Wann ist ein Gespräch ein Gespräch? Und wie zeigt sich, ob es sich dabei um mehr handelt als um eine Wechselrede, ein Hin und Her von Worten? In Zeiten, in denen Talk und Show zusammengehören wie Beliebig & Keit oder Unter & Haltung, sind solche Fragen vielleicht etwas seltsam. Mag sein. Vor kurzem nun stieß ich auf eine Sammlung von Interviews und Gesprächen mit Karl Jaspers. In dieser Sammlung befindet sich unter anderem ein Gespräch zwischen ihm und dem Journalisten Thilo Koch. Es fand im Mai 1960 statt. Während Koch immer wieder darauf zu drängen scheint, dass Jaspers eine richtungsweisende Stellung beziehe, nähert sich Jaspers den jeweiligen Themen mit einem weiten Blick und einer Art neugierig-strenger Demut. Vieles kommt zur Sprache, Freiheit etwa, Würde des Menschen, Philosophie und Meditation, Ideenwelt und Handlungswirklichkeit. Als Zitat möchte ich jedoch den Schluss dieses Gesprächs anführen, in dem mir die Essenz, der lebende Kern dessen, was ein Gespräch ist, in Worten gesagt zu werden scheint. Das wirkt wohl fremd heutzutage, diese Wortwahl, dieser Duktus, dieser lange Atem, doch iFeel dass diese iWords sich lohnen, zur iKenntnis genommen zu werden:
Koch:„[…] Es war in meinen Fragen ja anscheinend immer sehr stark der Wunsch zu spüren, und das wird mir im Augenblick erst klar, von Ihnen ein Dogma zu hören, obwohl ich in dem Wunsch kam, von den Dogmen mich zu befreien. Ich wollte von Ihnen auch eine Art Rezept. Was Sie aber geben wollen und können, wenn ich es jetzt zusammenfassen müßte, wäre wohl, eine Denkungsart zu erwecken, zu erziehen, die in einer ganz speziellen menschlichen Situation diesen einzelnen befähigt, Entscheidungen zu treffen, die durch kein Dogma vorherbestimmt werden können oder beeinflußt werden sollten, sondern die aus dieser Denkungsart dann allein möglich werden. Habe ich das einigermaßen richtig ausgedrückt?“
Jaspers:„Ich glaube ja, Herr Koch. Sie haben, glaube ich, verstanden, in welche Richtung ich möchte, soweit ich es selber verstehe. Mir scheint, das Gespräch bezeugt die Möglichkeit, sich berühren zu können in solchen Dingen, die sich nicht wie Steine auf den Tisch legen lassen, so daß man sie greifen kann, sondern die ungreifbar sind, unsichtbar, in gewissem Sinn unfaßlich. Das Gespräch hat mir darum wohlgetan. Ich danke Ihnen“ [In: Offener Horizont. Ein Gespräch mit Thilo Koch (Sendung des NDR am 31.5.1960). In: Karl Jaspers (1969) Provokationen. Gespräche und Interviews (hgg. von Hans Saner). München: R. Piper (Zitat S. 61f.).]
Zitat des Tages: Thilo Koch im Gespräch mit Karl Jaspers
5. März 2011 | Keine Kommentare