Kann Coaching „zu Hause“ sein? Auf den ersten Blick irritiert der Titel dieses Buches, das Karin Martens-Schmid über „Beratungsräume und ihre Gestaltung im kulturell-gesellschaftlichen Kontext“ im Springer-Verlag veröffentlicht hat. Das „zu Hause-Sein” verbindet man ja zunächst einmal mit Vorstellungen von Wohnlichkeit und sich-heimisch-fühlen – und nicht mit Arbeit. Coaching als Format professioneller Beratung würde man daher schon eher dem Arbeitsraum einer Beratungspraxis zuordnen: „wo Coaching arbeitet“. In ihrer Einleitung macht die Autorin jedoch schon deutlich, dass Coaching aus gutem Grund nur in Ausnahmefällen in Besprechungsräumen von Unternehmen oder Hotels stattfindet, vorzugsweise aber in den – meist mit Liebe und Bedacht ausgestalteten – Räumlichkeiten der Coaches, die auf diese Weise gewissermaßen inszenieren, was Coaching sein soll, nämlich „eine zeitlich begrenzte professionelle Begegnung, die eine persönliche Beziehung zwischen Menschen auf Zeit ist. Damit sind sie – ähnlich der Therapie – auch intime, vertrauliche Orte” (S. 8).
Der Balance zwischen Intimität und Sachlichkeit, Beziehung und Arbeitsfokus, persönlicher Atmosphäre und Konzentration auf Inhalte, die sich in der Wahl von Räumlichkeiten, ihrer Möblierung und dem Einsatz von Accessoires zum Ausdruck bringt, gilt das Interesse von Martens-Schmid, die als Senior Coach und aktuell Mitglied des Sachverständigenrates des Deutschen Bundesverbandes Coaching (DBVC) über jahrelange Erfahrung als Coach verfügt. Dem systemischen Feld ist sie über ihre Vorstandstätigkeit in der Systemischen Gesellschaft und als Sprecherin des SG-Coaching-Ausschusses bekannt sowie über Publikationen u.a. zum Thema Coaching. Das vorliegende Buch ist das Ergebnis eines Projektes, das sie lange schon im Sinn hatte, aber zu bis zu seiner Realisierung eine Weile lang reifen musste.
Die Grundidee liegt darin, der Leserschaft einen Zugang zur Praxis des Coaching über ihren räumlichen Kontext und das damit verbundene persönlich-professionelle Profil von Vertretern des Fachs zu eröffnen – keine leichte Übung, da es galt, Coaches dafür zu gewinnen, die Türe zu ihren Praxisräumen zu öffnen und einen Einblick in ihren persönlichen Arbeitsplatz zu gewähren. 16 Coaches waren bereit, Auskunft über sich selbst zu geben. Dabei herausgekommen ist ein Bildband in Zusammenarbeit mit dem Fotografen Olaf Pascheit, der mit seinen Fotografien den Text auf kongeniale Weise visualisiert hat. Ergebnis ist ein äußerst originelles Werk, das am ehesten noch mit dem Buch der Autorin und Fotografin Claudia Guderian über „Raum und Setting in der Psychoanalyse“ (Magie der Couch, Kohlhammer 2004) vergleichbar ist, in denen diese die Couch-Settings in den Behandlungszimmern von Psychoanalytikern fotografiert und mit den diesen über ihre Einrichtungskonzepte gesprochen hat.
Das vorliegende Buch besteht aus drei Teilen. Der erste Teil umfasst sogenannte „Bilderzählungen“, die einen Einblick in die Vielfalt der Möglichkeiten bieten, Coachingräume zu gestalten. Groß- und kleinformatige Fotografien vermitteln die Atmosphäre der Räume, indem sie dem Betrachter Lichtverhältnisse, Arbeitsmöbel, Sitzgelegenheiten und Arrangements von allen möglichen Gegenständen zeigen. Die Bilderzählungen bestehen aus Auszügen der ausführlichen Interviews, die Karin Martens-Schmid mit den PraxisinhaberInnen geführt hat und in denen die Coaches über sich selbst, ihre Arbeitsauffassung und ihre ästhetischen Entscheidungen und Präferenzen Auskunft geben. Dabei sind schöne Porträts entstanden, die deutlich machen, wie Konzepte, Selbstbild und Raumästhetik ineinandergreifen und sich miteinander verschränken.
