systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

13. Oktober 2023
von Tom Levold
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Systemische Familientherapie in Kambodscha

Für ihre sehr beachtliche (und umfangreiche) Promotionsarbeit hat Bernhild Pfautsch (Foto: DGSF) den Systemischen Forschungspreis 2023 erhalten, der gemeinsam von der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie und der Systemischen Gesellschaft verliehen wird. In der Begründung heißt es: „Die Studie von Frau Pfautsch befasst sich mit der Entwicklung passgenauer systemischer Familientherapie-Modelle für Kambodscha im Bottom-up-Prinzip. Ihre Forschungsarbeit zeigt einen anspruchsvollen methodischen Ansatz, der auf einer theoriegeleiteten qualitativen Studie basiert. Die Kombination aus 26 Experteninterviews und 2 Gruppendiskussionen mit einer Fokusgruppe ermöglichte eine umfassende Untersuchung relevanter Aspekte. (…) Insgesamt überzeugt die Arbeit von Bernhild Pfautsch durch ihre wissenschaftliche Fundiertheit, die detaillierte Reflexion der Methodik und die profunde Auseinandersetzung mit der kulturellen Kontextualisierung der Familientherapie in Kambodscha. Sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der systemischen Familientherapie im internationalen Kontext und zeigt auf, wie Therapiemodelle an die kulturellen Gegebenheiten und Bedürfnisse eines Landes angepasst werden können. Aus diesen Gründen wird Frau Bernhild Pfautsch der gemeinsame Forschungspreis der DGSF und der SG verliehen.“

In den Jahren von 2015 bis 2018 arbeitete Bernhild Pfautsch im Rahmen des Programmes des Zivilen
Friedensdienstes (ZFD) der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) in
Kambodscha, das sich im Umfeld des Khmer Rouge Tribunals (s.u.) für Versöhnung und Vergangenheitsaufarbeitung engagiert. Ihre Aufgabe bestand dabei in der Beratung für den Masterstudiengang in Clincal Psychology and Counseling am Psychologiedepartment der Royal University of Phnom Penh (RUPP).

Zu ihrem Forschungsanliegen schreibt sie in der Einleitung: „Beeinflusst vom sozialen Konstruktivismus unterstreicht die Familientherapie die Bedeutung von Kontingenz und kulturellen Unterschieden, ohne jedoch die Existenz von universalen Gemeinsamkeiten in Bezug auf Familien weltweit zu leugnen (…). Die vorliegende Dissertationsstudie befasst sich mit dem oben benannten Spannungsfeld: untersucht wird, inwieweit sowohl universelle Aspekte des menschlichen Miteinanders in Familien als auch die vielfältigen kulturellen Ausprägungen und Determinanten von Familienleben in Kambodscha in einer systemischen Familientherapieweiterbildung in diesem Land Beachtung finden müssen. Dieses Forschungsanliegen hat sich aus dem nachfolgend beschriebenen Arbeitskontext der internationalen Entwicklungszusammenarbeit ergeben.“

Das abstract lautet folgendermaßen: „Familientherapie ist ein relevanter Ansatz psychosozialer Versorgung in Ländern des globalen Südens. Für einen fairen globalen Wissenstransfer im Rahmen der Ausbildung sind implizite Werte westlicher Konzepte transparent zu machen und emergente Irritationen als Hinweise für kulturellen Adaptionsbedarf aufzunehmen. Für systemisch-familientherapeutische Arbeit in Kambodscha wurden Aspekte kultureller und kontextueller Passung erforscht, um damit die lokale Entwicklung einer entsprechenden Weiterbildung in dem südostasiatischen Land zu unterstützen. Dazu wurden Schlüsselkonzepte systemischer Familientherapie mit einem multidimensionalen, ökosystemischen Ansatz kulturvergleichend exploriert. Weiterführend wurden wesentliche Kompetenzen einer kambodschanischen Familientherapie spezifiziert, um Anschlussfähigkeit herzustellen zu den Werten soziozentrischer Familienorganisation sowie kulturell geprägter Vorstellungen von Hilfe, Rat und Heilung. Schließlich werden aus den empirischen Ergebnissen inhaltliche und didaktische Empfehlungen für die systemische Weiterbildung in Kambodscha sowie grundsätzliche Implikationen für eine transkulturelle familientherapeutische Arbeit abgeleitet.“

