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Online-Journal für systemische Entwicklungen

systemisch – was fehlt? Wärme!

| 35 Kommentare

Lothar Eder, Mannheim:

Es gibt Reiche unterhalb
von Vernunft und Sprache.

Daniel Kehlmann: Berholms Vorstellung

17adventDie Frage ist verführerisch, gewiß. Zumindest für mich, der sich im systemischen Mainstream nicht mehr so ganz beheimatet fühlt. Ich könnte sie also als willkommene Einladung nützen, vieles zu kritisieren, zu bemängeln. Doch das wäre nicht fair. Verdanke ich doch der systemischen Therapie so vieles in meiner persönlichen und professionellen Entwicklung.

Denke ich aber ernsthaft über die Frage nach, was denn fehle, so kommt mir ein Begriff: Wärme. Es fehlt an Wärme. Nicht so sehr in der systemischen Praxis, soweit sie mir geläufig ist. Sie fehlt meiner Meinung nach jedoch im Überbau, in der (Meta-)Theorie. Systemische Praxis und (Meta-)Theorie aber fallen, wie zuletzt Alain Schmitt (Fam.Dyn. 2/2014) eindrücklich zeigen konnte, deutlich auseinander, ja, sie stehen oft sogar in Widerspruch zueinander (bezogen etwa auf die behauptete Nichtinstruierbarkeit von Individuen). Vielmehr unterscheidet sich ein nicht unerheblicher Teil systemischen Handelns nicht wesentlich von therapeutischen Methoden und Haltungen, die aus dem Kontext der humanistischen Therapie stammen (hierzu zählt auch die „Ressourcenorientierung“, also das Ermutigen von Patienten, ihre inhärenten Potentiale zu erkennen und auszuschöpfen).

Man findet in der systemischen Community, wie es neudeutsch so schön heißt, gewiß spontan einigen Zuspruch für die Aussage, daß die Zeiten Sigmund Freuds längst hinter uns liegen. Freuds Projekt aber hatte – unter vielen anderen – einen wesentlichen roten Faden: er forderte die Einheit von Forschen und Heilen. Damit war und ist bis heute im psychoanalytischen Projekt gewährleistet, daß in der (Meta-)Theorie mit den gleichen Annahmen und Kategorien operiert wird wie in der Praxis. Für die systemische Therapie in ihrem praktischen Vollzug gilt dies jedoch nur sehr eingeschränkt, wenn überhaupt. Schmitt (s.o.) liefert hierfür zahlreiche Beispiele und Belege, sie brauchen an dieser Stelle nicht wiederholt zu werden.

Wärme scheint mir ein wesentliches Merkmal, wenn es um die Frage geht, was Menschen brauchen; was somit auch diejenigen Künste benötigen, die sich mit der Begleitung, Unterstützung und Heilung von Menschen beschäftigen. Eben diese Wärme aus der Systemtheorie zu beziehen, scheint so gut wie ausgeschlossen. Warum, möchte ich nachfolgend erläutern.

Lothar Eder

Lothar Eder

Im September fand in Heidelberg die Buchvorstellung der Biographie von Helm Stierlin statt – der zusammen mit Horst-Eberhardt Richter der Pionier der Familientherapie in Deutschland ist – und ich hatte die Ehre, dazu eingeladen zu sein. Beim Hören von Gunthard Webers Laudatio, der die Geschichte der damaligen „Abteilung für Familientherapie“ anschaulich und in bewegten Worten schilderte, wurde mir einmal mehr deutlich, daß in der kurzen Geschichte der Familientherapie, die heute systemische Therapie heißt, ein radikaler Bruch stattgefunden hat. Wer Stierlins Texte von damals liest und sie vergleicht mit Texten, die sich explizit auf die Luhmannsche Systemtheorie oder auf Maturana beziehen, wird unschwer feststellen können, daß da ein radikaler Wandel, um nicht zu sagen: ein Kulturbruch stattgefunden hat. Auch wenn er eine Abkehr von der traditionellen Psychoanalyse vollzog: Stierlin verlängerte ein hermeneutisches Vorgehen aus der „bloßen“ Psychodynamik heraus in eine familiendynamische Konzeption hinein. An mindestens einer Stelle steht bei Freud, daß er sich mit den Vorgängen in Familien leider viel zu wenig auskenne, daß es jedoch für künftige Forschung und therapeutische Praxis dringend geboten sei, sich damit zu befassen. Wenn man so will, nahm Stierlin diese Delegation auf und formulierte zusammen mit seinen Kollegen (aufbauend auf und kooperierend mit Bowen, Boszormenyi-Nagy u.v.a.m.) ein familiendynamisches Modell, das in hervorragender Weise geeignet ist, systemisch-familienbezogene Dynamiken zu verstehen und zu behandeln.

Der Wärmeaspekt wird in den Beschreibungskategorien der „alten“ Familientherapie leicht deutlich. Begriffe wie „Verstrickung“, „(unsichtbare) Bindung“, „Bezogenheit“ etc. beinhalten einen, so würde man heute vielleicht sagen, Embodiment-Aspekt. Es sind Begriffe mit Leib- und Erfahrungsbezug, und damit sind diese Begriffe gewissermaßen durchblutet und vital. Es sind, obwohl wissenschaftliche, so doch auch menschengemäße Begriffe.

Welche Begrifflichkeiten, Denk- und Beschreibungsmuster aber begegnen einem (mir) in der heutigen systemischen Therapie? Ich will einige, für mich idealtypische Sprachgebräuche und Haltungen herausgreifen: Die Person als Kategorie wird teilweise radikal abgelehnt und durch die Beschreibung „autopoietisch organisiertes, polysystemisches Lebewesen“ (Wer möchte sich ernsthaft so bezeichnet wissen?) ersetzt. Wahrheiten, auch momentane, werden als nichtexistent abgelehnt, Wirklichkeiten werden von den o.g. Lebewesen mehr oder weniger willkürlich autopoietisch konstruiert, entwicklungspsychologische Kategorien und Beschreibungen fallen unter den Tisch. So wird letztlich alles und jedes nach der Luhmannschen oder Maturanaschen Grammatik durchkonjugiert, so wie in den 70er und frühen 80er Jahren alles irgendwie in den dialektischen Materialimus sich einfügen mußte. Ein systemisches Credo sticht meiner Meinung nach dabei heraus: Menschen seien aufgrund ihrer Komplexität sowohl für sich als auch für andere undurchschaubar und unbestimmbar.

Diese Behauptung – wir wären nicht in der Lage, andere Menschen (z.B. unsere Patienten) zu verstehen, ihr Erleben nachzuvollziehen oder gar prädizieren zu können – fügt sich weder in die Alltags-, noch in die klinische Beobachtung. Schon alltägliche, banale Begegnungen zwischen einem Säugling und der Mutter zeigen, wie bedeutsam einige Gesichtspunkte sind, auf welche u.a. Fonagy oder auch Tomasello hinweisen: das wechselseitige Lesen von Intentionen (Intention Reading) und kommunikative Resonanz sind von ungeheurer Bedeutung für die Beziehungs- und Bindungsqualität, für das Aktivieren von Affekten beim Anderen, für die Selbst- und Fremdregulation etc. Man kann diese Wechselseitigkeit auch Verstehen nennen. Menschen können und müssen sich verstehen. Nur die Systemtheorie und aus ihr abgeleitete therapeutische Haltungen verstehen das nicht.

