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Wissenschaft ist Macht

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Viele Systemische Therapeuten erinnern sich noch an das jahrelange Hin und Her im Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie, als es um die berufsrechtliche Anerkennung der Systemischen Therapie als „wissenschaftlich fundiertes Verfahren“ ging. Der erste Antrag der systemischen Fachverbände auf Anerkennung, der sein eigenes wissenschaftliches Selbstverständnis ausführlich darlegte und begründete, wurde abgewiesen, weil er nicht mit den Wissenschaftsvorstellungen der Mehrheit der Beiratsangehörigen zusammenpasste.  Die wissenschaftstheoretischen und erkenntnistheoretischen Grundlagen des systemischen Ansatzes stellen in der Tat ein nomothetisches und objektivistisches Wissenschaftsverständnis in Frage, das der Beirat pflegt und das gerade in der gegenwärtigen Psychotherapieforschung dominant ist. Dass es hier nicht um Wahrheits- oder Erkenntnis-, sondern um Machtfragen (und damit verbundenen Interessen) geht, ist in den vergangenen 20 Jahren sehr deutlich geworden. Die Anerkennung der Systemischen Therapie als „wissenschaftlich fundiertes Verfahren“, die dann 2008 erteilt wurde, ist mit einer Unterwerfung unter das Wissenschafts- und Forschungsparadigma des psychotherapeutischen Mainstreams erkauft worden – auf die Darstellung eines systemisch-konstruktivistischen Wissenschaftsverständnis ist aus strategischen Gründen verzichtet worden.

Der „Humanistischen Psychotherapie“ ist es als eigenständiges Verfahren in diesen Auseinandersetzungen ähnlich ergangen – nur dass ihr die Anerkennung bis heute verweigert wird. Jürgen Kriz, der als Mitglied des Beirates entscheidenden Anteil an der Anerkennung der Systemischen Therapie hatte und sich seit Jahren aktiv für die Anerkennung der Humanistischen Therapie einsetzt, macht in seinem Text über die vor kurzem erfolgte Ablehnung durch den Wissenschaftlichen Beirat deutlich, dass dieser selbst seine eigenen Kriterien zur Beurteilung von Wissenschaftlichkeit aussetzt, wenn sie den Interessen zuwiderläuft. Das ist nicht wirklich überraschend, aber in einem Kontext, in dem der Begriff der Wissenschaftlichkeit ja immerhin noch eine gewisse gesellschaftliche Reputation aufweist, einfach nur beschämend.

Jürgen Kriz, Osnabrück: Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie – Bewertung tendenziös und voller Mängel

Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie (WBP) hat nach 6-jährigen Beratungen sein Gutachten veröffentlicht, wonach er „Humanistische Psychotherapie“ nicht als „wissenschaftlich anerkanntes Psychotherapieverfahren“ ansieht. Er meint, sie könne daher nicht „als Verfahren für die vertiefte Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten empfohlen werden.“

Diese Bewertungen sind in hohem Maße sachwidrig. Die „Arbeitsgemeinschaft Humanistische Psychotherapie“ (AGHPT) hatte in ihrem Antrag über 300 Wirkstudien vorgelegt, die ganz überwiegend in internationalen wissenschaftlichen Zeitschriften mit wissenschaftlichen Gutachtern publiziert worden waren. Von diesen hat der WBP letztlich nur 29 als Wirksamkeitsnachweise nach seinen aktuellen Kriterien anerkannt. Abgelehnt wurden u.a. selbst Studien, welche der Habilitation an einer deutschen medizinischen Fakultät zugrunde lagen, oder eine solche, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert, in der renommierten Zeitschrift Psychotherapy and Psychosomatics veröffentlicht und von den Juroren der Society of Psychotherapy Research mit dem internationalen Forschungspreis der SPR ausgezeichnet worden war.

Jürgen Kriz

Jürgen Kriz

Bereits zur „vorläufigen Studienbewertung“ des WBP (11.9.2017)[i] hatte die AGHPT bei 24 Studien die Bewertung des WBP beanstandet  (16.10.2017)[ii] Die von der AGHPT aufgezeigten Fehler und Mängel in den WBP-Bewertungen führten aber lediglich bei einer einzigen Studie zur Berücksichtigung als Wirksamkeitsbeleg – alle anderen Beanstandungen wurden faktisch ignoriert.

Die umfangreiche Mängelliste an den WBP-Bewertungen kann hier aus Platzgründen nicht referiert werden (siehe Fußnote 2). Dennoch exemplarisch zwei Beispiele:

So hat der WBP eine Studie von Ascher mit der Begründung abgelehnt, dies sei keine Hu-manistische Therapie, sondern Verhaltenstherapie. Die AGHPT nahm daraufhin Kontakt mit dem Autor in den USA auf und legte dem WBP eine schriftliche Bestätigung von Ascher vor, dass er als Ehrenmitglied der Wiener Gesellschaft für Existenzanalyse die Vorgehensweise in dieser Studie persönlich mit Viktor Frankl abgesprochen habe und dass als Interventionen in dieser Studie Frankls Technik der „paradoxen Intention“ angewendet worden sei. Gleichwohl hielt der WBP an seiner Sicht fest, in der Studie handle es sich um Verhaltenstherapie. Der WBP  ignorierte damit nicht nur das Urteil der Fachvertreter, sondern meinte, besser als der Autor selbst beurteilen zu können, was dieser in seiner Studie untersucht hat.

