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Systemische Pädagogik in der Grundschule

| 1 Kommentar

gollor-hier-fuehle-ich-mich-wohlErika Gollor, erfahrene Lehrerin an einer Montessori-Grundschule, und NLP-Practitioner mit einer Ausbildung in Systemischer Pädagogik, hat 2015 im Carl-Auer-Verlag ein Buch über Systemische Pädagogik in der Grundschule mit dem Titel „Hier fühle ich mich wohl“ veröffentlicht. Susanne Steinebrunner aus Köln hat es gelesen und empfiehlt es als „ein Buch aus der Praxis für die Praxis!“. Aber lesen Sie selbst…

Susanne Steinebrunner (Köln):

Die Autorin Erika Gollor weist langjährige Erfahrungen als Lehrerin jener Schülform auf, in welcher Schulkinder prägende Erfahrungen für ihre weitere Schullaufbahn machen. In den ersten Kapiteln gibt die Autorin einen kurzen Einblick in die „Systemische Pädagogik“, die sie als Anwendung systemischer Sichtweisen in der pädagogischen Praxis beschreibt. Dass die Grundsätze sich aus der Familientherapie ableiten, wird ebenso erwähnt wie die Abgrenzung Systemischer Pädagogik von Systemischer Therapie. Schön, wie sie prägnant auf den häufig verwendeten Vergleich eines Systems mit einem Mobile verweist. Dieser eröffnet der Leserschaft einen Zugang zur systemischen Sichtweise, welche das Beziehungsge flecht eines Systems in den Fokus nimmt. Gerät ein Teil des Mobiles in Bewegung, bewegen sich alle anderen auch. Da die Folgebewegungen quasi nicht vorhersehbar sind, es also immer vielfältige Bewegungsmöglichkeiten im Mobile gibt, wird deutlich gemacht, dass auch pädagogische Systeme nicht nach Einbahnstraßenregeln funktionieren. Der weite systemische Blick auf das Kind lässt Optionen im pädagogischen Prozess erahnen, die in der Betriebsamkeit der Alltagsroutine häufig vermisst werden. Aus Gollors Darstellung wesentlicher Grundsätze der systemischen Herangehensweise werden der „Vorrang der Gruppe“, der „Blick auf die Lösung“, „Stärken erkennen, Ressourcen nutzen“ sowie die „Wertschätzung und Achtung der Eltern“ herausgegriffen. Deren Kenntnis und Berücksichtigung wirken sich im pädagogischen Alltag erleichternd aus und bewirken positive Veränderungen.

Eine aktuelle Unterrichtsstudie von dem Bildungsforscher John Hattie aus dem Jahr 2013 belegt, dass eine gute Beziehung zwischen Lehrerin und Schülerin den größten Einfluss auf den Lernerfolg der Schülerinnen hat. Von diesem Forschungsergebnis unterlegt, wird im Folgenden der Haltung des Pädagogen eine zentrale Rolle eingeräumt, einer Haltung, die sich u.a. durch Empathie, der Achtung des Anderen, der Allparteilichkeit auszeichnet. Da der Pädagoge in seiner Rolle leitet und führt, wird deutlich, dass es in dessen Verantwortlichkeit liegt, sich mit seiner Haltung durch Selbstreflexion auseinanderzusetzen. Gollor verleiht hier der Möglichkeit, zum Beispiel einer Supervisionsgruppe anzugehören, einen hohen Stellenwert und betont die positive Wirkung der Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit, um nach inneren Reifungsprozessen zu mehr Souveränität und Zufrieden heit zu gelangen. Die daraus resultierende veränderte Präsenz des Pädagogen führe zu Erleichterung im Arbeitsalltag und erhöhe damit die Zufriedenheit und Freude an diesem anspruchsvollen und herausfordernden Beruf.

In den weiteren Kapiteln beschäftigt sie sich sehr realistisch mit verschiedenen Aspekten des Systems Schule. Sie beschreibt u.a. Methoden (z. B. Rituale zum Schuleintritt, Aufnah me von Quereinsteigefn, Verabschiedung, Klassenfahrten, Ärger- und Freuderunden), um dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Gemeinschaftsgefühl gerecht zu werden, erläutert am Beispiel „Sitzordnung“ die Bedeutung von Rangordnungen und deren Einhaltung, ge währt Einblick in Spielideen zur Stärkung von Ich- und Sozialkompetenz (z. B. „Mutsteine“, „Schutzengel“, Liste positiver Eigenschaften erstellen) und beschreibt Möglichkeiten zur Einbindung von Eltern in das Unterrichtsgeschehen. Abschließend widmet sie sich unter systemischen „Vorzeichen“ den vielfältigen Herausforderungen im Schulalltag, u.a. dem „störenden Verhalten“ sowie den Grenzen pädagogischer Wirkung.