Ein beeindruckendes Beispiel unbewußten intuitiven Verstehens stammt aus der klinischen Interaktionsforschung. Heller und Haynal (1997) fanden in einer Studie Folgendes heraus: 59 psychiatrische Patienten führten 3 Tage nach einem Suizidversuch ein Gespräch mit einer Psychiaterin, das videographiert wurde. Anschließend wurden an die 300 verschiedenen gestischen und mimischen Verhaltenskategorien untersucht und in Korrelation gesetzt mit der Variable, ob ein weiterer Suizidversuch nachfolgte. Das Ergebnis war eindeutig: Die Psychiaterin lag in ihrer bewußten, verbalen Einschätzung meistens falsch. Ihre mimischen und körpergestischen Signale jedoch zeigten eindeutige Korrelationen; es fanden sich in nahezu 100% der 300 Kategorien eindeutige Hinweise, ob der Pat. einen weiteren Selbstmordversuch unternahm oder nicht. Die Psychiaterin „wußte“ also, ohne zu wissen, ob ihr Patient suizidgefährdet war oder nicht. Nimmt man diesen Befund auf, so müßte die psychotherapeutische Ausbildung viel mehr Wert darauf legen, daß Therapeutinnen und Therapeuten ihre Wahrnehmung der eigenen intuitiven Signale schulen. Der Mensch selbst wäre also das entscheidende weiterzuentwickelnde „Instrument“ und nicht irgendwelche neurophysiologische Apparaturen, die, folgt man den Schiepekschen Visionen, angeblich notwendig sind, um Veränderungsprozesse zu bemerken und zu verstehen. Das wäre dann mit Huxley eine „Schöne neue Therapie-Welt“.

Der Philosoph Peter Sloterdijk formuliert in seinem kleinen Buch Selbstversuch (zusammen mit Carlos Oliveira) eine Kritik der Systemtheorie. Er führt zunächst an, daß Menschen Brutkastentiere seien und von daher Gesellschaften eine Art Brutkastenfunktion hätten, um ihren Mitgliedern die notwendige Wärme zu vermitteln. Dies ist durchaus konkordant mit dem, was aus der Bindungsforschung und –theorie bekannt ist. Die Gesellschaften der späten Moderne aber seien „kühle Massen atomisierter und vernetzter Käufernomaden“. Beim Gang über angeblich festliche Weihnachtsmärkte oder Einkaufsmeilen findet man für diese These leicht Bestätigung: Volle Tüten und viele leere Gesichter. Pralles Warenangebot und kühle Hektik. Luhmanns Systemtheorie legitimiere nun aber, so Sloterdijk und Oliveira, geradezu diesen „Autismus der Einzelsysteme auf allen Ebenen“ und verführe Intellektuelle dazu, die Brutkastenfunktion von Gesellschaften als eine „vormoderne, scheinbar überholte Affäre zu verabscheuen“. Autismus jedoch ist eben genau dadurch gekennzeichnet, dass der Autist nicht versteht, welches Erleben, welche Affekte und welche Intentionen sich im Anderen abspielen.

Diese Sätze vom Undurchschaubaren, Unzugänglichen, ja von der letztlichen Selbstunzugänglichkeit des Menschlichen und des Menschen sind nicht falsch. Es ist richtig, daß ich für mich weitgehend undurchschaubar bin. Ich verstehe die genauen Vorgänge in meiner Milz nicht, wenn ich ein Stück Christstollen esse. Aber ich weiß, wenn ich zuviel und zu spät esse, daß es mir nicht gut tut. Dafür brauche ich keine detaillierten Kenntnisse der hochkomplexen Vorgänge in meinem Verdauungstrakt. Es genügt ein Verstehen innerhalb des menschlichen Maßes.
Jedoch sind diese Sätze (vom kategorisch Undurchschaubaren, Unzugänglichen, von exponentiell sich steigernden Poly- und Multikomplexitäten) gewissermaßen oberhalb der Baumgrenze. Sie sind den Niederungen, dem Menschlichen und dem Verstehbaren enthoben. Und zwar deshalb, weil sie nicht nach unten hin spüren, es auch nicht wollen und auch nicht können, weil sie über Kategorien, die dem Spüren, d.h. der Empfindungs- oder Fühlfunktion (nach C.G. Jung) angehören, gar nicht verfügen bzw. diesen Kategorien keinen Raum geben. Es sind reine Denksätze, in stratosphärischen Höhen entwickelte Kopfsätze, ohne Lebensbezug. Sie sind folglich das Gegenteil von Leib- und Lebenssätzen oder entsprechenden Begriffen. Von „Verstrickung“ zu sprechen etwa (wie es Stierlin, Bowen, Boszormeny-Nagy und viele andere taten) hat einen Leib- und Lebensbezug. Der Systemtheoretiker würde diese Aussage womöglich komplett in den Bereich der Metaphorik verweisen. Aber sagte nicht die Person, die ganz am Beginn der schriftlich festgehaltenen europäischen Denktradition steht – Platon – sinngemäß (im Gastmahl), daß nur die Götter wüßten, was die Seele wirklich sei, wir Menschen aber nur in Bildern darüber sprechen könnten? Damit ist ebenfalls eine Unzugänglichkeit behauptet. Jedoch hat diese Behauptung eine Wärme. Sie begründet nämlich keine Gemeinschaft nichtwissender, sich je ihre eigene Wirklichkeit konstruierender Autisten; vielmehr konstituiert sie eine Erkenntnisgemeinschaft der in Begrenztheit Verbundenen, die im Wissen um ihr mangelndes Vermögen Freude an der Begegnung entwickeln, in der Hoffnung, nach der Entbindung vom irdischen Dasein in andere Sphären vorstoßen zu dürfen.

Mit ihrer Haltung des „Undurchschaubaren …“ ist die Systemtheorie ein antiaufklärerisches Projekt. Die antike, vormoderne Welt war voller Undurchschaubarem, der menschlichen Erkenntnis Unzugänglichem, Numinosem, Heiligen. Die Aufklärung, mit ihren Wurzeln in der Renaissance (Zilsel), führte nach (Max, nicht Gunthard) Weber zur „Entzauberung der Welt“. Es gibt und gab zahlreiche poetische Gegenentwürfe, z.B. die Romantik, aus der u.a. die „Romantische Medizin“ hervorging, der Nährboden der  heutigen Psychosomatik als Disziplin. Die Systemtheorie jedoch vollzieht etwas bis dato Ungekanntes. Sie erklärt die Welt wiederum als undurchschaubar, aber auf eine kalte Art und Weise. Der Mensch taumelt gewissermaßen durch einen für ihn nicht verstehbaren materiellen, sozialen und inneren Kosmos. Dies jedoch ohne jede Hoffnung auf Sinnstiftung, Halt oder ein lohnendes Ziel seiner Reise. Sie, die Systemtheorie, ist in dieser Hinsicht ein unterkühlter Mystizismus, in dem autistisch vor sich hin operierende Subjekte (die, systemisch gesehen, genau genommen keine sind bzw. sein können) unbegrenzt, ohne (z.B. historische oder biografische) Voraussetzungen und Referenzen, ihre eigenen Kosmologien konstruieren, undurchschaubar für sich selbst und andere.

