Peter Stimpfle, Eichstätt:
Stefan Hammel hat im renommierten Klett-Cotta-Verlag in der Reihe Leben Lernen gewissermaßen in Fortsetzung und Abrundung einer systematischen Darstellung und Beschreibung systemisch-hypnotherapeutischer Arbeitsmethoden neben dem Handbuch der therapeutischen Utilisation (2011) und dem Handbuch des therapeutischen Erzählens (2013) nun ein Buch zum Thema Implikationen in der Therapie mit dem Titel Therapie zwischen den Zeilen herausgebracht. Thema des Buches ist das, was in der Behandlung „zwischen den Zeilen“ geschieht (wirkt oder eben auch nicht), was wir implizieren (ohne uns dessen klar zu sein) und was wirkt, ohne dass wir dem genügend Beachtung schenken. Spielt es eigentlich eine Rolle, was wir sagen, welche Worte wir verwenden und welche nicht, in welcher Reihenfolge wir Angebote machen und ob wir die körperlichen (mimischen, gestischen, motorischen, emotionalen …) Reaktionen des Klienten oder Patienten bei unseren Interventionen berücksichtigen? Das Buch ist ein Plädoyer für eine Mehrebenenkommunikation in der Therapie, für die Berücksichtigung der Unterschiedlichkeit bzw. Vielfältigkeit von Menschen. Da immer die Gefahr von Manipulation besteht (die wir auch begehen, wenn wir uns um dieses Thema nicht bemühen), ist es mehr als folgerichtig (ja sogar nötig!), sich zu Beginn mit ethischen Grundlagen zu beschäftigen, womit Hammel sein Buch auch beginnt. Es geht ihm nicht um vordergründige effektvolle Suggestion, sondern um eine Haltung von Liebe und Respekt, die Menschen Veränderungen ermöglicht, die sie zu mehr Einklang mit sich führen können. Die Integrität dieses Vorgehens besteht darin, sich für die Ziele des Patienten einzusetzen (anstatt ihm welche vorzugeben) bzw. sich mit ihm auseinander zu setzen, wenn unerreichbare oder sogar schädliche Ziele vorgegeben werden.
Die Frage, wie man eine solche Mehrebenenkommunikation (MEK) lehr- und lernbar machen kann, ist ein recht komplexes Thema, das Hammel mit Fallbeispielen angeht. MEK spricht verschiedene Instanzen des Erlebens gleichzeitig an, etwa durch Andeutungen, Mehrdeutigkeit, bildhafte Sprache, Körpersprache, durch diese Parallelität können veränderungsrelevante Botschaften verstärkt werden. Das implizit Mitausgedrückte wirkt dabei oft stärker als das direkt Vermittelte. Bewusste Restriktionen und Selbsteinschränkungen („kann ich nicht“, „gibt es nicht“) verhindern allzu oft, dass direkt Vermitteltes wirken kann, Indirektes hingegen kann durchaus vom Unbewussten bearbeitet werden. Dazu gehört auch, aufmerksam für problematische Resonanzen auf Seiten des des Patienten zu sein und diese zu entschärfen. Die Kunst besteht darin, Dinge wahrzunehmen, die der Patient äußert, ohne sie zu ausdrücklich zu formulieren (schon der kleine Prinz wusste bekanntlich, dass man nur mit dem Herzen gut sieht). Nach hilfreichen Interventionen verändern sich Körperhaltung, Gesichtsausdruck, Atem, Stimmklang, Sprechrhythmus, Tonfall, Beweglichkeit und andere körperbezogene Parameter von Stress bis hin zur Entlastung.