Dieses Beispiel, wie im WBP-Verfahren „alternative Fakten“ zu Ungunsten der HPT erzeugt wurden, verstößt gegen alle Regeln der Wissenschaft.

Als zweites Beispiel für den tendenziösen Umgang des WBP mit Fakten sei hier der unerklärliche und unkommentierte „Gesinnungswandel“ im WBP selbst angeführt: Im Verfahren zur Bewertung der wissenschaftlichen Anerkanntheit der „Gesprächspsychotherapie“ hatte der WBP 2002 immerhin 32 Wirksamkeitsstudien anerkannt. Der Antrag der AGHPT von 2012 enthielt davon immerhin (wegen unterschiedlicher Zuordnungen) 27 Studien.

26 der 27 dieser vom WBP als Wirksamkeitsbelege anerkannten Studien wurden nun vom aktuellen WBP abgelehnt.

Die AGHPT hat diesen mit wissenschaftlichen Gründen nicht legitimierbaren Gesinnungswandel des WBP mit differenzierten Argumenten beanstandet (siehe Fußnote 2). Auch hierauf ist der WBP in seinem Gutachten mit keinem Wort eingegangen. Ein so extremer, einseitig zum Nachteil des Bewerteten vorgenommener Gesinnungswandel hat aber mit seriöser Begutachtung – geschweige denn mit wissenschaftlichem Vorgehen – nichts gemeinsam. Es ist eher ein „Hase-und-Igel-Spiel“: Egal wie viele weitere Wirkstudien noch vorgelegt werden, man kann immer wieder neue „Kriterien“ ersinnen, mit denen sich selbst bereits wissenschaftlich anerkannte Studien nun ablehnen lassen.

Trotz dieser Dezimierung auf 29 „anerkannte“ Studien hätte es für die „Anerkennung“ nach den WBP-Kriterien ausgereicht, wenn lediglich eine einzige (!) weitere Studie im Bereich „Angst“ nicht abgelehnt worden wäre – Beispielsweise aus den 9 (!) von der AGHPT als fälschlich abgelehnten Angst-Studien die o.a. Ascher-Studie.

Diese somit hauchdünn erreichte Ablehnung wurde allerdings noch mit einer weiteren merk-würdigen Operation des WBP untermauert: Antragswidrig zerlegte er die Humanistische Psychotherapie in einzelne Ansätze. Dies nahm er als Grundlage dafür, dann die Fülle an Wirk-samkeitsstudien ebenfalls zu zerlegen und jedem Ansatz getrennt zuzuordnen. So konnte der WBP selbst für die Gesprächspsychotherapie, die bereits seit 2002 vom WBP als „wissenschaftliche anerkannt“ gilt,  behaupten, dass diese nicht die aktuellen WBP-Kriterien erfülle (wieder hätte hier eine einzige weitere nicht aberkannte Angststudie dieses „Ergebnis“ umgedreht).

Auch hier setzt sich der WBP über konstatierte Regeln der wissenschaftlichen Begutachtung von Verfahren hinweg. Denn noch am 15.1.2006 hatten die beiden Vorsitzenden des WBP für die erste Amtsperiode (1999-2003) – Prof. Hoffmann und Prof. Margraf – in einem öffentlichen Schreiben klargestellt, es handele sich um ein „Missverständnis“, wenn man meine, dass die Begutachtungsmethodik „Psychotherapieverfahren in Teilbereiche auflösen“ wolle, um „diese jeweils als wissenschaftlich zu bestätigen oder zu verwerfen.“

Wesentlich für die Einschätzung des aktuellen WBP-Gutachtens ist auch, dass eine Überprüfung der Richtlinienverfahren nach dieser WBP-Vorgehensweise zu dem Ergebnis käme, dass diese ebenfalls „nicht wissenschaftlich“ sind, und nicht „für die vertiefte Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten empfohlen“ werden können“. Kaum einer der 21 Ansätze des psychodynamischen Clusters könnte einzeln jeweils das erforderliche Spektrum an Indikationen und entsprechenden Studien vorlegen, wenn Psychodynamische Psychotherapie auf gleiche Weise wie die Humanistische Psychotherapie  vom  WBP zerlegt und geprüft werden würde. Und selbst in dem Cluster verhaltenstherapeutischer Ansätze sind die einzelnen Methoden zwar jeweils für bestimmte Störungen evidenzbasiert – im Lichte der WBP-Zerlegung könnte aber kaum ein einzelner Ansatz die gleichzeitig geforderte Indikationsbreite nachweisen.

Daran wird die Unsinnigkeit der tendenziösen Vorgehensweise des WBP deutlich. Nicht nur die Humanistische Psychotherapie sondern letztlich alle aktuellen Psychotherapieverfahren müssten nach diesem Procedere als nicht „wissenschaftlich anerkannt“ eingestuft werden.

(mit freundlicher Genehmigung aus dem Blog der GwG (https://www.gwg-ev.org/)

 

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