Jenseits, oberhalb der Baumgrenze ist es des Öfteren kühler als weiter unten. Jedoch nicht immer. Bestimmte Wetterlagen sorgen dafür, daß dort die Höhensonne wärmt in einer Weise, die man unten kaum kennt. Sich in die Höhe zu begeben, bedeutet also nicht zwangsläufig, sich außerhalb der warmen Areale zu bewegen. Maturanas und Varelas Modell der Autopoiese geht nach meiner Auffassung weit, aber nicht weit genug. Es versäumt zu erfassen, was denn diese autopoietische Kraft sei, welche diesem Geschehen des Immer-wieder-neu-Hervorbringens zugrundeliegt. Dies zu beschreiben ist an anderer Stelle, nein: an vielen anderen Stellen geschehen. Sie stammen sämtliche aus dem Kanon des antiken Wissens. Diese generierende Kraft wird (bei den daoistischen Chinesen) Qi genannt, bei den Indern Prana, die Griechen hatten dafür den Begriff Psyche. Im europäischen Raum war später von der Vis Vitalis die Rede. Jesus verwendet im Johannesevangelium die Metapher des lebendigen Wassers, das in und aus jedem einzelnen fließe. Die Autopoiesistheorie jedoch geht diesen letzten Schritt nicht. Sie spricht nicht aus, was das Prinzip der Selbsthervorbringung sei. Eben deshalb bleibt sie auf dem Weg ganz in die Höhe, in die wärmenden Gefilde oberhalb der Wolken, stecken: im Nebel der vermeintlichen Undurchdringlichkeit. Dieser Nebel aber ist in weiten Teilen – in einer nicht enden wollenden  Schleife selbstreferentieller Selbstbestätigungen – selbsterzeugt. Dort ist es kalt und man friert leicht. Nicht viel weiter oben aber ist es warm, licht und weit.

Eine (Meta-)Theorie, in der Begriffe wie „Bindung“ oder „Resonanz“ keinen Platz haben, ist keine menschengemäße Theorie. Denn dies genau muß eine Theorie sein, welche Fundament oder Orientierung in den Künsten des Heilens, Helfens und Begleitens sein soll: menschengemäß. Die Systemtheorie Luhmannscher Prägung ist das nicht, und deshalb braucht die systemische Therapie eine andere Theorie. Erst dann gehen Heilen und Forschen zusammen.

35 Kommentare

  1. Lieber Herr Eder,

    ich bin kein Systemiker, sondern komme aus der Soziologie. Gleichwohl kann ich Ihren Eindruck von der Systemtheorie gut nachvollziehen, denn für die Soziologie lässt sich ein ähnliches Bild Systemtheorie zeichnen. Mein Unbehagen an der Systemtheorie habe ich in dem verlinkten Text versucht zu beschreiben: http://goo.gl/FKw7Xj

    Mit freundlichen Grüßen
    Roland Walkow

  2. Stephan Baerwolff sagt:

    Sehr geehrter Herr Eder,
    Ihr anregend provokanter Beitrag stößt bei mir so viele Gedanken an, dass sie den Rahmen eines kurzen Kommentars sprengen würden. Daher möchte ich nur ein paar persönliche Erfahrungen schildern, die so gar nicht zu Ihrer Lesart „der Systemtheorie“ passen: Ich habe ursprünglich Therapieschulen wie Gesprächs- und Gestalttherapie kennengelernt, ehe ich Anfang der 80er Jahre eine Weiterbildung in der Art von Familientherapie machte, deren Begriffe Sie als vital und durchblutet beschreiben. Ich habe dort viel gelernt, fühlte mich aber nie so recht wohl, ohne das zu verstehen (allenfalls schrieb ich es meiner eigenen Unzulänglichkeit zu). Als ich dann in Kontakt mit der sich entwickelnden systemischen Szene kam, war auch dies wieder äußerst aufregend, aber zunächst alles andere als angenehm: Zum einen verstand ich nur die Hälfte, zum anderen stellte der neue Ansatz mein gewohntes Denken so in Frage, dass sich alles in mir sträubte. Meine Wandlung zum Systemiker war also ein mühsamer Prozess und das, was ich heute als befreienden Gewinn empfinde, stellte sich erst nach und nach ein: Die Möglichkeit, unterschiedliche Perspektiven auf die Welt, unterschiedliche „Wahrheiten“ gelten lassen zu können und damit zusammenhängend eine größere Bescheidenheit, was meine eigenen Überzeugungen angeht. Dies klingt vielleicht sehr kognitiv, befreiend ist aber gerade das Gefühl, das sich im Laufe der theoretischen Auseinandersetzungen einstellte.
    Im Rückblick auf meine Erfahrungen in den „alten“ psychotherapeutischen Schulen war es genau das, was mich immer gestört hatte: Dass man hier genau wusste, was den Problemen der KlientInnen zugrunde lag, was sie brauchen und wie sie sie überwinden können. Mir haben die systemischen Theorieangebote geholfen, diese Haltung des besser wissens zu überwinden (naja, zumindest mich in diese Richtung zu entwickeln – hoffe ich). Wenn ich die Perspektive der KlientInnen eher respektiere, scheint mir, dass ich eher in der Lage bin , eine „warme“ Beziehung zu gestalten – zumindest ist das meine Erfahrung. Nun könnten Sie zu Recht einwenden, dass man eine Haltung der Bescheidenheit und Demut dem Leben gegenüber auch durch einen Aufenthalt in einem Zen-Kloster, das Besteigen eines 8000ers oder sogar durch das Zusammenleben mit einem Teenager erwerben kann – dazu muss man sich nicht in die Verästelungen systemischer Theorie vertiefen. Ebenso könnten sie einwenden, dass eine respektvolle, andere Perspektiven akzeptierende Haltung eine gute TherapeutIn auszeichnet – egal welcher Schule. Alles was ich ausdrücken wollte, ist, dass die vermeintlich kalte Systemtheorie nicht notwendigerweise menschliche Wärme erdrücken muss, sondern (zumindest in meinem Fall) äußerst erwärmende Wirkungen entfachen kann. Die Wechselwirkungen zwischen Theorie und sie deutender Person sind also wohl ziemlich komplex.
    Manchmal denke ich ohnehin, dass Empathie und die Fähigkeit, eine mitfühlende Beziehung aufzunehmen, menschliche Eigenschaften sind, die man nicht durch das Studium von Theorien erwirbt, sondern mitbringt, vielleicht weil man das Glück hatte, mit eben solchen Menschen (besonders im eigenen familiären Kontext) aufzuwachsen. Therapeutische Weiterbildungen verfeinern diese Fähigkeiten und wenn ein solcher Mensch sich für die systemische Theorie erwärmen kann, dann hat er m.E. eine gute Chance, ein richtig guter, warmherziger und kluger Helfer (TherapeutIn, BeraterIn usw.) zu werden. Aber viele Wege …
    Ich verstehe Ihre kritische Sicht auf die Systemtheorie durchaus (auch ich bin „kalten“ SystemikerInnen begegnet), aber vielleicht können Sie auch meinen Erfahrungen etwas abgewinnen. Sie müssen ja nicht gleich in heißblütiger Liebe für die Systemtheorie entflammen!
    Herzliche Grüße
    Stephan Baerwolff

    • Lothar Eder sagt:

      Lieber Herr Baerwolff,
      Auch an Sie Dank für Ihren eingehenden Kommentar!
      Meine wesentliche Kritik an der Systemtheorie (im wesentlichen Luhmannscher Prägung) ist, daß sie zentrale Aspekte therapeutischen Handelns nichts abbilden kann, v.a deshalb, weil sie binnenperspektivische (psychische) Realitäten konsequent ausblendet bzw, ignoriert. Darin unterscheidet sie sich, das habe ich der Diskussion hier gelernt, von synergetischen Theorien.
      Durch die „kybernetisch-theoretische Verschattung“ ist meiner Ansicht nach eine fruchtbare Fortsetzung der psychodynamischen Konzepte in eine familiendynamische hinein unterbrochen worden, bevor sie ihr Potential voll entwickeln konnte.
      Ein weiteres Problem der systemischen Szene sehe ich in dem Umstand, das man sich irgendwie chronisch als „Avantgarde“ sieht im Gegensatz zu angeblich „alten“ Therapierichtungen. Das finde ich mit Verlaub reichlich selbstverliebt und verstellt den Blick auf das was die anderen können. Denn sie können eine Menge, was Systemiker aus meiner Beobachtung vor lauter Begeisterung über sich selbst versäumen zu beachten.
      Sie sehen, auch Ihr Beitrag gibt (mir) nocheinmal reichlich Impulse und fast bedauere ich es, diesen Dialog nicht im direkten Austausch führen können.
      Herzliche Grüße und Frohe Weihnachten! Lothar Eder

      • Rufer Martin sagt:

        Lieber Herr Eder
        und Alle diejenigen, die sich bisher so qualifiziert am Diskurs beteiligen

        Warum nicht das Thema „Was fehlt?“ über die Adventszeit hinaus mit ins neue Jahr nehmen, um dort den angefangenen Dialog „im direkten Austausch“ weiterzuführen. Auch wenn wir Schweizer ja nie so ganz dazugehören, wäre ich als diskursfreudiger Vollblutpsychotherapeut und „Synergetiker“ mit dabei..

        Martin Rufer, Bern

        • Lothar Eder sagt:

          Lieber Herr Rufer und alle Kollegen und Kolleginnen,

          ich habe aus der bisherigen Diskussion einiges mitgenommen. V.a. wurde mir der Wert des Synergiekonzeptes deutlich, was ich vorher gar nicht so wahrgenommen habe. Wenn ich das zusammenbringe mit dem, was mir aus dem psychodynamischen Kontext bekannt ist (v.a. die von Stern beschriebenen „Jetzt-Momente“ im psychotherapeutischen Prozeß), dann ergibt sich für mich eine sehr schöne gemeinsamem und übergreifende Perspektive. Das tröstet mich im adventlichen Sinne, weil ich denke, daß die verschiedenen Verfahren sehr viel mehr gemeinsam haben, als es meist scheint.
          Somit wäre eine Fortsetzung dieses Austausches eine sehr schöne Sache. Vielleicht ergibt sich ja in der Zwischenzeit bis zum 7. Januar, den „Raunächten“ (die Zeit der Besinnung und Innehaltend nach alter keltischer Tradition), die eine oder andere Idee, wie man das umsetzen könnte: durch Email-Austausch, ein Forum, eine gemeinsame Publikation …
          Persönlich bin ich sehr froh, daß sich eine so unerwartet hohe Resonanz aus meinem Beitrag ergeben hat, die mich selbst sehr anregt und befruchtet.
          herzlich, Lothar Eder

      • Stephan Baerwolff sagt:

        Lieber Herr Eder,
        nur noch eine kurze Bemerkung: Selbstverliebheit, avantgardistisches Gehabe usw. kann man m. E. mit gutem Grund manchen SystemikerInnen vorwerfen, aber hier handelt es sich doch eher um eine Kritik am Umgang mit der Systemtheorie als an der Theorie selbst? Ich empfinde die Systemtheorie Maturanascher und Luhmannscher Prägung (manche sagen „Theorien des Beobachters“ dazu) als einen guten meta-theoretischen Ausgangspunkt, um sich mit anderen Theorien zu beschäftigen, die manchmal unserer Praxis näher erscheinen, auf jeden Fall viel Erfahrungswissen und Anregungen bieten. Ich wüsste keinen theoretischen Grund, warum SystemikerInnen dieses Wissen aus Bindungstheorie, psychodynamischen Theorien usw. nicht als eine jeweils mögliche Perspektive (aber eben nicht als neue „Wahrheit“) nutzen sollten. Wenn ich mir z. B. die Veränderungen unseres Weiterbildungs-Curriculums am ISS Hamburg im Laufe der letzten 30 Jahre ansehe, lässt sich diese Öffnung gut daran ablesen. „Revolutionäre“ Umwälzungen (wie die sogenannte konstruktivistische Wende) gehen notwendigerweise (?) mit Übertreibungen und Ausschlüssen des Alten einher, aber in meiner Wahrnehmung steht die systemische Szene heute längst woanders. Vielleicht im Gegensatz zu Ihrer Auffassung würde ich sagen: Nicht trotz, sondern gerade wegen des Bezugs auf die Theorie des Beobachters!
        Herzliche Grüße
        Stephan Baerwolff

        • Lothar Eder sagt:

          Lieber Herr Baerwolff,

          was für eine spannende Diskussion, die mich zu einer weiteren Bemerkung veranlasst!
          Zunächst gebe ich Ihnen Recht, daß natürlich in der Praxis vieles geht, was nicht mit der Theorie vereinbar ist. Wäre das nicht möglich, hätte ich meine Zulassung als Verhaltenstherapeut längst zurückgeben müssen.
          Indirekt bringen Sie einen weiteren systemischen „Glaubenssatz“ ins Spiel, nämlich den, daß es keine Wahrheiten gebe. Schon auf der aussagenlogischen Ebene führt dieser Satz sich selbst ad absurdum, da er ja eine Aussage mit Wahrheitsanspruch vornimmt, gleichzeitig aber jeden Wahrheitsanspruch negiert. Mir scheint darin eher ein Wunsch mancher Systemtheoretiker und ihrer Exegeten zu liegen, es möge (oder könne) doch keine Wahrheiten geben (heißt implizit womöglich: keine Verbindlichkeiten?). An dieser Stelle wird es meiner Ansicht nach erst spannend: was veranlasst jemanden, Wahrheiten im Sinne von Verbindlichkeiten (z.B. in der Psychologie) abzulehnen? Welche Erfahrungen, welche kulturellen, zeitgeschichtlichen und biografischen Aspekte stecken dahinter?.
          Zudem ist auch diese Aussage keine neue. Schon Platon sah (mit Sokrates) die Fähigkeit des Menschen, die Wirklichkeit zu erkennen, als äußerst beschränkt an. Persönlich halte ich es eher mit den Buddhisten. Da wird sinngemäß und sehr verkürzt gesagt: in der bedingten Welt gibt es keine letztendliche Wahrheit. Aber es folgt dann mehr oder weniger explizit der entscheidende Nachsatz: (es gibt keine Wahrheit), außer deiner eigenen, die du mit bestimmten Hilfsmitteln herausfinden kannst.
          Eben dieser Nachsatz, dieses Implikat, schwingt in der Systemtheorie, die ja mehr eine Weltanschauung denn eine Wissenschaft ist, natürlich auch mit. Er wird nur nicht ausgesprochen. Für mich schwingt mit: es gibt keine Wahrheit, du bist ohne Orientierung, ohne Trost, ohne festen Grund unter Deinen Füßen und ohne Licht (weder am Ende des Tunnels noch irgendwo oben). Eben dies habe ich in meinem Text als einen Aspekt fehlender Wärme angesprochen.
          Ich finde, dieser Gedanke kommt mir gerade beim Schreiben, es wäre ein lohnendes Unterfangen, einmal die impliziten anthropologischen und weltanschaulichen Aspekte der Systemtheorie herauszuarbeiten.
          So, nun ist es doch eine recht lange Bemerkung geworden.
          Herzlichen Dang für die Anregung und ebensolche Grüße!
          Lothar Eder