Das Buch liest sich, nicht zuletzt durch die Verwendung zahlreicher Beispiele, leicht und kurzweilig. Die Exempel aus der praktischen Arbeit als Lehrerin werden die pädagogisch arbeitende Leserschaft an eigene Erlebnisse und Erfahrungen erinnern und wecken die Neugierde auf das, was auf den weiteren Seiten folgen wird. Ein Buch aus der Praxis für die Praxis!

(Mit freundlicher Genehmigung aus systhema 3/2015)

links

 

 

Hier finden Sie das vollständige Inhaltsverzeichnis, und hier eine Leseprobe aus dem 3. Kapitel
Hier können Sie online im Buch blättern

info

 

 

Erika Gollor: Hier fühle ich mich wohl. Systemische Pädagogik in der Grundschule. Mit einem Vorwort von Barbara Innecken. Heidelberg 2015 (Carl-Auer)

174 Seiten, 46 Abb., Kt, 2015
Preis: 19,95 €
ISBN 978-3-8497-0063-8

Verlagsinformation:

Schule geht auch anders. Für die schulische Laufbahn und den Bildungsweg eines Kindes, mitunter für das gesamte Leben, ist die Grundschulzeit von prägender Bedeutung. Das liegt auch daran, dass hier Wesentliches über die Beziehung zu anderen Menschen außerhalb der Familie gelernt wird. Die systemische Pädagogik widmet diesen Beziehungen besondere Aufmerksamkeit. Denn wo sie gelingen, ist auch der Lernerfolg größer. Erika Gollor zeigt an vielen Beispielen, wie sich systemische Konzepte in den pädagogischen Alltag umsetzen lassen – gleich ob Montessori-Schule, Regelschule oder in anderen pädagogischen Umfeldern. Die beschriebenen Vorgehensweisen, Rituale und Methoden lassen sich leicht in den Schulalltag integrieren. Sie verbessern die Klassenatmosphäre und tragen zum Wohlbefinden aller in der Schule bei. Lehrern ermöglicht die systemische Sichtweise, ihre Haltung in Bezug auf die Kinder, deren Eltern und letztendlich auf sich selbst zu überdenken und positiv zu verändern. Das führt zu mehr Zufriedenheit und Freude und trägt dazu bei, dass am Ende Lehrer und Schüler das Gefühl haben: Hier fühle ich mich wohl!

Über die Autorin:

Erika Gollor, Studium für Lehramt an Grundschulen; Montessori-Zusatzausbildung; Weiterbildungen: NLP-Practitioner, „Systemische Pädagogik“, Neuro-Imaginatives Gestalten (NIG); Erfahrungen in Familien- und Organisationsaufstellung. 1990–2003 Grundschullehrerin an Münchner Schulen; seit 2004 Lehrerin in jahrgangsgemischten Klassen (1–4) an einer Montessorischule.

Ein Kommentar

  1. Beate Ch. Ulrich sagt:

    Als Geschäftsführerin des Carl-Auer Verlags habe ich das Buch natürlich auch gelesen. Nach Ende der Lektüre war ich sehr gerührt über die Darstellung, wie Schule sein kann. Ich würde mir wünschen, dass auch Lehrer anderer Schulformen dieses Buch lesen und die dort dargestellte Haltung und Achtung gegenüber Kollegen, Schülern und Eltern verinnerlichen. Denn dann hätten wir in 25 Jahren eine positiv veränderte Gesellschaft.

    Es wird immer wieder von Lehrern berichtet, wie schnell man mit Eltern in eine unangenehme Diskussion oder sogar in Streit geraten kann über Unterrichtsinhalte, Verhalten im Unterricht, Erziehungsmaßnahmen usw. Frau Gollor regt an, einmal darüber nachzudenken, was Eltern eigentlich machen. Sie geben das Wichtigste und das Wertvollste was sie im Leben haben – nämlich ihre Kinder – täglich für viele Stunden in die Obhut der Lehrer. Das ist ein unglaublicher Vertrauensvorschuss, für den man zunächst einmal dankbar sein muss. Wenn man es aus dieser Sicht sieht, gibt es gute Chancen, das Verhältnis Lehrer, Schüler, Eltern zu verbessern. Das ist nur ein Beispiel aus diesem Buch.

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