Die vollständige Arbeit ist hier zu finden…

8. Oktober 2023
von Tom Levold
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Humanistische Psychotherapie in Deutschland. Report einer Blockade

In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Psychotherapie-Wissenschaft, die online frei verfügbar ist, resümiert Jürgen Kriz, der unermüdliche Kämpfer für die Anerkennung der Systemischen Therapie und der Humanistischen Psychotherapie als „Wissenschaftlich anerkannte Verfahren“ die Blockade der Anerkennung der Humanistischen Psychotherapie in den letzten Jahrzehnten durch den sogenannten „Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie“. Im Abstract heißt es: „Vor fünf Jahren hat der deutsche «Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie» (WBP) in einem Gutachten nicht nur die Humanistische Psychotherapie als «wissenschaftlich anerkanntes Verfahren» abgelehnt, sondern sogar der 2002 vom WBP bereits anerkannten Gesprächspsychotherapie die «Empfehlung zur vertieften Ausbildung» entzogen. Nach anfänglichen Protesten vieler Wissenschaftler:innen und Institutionen gegen diese Bewertung ist ein Stillstand zu verzeichnen, zumal sich der WBP Diskursen über diese Kritik und die beanstandeten Bewertungen entzieht. Dieser Beitrag nimmt das 5-Jahres-Datum zum Anlass, einen Report der Kontexte und Umstände dieser Blockierung der Humanistischen Psychotherapie in Deutschland zu erstellen. Denn dieses deutsche administrative Regelwerk ist vielen nicht vertraut. Der Report fokussiert dabei auf Veröffentlichungen nach 2018. Zunehmend wird deutlich, dass die deutsche Ideologie von gegeneinander abgeschotteten Psychotherapieverfahren, deren «Wissenschaftlichkeit» ausschliesslich durch experimentelle RCT-Studien in Bezug auf spezifische Wirkfaktoren nachgewiesen werden muss, Befunden der internationalen Psychotherapieforschung nicht standhält. Immer mehr spricht für die vor allem von Wampold seit 2001 vorgetragene Sicht, dass kontextuelle Faktoren wesentlich zum Therapieerfolgt beitragen – also Aspekte, die in der Humanistischen Psychotherapie eine zentrale Rolle spielen. Der Beitrag schliesst mit der Hoffnung, dass der WBP den Diskurs aufnimmt und zu einer veränderten Bewertung der Humanistischen Psychotherapie kommt.“

Es handelt sich hier um ein ziemlich dunkles Kapitel von wissenschaftlich verbrämter Berufspolitik, die weder den selbstdeklarierten wissenschaftlichen Standards noch dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskurs der Psychotherapieforschung Rechnung trägt, sondern in erster Linie den Zugang unerwünschter Konkurrenz der etablierten Therapieverfahren blockieren soll. Die Systemische Therapie, die lange ebenfalls unter der Praxis des Wissenschaftlichen Beirates zu leiden hatte, ist mittlerweile als wissenschaftlich begründetes ebenso wie sozialrechtlich akzeptiertes Verfahren anerkannt. Dass sich die Vertreter der systemischen Verbände mit ihrer Kritik an der Anerkennungspraxis während der Dauer der Antragstellung und -prüfung zurückgehalten haben, kann man unter strategischen Gesichtspunkten noch nachvollziehen. Oft war in dieser Zeit zu hören, dass man die systemische Kritik am herrschenden medikalisierten Psychotherapie-System wieder freier vertreten könne, wenn man einmal die Eintrittskarte zum psychotherapeutischen Versorgungssystem gelöst habe. Davon ist aber leider nichts mehr zu merken, seit man damit beschäftigt ist, sich selbst im Versorgungssystem einzurichten.