        • Lothar Eder sagt:

          Lieber Herr Baerwolff,

          was für eine spannende Diskussion, die mich zu einer weiteren Bemerkung veranlasst!
          Zunächst gebe ich Ihnen Recht, daß natürlich in der Praxis vieles geht, was nicht mit der Theorie vereinbar ist. Wäre das nicht möglich, hätte ich meine Zulassung als Verhaltenstherapeut längst zurückgeben müssen.
          Indirekt bringen Sie einen weiteren systemischen „Glaubenssatz“ ins Spiel, nämlich den, daß es keine Wahrheiten gebe. Schon auf der aussagenlogischen Ebene führt dieser Satz sich selbst ad absurdum, da er ja eine Aussage mit Wahrheitsanspruch vornimmt, gleichzeitig aber jeden Wahrheitsanspruch negiert. Mir scheint darin eher ein Wunsch mancher Systemtheoretiker und ihrer Exegeten zu liegen, es möge (oder könne) doch keine Wahrheiten geben (heißt implizit womöglich: keine Verbindlichkeiten?). An dieser Stelle wird es meiner Ansicht nach erst spannend: was veranlasst jemanden, Wahrheiten im Sinne von Verbindlichkeiten (z.B. in der Psychologie) abzulehnen? Welche Erfahrungen, welche kulturellen, zeitgeschichtlichen und biografischen Aspekte stecken dahinter?.
          Zudem ist auch diese Aussage keine neue. Schon Platon sah (mit Sokrates) die Fähigkeit des Menschen, die Wirklichkeit zu erkennen, als äußerst beschränkt an. Persönlich halte ich es eher mit den Buddhisten. Da wird sinngemäß und sehr verkürzt gesagt: in der bedingten Welt gibt es keine letztendliche Wahrheit. Aber es folgt dann mehr oder weniger explizit der entscheidende Nachsatz: (es gibt keine Wahrheit), außer deiner eigenen, die du mit bestimmten Hilfsmitteln herausfinden kannst.
          Eben dieser Nachsatz, dieses Implikat, schwingt in der Systemtheorie, die ja mehr eine Weltanschauung denn eine Wissenschaft ist, natürlich auch mit. Er wird nur nicht ausgesprochen. Für mich schwingt mit: es gibt keine Wahrheit, du bist ohne Orientierung, ohne Trost, ohne festen Grund unter Deinen Füßen und ohne Licht (weder am Ende des Tunnels noch irgendwo oben). Eben dies habe ich in meinem Text als einen Aspekt fehlender Wärme angesprochen.
          Ich finde, dieser Gedanke kommt mir gerade beim Schreiben, es wäre ein lohnendes Unterfangen, einmal die impliziten anthropologischen und weltanschaulichen Aspekte der Systemtheorie herauszuarbeiten.
          So, nun ist es doch eine recht lange Bemerkung geworden.
          Herzlichen Dank für die Anregung und ebensolche Grüße!
          Lothar Eder

          • Rufer Martin sagt:

            Lieber Herr Eder und Herr Baerwolf
            Ich masse mir nicht an, noch tiefer in Ihrem philsosophischen Tiefgang abzutauchen. Ich für meinen Teil halte es da her mit den „Wirklichkeiten“. Dass es solche, sozusagen als „kulturell vorstrukturierte“ (vgl. dazu auch die Adventsgeschichte von Jürgen Kriz), weiss jeder, der mit Menschen zu tun hat. Dazu gehören u.a. die Sprache, aber sicher auch Bindungen und seien diese noch so „desorganisiert“. Mit dem Blick auf die Therapie weiss ich, dass sich solche Wirklichkeiten auch verändern. Allerdings kann der Wandel zwar von aussen (z.B. therapeutische und extratherapeutische Wirklichkeiten) angestossen, aber die Türe nur von innen (Klienten/Patienten) geöffnet werden. Diese Synchronisationsprozesse auf verschiedenen Ebenen (auch in der Selbstwahrnehmung!) zu erfassen (warum nicht auch mit kontrollierten Instrumenten), verstehen und gestalten, ist wohl das, was Therapie für mich auch nach über 35 Jahren noch so spannend macht.
            Martin Rufer

          • Rolf Todesco sagt:

            „… weiss jeder, der mit Menschen zu tun hat. “
            „… Wahrheit als Verbindlichkeit“

            In MEINER Systemtheorie – von welcher sollte ich als Systemtheoretiker sonst sprechen? – geht es weder um Wahrheit, die es gibt oder nicht gibt, sondern darum, was ich als Wahrheit behaupte oder als solche vorgesetzt bekomme.

            Wenn ich beispielsweise absolut sicher bin, dass alle Menschen (welcher Mensch hat nicht mit Menschen zu tun?) dasselbe wissen (müssen) wie ich, folgt daraus keineswegs, dass ich das auch sagen müsste. Ich kann einfach sagen, was ich zu wissen glaube, Wahrheit hin oder her, es sei denn ich würde lügen.

            Das konstruktivistische Postulat zur Wirklichkeit/Realität beziehe ich ausschliesslich darauf, wie ich spreche: konstruktivistische sprechen heisst dann keine Wirklichkeit zu behaupten- ganz unabhängig davon, ob und wie es sie gibt – und realistisch sprechen, heisst dann, eine je bestimmte Wirklichkeit zu behaupten.

            Und diese meine Beobachtung lässt sich natürlich auch daraufhin beobachten, inwiefern sie eine Wirklichkeit unterstellt, die für andere Menschen auch als gegeben behauptet wird.

            Verbindlich fühle ich mich genau dann, wenn ich weder über Wirklichkeit noch über Wahrheit spreche, sondern einfach nicht lüge. Wer andere Systemtheorien hat, mag natürlich auch das anders sehen …

          • Lothar Eder sagt:

            Lieber Herr Todesco,

            der Advent geht heute, mit der Wintersonnwende, zu Ende. Drei Tage später, in der Weihnacht, ist das Fest der Ankunft des Lichts. Ab morgen schon nimmt das Licht wieder zu. Heute ist der Wendepunkt.
            Ich werde nachher, wenn die Lebkuchen im Ofen sind, draußen einen Feuerkorb anzünden, um diesen Wendepunkt zu begehen. Manche Systemtheoretiker und ihre Exegeten würden womöglich sagen, ich konstruiere mir das. Meinetwegen. Ich sehe es anders. Daß der Duft von warmem Lebkuchen vor allem in der Menschenwelt so viel Anklang findet: ja, das stimmt. Daß die Wintersonnwende jenseits der bedingten Welt keine große Rolle spielen mag: auch das!
            Sollte irgendjemand aber einmal ein Buch über die Kopffüßler schreiben wollen (ja, die gibt es!), dann wäre ihm zu empfehlen, bei den Exegeten der Systemtheorie zu beginnen!
            Es werde Licht!

