation, gewissermaßen um das „Leben im Tod revisited“ (K.B). Ich danke Kurt Buchinger sehr für die Erlaubnis zur Veröffentlichung dieses Textes, der uns auf eindringliche Weise lehrt, dass das Lernen nicht endet, auch nicht in Zeiten körperlichen Leidens. Lieber Kurt Buchinger, für die kommende Zeit wünsche ich Ihnen das Beste!
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25. November 2013
von Tom Levold
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Die Entwicklungsdynamik der deutschsprachigen Familientherapie und Systemischen Therapie aus bibliometrischer Sicht

Bibliometrie ist quantitative Untersuchung von Publikationen, Autoren und Zitationen etc., aus der sich z.B. für thematische Diskurse Entwicklungsverläufe, die Verteilung von Themen in Fachzeitschriften oder die Anzahl von Zitierungen eines Autors oder Textes nachzeichnen lassen. Sie stellt insbesondere für wissenstheoretische und wissenschaftshistorische Fragestellungen einen spannenden methodischen Zugang dar. Für die Untersuchung der Entwicklung des systemischen Diskurses hat Ludwig Reiter hier einige wichtige Beiträge geliefert, die aber im systemischen Diskurs nicht ausreichend rezipiert worden sind. 1997 hat er gemeinsam mit Egbert Steiner und Victor Gotwald eine Studie über „Die Entwicklungsdynamik der deutschsprachigen Familientherapie und Systemischen Therapie aus bibliometrischer Sicht“ veröffentlicht, in deren abstract es heißt: „Die Entwicklung der Familientherapie und Systemischen Therapie ist durch einen Paradigmenwechsel gekennzeichnet, der häufig als Übergang von der Kybernetik I zur Kybernetik II bezeichnet wird. Der vorliegende Beitrag, eine bibliometrische Studie aller in deutschsprachigen familientherapeutischen und systemischen Zeitschriften von 1976 bis 1995 publizierten Arbeiten und der darin zitierten Werke, zeichnet diese Entwicklung anhand von Autoren und Beiträgen nach. Mit Hilfe dieser Methode ist es möglich, sowohl die „Leitfiguren“ als auch die „klassisch“ gewordenen Arbeiten zu identifizieren und die Dynamik der Veränderungen im systemischen Feld darzustellen.“
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24. November 2013
von Tom Levold
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Notiz zur Liberalen Ironikerin und zu Poetischem Denken

Matthias Ohler, Bad Dürkheim

Richard Rorty gehört zu den Autoren, die in der systemischen Szene zu wenig wahrgenommen oder diskutiert werden. Eine von ihm eingeführte, sehr überzeugende Denk-Figur ist die der liberalen Ironikerin. Rorty stellt sie in seinem Buch Kontingenz, Ironie und Solidarität vor, das 1989 bei Cambridge University Press erschien und bereits im gleichen Jahr in deutscher Sprache bei Suhrkamp. So liest sich das:
Dieses Buch versucht zu zeigen, wie es aussieht, wenn wir die Forderung nach einer Theorie, die das Öffentliche und das Private vereint, aufgeben und uns damit abfinden, die Forderungen nach Selbsterschaffung und nach Solidarität als gleichwertig, aber für alle Zeit inkommensurabel zu betrachten. Es zeichnet eine Gestalt, die ich „liberale Ironikerin“ nenne. Meine Definition des „Liberalen“ übernehme ich von Judith Shklar, die sagt, Liberale seien die Menschen, die meinen, dass Grausamkeit das schlimmste ist, was wir tun. „Ironikerin“ nenne ich eine Person, die der Tatsache ins Gesicht sieht, dass ihre zentralen Überzeugungen und Bedürfnisse kontingent sind – (…).Liberale Ironiker sind Menschen, die zu diesen nicht auf tiefste Gründe rückführbaren Bedürfnissen auch ihre eigenen Hoffnungen rechnen, (…) dass Leiden geringer wird, dass die Demütigung von Menschen durch Menschen vielleicht aufhört.Konkret führt die Exposition seines Ziels Richard Rorty zu der Überlegung:
Der Prozeß, in dessen Verlauf wir allmählich andere Menschen als „einen von uns“ sehen statt als „jene“, hängt ab von der Genauigkeit, mit der beschrieben wird, wie fremde Menschen sind, und neubeschrieben, wie wir sind. Das ist eine Aufgabe (…) für Sparten wie Ethnographie, Zeitungsberichte, Comic-Hefte, Dokumentarstücke und vor allem Romane. (…)
Auf systemtheoretisch könnte man, was Rorty avisiert, vielleicht so verstehen: der Gedanke, psychische, biologische und soziale Systeme würden nur in einem doch noch zu rettenden, bislang noch unverstandenen Ganzen unser Bild vom ganzheitlich zu verstehenden Menschen erlauben, führt in eine totalitäre, menschliche Möglichkeiten, menschlich zu sein, extrem behindernde Forderung nach Gleichschaltung.
Ich verstehe die liberale Ironikerin als die Figur – oder sagen wir ruhig: als die Person, die das unternimmt, was ich mit poetisch denken bezeichne. Es ist eine Form des Denkens, die – unter Beibehaltung auch des Ziels von Verbindlichkeit – weniger argumentiert als vielmehr radikal beschreibt. Mit einem Anspruch auf Wahrheit allerdings, die sich aber in dem erweist, was uns jetzt möglich wird zu tun, das uns niemals eingefallen wäre, ja, wozu wir gar nicht in der Lage gewesen wären, bevor so beschrieben wurde. Hier sind Texte von Arendt, Beauvoir, Bonder, Camus, Freud, Heidegger, Lessing, Maturana, Proust, Reinhard, Simon, Wittgenstein und all die unveröffentlichen Wunderwerke der „Namenlosen“ nicht aufeinander reduzierbar, sondern am gleichen Webeprozess beteiligt – alle auch mit dem gleichen Risiko, zeitweise ausgemustert zu werden.
Hannah Arendts Idee, niemand habe das Recht, zu gehorchen, ist so ein typisch poetisches Denken. Durch ihren geschickten sprachlichen Spielzug bringt Hannah Arendt die nur scheinbar unter gegenseitigem Ausschluss stehenden Sprachspiele gehorchen und ein Recht haben in einen Zusammenhang, wodurch zu gehorchen fürderhin immer eine Entscheidung sein wird, für die man selber die Verantwortung trägt. Insofern ist die Idee auch nicht selbstwidersprüchlich, wie von einigen, die sich´s einfach machen wollen, behauptet wird, sondern überwindet den Kleingeist dieser Logik durch poetischen Scharfsinn. Könnte man sagen.