Jede Bilderzählung folgt dabei der gleichen Struktur. Zunächst werden die Gedanken wiedergegeben, die sich die interviewten Coaches über ihre Begegnungsarrangements gemacht haben, also zum Beispiel Ausstattungsentscheidungen oder Anordnungen des Mobiliars. Dann folgen Beschreibungen der „Atmosphäre und emotional-mentalen Qualitäten”, die sie mit den eigenen Räumlichkeiten in Verbindung bringen, gefolgt von Aussagen, die die Beschreibung des Raumkonzeptes mit Statements zur eigenen Person verbinden. Schließlich erfolgt noch eine Einordnung in den umgebenden großräumigen Kontext (Stadtteil, Erreichbarkeit etc.).
Auf diese Weise alphabetisch porträtiert werden hier Felix Arnet (Wiesbaden), Elke Berninger-Schäfer (Karlsruhe), Angelika Dibbern (Köln), Kurt Elsässer (Frankfurt/Main), Ralf Gasche (Hennef), Hartmut Kreyer (Bad Honnef), Matthias Lauterbach, (Hannover), Marga Löwer-Hirsch (Düsseldorf), Christina Rother (Bremen), Bernd Schmid (Wiesloch), Christoph Schmidt-Lellek (Frankfurt/Main), Astrid Schreyögg (Berlin), Kordula Schulte (Hattingen), Cornelia Seewald (Düsseldorf), Petra Sontheimer (Köln), Rita und Dirk Strackbein (Wuppertal) und Ulrike Wolff (Berlin), insgesamt eine interessante Riege aus prominenten und weniger bekannten Coaches.
Das zweite Kapitel über den „dialogischen Raum im Coaching” zeigt überzeugend, dass die im ersten Teil präsentierten individuellen Arbeitsräume „ungeachtet ihrer Vielfalt von wiederkehrenden Elementen bestimmt [sind], die den dialogischen Raum der Begegnung zwischen Coach und Klient ausmachen. Im Zentrum befinden sich die Sitze, begleitet von Tischen. Das Begegnungsarrangement ist gerahmt von Kunst und Dekoration und belebt von Elementen des Naturbezugs, Werkzeuge begleiten es. Umgeben wird der dialogische Raum von Elementen des Lichts” (150).
Diesen konstituierenden Elementen des Coachingraumes widmet Karin Martens-Schmid jeweils eigene, schön illustrierte und soziologisch wie kulturtheoretisch fundierte Unterkapitel, die verdeutlichen, wie die Ausgestaltung von Arbeitsräumen den Mustern eines überindividuellen professionellen Habitus folgt, also keinesfalls als Ausdruck von reiner Individualität verstanden werden kann. Das gilt besonders für den Einsatz von Kunstwerken: „Kunst verspricht Einmaligkeit. Im traditionellen Verständnis zeichnen sich Kunstwerke gerade durch ihre ästhetische Funktion aus, besitzen keinen Gebrauchswert. Gegenüber dekorativen Einrichtungsgegenständen oder gar Nippes werden sie als höherwertig angesehen. Im Coachingraum wird jedoch Kunst – und wo sie vorkommt, auch die ‚hohe‘ – notwendigerweise zusammen mit anderen dekorativen Elementen den Zwecken der Begegnungssituation unterworfen. Beide, Kunst und Dekoration, sind emotionale Projektionsfläche für das Befinden des Klienten, inhaltliche Projektionsfläche für die Themen des Klienten, wahrnehmbarer Teil der Individualität des Coach, Einladung zu einer bestimmten Atmosphäre. (…) Als solche sind sie immer auch habitualisierte Klassenpositionen im Sinne Bourdieus (…), zeigen Geschmacksdifferenzen und Milieuzugehörigkeit” (169).