  3. Matthias Ochs sagt:

    Lieber Lothar,
    Vielen Dank für Deinen guten Diskurs-Impuls! Ich empfinde Systemtheorie nicht als zu kühl, aber ich habe auch nicht den Anspruch, dass sie mich wärmt.
    Zudem empfinde ich das Bindungskonzept nicht per se als „wärmend“ – aus klinischer und psychotherapeutischer Sicht können unsicher-vermeidende/ unsicher-ambivalente sowie desorganisierte Bindungen mit viel Leid (was natürlich auch in gewisser Hinsicht wärmen kann) verbunden sein. Der Resonanz-Begriff erscheint mir als eine Art Lieblingsmetapher in manchen psychotherapeutischen Diskursen; er wird nach meinem Eindruck mit allem möglichen, fachlich-inhaltlich of unzutreffend/unscharf, assoziiert (etwa mit Übertragungs-/Gegenübertragungsprozessen, Spiegelneuronen, Embodiment u.ä.), ohne, dass er klarer begründet und hergeleitet wird (etwa aus phänomenologisch-philosophischen Traditionen).
    Dir eine gute Zeit über die Feiertagen und zwischen den Jahren!
    Herzlich!
    Matthias

    • Lothar Eder sagt:

      Lieber Matthias,
      das freut mich, daß Du Dich zu Wort meldest!
      Was Du ansprichst, wäre Stoff für mindestens 2-3 Stunden Gespräch.
      Aus meiner Sicht sind Menschen dasjenige Tier auf dieser Welt, das die intensivste und längste „Aufzuchtzeit“ hat. Daraus ergeben sich nicht nur bedeutsame biologisch-organismische, sondern auch psychologisch-regulative Konsequenzen. Deshalb scheint mir die therapeutische Arbeit unter diesem Gesichtspunkt so wichtig. Und gerade deshalb halte ich Konzepte wie „unsichtbare Bindung“, „Delegation“ etc. für so notwendig in der Therapie.
      „Resonanz“ finde ich ein hervorragend operationalsierbares und entsprechend erforschtes Konzept. Ohne in die Tiefe zu gehen: Tomasello konnte dies wunderbar in der (nonverbalen, Zeigegesten) Kommunikation mit Säuglingen zeigen. Und auch in der qualitativen Konversationsanalyse (z.B. Buchholz) läßt sich Resonanz sehr schön herausarbeiten. Aber ich denke, das kennst Du ja alles.
      Damit auch Dir gute Zeiten und vielleicht haben wir ja mal wieder Gelegenheit zum persönlichen Austausch!
      herzliche Grüße, Lothar

  4. Dörte Foertsch sagt:

    Lieber Lothar Eder,
    eine physikalische Theorie zur Wärmeerzeugung erzeugt noch keine Wärme, der Mechaniker der sich mit Heizungsinstallationen auskennt erklärt die Gebrauchsanweisung, weiter nichts. Dass ist doch nichts Neues. Die Speisekarte ist noch nicht der Geschmack eines guten Essens und Systemische Theorien lassen sich lesen und diskutieren, ob das Wärme erzeugen kann hat mit dem wie und für wen Nutzenden zu tun. Ich kann die Heizung anstellen oder nicht.
    Ich empfinde die Fragestellung eher so, inwiefern können Systemiker die historisch und kulturell gewachsenen Hierarchien zwischen Theorie und Praxis anders nutzen, ganz in dem Sinn dass weder die eine oder die andere eine mehr oder weniger an Daseinsberechtigung findet. Im Systemischen geschieht zum Glück ein Diskurs über das Miteinander des Tuns, der Theorie, der Kreativität in Beratungen gleichberechtigt zu sehen, weder das eine oder das andere steht an vorderster Stelle.
    Herzliche Grüße
    Dörte Foertsch

    • Lothar Eder sagt:

      Liebe Dörte Foertsch,

      mechanische Zusammenhänge lassen sich ja nur begrenzt auf dynamische (organismische, soziale, psychische) übertragen. Aber die Analogie mit der Heizungsanlage finde ich recht passend. Die Familientherapie bzw. familiendynamische Konzeption (Heizanlage) hat ganz gute Dienste geleistet und tut es noch, wenn man sie nur läßt. Gewechselt hat im wesentlichen die Gebrauchsanleitung (Systemtheorie). Die Frage aber ist, wurde denn diese Gebrauchsanleitung für diese Heizanlage entwickelt? Meine Antwort wäre: nein. Luhmann hat nach meiner Kenntnis in seinem Leben (als Therapeut) keinen einzigen Patienten gesehen. Seine Theorie ist primär eine soziologische und ist auch dort, in der Soziologie, heftig umstritten. Genau da ist der Punkt, an dem ich versucht habe anzusetzen: passen Heizungsanlage und Gebrauchsanleitung, um in dem Bild zu bleiben, zueinander? Meine These lautet: nur sehr eingeschränkt, es gäbe passendere und dazu zählt u.a. die alte, familiendynamische. Und ich denke, in dem Punkt sind wir uns einig: wir sollten nicht mit der Gebrauchsanweisung heizen, die wärmt nur sehr bedingt.
      Herzliche Grüße, Lothar Eder

      • Rolf Todesco sagt:

        ich kanns hier nicht (be)lassen. In Systemtheorien kann ich keine Gebrauchsanweisungen sehen, aber ich kenne eben nur wenige Systemtheorien, die überdies so verschieden sind, wie jene von Maturana und Luhmann, dass den Autoren das Gespräch miteinander unmöglich schien.
        Die Heizung und die Gebrauchsanleitung kann ich hier nur als Metaphern vermuten, ich sehe aber gar nicht wofür. Die hier gemeinte „Wärme“ kann ich mit keiner mir bekannten Heizung in irgendeine Beziehungen setzen. Der Ausdruck bleibt für mich ein Homonym – jedenfalls solange, bis mir die Metaphorik erläutert wird. Und ich kann mir vorderhand nicht vorstellen, dass die Heizungs-Metapher dann anschliessen könnte.
        Als Theorie bezeichne ich Anschauungen, die bestimmte Metaphern möglich machen. Wenn ich eine Metapher nicht nachvollziehen kann, fehlt mir die entsprechende Theorie. Und das ist dann – wie zwischen Luhmann und Maturana – der Punkt, wo ein Dialog anfangen oder eben aufhören könnte.
        Mir fehlt der Dialog, der mir helfen würde, bestimmte systemische Metaphern zu verstehen.
        PS: Ich weiss natürlich auch, dass die systemische Therapie ein Geschäftsmodell repräsentiert, in welcher Dialoge üblicherweise durch Bezahlung aufgehoben sind. Ich könnte also jederzeit in eine Therapie gehen, wenn ich an der Esoterik von Heizungen und Gebrauchsanweisungen hinreichend interessiert wäre.
        Mir fehlt der Dialog jenseits der Therapie, der Dialog über die Theorie.

        • Martin Rufer, Bern sagt:

          Lieber Herr Todesco
          Was Sie zum fehlenden Dialog über Theorie/n schreiben, würde wohl auch Kurt Lewin, mitunter einer der wichtigsten Väter der Sozialpsychologie, mit unterschrieben haben, denn wie er geschrieben hat, gibt es nichts Praktischeres als eine gute Theorie. Eine solche Theorie, sozusagen eine „Systemtheorie von Psychotherapie“ ist für mich, wohl verstanden als Vollblutpraktiker, die Synergetik, weil diese, wenn auch als eine physikalische, mir hilft mein Tun, d.h. therapeutische Prozesse theoriegeleitet zu erfassen und zu gestalten.