Im Kapitel Die Zeilen, die wir ziehen finden wir eine Beschäftigung mit den methodischen Grundlagen der MEK, etwa eine Kartierung der unsichtbaren Welt der Seele durch die räumliche und zeitliche Unterscheidung verschiedener Seinsmöglichkeiten oder Identitäten, mithilfe derer sich das Koordinationssystem des Denkens erweitert und anders genutzt werden kann. Hier folgt er dem Prinzip „Probleme trennen, Lösungen verknüpfen“, welches ermöglicht, kreativ neue Beziehungen zwischen dem Schlimmen, dem Schönen und dem Ich zu gestalten. Es werden verschiedene Möglichkeiten dargestellt, die unterschiedlichen Ebenen zu nutzen und zu lernen, mit „vielen Ohren zu hören, mit vielen Stimmen zu sprechen“. Im dritten Kapitel Begegnung zwischen den Zeilen illustriert Hammel an Fallbeispielen, wie man „Verbundenes trennt und Getrenntes verbindet“, mit sehr hilfreichen Tools wie der Folien-Technik, dem Aktenschrank, Zerlegen (von Allergien), Zaubern, Graderobe, Laserpointerscheibe etc. Im vierten Kapitel Botschaften zwischen den Zeilen widmet er sich schließlich den „Ebenen der Implikation“, dies können die sichtbare und hörbare (bzw. wahrnehmbare) Welt sein, Fragen, Ungesagt Gesagtes, Umgang mit Diagnosen, Grüße an das Unbewußte und schließlich die Beachtung der Reihenfolge des Gesagten, die bestimmt, was angenommen wird.
Stefan Hammel präsentiert wie immer auch in diesem Buch eine Fülle an Methoden und praktischen Beispielen. Das Buch wird durch ein Stichwort- und Literaturverzeichnis abgerundet. Die Abwägung zwischen konzeptuellen Überlegungen und praktischer Umsetzbarkeit ist in diesem Buch gut gelungen, wenn es auch etwas umfangreich geworden ist. Hammel zeigt hier auf sehr elegante und kreative Weise die Anwendung bekannter und gut erforschter Lernprinzipien (Assoziation – Dissoziation) im therapeutischen Alltag. Als Schwabe gebe ich zu, dass ich manchmal die Kürze vermisse, wie sie sich etwa in den Mini-Max-Interventionen von Manfred Prior bietet. Dennoch ist die angebotene Vielfalt durchaus beeindruckend.
Stefan Hammel: Therapie zwischen den Zeilen. Das ungesagt Gesagte in Psychotherapie, Beratung und Heilkunde
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2014
317 S., kart.
Preis: 32,95 €
ISBN: 978-3-608-89153-9
Verlagsinformation
Das ungesagt Gesagte ist ein wichtiger Schlüssel zum Therapieerfolg. Kommunikation auf mehreren Ebenen ist in Psychotherapie und Beratung eine hohe Kunst, die sehr gute therapeutische Erfolge verspricht. Das Buch fasst die Kernkonzepte in Regeln, die lehr- und lernbar sind; mit vielen Beispielen aus der Praxis. Der Begründer der modernen Hypnosetherapie, Milton Erickson, wusste bereits, dass bei Klienten oft das besonders nachhaltig wirkt, was in der Kommunikation nur »mitschwingt«, aber nicht ausgesprochen wird. Viele seiner originellen Interventionen bauen darauf auf. Doch wie funktioniert »Therapie zwischen den Zeilen«? Wie geht Mehrebenenkommunikation in der Praxis? Das ebenso anschauliche wie detailreiche Buch von Stefan Hammel gibt darüber gründlich Auskunft. Zugleich vermittelt es die Kunst, die Dinge mitzuhören, die ein Klient sagt, ohne sie ausdrücklich zu formulieren – zum Beispiel durch Sprachbilder, Mehrdeutigkeiten oder mit seiner Körpersprache und vieles anderes. Diese Kompetenzen zu beherrschen kann aber auch ein Schlüssel zum Erfolg der Therapie sein.
Über den Autor
Stefan Hammel ist ausgebildet als systemischer Therapeut und Hypnotherapeut; er ist Leiter des »Instituts für Hypnosystemische Beratung« in Kaiserslautern (Pfalz), Referent des Milton-Erickson-Instituts Heidelberg und weiterer hypno- und systemtherapeutischer Ausbildungsinstitute in Deutschland, Österreich und in der Schweiz. Er ist zudem Autor des hypnosystemischen Blogs »HYPS« und Autor therapeutischer Medien (DVDs, CDs, Postkarten, Paartherapeutisches Spiel).