Um so wichtiger sind Stimmen wie die von Jürgen Kriz, der dieses Thema seit Jahrzehnten sowohl wissenschaftlich wie berufs- und fachpolitisch kritisch begleitet. Sein lesenswerter Artikel ist hier online zu finden.

29. September 2023
von Tom Levold
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Agiles Arbeiten und Gruppendynamik

In der Zeitschrift Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für angewandte Organisationspsychologie ist am 25.9. ein spannendes Expertengespräch zum Thema Agiles Arbeiten und Gruppendynamik erschienen, das Thomas Bachmann mit Oliver König, Roswita Königswieser, Karl Schattenhofer und Fritz Simon geführt hat und das als Open Access Aufsatz frei verfügbar ist. Im Abstract heißt es: „In dem vorliegenden Expertengespräch in der Zeitschrift Gruppe – Interaktion – Organisation (GIO) befassen sich Thomas Bachmann, Oliver König, Roswita Königswieser, Karl Schattenhofer und Fritz B. Simon mit der Rolle von Gruppendy- namik bei der Agilen Transformation. Zunächst werden Agilität und New Work als aktuelle Phänomene diskutiert und eingeordnet. Dabei wird die Abgrenzung zu schon bekannten Konzepten und Modetrends thematisiert. Im weiteren Verlauf des Gesprächs wird untersucht, welche Rolle Konzepte der Gruppendynamik zum Verständnis von New Work und Agi- lität beitragen können und inwieweit Gruppendynamiktrainings für Personen im agilen Kontext einen Kompetenzgewinn ermöglichen“.

Der vollständige Text ist hier zu finden…

18. September 2023
von Tom Levold
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Luhmann in Leipzig

Die letzte Ausgabe der Zeitschrift für Ideengeschichte versammelt einige Beiträge mit persönlichen Geschichten über und Erinnerungen an Niklas Luhmann. Im Heft, an dem Jürgen Kaube in der FAZ kein gutes Haar lässt, findet sich u.a. ein schöner Text von Detlef Pollack, Religions- und Kultursoziologe, der Anfang der 1980er Jahre in Leipzig mit einem religionswissenschaftlichen Thema promoviert wurde. Bei seinen Literaturrecherchen stieß er auch auf die Arbeiten von Luhmann, die ihn sofort faszinierten. Er schickte ihm seine Dissertation und war überrascht, dass dieser ihm innerhalb weniger Wochen antwortete, woraus sich ein Briefwechsel ergab, der schließlich in eine Einladung zu einem Vortrag nach Leipzig mündete, die Luhmann auch annahm. Die schöne Geschichte dieser Begegnung ist auch online zu lesen, und zwar hier…

10. September 2023
von Tom Levold
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The Satir Model: Yesterday and Today

Heute vor 35 Jahren ist Virginia Satir, eine der wichtigen Personen für die Entwicklung der Familientherapie, in Kalifornien gestorben, wo sie schon Ende der 1950er Jahre zum Gründungsteam des Mental Research Instituts in Palo Alto stieß und dort das erste familientherapeutische Ausbildungsprogramm in den USA entwickelte und leitete. Sie gehörte zu den ersten, die sich an ein psychotherapeutisches Mehrpersonensetting herantrauten, sicher auch durch ihre Ausbildungen als Lehrerin und Sozialarbeiterin beeinflusst. In Deutschland hat sie viele Weiterbildungen geleitet und zahlreiche Kolleginnen und Kollegen in ihrer professionellen Entwicklung unterstützt und begleitet. Wie alle Pioniere dieser Zeit ist auch Virginia Satir und ihr Werk nicht mehr allen jüngeren Psychotherapeuten in der systemische Szene präsent. Auch wenn sich Konzepte und Kontexte verändern, lohnt aber ein Blick in die Vergangenheit, um sich ein Bild von der Geschichte der Ideen und Konzepte zu machen, deren Spuren auch heute immer zu finden sind, und sich auch Inspirationen für die eigene Praxis zu holen.