          • Rolf Todesco sagt:

            Lieber Rufer
            ich meinte eigentlich vielmehr den Dialog über das Verständnis der je eigenen Theorie als die vermeintliche Theorie selbst. Synergetik (jene von Haken?) wäre wie etwa die Systemtheorie (jene von Luhmann) ein Dialogblocker, wenn ich nicht sage, was ich darunter verstehe. Ich kenne sehr gut die Vorstellung, wonach MAN nicht jedesmal alles erklären könne. Und ich meine nicht, dass hier der Ort wäre, Systemtheorie oder Synergetik zu erläutern. Wenn aber in einem psychologischen Forum von „Wärme“ und von „Heizungen“ gesprochen wird, könnte der Dialog damit anfangen, dass genau diese Worte theoretisch reflektiert würden.
            Und der Sache nach verstehe ich auch sehr gut, dass die Therapie besser „synergisch“ als „systemisch“ wäre, weil so wie ich Haken gelesen habe, meint er, dass sich die Menschen von Fachleuten und Mehrheiten sehr stark beeinflussen lassen. Das wäre sinnvoll in der Therapie – und das ist ja wohl auch das zentrale Thema hier: Was sagt die Theorie zu den Möglichkeiten, die einem Therapeuten zur Verfügung stehen.
            (Im Bild: wieviel gesunde Wärme kann der Therapeut dem frierenden Klienten schenken).

  5. Lieber Herr Eder
    Dass Sie mit Ihrer Adventsgeschichte so vielen mitten ins Herz sprechen, müsste uns Systemiker in der Tat nachdenklich stimmen und liesse vermuten, dass unsere Gilde mehr theoretisiert als praktiziert, denn Jeder und jede wirksame und erfolgreiche Theraeut/in – sei sie nun von ihrer psychotherapeutischen Weiterbildung her systemisch, verhaltenstherapeutisch, psychodynamisch oder humanistisch orientiert – gestaltet ihren Praxisalltag mit hilfesuchenden Klienten und Patienten „bindungsbasiert“ und damit in einem „Wärmeklima“. Mag sein, dass die (Noch)- Nicht-Anerkennung der Systemischen Therapie (kassenärztlich) in Deutschland ihren Teil dazu beiträgt, dass Viele eben (noch) nicht unter diesem Label arbeiten (dürfen).

    Mit liebem Gruss aus der Schweiz
    Martin Rufer

    • Lothar Eder sagt:

      Lieber Herr Rufer,
      auch an Sie vielen Dank für Ihre Antwort!
      Ich stimme Ihnen bezüglich der „Bindungsorientierung“ sehr zu. Aber welchen Platz hat sie in der derzeitigen theoretischen Rahmung unseres Verfahrens?
      Damit herzliche Grüße in die Schweiz,
      Lothar Eder

      • Lieber Herr Eder
        Ja, mit der Frage nach der Rahmung bzw. dem Stellenwert der „Bindungsorientierung“ treffen Sie wohl ein Herzstück therapeutischer Arbeit, denn nebenbei bemerkt, auch Fortbildungsangebote unter dem Label „aus der Praxis für die Praxis“ greifen zu kurz und rauben nicht selten der Therapie die Seele…
        Mir hat in meiner inzwischen über 35jährigen Praxis mit Patienten insbesondere die Synergetik sensu Schiepek, Kriz u.a. eine Türe geöffnet, um diesen Synchronisations- /Feedbackprozess zwischen Therapeut und Klient auch theoriegeleitet zu verstehen.Wie ich in meinem Buch („Erfasse komplex, handle einfach“. Systemische Psychotherapie als Praxis der Selbstorganisation, V&R, 2.Aufl. 2013) an zahlreichen Fallbeispielen wie auch verkürzt in meinem Artikel zusammmen mit Günter Schiepek in der letzten Familiendynamik dargestellt und ausgeführt habe, lässt sich dieses Verständnis einer Theorie der Veränderung nicht an „neurophysiologischen Apparaturen“ festmachen bzw. disqualifizieren.Daran (Synergetik) orientiert sich ja u.a. auch Daniel Stern, ein „Bindungsforscher und deklarierter Analytiker! Dabei scheint mir die therapeutische Bindung (allerdings in „Abgrenzung“ zum Regelsystem der Eltern-Kind-Bindung) sozusagen die „Schmierflüssigkeit“ im therapeutischen Prozess! In der Tradition von Bowlby und Ainsworth haben ja auch die Grossmanns immer betont, dass es sich bei Ihren Arbeiten nicht um eine Bindungstheorie, sondern um empirische, nicht schulenspezifische Bindungsforschung handelt.
        Herzlichen Dank für den angestossenen Diskurs
        Martin Rufer

        • Lothar Eder sagt:

          Lieber Herr Rufer,

          Bindung als wesentlicher Aspekt des therapeutischen Geschehens, da gehe ich sehr mit Ihnen. Die Psychodynamiker haben hierzu sehr viel beigetragen und ich denke, daß sich hier ST und Psa. sehr gut treffen können, am Ende womöglich feststellen könnten, daß die Unterschiede häufig nur sprachliche sind.
          Eva Rass vergleicht übrigens (aufbauend auf Allan Schore, der die Neurowissenschaft wieder in die Psa. einzubinden versucht) die therapeutische Beziehung ausdrücklich mit der Eltern-Kind-Bindung, v.a. was die Bedeutung der Regulationsprozesse des Pat. in der therapeutischen Situation betrifft. Mir hat dies noch einmal andere Blicke auf meine Arbeit ermöglicht.
          Es bleibt also spannend, und damit danke ich auch Ihnen für diesen anregenden Austausch!
          Lothar Eder

          • Rufer Martin sagt:

            Lieber Herr Eder
            Was das Bindungskonzept der Analytiker anberifft, da möchte ich mich nicht zu stark auf die Äste raus lassen. Allerdings denke ich, dass in einem Mehrpersonensetting (Pa sowohl die Rolle und Aufgabe des Therapeuten und damit auch die allparteiliche

          • Rufer Martin sagt:

            Lieber Herr Eder
            Was das Bindungskonzept der Analytiker anberifft, da möchte ich mich nicht zu stark auf die Äste raus lassen. Allerdings denke ich, dass in einem Mehrpersonensetting sowohl die Rolle und Aufgabe des Therapeuten und damit auch die (allparteiliche) therapeutische Beziehung eine andere ist, nicht zuletzt darum, weil ja über (familiäre) Bindungen Wirkprozesse für Problemlösungen angestossen werden und diese sich nicht allein auf die Bindung Therapeut-Patient reduzieren. Gerade darin liegt m.E. ein wesentlicher Faktor für die Erklärung und auch nachgewiesene Wirkung Systemischer Therapie. Mit ein Grund, warum wir in Bern (ZSB) unser systemisches Psychotherapiecurriculum als „bindungsbasiert und methodenkombiniert“ anbieten…
            Herzlich
            Martin Rufer

  6. Schließe mich gerne den bisherigen Herzensbekundungen an. 🙂
    Ohne ins Detail zu gehen, was bestimmt Sinn machen könnte (vielleicht ja ein anderes Mal), kurz gesagt:

    Es gibt mehr als zwischen Himmel und Hölle.

