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Autopoietische Systeme und sympoietische Gefüge. Niklas Luhmann meets Donna Haraway.

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In einem Beitrag zur Ad-Hoc-Gruppe »Symbiose als Begriff und Gegenstand der Soziologie. Zur
Komplexität biosozialer Dynamiken zwischen Lokalem und Globalem« auf dem 39. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, der 2018 in Göttingen stattfand, präsentierte die Frankfurter Soziologin Katharina Hoppe ein Paper, in dem sie das Autopoiese-Konzept Niklas Luhmanns mit dem Sympoiese-Konzept der Wissenschaftshistorikerin Donna Haraway in Verbindung setzt.

In ihrer Einleitung heißt es: „Es liegt vielleicht nicht unmittelbar auf der Hand so unterschiedliche theoretische Positionen, wie die Donna Haraways und jene Niklas Luhmanns in ein Gespräch zu bringen. Auf der einen Seite Haraway, die sich als Biologin und feministische Theoretikerin darum bemüht, eine narrative, häufig mit Figurationen und Beispielen operierende Theoriebildung zu befördern (…). Eine Theoriebildung, die dabei jeder Großtheorie eine Absage erteilt und demgegenüber partiale Perspektiven (Haraway …) fordert. Auf der anderen Seite Luhmanns Systemtheorie – vielleicht die Großtheorie schlechthin –, die mit dem Vorwurf des Szientismus ebenso konfrontiert wurde wie demjenigen des Konservatismus (vgl. etwa Habermas …). Während es also zunächst kontraintuitiv erscheint, diese Perspektiven gemeinsam zu diskutieren, finden sich bei näherer Beschäftigung eine ganze Reihe von Parallelen. Einer dieser Konvergenzen möchte ich im Folgenden nachgehen: dem beiden gemeinsamen Interesse an einer post-anthropozentrischen Theorie und der Beschäftigung mit ökologischen Gefährdungen aus Perspektive der soziologischen Theoriebildung. Denn nicht nur werden Haraways Arbeiten jenen Denkbewegungen zugeordnet, die seit einigen Jahren nicht-menschliche Wirkmächtigkeit in die soziologische Theorie einzubeziehen versuchen, wie die Akteur-Netzwerk-Theorie (Law, Hassard; Belliger, Krieger) oder sogenannte Neue Materialismen (Coole, Frost; Hoppe, Lipp; Löw et al.); auch Luhmann (…) begründet seine Faszination für die Kybernetik zweiter Ordnung mit einer Begeisterung für deren post-anthropozentrische Stoßrichtung, nämlich damit, „daß man von verschiedenen emergenten Ebenen des Ordnungsaufbaus der Realität ausgehen muß, die den Menschen sozusagen durchschneiden.“ Beide Ansätze haben diese theoretische Orientierung auch an die Annahme gekoppelt, dass es sozio- logisch relevant ist, sich mit Umwelt und Ökologie zu beschäftigen, ohne eine starre Unterscheidung von Natur und Sozialem vorauszusetzen: Diese Grenzziehung muss vielmehr selbst Gegenstand der Analyse werden. Und überzeugt sind sie beide – schon seit den 1980er Jahren –, dass ein naiver Anth- ropozentrismus keine soziologische Antwort auf das sein kann, was in den letzten Jahren häufig als „Anthropozän“ (Crutzen, Stoermer) bezeichnet wird.

Um eine solche Theoriebildung voranzutreiben, ist es sowohl Haraway als auch Luhmann zufolge interessant, naturwissenschaftliches Wissen in sozialwissenschaftliche Theoriebildung einzubeziehen. Beide gehen sie davon aus, dass solche Aneignungen keineswegs auf die Erneuerung eines „okzidentalen Rationalismus“ (Habermas) hinauslaufen müssen. Vielmehr machen sie jeweils biologische, besonders evolutionstheoretische Motive, für eine post-anthropozentrische, nicht-subjekt-zentrierte Soziologie produktiv. Diesen Impulsen möchte ich im Folgenden nachgehen, indem ich Luhmanns evolutionstheoretisches Modell der Autopoiesis mit dem Begriff der Sympoiesis kontrastiere, wie ihn Haraway entwickelt. In ihrer jüngst auch auf Deutsch erschienenen Monographie Unruhig bleiben heißt es bei Haraway zum Verhältnis dieser beiden Modi: „Sympoiesis umfasst Autopoiesis, erlaubt ihre Einfaltung und erweitert sie“ (…). Eine Diskussion von Luhmanns Konzept der Autopoiesis – so die Annahme meines folgenden Versuchs – kann dazu beitragen, Haraways sympoietische Erweiterung desselben besser zu verstehen und deren Potentiale und Grenzen für eine post-anthropozentrische soziologische Theorie auszuloten. Es wird sich zeigen, dass sich gerade ein Zusammenspiel beider Perspektiven für soziologische Analysen ökologischer Gefährdungen produktiv machen lässt.
Im Folgenden werde ich zunächst Luhmanns Autopoiesisbegriff mit Blick auf seine These der ökologischen Selbstgefährdung moderner Gesellschaften vorstellen (2). Im Anschluss zeige ich, was sich hinter Haraways Erweiterung durch das Konzept der Sympoiesis verbirgt und stelle zwei zentrale Probleme von Luhmanns Beschreibung heraus: erstens die einseitige Konzipierung von Relationalität durch den Fokus auf Differenzierung und zweitens eine Konzeption des Sozialen, in der Entwicklungs- und damit Transformationsmöglichkeiten allein über die Hereinnahme von Andersheit gedacht werden können (3). Ich schließe mit einem Ausblick auf die politischen Implikationen einer post-anthropozentrischen Soziologie, die Auto- und Sympoiesis nicht als Gegensätze begreift (4).“

Den vollständigen Text kann man hier lesen und herunterladen…

Ein Kommentar

  1. Starker Text! Sowohl eine kürzestmögliche erhellende Einführung in Luhmannsche Systemtheorie als auch eine m.E. wichtige Ergänzung durch diese „mit-machen“-Perspektive Haraways, die ich noch nicht kannte. So wird m.E. der politische Aspekt systemischen Denkens deutlicher, insbesondere auch im Hinblick auf die bedrängenden ökologischen Fragen. Danke für diese Anregung!

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