23. November 2013
von Tom Levold
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Haustiere als kommunikative Ressourcen

In einer schönen Studie, die 1988 im von Hans-Georg Soeffner herausgegebenen Sonderband„Kultur und Alltag“ der Zeitschrift„Soziale Welt“ erschienen ist, befasst sich der Soziologe und Interaktionsforscher Jörg R. Bergmann (Foto: uni-bielefeld.de), bis zu seiner Emeritierung 2011/12 an der Universität Bielefeld tätig, mit der kommunikativen Beziehung zwischen Mensch und Tier. Bergmann schreibt: „“Daß Menschen mit Tieren sprechen, das ist uns im Alltag keinerlei Rätsel und scheint auch für die Wissenschaft so schimärenhaft nicht. Vor vierzig Jahren bereits behauptete ein prominenter Mitbegründer der vergleichenden Verhaltensforschung von sich,„er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen“ (- so der Titel seines Erstlingswerks). Und heute ist es eine Heerschar hochgerüsteter Zoologen, Ethologen, Tierpsychologen, Primatologen und anderer Verhaltensforscher, die sich mit den unterschiedlichsten Aspekten der Mensch-Tier-Kommunikation beschäftigen. Doch die Arbeiten dieser Wissenschaftler lassen immer aufs neue an eine offenbar weitsichtige Bemerkung Montaignes denken, der vor über 400 Jahren im Zweiten Buch seiner Essays schrieb:„Der Mangel, der ein gegenseitiges Verständnis zwischen Tieren und Menschen verhindert, warum sollte der nicht ebensogut bei uns wie bei ihnen zu suchen sein?“. Montaignes Zweifel erhält nämlich gerade dann eine besondere Bedeutung und Aktualität, wenn man ihn auf die Arbeiten dieser modernen Verhaltensforscher bezieht. Nahezu alle diese Arbeiten durchzieht nämlich ein grundsätzlicher Mangel, der signifikant in dem eben zitierten Buchtitel zum Ausdruck kommt: während dort noch die kommunikative Leistung eines Menschen, mit Tieren zu reden, in den Mittelpunkt gerückt und als Thema des Buches avisiert wird, ist davon im Buch selbst, in dem es primär um die Schilderung der Verhaltensweisen verschiedener Tiergattungen geht, kaum mehr die Rede. Das aber kennzeichnet die Arbeiten der modernen Verhaltensforschung zur Mensch-Tier-Kommunikation durchgängig, der Mangel nämlich, daß in ihnen die Funktionsweisen und Organisationsprinzipien der menschlichen Kommunikation als bekannt vorausgesetzt und wie selbstverständlich als Bedingungen der Kommunikation mit Tieren präsupponiert werden. In kaum einem Fall wird es für notwendig befunden, den kommunikativen Part, den Menschen in der Kommunikation mit Tieren spielen, zum Thema der Untersuchung zu machen. Welches kommunikative Verhalten wir Menschen im Umgang mit Tieren zeigen, das wissen diese Forscher immer schon und scheint ihnen jedenfalls irrelevant. Für die Untersuchung der Mensch-Tier-Kommunikation ist das jedoch ein elementares Versäumnis. Denn was immer das Tier als seinen Teil in den Austausch mit einem Menschen einbringt, gewiß verlassen wir uns im Umgang mit Tieren zunächst auf unsere gattungs- und kulturspezifischen Fertigkeiten und Routinen der Kommunikation. Die folgenden Beobachtungen und Überlegungen haben weder das Ziel, die Kritik an der Forschung über Mensch-Tier-Kommunikation im Detail zu belegen und auszuführen; sie beanspruchen auch nicht – einer gewissen Forschungstradition folgend -, Verständigungsmöglichkeiten zwischen Mensch und Tier zu bestimmen, noch geht es in ihnen um die„Sprache der Tiere“. Stattdessen soll an einem kleinen Datenkorpus explorativ verfolgt werden, wie Menschen im häuslichen Bereich kommunikativ mit Tieren – und das heißt hier: mit ihren Haustieren – umgehen. Gefragt wird also nach Strukturen der menschlichen Kommunikation, in deren Verlauf sich Kontakte mit Haustieren realisieren. Zu neuen Erkenntnissen über das Verhalten von Haustieren wird die Untersuchung der Mensch-Tier-Kommunikation nur insoweit führen, als wir darin etwas über uns und unsere Kommunikationspraxis erfahren.“
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22. November 2013
von Tom Levold
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Klaus Dörner wird 80!

