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Online-Journal für systemische Entwicklungen

Zitat des Tages: Heinz Kersting

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„Für Luhmann verstand es sich von selbst, dass er sich als Soziologe nicht bevorzugt mit Affekten beschäftigte. Das entspricht der alteuropäischen Arbeitsteilung zwischen der Soziologie und der Psychologie, in der sich die Soziologie als die Beobachterin der Gesellschaft betätigen soll und der Psychologie die Beobachtung psychischer Prozesse zugewiesen wird. Da das vordringliche Interesse des Soziologen Luhmann der Beobachtung von sozialen Systemen galt, wurden von ihm die Affekte und individuellen Motivationen der Mitglieder von sozialen Systemen unter den Bedingungen der Umwelt von sozialen Systemen abgehandelt. Wie weit Luhmanns Ansatz als brauchbares Paradigma auf supervisorische Prozesse übertragen werden kann, ist unter den VertreterInnen der systemischen Supervision noch nicht ganz ausdiskutiert. Luhmann selbst macht in bezug auf die Praxis der „Systemtherapie“ auf Probleme aufmerksam, die mit der allzu einfachen Adaptierung der Allgemeinen Systemtheorie einhergehen, die ja eben nicht für die Beobachtung von Beratungssystemen wie der Therapie oder der Supervision entwickelt wurde, sondern für die Beobachtung der Gesellschaft. Halten wir fest: Wenn systemische Therapeuten (…) oder systemische Supervisoren (…) sich allzu einseitig an die Allgemeine Systemtheorie des Niklas Luhmann angeschlossen haben, dann bleibt für die Beobachtung von Emotionen wenig Platz und diese Beobachtung wird sehr schnell vernachlässigt oder abgedunkelt, wie die Differenztheorie von George Spencer-Brown es weniger wertend nennt. Gelingt aber diese Abdunkelung, kann man in der Tat einen Widerspruch zwischen Systemischer Supervision und Emotion konstruieren. Im Brennpunkt steht dann vorzüglich die Beobachtung der Beobachter, die Beschreibungen einer Vielzahl von Perspektiven, die Beobachtung von unterschiedlichen Aussagen, Begründungen, Bewertungen, die Beobachtung der Selbstorganisation des Systems und seiner Zirkularität, dazu die Kommunikationsmuster des Systems und die angestrebte Lösungsorientierung. Das sind alles Termini, die Kognition konnotieren, die Systemrelationen beschreiben und nicht Personen mit ihren Affekten, Emotionen und Gefühlen“ (In: Systemische Supervision und Emotion – ein Widerspruch? in: Heinz J. Kersting, Heidi-Neumann-Wirsig (Hrsg.) Supervision intelligenter Systeme. Supervision, Coaching, Organisationsberatung. Aachen 2004).

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