Im heutigen Kalendertürchen blickt Rüdiger Beinroth, systemischer Supervisor und langjähriger Erwachsenenbildner in Vlotho, weit zurück in die Vergangenheit, nämlich in die frühen 70er-Jahre, und erinnert sich an seine frühere Kollegin und Chefin:
„1971 kehrte Annedore Schultze, die spätere Leiterin des Jugendhofes Vlotho, von einem Studienaufenthalt aus den USA zurück. Zuvor hatte sie 10 Jahre Methoden der Sozialarbeit an der Höheren Fachschule des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe in Bielefeld unterrichtet. Sie war begeistert von der Art und Weise wie Virginia Satir in den USA mit Familien arbeitete und wollte diesen Ansatz, nach Einzelfallhilfe, Gruppenarbeit und emeinwesenarbeit, unbedingt in der Jugendhilfe in Westfalen verbreiten.
Der erste Fortbildungskurs für Sozialarbeiter Familienberatung und Familienbegleitung, fand von Februar 1973 bis Dezember 1974 statt. (Parallel dazu begann auch Maria Bosch in Weinheim mit ihren Kursen, was 2 Jahre später zur Gründung des Instituts für Familientherapie Weinheim führte. Die beiden hatten sich bei Virginia Satir in den USA kennengelernt).
Veranstalter des Kurses war der Sozialdienst katholischer Frauen Zentrale e.V. Dortmund.
Das Konzept orientierte sich in seinem methodischen Teil an den Erfahrungen und Veröffentlichungen von Virginia Satir (1973) und Horst Eberhard Richter (1970).
Es war kein starres Konzept, sondern wurde im Kurs mit den Teilnehmer/innen und Referenten ständig weiter entwickelt. Es gab viel Innovation zu dieser Zeit. Auf einer Fortbildungstagung 1973 in Bielefeld für Erziehungsberater und Sozialarbeiter, arbeitete Annedore Schultze live mit einer Familie auf der Bühne und stellte Skulpturarbeit vor, was eine heftige Fachkontroverse nach sich zog. Das Diakonische Werk von Westfalen veranstaltete ein Seminar zur Familienrekonstruktion mit Maria Bosch in Form eines Marathons, was ebenfalls hohe Wellen schlug.
Nach einer Informationstagung des Landesjugendamtes in Münster 1974, zur Methode der Familienberatung und behandlung (LWL Münster 1985), fiel
die Entscheidung, einen ersten arbeitsfeldspezifischen Lehrgang zur Familienberatung und Familienbehandlung für Sozialarbeiter des
Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) anzubieten. Das war die Geburtsstunde der Familienberatungslehrgänge in Vlotho.
Ich war seit 1972 im Jugendhof tätig. Ich war Sozialarbeiter und Gemeinwesenarbeiter und von Annedore Schultze für ein Modellprojekt zur Zusammenarbeit im Gemeinwesen von Freiburg nach Vlotho geholt worden. Ich hatte andere Aufgaben und verfolgte die Entwicklungen der Kollegin
und späteren Chefin mit Interesse. Im Rahmen des Modellprojekts hatten wir die Analytikerin Ruth Cohn für 3 Monate nach Vlotho geholt. So lernte ich die TZI kennen. Nebenbei studierte ich in Bielefeld auch noch Erziehungswissenschaften, was ich mit dem Diplom 1980 abschloss. Im
Rahmen eines Seminars über Paradigmenforschung lernte ich die Schriften von Talcott Parsons kennen und war fasziniert. Ab da ließ mich die
systemische Denkweise nicht mehr los.
Der Entscheidende Schritt kam 1979. An einem Freitag eröffnete mir Annedore Schultze, dass in ihrem Familienberatungskurs ein Referent ausgefallen wäre und ich von Montag bis Freitag in der letzten Kurswoche des laufenden Kurses einspringen müsse. Bis Montag hatte ich nun Zeit,
die Pflichtlektüre des Kurses zu lesen. Es waren Bücher von Virginia Satir, Salvatore Minuchin und Maurizio Andolfi. Bis Montag hatte ich mir
die für diesen Kurs relevanten Abschnitte einigermaßen einverleibt. Die Woche lief für mich gut und ich hatte endgültig Feuer gefangen. Danach
war ich Co-Leiter in allen weiteren den Kursen.
Ab 1989 leitete ich die systemischen Beratungsfortbildungen 18 Jahre zusammen mit Anne Valler-Lichtenberg aus Köln. Es war eine wunderbare Zeit der gegenseitigen Anregungen und Entwicklungen.
Dank meines großzügigen Arbeitgebers konnte ich viele Kurse besuchen die von Systemikern angeboten wurden. Ich nahm an den Weinheimer Tagungen
teil, erlebte Virginia Satir und andere berühmte Vertreter des systemischen Ansatzes. Schließlich nahm ich auch an einer Ausbildungsgruppe mit Jos J. van Dijk in Bielefeld teil. Leider starb Jos, bevor der Kurs zu Ende war.
In die DAF trat ich erst nach meiner Supervisionsausbildung ein. Es reichte aber noch um die DGSF mit zu begründen. Die DGSF ist zu meiner
Heimat geworden. Hier fühle ich mich wohl und arbeite gerne und engagiert mit.
Heute als Rentner nutze ich die vielen Erfahrungen in meiner Praxis für Supervision, Coaching, Paar und Familienberatung. Das will ich auch noch
ein Weilchen weitermachen. Einmal Systemiker, immer Systemiker“
Wie alles begann keine Geschichte ohne Geschichten!
17. Dezember 2011 | Keine Kommentare