Der heutige Beitrag im Adventskalender stammt von systemagazin-Leserin Bernita Schönröck:
Bis vor einigen Jahren war ich in der Schwangerschaftskonfliktberatung tätig. Das folgende Erlebnis stammt aus dieser Zeit.
Eine Vierzigjährige kommt in die Beratungsstelle. Sie stellt sich vor ein deutscher Name und ich höre es sofort an ihrem russischem Akzent: sie ist Spätaussiedlerin. Sie ist erschrocken und fassungslos. Sie sei schwanger, sie wisse nicht, wie sie das ihrem Mann sagen solle, das Kind zu bekommen: unmöglich. Die anderen Kinder sind 12 und 14, sie sind doch schon groß und in Russland geboren und überhaupt: sich in Deutschland zurechtzufinden sei so schon schwer genug. Sie seien gerade aus der zu kleinen Wohnung in das neu gebaute, für eine vierköpfige Familie geplante Haus gezogen. Der Mann habe so lange nach einer guten Arbeit suchen müssen. Sie würden sich immer noch nicht richtig zurechtfinden, in dem fremden Land, das ihres sein soll. Und dann ein Kind? Sie nimmt den Beratungsschein.
Tage darauf ist sie wieder da. Ihr Mann habe sie in den Arm genommen. Warum um alles in der Welt hast du geglaubt ich wolle kein Kind? Es sei großartig, sie würden das schon schaffen. Sie hätten im Haus auch Platz für ein drittes Kind. Sie selbst freut sich und sie freut sich nicht. Sie freut sich darüber, dass ihr Mann für sie da ist, dass sie ein Paar sind. Und doch bleibt sie selbst, auch wenn das Kind jetzt kommt, skeptisch. Ich begleite sie durch die Schwangerschaft. Als das Kind auf der Welt ist sagt sie:
Wissen sie, wir sind nirgends zu Hause. In Russland waren wir die Deutschen und hier sind wir die Russen. Ich hoffe für mein Kind, meinen Sohn, dass er der erste von uns sein wird, für den das keine Bedeutung mehr hat.