Und weiter: „Die Präsentation dekorativer Objekte im Raum macht sie als ausgewählte für einen bestimmten Ort, diesen einen Coachingraum, zu etwas auch über einen möglichen Gebrauchswert hinaus Besonderem. Sie werden aufgeladen mit einem Mehrwert an Bedeutung auf ganz verschiedenen Ebenen: Sie dienen uns, den Coaches, als Vergegenständlichungen unseres Geschmacks, unseres Lebensstils und unserer Lebensgeschichte. Darin stärken und rahmen sie uns als Personen in unseren professionellen Identitäten. Zugleich wirken sie nach außen als ‚Indizien‘ dieser Person und Markierungen unseres persönlichen und professionellen Status” (174).
Die Untersuchung der einzelnen Gestaltungselemente und -dimensionen fasst Martens-Schmid dann in einem Abschnitt über „gestalterische und konzeptuelle Spannungsfelder” zusammen, die als „gesellschaftlich-kulturelle Praktiken im Kontext ihrer professionellen Tätigkeit beschreibbar sind. Sie verweisen auf mögliche implizite Konzeptualisierungen des Formats Coaching auf räumlicher Ebene. Das Mobiliar, seine Anordnungen und Materialien, Dekor oder Werkzeuge, Arrangements von Pflanzen oder Licht, – all dies ist neben seiner Gebrauchsfunktion in seiner Ausprägung auch ein Angebot für bestimmte affektiv-kognitive Erlebnisqualitäten, die in der Begegnungssituation zwischen Coach und Klient als für dieses Beratungsformat passend unterstellt werden können” (200). In Anklang an die praxistheoretischen Arbeiten von Andreas Reckwitz sollen Spannungsfelder „als begrifflich gefasste Dimensionen gesellschaftlich-kultureller Praktiken des ‚Coach Seins‘ verstanden werden. Solche Praktiken können sowohl ikonisch, materiell und diskursiv realisiert werden und stellen sich im Vollzug immer wieder neu her: Eine ,Praktik ist weder nur Verhalten, noch nur Wissen, sondern ein geregeltes Verhalten, das ein spezifisches Wissen enthält’ (Reckwitz 2012, 37)“ (ebd.).
Konkret lassen sich in allen präsentierten Räumlichkeiten die Spannungsfelder „Wohlfühlatmosphäre und Businessatmosphäre”, „Funktionalität und Individualität”, „Zweckfreiheit/Muße und Aufgaben-/Ergebnisorientierung”, „Entschleunigung/Ruhe und Bewegung/neue Perspektiven” sowie „Businesswelt und therapeutische Welt” in einer je individuell gestalteten Form wieder finden.
Das Spannende am Coaching ist für die Autorin die doppelte Perspektive, das System der Person und das der Organisation gleichzeitig im Blick und „online” zu haben. Ihre klugen Überlegungen zum Coaching und seiner räumlichen Inszenierung beschließt sie am Schluss des Bandes folgendermaßen: „Das Beratungsformat Coaching positioniert sich auf diesem Hintergrund genau an der Nahtstelle zwischen dem gesellschaftlichen Auftrag, Menschen mit Steuerungsfunktionen in ihrem beruflichen Feld für die neuen Arbeitswelten fit zu machen, andererseits – und gerade deshalb – Anliegen individueller persönlicher Entwicklung und Selbstsorge zu befördern. Die im Coaching methodisch gegebene und zugleich vermiedene Nähe zum Therapeutischen hat hier ihren Sinn. Wie das von Reckwitz beschriebene ‚hybride Subjekt‘ der Moderne ist Coaching als Beratungsformat selbst ein Hybrid. In ihm verbinden sich verschiedene Rollen und Kompetenzen eines Coach aus unterschiedlichen fachlichen Welten und unterschiedliche Praktiken der unterstützten Selbstentwicklung. Im Besonderen transformiert das Handeln des Coach den therapeutischen Habitus in die Arbeitswelt. Im scheinbar paradoxen Spannungsfeld zwischen individueller Selbstsorge und gesellschaftlichen Zwecken kann Coaching auf diese Weise wirksam werden” (224).