2002 veröffentlichte John Banmen vom Satir Institute of the Pacific in Kanada einen Artikel über das Satir-Modell, in dessen abstract es heißt: „Dieser Artikel stellt einen Versuch dar, den Leser auf den neuesten Stand zu bringen, indem einige der wichtigsten Komponenten des Satir-Modells in den Mittelpunkt gerückt werden. Der intrapsychische Aspekt der Therapie wird in Form einer Eisberg-Metapher erläutert. Die Verwendung der Satir-Familienkarte oder des Genogramms wird für die Anwendung in der Einzel- und Familientherapie veranschaulicht. Außerdem werden die verschiedenen Schritte einer Therapiesitzung nach dem Satir-Modell aufgeführt. Das Satir-Modell hat sich zu einem kurzen, transformativen Veränderungsmodell entwickelt, wobei die frühere theoretische Grundlage intakt geblieben ist“ (Übersetzung TL.)

Der vollständige Text kann hier online gelesen werden…

4. September 2023
von Tom Levold
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Präfaktisches Verständnis Dialogischer Zusammenarbeit – Schwimmen gegen die Zeitgeistströmung postfaktischen Wissens[1]

In der 12. Ausgabe des International Journal of Collaborative-Dialogic Practices, das u.a. von Harlene Anderson herausgegeben wird, erschien im Februar vergangenen Jahres ein Artikel von Klaus Deissler, Ingo Wolf und Ahmet Kaya, in dem sie ihr sozialkonstruktionistisches Konzept von Psychotherapie als dialogischen Prozess der Zusammenarbeit vorstellen, den sie von einem expertenorientierten Psychotherapie-Verständnis abgrenzen. systemagazin dankt den Autoren für die Zurverfügungstellung ihres Textes in einer deutschen Übersetzung.

Klaus G. Deissler, Ingo Wolf, Ahmet Kaya 

Sprache existiert nur im Gespräch. 
Hans-Georg Gadamer

Zusammenfassung

Bis heute konzentrieren sich Forschung und Praxis der Psychotherapie auf Expert:innenwissen aus vergangenen therapeutischen Prozessen, d.h. auf empirisch ermittelte Regeln oder vergangene persönliche Erfahrung mit Klient:innen. Unter Verwendung dieser Ableitungen versuchen Expert:innen hauptsächlich Lösungen für die Probleme ihrer Klient:innen bereitzustellen, indem sie die Komplexität, Mehrdeutigkeit und Offenheit der gegenwärtigen dialogischen Zusammenarbeit auf postfaktische Prinzipien reduzieren. Im Einklang mit John Shotter, 2016, kann man sie auch als solche Prinzipien bezeichnen‚ die von vollendeten Fakten[2] abgeleitet wurden. 

Dabei neigt man dazu, die aktuelle Entfaltung dialogischer Beziehungsgeflechte – gegenwärtige äußere Dialoge, gegenwärtige innere Dialoge, Erwartungen und Wünsche für die Gegenwart und Zukunft – außer Acht zu lassen und die aktuellen und zukünftigen lokalen Kontexte zu vernachlässigen. Dies bringt es mit sich, dass in fachlichen Überlegungen präfaktische Sensibilität und Verwunderung für die Diskontinuitäten, unvorhersehbare Tatsachen und die gemeinsame Schaffung neuer Bedeutungen selten beachtet und wertgeschätzt werden. In unserem Verständnis von Psychotherapie als dialogische Zusammenarbeit plädieren wir für eine «philosophische Haltung» (Anderson, 1999), die die präsente dialogische Sensibilität (Deissler, 2016) betont, um die präfaktischen therapeutischen Prozesse besser zu erfassen. Klient:innen und Fachleute gewinnen ein sensibleres und responsiveres Verständnis für die einzigartigen dialogischen Momente der gegenwärtigen Zusammenarbeit zwischen Therapeut:in und Klient:in. Durch das gemeinsame Fokussieren präfaktischer Prozesse konstruieren Klient:in und Therapeut:in durch dialogische Zusammenarbeit Neues und eröffnen so Möglichkeiten für das Noch-Nicht-Gesagte, Noch-Nicht-Gemachte und Noch-Nicht-Bekannte. 

