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Therapien müssen vertraulich bleiben – Geplante Aufweichung der ärztlichen Schweigepflicht ist unverhältnismäßig

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Die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF e.V.) kritisiert in hohem Maße die Forderungen von Bundesinnenminister de Maizière, die ärztliche Schweigepflicht zu lockern. Am Donnerstag (11.08.2016) will de Maizière dies mit weiteren Punkten in einem Maßnahmenkatalog des Bundesinnenministeriums zur Erhöhung der Sicherheit in Deutschland vorstellen. Die BAfF lehnt eine Lockerung der Schweigepflicht für ÄrztInnen, PsychologInnen und PsychotherapeutInnen ab. Der psychologische Fachverband bewertet diesen Vorstoß nicht nur als unverhältnismäßig, sondern vor allem auch als nicht zielführend. Therapien müssen auch weiterhin vertraulich stattfinden können.

Die Schweigepflicht ist der Grundstein für ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen PsychotherapeutIn und KlientIn. „Viele meiner KlientInnen kommen aus Ländern, in denen es keine Patientenrechte gibt. Wenn sie  nun auch hier in Deutschland befürchten müssten, dass die Inhalte, die sie mit mir in der Therapie teilen, diesen Raum verlassen, dann würden sie mir Vieles gar nicht erst anvertrauen“, erklärt Elise Bittenbinder, Vorsitzende der BAfF.

Der Vorstoß des Innenministers wähnt sich im Sinne der Gewaltprävention, in seiner Konsequenz jedoch beschneidet er die psychosoziale Arbeit in genau dieser Intention: Eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung bietet die Chance, spannungsgeladene Gedanken zu bearbeiten, Hoffnungs- und Zukunftslosigkeit zu überwinden und damit auch nach innen und/oder nach außen gerichtete Wut zu kontrollieren. Eine Lockerung der Schweigepflicht hätte letztlich nur zur Folge, dass sich viele Menschen nicht mehr die Hilfe suchen werden, die sie dringend bräuchten.

Eine Lockerung der Schweigepflicht ist für die Gefahrenabwehr zudem weder nötig noch verhältnismäßig. Die Schweigepflicht schützt das grundgesetzlich verbriefte Recht auf informationelle Selbstbestimmung aller PatientInnen. Bereits jetzt unterliegen ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen einer Offenbarungsplicht, wenn sie von einem konkret geplanten Mord oder Totschlag erfahren. Äußert etwa jemand in der Therapie, bereits Waffen besorgt zu haben und diese morgen einsetzen zu wollen, dann müssen die Behandelnden sich über ihre Schweigepflicht hinwegsetzen und Behörden sowie Polizei informieren. Gewaltphantasien allein rechtfertigen keinen Bruch der Verschwiegenheitspflicht – gerade weil diese nur äußerst selten tatsächlich in der Ausübung von Gewalttaten resultieren„Wenn jedoch im Rahmen der Therapie offen über solche Gedanken gesprochen werden kann, dann können wir an Alternativen arbeiten und die Person im besten Fall davor schützen, ihre Gedanken in konkrete Handlungen umzusetzen“, so Bittenbinder. Nur falls sich die Bedrohung konkretisiert, müssen externe Personen über das vertraulich Besprochene informiert werden.

Die Forderung von de Maizière reiht sich nahtlos an seine Behauptungen über sogenannte „Gefälligkeitsgutachten“ und Falschaussagen über die Posttraumatische Belastungsstörung bei Geflüchteten ein. Eine Verschärfung des Rechtes, Geheimnisse von PatientInnen weiterzugeben, hält die BAfF daher für überflüssig und einzig der politischen Stimmungsmache gegen Geflüchtete und ÄrztInnen dienend.

 

Rechtlicher Hintergrund:

ÄrztInnen, PsychotherapeutInnen, PsychologInnen sowie alle weiteren Heilberufe mit staatlich geregelter Ausbildung unterliegen der Verschwiegenheitspflicht nach §203 StGB. Eine Offenbarungsbefugnis besteht dann, wenn ein rechtfertigender Notstand gem. § 34 StGB vorliegt. Dies ist etwa der Fall, wenn eine drohende Gefahr von sich oder von einer anderen Person abgewendet werden soll. Eine Offenbarungspflicht im Interesse der Verbrechensverhinderung und zum Schutz der Bevölkerung besteht ausschließlich bei akuter und unmittelbarer Gefährdung eines Menschen. Gemäß § 138 StGB ist grundsätzlich strafbar, wenn jemand zum Beispiel von dem Vorhaben eines Raubes, einer Brandstiftung oder eines Mordes erfährt. Für psychologische PsychotherapeutInnen gelten gem. § 139 Abs. 3 S. 2 StGB gegenüber „normalen“ BürgerInnen einige Besonderheiten. Dabei werden TherapeutInnen nicht bestraft, wenn sie z.B. von einer geplanten Brandstiftung erfahren, diese nicht anzeigen, aber sich ernsthaft bemühen, den Tatplanenden von der Tat abzuhalten. Diese Privilegierung gilt allerdings nicht, wenn TherapeutInnen von einem konkret geplanten Mord oder Totschlag  erfahren.

 

Kontakt:


Elise Bittenbinder
Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – BAfF e.V.
Paulsenstr. 55-56, 12163 Berlin
Tel.: 030 310 124 63
eMail: elise.bittenbinder@baff-zentren.org
www.baff-zentren.org

Quelle: Pressemitteilung: Therapien müssen vertraulich bleiben – BAfF-Zentren

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