
Fundamentalismus oder….?
Fundamentalisten schränken ihr Denken auf ein Thema ein und handeln dementsprechend einseitig. Deshalb werden sie in manchen Kreisen geächtet, in anderen aber auch gerade deshalb geschätzt. Wie leicht man in eine fundamentalistische Haltung hinein strudeln kann, lässt sich an den ersten Veröffentlichungen zur systemischen Therapie ablesen. In den 1980er Jahren meinten einige von uns erkannt zu haben, dass die ganze Psychotherapie auf falschen Fundamenten aufgebaut worden war. Es galt also, das Bisherige “radikal” zu erschüttern und durch ein fundamental neues Denken zu ersetzen, nämlich den radikalen Konstruktivismus und eine darauf bezogene Systemtheorie. Die fundamentale Unterscheidung hieß: systemisch versus unsystemisch. Aus jetziger Perspektive mutet es etwas seltsam an, dass wir uns einerseits gegen das Wahre, das An-Sich, wandten und doch von der Wahrheit unserer theoretischen Entdeckungen total überzeugt waren. Die Unterscheidung richtig/falsch galt als obsolet und doch galt es als unausgesprochen falsch, wenn man unsystemisch dachte. Für die Nicht-Systemischen waren wir bloß Revoluzzer. Klaus Grawe hätte uns als Konfessionelle im Gegensatz zu den Professionellen eingeordnet.
Wozu schreibe ich das? Weil wir in einer Zeit leben, in der die gesellschaftlichen Selbstverständlichkeiten, also letzten Endes die Fundamente oder Voraussetzungen unseres Denkens und Handelns, in vielerlei Hinsicht durch Alternativen erschüttert werden, die sich unvermeidlich polarisierend auswirken. Die dabei entstehende Dynamik erzeugt Unruhe und wird als verstörend erlebt. Man fürchtet Fundamentalisten, die alles verändern wollen, vor allem die eigenen zumeist unreflektierten bzw. selbstverständlich erlebten Fundamente. Soziale Systeme sind nun einmal konservativ, denn sie erhalten sich, in dem sie dem Wandel widerstehen. Nur eine Krise, die zum System passend und genügend effizient ist, vermag es nachhaltig zu verstören und eventuell zu verändern.
Die systemische Therapie verdankt einer solchen Krise ihre Entstehung. Sie löste während der arg fundamentalistischen Gründerzeit der 1980er Jahren wirksame Veränderungen im psychotherapeutischen Feld aus. Ob sie bei ihrer Assimilierung in dieses Feld das Eigene im Wesentlichen erhalten hat, bleibt abzuwarten.
Ich gehörte einmal zu den Fundamentalisten der systemischen Szene und denke nach wie vor, dass dieses Experiment sich trotz der unnachgiebigen und letzten Endes arroganten Strenge der damaligen Argumentation gelohnt und eine neue Sichtweise in die Psychotherapie eingebracht hat. Dieses Experiment wird sich á la longue als nützlich erweisen, wenn auf die fundamentalistische Gründerphase eine Phase der behutsamen Eigenreflexion folgt. Ob das geschieht, wird die Zukunft klären, denn zur Zeit ist sie noch mitten im Anpassungsvorgang eingebunden.
Wie wohl bei allen menschlichen Aktivitäten kann eine alles andere ausschließende Begeisterung der Anfang einer neuen Entwicklung sein. Eine intensive Begeisterung für Neues kann nichts anders als primär einseitig sein und daher polarisieren, denn sie rüttelt am Angestammten. In der Folge kann sie bösartige Entwicklungen auslösen oder erweiternde und umfassende, erwünschte Erneuerungen. Vom Letzteren zeugt -hoffentlich! – die Geschichte unseres Faches.