Schlüsselwörter: präfaktisch; dialogische Zusammenarbeit; präsente dialogische Sensibilität; handlungsleitende Antizipation; Nichtwissen

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17. August 2023
von Tom Levold
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Dörte Foertsch (25.4.1957 – 6.8.2023)

Dörte Foertsch (Foto: Tom Levold)

Noch vor einem Jahr habe ich ihr an dieser Stelle zum 65. Geburtstag gratulieren können. Nun ist Dörte Foertsch am 6. August nach kurzer schwerer Krankheit in Berlin ganz unerwartet gestorben.

Einen Nachruf auf einen Menschen zu verfassen, mit dem mich so viele schöne, interessante und berührende Begegnungen verbinden, fällt mir nicht leicht. Es schwirren so viele Bilder und Erinnerungen in meinem Kopf herum! Und vor allem bin ich sehr traurig.

Dörte kam in der Nähe von Hamburg zur Welt, als Schwester von fünf weiteren Töchtern. Eine gewisse hanseatische Art hat sie sich immer bewahrt, sie redete wenig von und über sich selbst, bezog sich im Gespräch lieber auf ihr Gegenüber oder andere Themen. Womöglich hatte das auch mit ihrer ursprungsfamiliären Geschichte zu tun. Ihr Großvater väterlicherseits Hermann Foertsch war (ebenso wie sein Bruder) General der Wehrmacht und Oberbefehlshaber an der Balkan-Front, unter dessen Verantwortung tausende Menschen in Jugoslawien und Griechenland im Rahmen von Vergeltungsmaßnahmen hingerichtet wurden. Auch wenn er bei den Nürnberger Prozessen – auf Grund offenbar zweifelhafter Entlastungszeugen – freigesprochen wurde, hat Dörte die Geschichte deutscher Schuld – ein Thema, für das sie auch in vielen Familientherapien ein besonderes Gespür hatte – nicht nur in der eigenen Familie belastet. In einem – übrigens wunderbar geschriebenen – Tagungsbericht für den Kontext aus dem Jahre 2009 über eine Tagung in Slowenien, die sich mit politischen und Kriegstraumata beschäftige, lässt sich eine Andeutung hierzu finden. Sie hat sich immer dafür verantwortlich gefühlt, dazu beizutragen, dass sich die Geschichte nicht wiederholen kann. Ihr Bericht zeigt übrigens aufs schönste die Art und Weise, wie sie beobachtet hat und beschreiben konnte. Eine leichte, atmosphärisch treffende und pointierende Sprache, mit der sie ihre Aufmerksamkeit schnell wechselnd auf die unterschiedlichsten Dingen lenken konnte und dafür sorgte, dass man plötzlich auf Gedanken kam, auf die man sonst kaum gekommen wäre. Ein Text von oder ein Gespräch mit Dörte führte meist zu einem neuen Blick hinter die Kulissen des vermeintlich Gesicherten und Selbstverständlichen und bot immer Anregungen zu weiterem Nachdenken.