Klaus Dörner, die zentrale Figur der sozialpsychiatrischen Bewegung in Deutschland, feiert heute seinen 80. Geburtstag. systemagazin gratuliert von Herzen! Dörner, der Medizin, Soziologie und Geschichte studierte, war von 1980 bis 1996 ärztlicher Leiter der Westfälischen Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Neurologie in Gütersloh. Seine Kampfesfreude und Energie im Einsatz für Patientenrechte und ein humanes psychiatrisches Hilfesystem sind ungebrochen, noch heute fährt er kreuz und quer an bis zu 200 Tagen durch die Republik und hält Vorträge zu diesen Themen. Zum Geburtstag haben sich die drei Verlage, in denen er seine wesentlichen Werke veröffentlicht hat, nämlich der Paranus-Verlag, der Psychiatrie-Verlag und der Schattauer-Verlag, etwas besonderes ausgedacht. Die Herausgeber Hartwig Hansen, Christian Zechert und Fritz Bremer haben 80 „Gastgeber“, die Dörner zu einem Vortrag besucht hat, gebeten, etwas über ihre Begegnungen und Erfahrungen mit Dörner zu berichten. Herausgekommen ist ein bunter Strauß an Würdigungen durch Weggefährten, den Cornelia Tsirigotis und Andreas Manteufel gelesen haben. Ihre Eindrücke, die systemagazin als Vorabdruck mit freundlicher Genehmigung aus systhema und der Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung bringt,
finden Sie hier…

20. November 2013
von Tom Levold
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Dieter Hildebrandt (23.5.1927-20.11.2013) – Einer, der fehlen wird

Vorgestern vor einem Jahr ist Daniel N. Stern, einer der bedeutendsten Entwicklungspsychologen der letzten Jahrzehnte, gestorben. Er hat nicht nur maßgeblich dazu beigetragen, dass die klassische psychoanalytische Ein-Personen-Entwicklungstheorie von einem intersubjektiven Ansatz abgelöst wurde, seine Arbeiten sind auch äußerst anschlussfähig für systemische Konzepte. Zum Erfolg der großen EFTA-Tagung in Berlin 2004, dem bislang größten systemischen Kongress in Europa, trug er mit einem Hauptvortrag bei. Am 24. April 2010, zweieinhalb Jahre vor seinem Tod, hielt er einen Vortrag zum 50-jährigen Bestehen des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt zum Thema „A Developmental Perspective on Intersubjectivity from Birth on“, der in diesem Video dokumentiert wird.

13. November 2013
von Tom Levold
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Was kann ein Therapeut tun, wenn der Klient nicht mehr kommt?

Mit dieser Frage hat sich Haim Omer in einem Beitrag mit dem Titel „Einen Brief schreiben, wenn die Therapie ungünstig zu Ende gegangen ist?“ auseinandergesetzt, der zunächst 1991 in„Psychotherapy“ erschienen und in deutscher Sprache im Jahre 2000 in der Zeitschrift systhema (Heft 2, S. 159-174) veröffentlicht worden ist. Im abstract heißt es: „Vorgeschlagen wird ein post-therapeutischer Brief, mit dem auf misslungene Beendigungen reagiert werden kann, wenn der Klient nicht mehr für einen korrigierenden Dialog erreichbar ist. Es wird davon ausgegangen, dass sich ein schlechter Therapieabschluss aus einer negativen komplementären Beziehung entwickelt, in der das Vorgehen des Therapeuten die Nichtkooperation des Klienten in einer sich selbst aufrechterhaltenden Schleife steigert und umgekehrt. Der Brief versucht auf diesen Prozess einzugehen. Fallbeispiele erläutern die Prinzipien des Briefaufbaus und seine möglichen Wirkungen auf Problemverhalten sowie auf die zwischenmenschliche Atmosphäre zwischen Therapeuten und Klienten.“
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