Walter Gehres und Bruno Hildenbrand haben sich für ihre Studie zur Identitätsentwicklung von Pflegekindern mit 20 Pflegekindern über ihre Vorstellungen über Familie unterhalten. Auf die Frage, was sie sich als Erwachsene erhoffen, war die Antwort: eine normale Familie gründen zu können. Normal heißt in ihrem Verständnis: eine Familie, die aus Vater, Mutter und leiblichen Kindern besteht. Der besonderen Status, den Pflegekinder gegenüber Kindern, die in ihren leiblichen Familien aufwachsen, haben, ist der Gegenstand ihrer Untersuchung.„Eine Pflegefamilie ist keine Adoptionsfamilie oder der Struktur nach dieser gleichgestellt. Auch wenn ein Kind in einer Pflegefamilie untergebracht ist, bevor es das erste Lebensjahr vollendet hat, muss damit gerechnet werden, dass dieses Kind irgendwann, vermutlich spätestens in der Adoleszenz, die Frage stellen wird: Woher komme ich? Wenn die Pflegefamilie nicht von Anfang an auf diese Frage eingerichtet ist bzw. auf diese Frage vorbereitet wird, dann wird sie diesem Kind, wenn es gut geht, zwar unverzichtbare Erfahrungen von Bindung vermitteln, ihm aber seine biographische Selbstverortung rauben. Beides: Bindung und biographische Selbstvergewisserung, sind konstitutiv für eine gelingende Identitätsentwicklung und können nicht gegeneinander ausgespielt werden. Und ein weiteres: Wer die Bindung über die Herkunft stellt und von einer gelingenden Bindung die Persönlichkeitsentwicklung abhängig macht, vernachlässigt nicht nur die Bedeutung von Herkunft, sondern überdies, dass Pflegekinder durchaus in der Lage sind, auch bei prekären Bindungsverhältnissen erwartbare und unvorhergesehene Lebenskrisen zu überstehen und sich resilient zu zeigen“
systemagazin bringt einen Vorabdruck aus dem ersten Kapitel des Bandes, dessen Erscheinen für den 26.4. vorgesehen ist.
Vorabdruck aus Walter Gehres & Bruno Hildenbrand: Identitätsbildung und Lebensverläufe bei Pflegekindern. Aufwachsen in Pflegeverhältnissen
16. April 2008 | Keine Kommentare