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14. August 2023
von Tom Levold
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Tom Levold wird 70

Foto (Julian Meusel)

Heute wird Tom Levold 70 Jahre alt. So oft hat er an dieser Stelle auf die Geburtstage von Kolleginnen und Kollegen hingewiesen, Sträuße gebunden und aus der Fülle seines Wissens und seiner Erfahrungen deren unverwechselbare Persönlichkeiten gewürdigt und gratuliert. Jetzt ist er selbst dran! Zu diesem Zweck haben wir für einen Tag das systemagazin gekapert, das Forum, das als eines der Geschenke Toms an die systemische Gemeinschaft gelten kann. Er hat dieses Online-Journal gegründet, seinen Weiterbestand gesichert, und dafür gesorgt, dass es seit bald 20 Jahren durchgängig die Entwicklungen im Feld des Systemischen dokumentiert und nicht selten befeuert hat. Seinem souveränen Umgang mit digitalen Medien ist unter anderem die „Geschichtswerkstatt“ zu verdanken. Als eine offen zugängliche Quelle liefert dieses Kompendium eine „nicht-lineare visuelle Darstellung der Geschichte des systemischen Ansatzes und seiner theoretischen und praktischen Vorläufer“. Nicht nur eine Chronik, sondern auch ein Vernetzungswunder. Eine wahre Fundgrube, die nicht genug empfohlen werden kann.

Das publizistische Engagement ist nicht Toms einziger Dienst für das Systemische im deutschsprachigen Raum. Seine unverwechselbare Präsenz und sein ebenso fundiertes wie unbestechliches Beisteuern zu Wachheit, Innovation, Klärung und auch Ermutigung systemischer Diskurse sind Legion. Davon wird heute sicher in vielfältiger Weise die Rede sein. Zu Recht! Und es wird vermutlich nur ein Ausschnitt sein aus dem Vielen, was da zu sagen wäre.

Nicht nur der publizistisch herausragende, in seiner Schreibe ungemein präzise und weiterführende Autor, der Mitherausgeber von Zeitschriften und eines großen Lehrbuchs der systemischen Therapie und Beratung, oder der Historiograph der bereits erwähnten Geschichtswerkstatt ist zu würdigen. Es gilt auch, den Autor herauszuheben, der dem systemischen Denken aus der Kognitionslastigkeit herausgeholfen hat, der dem Kognitiven das Affektive, das Nonverbale und Vorsprachliche wieder zur Seite gestellt hat, der mit dazu beigetragen hat, das Bewusstsein für die Körpergebundenheit jeder Bedeutung zu schärfen. Auf die Relevanz ‚affektiver Kommunikation‘ auch in der systemischen Praxis hat er immer wieder hingewiesen. Das Transdisziplinäre hat er als ein Basismerkmal systemischer Praxis und systemischen Denkens gegen jeden Versuch der Fraktionierung verteidigt.

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14. August 2023
von Tom Levold
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Kersten Reich wird 75!

Heute feiert Kersten Reich seinen 75. Geburtstag und systemagazin gratuliert von Herzen. Nach einem Studium der der Germanistik, Politologie und Kunsterziehung in Stuttgart und Berlin und Tätigkeiten an der TU Berlin arbeitete er seit 1979 als Universitätsprofessor für Allgemeine Pädagogik an der Universität zu Köln und ab 2007 als Professor für Internationale Lehr- und Lernforschung. Er entwickelte den Ansatz des „Interaktionistischen Konstruktivismus“, der einen kulturbezogenen Konstruktivismus begründet. Auf seiner Website heißt es: „Der Interaktionistische Konstruktivismus ist ein neuer konstruktivistischer Ansatz, der stärker als der subjektivistische Radikale Konstruktivismus und der eher sprachtheoretische Methodische Konstruktivismus die Bedeutung der kulturellen und lebensweltlichen Interaktionen bei der Re/De/Konstruktion von Wirklichkeiten beachtet und analysiert. Der Interaktionistische Konstruktivismus setzt sich umfassend mit anderen Ansätzen in der Geistes- und Kulturgeschichte auseinander und versucht so, den Konstruktivismus als Ausdruck einer Kulturentwicklung und kultureller Praktiken zu verstehen und zu verdeutlichen“. Dieses Konzept hat Kersten Reich in einer Vielzahl von Büchern und Zeitschriftenaufsätzen niedergelegt, die zum großen Teil auf seiner Website als PDF zum Download zur Verfügung stehen. 2017 wurde er emeritiert und berät seitdem die Schulentwicklung der „Helios-Schule – Inklusive Universitätsschule der Stadt Köln“, für die er von 2011 bis 2017 als Wissenschaftlicher Leiter der Gründung tätig war.