    In diesem Sinne: mögen uns wenigstens die Adventskerzen wärmen 🙂

    Ihr USollmann

    • Lothar Eder sagt:

      Lieber Ulrich Sollmann, Rolf Todesco und Jürgen Wernicke,
      auch Ihnen herzlichen Dank für Ihre Resonanz; auch einige der von Ihnen genannten Gedanken regen mich an, auch wenn ich nicht auf jeden einzelnen reagieren kann.
      Ihnen allen einen guten Advent! Lothar Eder

  7. Rolf Todesco sagt:

    Lieber Herr Eder,

    sie sprechen mir mit Ihrem Text mitten ins Herz. Selten habe ich so gut formuliert gefunden, warum und inwiefern ich aufgrund meiner Systemtheorie als Autist wahrgenommen werde(n könnte). Sie helfen mir durch Ihre Darstellung (quasi therapeutisch, heilend) andere Menschen in ihrer Ablehnung der Systemtheorie viel besser zu verstehen.
    Etwas Wärme bringt mir das in die Kommunikation mit Menschen, die so grundsätzlich anders als ich denken.
    Ich habe den Text zweimal gelesen, weil ich ihn beim ersten Mal befangen als Kritik an (irgendeiner) Systemtheorie, die Maturana und Luhmann heiter zusammenzählt gelesen habe. Bei zweiten Lesen habe ich alles, was Sie zur Systemtheorie sagen einfach (wohl behavioristisch) weggelassen und so einen Text gefunden, der mir eine Gegenwelt eröffnet hat – eine Gesellschaft, in welcher Wärme denkbar oder zumindest in einem adventlichen Sinn erbetbar wäre.

  8. Jürgen Wernicke sagt:

    Lieber Herr Eder,

    sie sprechen mir aus dem Herzen, um das mir warm wird bei Ihrem Text. Sie kritisieren die Theorie und loben implizit die Praxis oder die PraktikerInnen, die sich von der noch nicht wieder in menschliche Bereich zurückgeführte Theorie nicht den Blick verstellen lassen, das Gefühl für das Wesentliche noch haben.
    Das erinnert mich aus dem Bereich der Physik an die Ablösung der klassischen durch die undurchschaubare bzw. uneinfühlbare oder kontra-inbtuitive Quantenmechanik. Die Teilchenphysik hat aus ihrem Extrem ja auch wieder zu „esoterischen“ Konstrukten geführt, weil sich eben nicht alles konsistent in einer Theorie fassen ließ.
    Ähnlich war die Entwicklung des Behaviorismus, der erstmal alles nicht „wissenschaftlich“ messbare ausblendete, bis er sich selbst ad absurdum führte und nun wieder in der Extremform nicht mehr existiert.
    Wie ist es im Gesundheitswesen, das derzeit die Überprüfbarkeit, Quantifizierbarkeit etc. mit immensem Aufwand ins Extreme treibt (angeblich um Geld zu sparen oder „gerechter“ einzusetzen). Auch hier ist fraglich, wann diese Welle wieder von ihrem Gegenteil abgelöst wird.

    Insofern vielen Dank für diesen tollen Artikel und eine schöne Vorweihnachtszeit wünscht Jürgen Wernicke.

  9. Peter Fuchs sagt:

    Lieber Herr Eder,

    ich gehöre wohl zu den unwarmen Theoretikern, die Sie vor Augen haben. Tatsächlich habe ich ja auch gesagt, dass temperierte Theorien einen Geburtsfehler haben. Aber ich will, weihnachtlich gestimmt, nicht streiten, sondern nur darauf hinweisen, dass Sie das, was Sie suchen, bei Luhmann unter dem Begriff ‚Zwischenmenschliche Interpenetration‘ finden, bei dem es um Betroffenheit, Betreffbarkeit, um die Bedeutung von Menschen für Menschen unter dem Gesichtspunkt reziproker Relevanz geht – allerdings wohltemperiert, nicht warm.

    Herzliche Grüße

    Peter Fuchs

    • Lothar Eder sagt:

      Lieber Herr Fuchs,

      vielen Dank für Ihre Meldung sozusagen direkt aus dem Herzen der Luhmannschen Systemtheorie! In meiner Monografie zur „Systemischen Psychosomatik“ (Eder 2007) habe ich Luhmanns Ansatz, soweit ich ihn begriffen habe, als wesentlichen metatheoretischen Rahmen gewählt und kritisch diskutiert. Der Begriff der wechselseitigen Interpenetration schien mir schon da nicht recht tauglich um das Leib-Seele-Problem hinreichend zu erfassen. Mittlerweile finde ich Freuds Affekttheorie für die Erklärung psychosomatischer Zusammenhänge am besten geeignet, auch und gerade für Gespräche mit Patienten. Beim Begriff der „Wohltemperiertheit“, der ja eine Kontextabhängigkeit markiert, bin ich ganz bei Ihnen; Bier und Schnaps sollten angenehm gekühlt sein, klinisch-therapeutische Theorien sollten Körpertemperatur haben. Aber jetzt fange ich schon wieder an zu streiten und deshalb höre ich gleich wieder damit auf. Ein andermal von meiner Seite aus gerne!
      Fürs erste wünsche ich Ihnen eine Frohe, herzerwärmende Weihnacht und Alles Gute für 2015!
      Lothar Eder

    • Ich denke, es geht nicht um warme oder unwarme THEORIEN. Sondern darum, ob die Geschichten, die mit einer Theorie (unvermeidlich, auch implizit) erzählt werden, den Hörer / die Hörerin wärmen können oder nicht. Und „wärmen“ heißt doch wohl: KÖRPERLICH wärmen. Wärme als Bedingung für Mitgefühl. Die Biologie kann da nicht außen vor bleiben.

      • „Seit ich denken kann, sagt meine Mutter: Kälte ist schlimmer als Hunger. Oder: Wind ist kälter als Schnee. Oder: Eine warme Kartoffel ist ein warmes Bett.
        Von meiner Kindheit bis heute, seit über fünfzig Jahren, hat meine Mutter diese Sätze um kein Wort geändert. Sie werden immer einzeln gesagt, weil jeder dieser Sätze für sich genommen fünf Jahre Arbeitslager enthält.“
        Herta Müller

      • …Um das noch zu konkretisieren: Theorien, selbstverständlich auch System-Theorien, beziehen ihre Kohärenz letztlich aus einer Erzählung, die sich um die Frage dreht: Wer sind wir? Was heißt es, Mensch zu sein?

  10. Lieber Lothar Eder, lassen sie sich für diesen Beitrag von mir warm und mit 3 tiefen Atemzügen in den Arm nehmen. Endlich!
    Aus meinem kühlen WEB können sie entnehmen, dass ich sowohl vom Herzen Systemikerin als auch Tiefenpsychologin und Analytikerin bin. In meiner jahrelangen Ausbildung fehlte mir die Wärme, während ich noch versuchte, die Theorie zu verstehen und meine Wahrnehmung schulte, schulte sich die Intuition nur am Rande und wurde leise gelobt und dann am Rand belassen. Das Abstinentgebot mag Sinn machen, vor allem, wenn man Projektionsfläche sein möchte. Ich erlebe, wie ich mich auch von den Systemikern zurückziehe, die doch noch vor wenigen Jahren auch Geschichten erzählten von den kleinen Leuten aus Swabedooda, die sich Pelzchen schenkten sooft sie sich sahen, um sich zu zeigen, dass sie sich lieb hatten.

    Ich schenke allen, die ich nicht persönlich treffe sooft ich kann, hiermit ein Pelzchen. Geht alle Kizomba tanzen, wärmt euch nicht nur virtuell.

    Katrin Richter

    • Lothar Eder sagt:

      Liebe Katrin Richter,
      danke für Ihre herzliche Antwort! Mich wundert schon länger, daß sich die psychodynamisch verorteten Systemiker/innen nicht mehr zu Wort melden. Die wechselseitige Anschlußfähigkeit beider „Schulen“ wäre aus meiner Sicht eine spannende Sache.
      herzliche Grüße, Lothar Eder

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