„Funktionale Differenzierung produziert ( ) genau jenen Widerspruch, auf dessen Hintergrund nichtintendierte Handlungsfolgen politisiert werden können. Unter funktionaler Differenzierung versteht man klassisch ein gesellschaftliches Differenzierungsprinzip, das besondere Mechanismen der Vergesellschaftung von Individuen etabliert. Inklusion, also die Einbeziehung von Individuen in gesellschaftliche Zusammenhänge etwa über soziale Rollen, wird in funktional differenzierten Gesellschaften durch Funktionssysteme organisiert. Der Wohlfahrtsstaat lässt sich in diesem Zusammenhang als Institution auffassen, die versucht, ein gewisses Maß an Inklusion dauerhaft abzusichern. Zugleich aber behalten die Funktionssysteme ihre Autonomie insofern, als sie jeweils eigene Kriterien für Inklusion und Exklusion, d.h. für soziale Berücksichtigung und Ausgrenzung entwickeln. Eine solche funktionssystemspezifische Steuerung von Inklusion und Exklusion hat zwei Folgen: Auf der einen Seite generiert sie das Postulat eines Inklusionsuniversalismus, weil niemand mehr aufgrund seiner Lebenslage und seines sozialen Status ausgeschlossen werden sollte. Insofern zielt funktionale Differenzierung ihrem Prinzip nach auf Allinklusion ( ). Damit einher gehen relativ anspruchsvolle, legitime Erwartungen, an gesellschaftlichen Leistungen teilhaben zu können. Zugleich entwickeln sich egalitäre Gerechtigkeitsvorstellungen, die davon ausgehen, dass bei der Inklusion in Funktionssysteme alle Gesellschaftsmitglieder gleiche Chancen haben sollten. Auf der anderen Seite entsteht gerade dadurch, dass Inklusion auf autonome Teilsysteme übergeht, systembedingter Ausschluss. Funktionale Differenzierung verstärkt in diesem Sinne das Problem sozialer Ungleichheit und sozialer Ausgrenzung. Wir haben es also mit einer gleichzeitigen Universalisierung und Spezialisierung von Inklusion zu tun. Der paradoxe Effekt dieses Widerspruchs ist Exklusion aufgrund (der systemspezifischen Steuerung) von Inklusion. Die Enttäuschung, die von diesem Effekt ausgeht, bildet den Bodensatz für die Entstehung von Konflikten. Allerdings hat die Differenzierungstheorie und insbesondere die Systemtheorie genau diesen Zusammenhang zwischen sozialer Exklusion und sozialem Konflikt nicht nur weitgehend ignoriert, sie ist auch konzeptionell aufgrund eines sehr engen Exklusionsbegriffs nicht ohne weiteres in der Lage, die Frage nach der Konfliktträchtigkeit sozialer Exklusion zu beantworten“ (In: Exklusion als Macht. Zu den Bedingungen der Konfliktträchtigkeit sozialer Ausgrenzung. In: Journal für Konflikt- und Gewaltforschung 7 (2005), Heft 2, S. 41-67.)
Zitat des Tages: Thorsten Bonacker
21. Dezember 2009 | 2 Kommentare
Lieber Herr Göbel,
wie kann Ihnen denn endlich zur längst fälligen Professorenstelle verholfen werden?
Wie die hierarchische Macht-Ordnung (Status Prof.) im deutschen Bildungssystem – die gesellschaftliche Produktion von Unbewusstheit – die von diesen Personen absurde funktionale Differenzierung, als die per Titel _richtige_ garantiert:
Allerdings hat die Differenzierungstheorie und insbesondere die Systemtheorie genau diesen Zusammenhang zwischen sozialer Exklusion und sozialem Konflikt ( ) weitgehend ignoriert schreibt der Prof. …
Welche System-Theorie ignoriert denn funktional strukturierte Gesellschafts-Systeme, in denen es aufgrund funktioneller mit Macht unterstützter (Gewaltmonopol des sogen. Staates) Hierarchieformen zu Konflikten kommt, wenn sie zunächst genau dieses Thema theoretisch aufgreifen will *!?* um dann zu versuchen, auf die so aufgeworfenen Fragestellungen plausible, der jeweiligen gesellschaftlichen Realität angemessene, Antworten zu finden, im Sinne von systemischer Konfliktminderung.
Als Beamte des Staates neigen Profs wohl systembedingt zu staatstragender „freier“ Forschung und Lehre, also auch frei von dem Risiko jemals darin in die „Exklusion“ zu geraten ?! … wenn nur IHRE Theorien dazu passen (primär monetäre feste Koppelung mit Arbeitsplatzgarantie).
Denn funktionale Differenzierung kann, anders als die Selbstbeschreibung der Systeme es behauptet, die postulierte Vollinklusion nicht realisieren. *Einschub*: _mit anderen Worten, es muss dabei zwangsläufig zu Konflikten kommen_ Funktionssysteme schließen, wenn sie rational operieren, Personen aus oder marginalisieren sie so stark, dass dies Konsequenzen hat für den Zugang zu anderen Funktionssystemen. (in _Jenseits von Barbarei_ – Niklas Luhmann)