11. August 2023
von Tom Levold
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„Kinder schützen heißt Vertrauen wahren!“

Aus Sorge um eine Verschlechterung des Kinderschutzes und die Aussetzung fundamentaler Prinzipien für eine vertrauensvolle Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Eltern haben sich auf Initiative der Deutschen Gesellschaft für Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF e.V.) und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Kinderschutz-Zentren (BAG KIZ) 12 Fachverbände, Organisationen und Expert*innen auf ein gemeinsames Positionspapier verständigt.

Ziel des Positionspapieres ist, die Fachöffentlichkeit für die möglichen Folgen der Regelung des § 4, Absatz 6 KKG zu sensibilisieren und eine Debatte über Rahmenbedingungen gelingender Kooperation zwischen Jugendhilfe, Medizin und Psychotherapie anzustoßen. Denn: Zentrale Grundprinzipien eines wirksamen und demokratisch begründeten Kinderschutzes wie das Vertrauen in die Hilfebeziehung und die Beteiligung an der Einschätzung von Gefahren stehen zur Disposition zugunsten einer scheinbaren Rechtssicherheit der professionellen Akteure in der Medizin, ohne dass dabei Effekte im Sinne eines verbesserten Schutzes von Kindern erwartbar wären.

Die BAG KIZ und die DGSF planen dazu voraussichtlich im Herbst auch ein Fachforum „Kooperativer Kinderschutz“. Den vollständigen Text des Positionspapiers können Sie hier lesen…

2. August 2023
von Tom Levold
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Kristina-Hahn-Preis 2023 für die Arbeit mit geflüchteten Menschen

Die Systemische Gesellschaft e.V. hat in diesem Jahr in Erinnerung an ihr ehemaliges Vorstandsmitglied und langjährigesMitglied Kristina Hahn erstmalig den Kristina-Hahn-Preis ausgeschrieben. In ihrer Information über die Preisverleihung schreibt die SG in einem Newsletter: „Kristina Hahn († 2020), die vielen nicht nur eine wunderbare Freundin und geschätzte Kollegin, sondern auch eine überzeugte und leidenschaftliche Systemikerin war,  hat von 2003 bis 2011 mit ihrem Engagement den Vorstand bereichert. Zunächst als Beisitzerin für die Einzelmitglieder, dann für die Institute und ab 2009 als Schatzmeisterin im geschäftsführenden Vorstand. Es war der Wunsch von Kristina Hahn, ein der SG zugeteiltes Erbe unter anderem für einen Förderpreis auszuschreiben. Dieses ist nun erstmals geschehen. Der Kristina-Hahn-Preis wurde mit 9.000 Euro dotiert und verstand sich als eine Auszeichnung und Anerkennung der in den jeweiligen Projekten aktiven Menschen. Wir richteten uns mit dem Preis an soziale Unternehmen zur Umsetzung innovativer Projekte in der sozialen Arbeit. Der Schwerpunkt in diesem Jahr lag auf Projekten in der Arbeit mit geflüchteten Menschen. Die Preisverleihung erfolgte im Rahmen der Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft im Mai 2023 in Tübingen. In diesem Jahr haben wir das Preisgeld auf zwei Projekte aufgeteilt. Insgesamt gab es 9 Projekteinreichungen, die uns alle begeisterten. Nachfolgend möchten wir Ihnen die beiden Projekte vorstellen, die der Vorstand für den Preis ausgewählt hat, sowie zwei der weiteren Einreichungen.

Preisträger: Leipzig: Ali Schwartz für POLYRHYTHMS GbR: „POLYRHYTHMS – systemische Rhythmustherapie für queere Geflüchtete und Allies“; Köln: Marcus Böhmer, Hannah Plum und Wiltrud Brächter für Caritas Therapiezentrum für Menschen nach Folter und Flucht
„Sandspieltherapie-Gruppen mit Flüchtlingskindern – Aufsuchende Arbeit in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete“.

