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Barbara Schmidt-Keller: Zirkuläres Fragen mit Stan und Olli

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Ich erinnere mich nicht mehr genau an das Jahr, vermutlich war es 1979 oder 1980. In der Bibliothek des Campus war mir ein Buch in die Hände gefallen und hatte meine Neugier geweckt. Durch meine Mitarbeit in einem studentischen Beratungsprojekt war mein Interesse an beraterisch-therapeutischen Konzepten und Methoden groß. Was uns in Vorlesungen und Seminaren vermittelt wurde, waren Einblicke in analytische Theorien,  Verhaltenstherapie und ein kleines Basistraining  in Gesprächspsychotherapie.
Jetzt hielt ich ein Buch in den Händen, das sich unter den bekannten Kategorien nicht einordnen ließ, bereits der Name war sowohl rätselhaft als auch verheißungsvoll: „Paradoxon und Gegenparadoxon“. Die AutorInnen waren Mara Selvini-Palazzoli, Luigi Boscolo, Gianfranco Cecchin und Giuliana Prata aus Mailand.
Ich nahm das Buch mit nach Hause und verschlang es wie einen Krimi, fasziniert, begeistert und verunsichert. Wieviel musste da neu gedacht, anders konzipiert und in präzise formulierte Fragen transformiert werden? Fragen, die instrumentell eingesetzt wurden, die einer eigenen Logik entsprangen. Und wo in aller Welt konnte man so etwas lernen?
In der nächsten Supervision mit dem uns betreuenden Professor sprach ich ihn darauf an. Er kannte das Buch nicht, aber sein Kommentar war ernüchternd: „Vorsicht“, sagte er, „bei diesen integrativen Methoden. Das ist nicht seriös“.  Schade, dachte ich, und glaubte ihm nicht.
Fünf oder sechs Jahre später, als der Mailänder Ansatz in Deutschland gelehrt wurde, war ich an Bord.
Der Zickzackkurs zwischen Konstruktionen und Dekonstruktionen von Wirklichkeiten, das Erlernen und Üben der Fragetechniken, das Tolerieren der Konfusion, die diese bei weitem nicht nur bei den Familien auslösten, bei denen die Fragen appliziert wurden, nahm einige Zeit in Anspruch, bis es ausreichend internalisiert war. Die spielerische Leichtigkeit ließ einige Zeit auf sich warten. „Wenn Ihr 200 Familien gesehen habt, könnt ihr es“, hatte Gunthard Weber in tröstender Absicht einmal prophezeit. Auf irgendeine Weise behielt er recht. Die Klientenfamilien hatten Rudi und ich zwar nicht gezählt, aber das „Navigieren beim Driften“ gelang leichter, zunehmend häufiger sogar leicht …
Viele Jahre später, bei einem Besuch des Centre Pompidou in Paris, hatte ich eine neue und gänzlich unerwartete Begegnung mit der möglichen Leichtigkeit des zirkulären Fragens.
Die gesamte Ausstellung war thematisch und räumlich nach Überschriften neu geordnet worden. Der Raum, den ich betrat, trug die Inschrift „Kindheit“. Neben anderen Exponaten lief ein Video, die englischsprachig untertitelte Originalversion von „Big Business“ mit Stan Laurel und Oliver Hardy. Die beiden versuchen in dieser Episode, in Kalifornien Weihnachtsbäume zu verkaufen, klingeln an einer Haustür und verwickeln eine lokale Schönheit in einen Verkaufsdialog.
„Would you like to buy a christmas tree?“ war die erste Frage, und als die Antwort der potentiellen Käuferin negativ ausfiel, folgte die 2. Frage:  „Would your husband like to buy a christmas tree?“ Und auf die leicht kokettierende Replik „I have no husband …“ folgte dann die völlig verblüffende und doch für Systemiker so eigentümlich vertraut wirkende dritte Frage:  „… If you had a husband, would he like to buy a christmas tree??“ (Das Geschäft kam nicht zustande, aber der Film hat noch anderes zu bieten).
Doch ich hatte etwas neues erfahren. Staunend und inspiriert nahm ich zur Kenntnis, dass die zirkulären Fragen kulturell stärker verankert sind, als ich das für möglich gehalten hatte. Das schmälert nicht die Leistungen der Pioniere. (Auch wenn Stan und Olli als Ideengeber meines Wissens in der Literatur nicht auftauchen…)

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