Wie der Band zeigt, lassen sich diese Spannungsfelder nicht nur in der inhaltlichen Rekonstruktion von Coaching-Prozessen, sondern auch bis in die Ausstattungs-Details von Praxisräumen hinein aufzeigen. Ich möchte der Leserschaft ein ganz außerordentliches Buch empfehlen, das sowohl die Sinne anspricht als auch zum Nachdenken anregt, sich nicht nur mit der Ästhetik seines Gegenstandes auseinandersetzt, sondern dies auch auf eine durch und durch ästhetische Weise tut – keine Überraschung für diejenigen, die die Autorin kennen. Wer das Buch gelesen hat, bekommt wie nebenbei einen neuen Blick sowohl für die eigenen Räumlichkeiten als auch die von KollegInnen, gewinnt einiges an neuen Erkenntnissen – und wird zudem auf angenehme Art und Weise unterhalten. Was will man mehr?
Zu hoffen bleibt, dass das Buch in der Masse der vom Springer-Verlag herausgebrachten Bücher nicht untergeht und ihm die wohlwollende Aufmerksamkeit zuteil wird, die ihm zusteht. Wobei wir beim einzigen Wermutstropfen angelangt wären: Die aktuelle Coaching-Reihe bei Springer, in der das Buch erscheint, bietet schon alleine aufgrund des relativ kleinen Formates, das gerade die kleineren Fotos der Details (zumal bei einem Zwei-Spalten-Satz) nicht besonders gut zur Geltung kommen lässt, nicht den optimalen Rahmen für einen solchen Band. Auch wenn Papier und Layout sich von den anderen Bänden dieser Reihe unterscheiden, wäre dem Band ein fester Einband und ein größeres Format für einen – immerhin auch – Bildband wie diesen zu wünschen gewesen. Für die meisten LeserInnen besteht der Genuss am Buch unter anderem in der Haptik des Leseerlebnisses: halten, fühlen, blättern, genießen. Hier möchte ich eine Lanze für die Digitalversion brechen, auch wenn die Haptik dabei verloren geht: auf einem (möglichst großen) Tablet erschließt sich nicht nur die inhaltliche Brillanz, sondern auch die Schönheit des Bandes erst in vollem Umfang.
Karin Martens-Schmid (2016): Wo Coaching zu Hause ist. Beratungsräume und ihre Gestaltung im kulturell-gesellschaftlichen Kontext mit Fotografien von Olaf Pascheit. Wiesbaden (Springer Fachmedien)
219 S., 305 Abb., Softcover
ISBN 978-3-531-19000-6
Preis: 29,99 €
Verlagsinformation:
Geschäftsräume von Coaches standen bisher als selbstverständliche Gegebenheiten nicht im Fokus des professionellen Diskurses im Coaching. Räume, die ihnen eigenen Dinge, die darin zum Ausdruck kommenden Gestaltungspraktiken erzählen jedoch etwas über die Funktionen des Raumes und das Selbstverständnis ihrer Nutzer. So verweisen auch Coachingräume in ihrer Gestaltung auf das, was Coaches für die Praxis des beraterischen Dialogs als passend erleben. Zugleich spiegeln sich in ihrer Ausgestaltung professionelle und gesellschaftliche Entwicklungsprozesse des Beratungsformats selbst. Diesen Zusammenhängen wird hier ausgehend von der bildnerischen Darstellung von 16+1 Coachingräumen nachgegangen. Ein solcher Zugang kann zur Verständigung der Profession über sich selbst beitragen und Entwicklungsperspektiven von Coaching deutlich machen. Ebenso kann er den Blick schärfen für Entscheidungen der Ausgestaltung eigener Räume und für die kulturellen Kontexte, in denen Gestaltungselemente und Gestaltungspraktiken stehen.
Über die Autorin:
Dr. Karin Martens-Schmid ist freiberuflich als Coach, Supervisorin und Organisationsberaterin sowie in der Weiterbildung von Coaches tätig.