Die Projekteinreichungen werden im Newsletter einzeln vorgestellt.

23. Juli 2023
von Tom Levold
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Systemische Sozialarbeit: Haltungen und Handeln in der Praxis

Für die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung hat Cornelia Tsirigotis das im vergangenen Jahr bei Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen erschienene Buch von Johannes Herwig-Lempp, Professor für Systemische Sozialarbeit/ Sozialarbeitswissenschaften an der Hochschule Merseburg, rezensiert und sieht darin eine Pflichtlektüre für Sozialarbeiter*innen und alle darüber hinaus in psychosozialen Arbeitsfeldern, sehr empfehlenswert für alle Einsteiger*innen in das systemische Arbeiten und diejenigen, die sich mit ihrer Haltung auseinandersetzen möchten oder an Haltung gewinnen möchten“. Mit freundlicher Genehmigung können Sie ihre Besprechung auch hier lesen:

Cornelia Tsirigotis, Aachen:

„Systemisch“ bedeutet für mich unter anderem,
dass ich mich immer mal wieder daran erinnern
kann, dass es unendlich viele Perspektiven gibt –

und nicht nur (m)eine, mir vertraute und
„natürlich“ erscheinende. Jeder Mensch
sieht etwas anderes – und jeder von uns
verändert ständig seinen Standpunkt –
und damit seine Ansichten. (S. 388)

Johannes Herwig-Lempp legt hier ein Buch zur systemischen Sozialarbeit vor, das sich als Lehr- und Arbeitsbuch hervorragend eignet, um sich in systemisches Arbeiten, seine Möglichkeiten, Voraussetzungen und vor allem in systemische Haltungen einzuarbeiten. In acht Hauptkapiteln beschreibt er Grundlagen (des?) seines systemischen Ansatzes, für die Arbeit im psychosozialen Hilfeangeboten aufbereitet und die Wirksamkeit in der Sozialarbeit im Fokus. Dazu stellt er auf weiteren 60 Seiten seine Arbeitsmaterialien zur Verfügung.

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21. Juli 2023
von Tom Levold
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Jay Haley (19.7.1923 – 13.2.2007): Wie man Paartherapeut sein kann, ohne wirklich irgendetwas zu wissen.

Vorgestern wäre Jay Haley, ein wichtiger Pionier der Familientherapie, der zu den Mitbegründern des Mental Research Instituts in Palo Alto gehörte, 100 Jahre alt geworden. Umzugs- und ferienhalber kann ich erst heute darauf aufmerksam machen. Neben seinen vielen konzeptuellen Veröffentlichungen war er auch für seine ironischen und manchmal sarkastischen Texte über die damals vorherrschenden Therapierichtungen bekannt. So veröffentlichte er im Oktober 1980 im Journal of Marital and Family Therapy einen unterhaltsamen Artikel, wie man Paartherapeut (damals noch Ehetherapeut) sein kann, ohne wirklich etwas zu wissen. Im Abstrakt heißt es: „Therapeuten in der Ausbildung zum Ehe- und Familientherapeuten lernen oft keine Techniken, um Veränderungen herbeizuführen. Sie lernen auch nicht, wie sie vor Kollegen und Klienten die Tatsache verbergen können, dass sie nicht wissen, wie sie die Probleme von Paaren in Schwierigkeiten lösen können. Es werden sowohl allgemeine als auch spezielle Techniken besprochen, um Unwissenheit zu verbergen, und es werden Wege aufgezeigt, wie man sich für ein Scheitern korrekt entschuldigt. Der Vortrag richtet sich an Therapeuten, die nicht wissen, was sie in einem bestimmten Fall mit einem Paar tun sollen, und an Therapeuten, die nicht wissen, was sie in einem Fall tun sollen. (Übers. TL.)

Im Internet findet sich eine Kopie dieses amüsant zu lesenden Artikels hier…