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systemagazin Adventskalender 2024 – 7. Gunthard Weber

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Fatoumata zum Beispiel

Bevor Fatoumata Samaké im Oktober 2004 zusammen mit ihrer Schwester Djéneba von ihrer Tante in das neugegründete Wohnheim Jigiya Bon für Mädchen in Not in Bamako, der Hauptstadt Malis gebracht wurde – sie war damals 8 Jahre alt, ihre Schwester 12 – war viel passiert. Zwei ihrer Geschwister waren gestorben und beide Eltern starben im Jahr davor. Beide meinten ein großer grüner Frosch, der im Dorf lebte, hätte die Eltern umgebracht. Zutreffender war es wohl AIDS, dass die Eltern dahinraffte. Sie kamen zu einer liebevollen Tante, der Bruder zu einer weit entfernt lebenden Großmutter. Der Mann der Tante trennte sich bald von ihr. Dann konnte diese ihre vier Söhne, Djénéba und Fatoumata nicht mehr ernähren und schon gar nicht mehr zur Schule schicken, weil sie auch das Schulgeld nicht mehr aufbringen konnte. Andere Verwandte, die die Beiden hätten aufnehmen können, gab es nicht. Die Tante erfuhr von Jigiya Bon und brachte sie dorthin. Bald darauf starb auch die Tante. So blieb den Mädchen das Schicksal vieler Mädchen, die in Mali Waisen werden, erspart: die Verheiratung mit älteren Männer, als Hausangestellte ausgebeutet zu werden oder gar Prostituierte zu werden.

Die Schwester gehörten damals zu den ersten sechs Mädchen des neu gegründeten Internats. Bald waren es dann 40 Mädchen, heute 60, die dort wie in einer multiethnischen und multireligiösen Oase liebevoll versorgt leben, zur Schule gehen und eine Ausbildung absolvieren. Zurzeit studieren sogar 21 der jungen Frauen und leben dort in einem Extrastockwerk. 

Fatoumata war das jüngste und das kleinste der Mädchen, klug in der Schule, an Gemeinschaft interessiert und vital. Wenn ich in Mali war, sah ich ihr gerne zu, wenn sie fröhlich und beinah wild am Tanz- oder Trommelunterricht teilnahm, wenn sie den Innenhof fegte oder Gemüsebeete goss. In Mali ist es üblich, bei Verlusten Trauer nur ein bis zwei Tage zu zeigen, innerhalb derer die Toten auch beerdigt werden. Mit den beiden Schwestern hatte ich später ein berührendes Gespräch über die Verluste in ihrer Familie, in dem die ganze Traurigkeit aus ihnen herausbrach. 

Fatoumata absolvierte die Schule bis zum neunten Schuljahr mit Leichtigkeit und absolvierte dann eine vier-jährige Ausbildung in Kommunikationswissenschaften so erfolgreich, dass das Erziehungsministerium ihr ein Studium ermöglichte. Sie verließ die Universität als IT-Ingenieurin. Ihre Schwester wurde Lehrerin.

2019 vermittelte ich Fatoumata  eine Stelle als Sekretärin im Campus unseres neuen landwirtschaftlichen Berufsbildungszentrums für junge Landfrauen, dass sich damals noch im Bau befand. Dort ist sie inzwischen eine zentrale Person in der Organisation des Campus mit regelmäßig 70 bis 80 FortbildungsteilnehmerInnen pro Tag geworden, die dort überwiegend ein halbes Jahr in biologischer Landwirtschaft ausgebildet werden. Ein weiterer Karriereschritt ist für sie geplant.

Virginie Mounkoro, eine malische Beraterin, mit der wir 2004 in Mali zu fünft zusammensaßen und das Mäd-chenheim planten, sagte damals: Aus dieser Einrichtung wird einmal eine Ministerin hervorgehen. Damals schien mir das sehr unwahrscheinlich, heute, 20 Jahre später, halte ich es für möglich. 

Fatouma ist inzwischen 28 Jahre alt und eine attraktive junge Frau.

Diese Lebensgeschichte hat vielleicht direkt nicht so viel mit Systemischem zu tun. Sie erinnert mich aber daran, dass es mir in den systemischen Therapien, die ich durchführte, immer wichtig war, den Möglich-keitsinn meiner Klienten zu entfachen. 

Seid realistisch und zündet eine Kerze an, auf dass möglichst viele der chancenlosen afrikanischen Mädchen wie Fatoumata die Chance bekommen, ein eigenständiges Leben zu führen. 

Dies waren die ersten 6 Mädchen im Mädchenzentrum. Was aus ihnen geworden ist (von links): Djénéba wurde Lehrerin, Djènebou wurde Journalistin und bereitet gerade die erste Ausgabe einer malischen Frauenzeitschrift vor, vorne die kleine Fatoumata, über die ich schrieb, wurde IT-Ingenieurin, Ma wurde Schneiderin, Atoumata Hebamme (Matron) in ihremDorf), Mamarkan, die Halbschwester von Ma, Krankenschwester.

Ein Foto von fünf von ihnen später.

Fatoumata 2023 mit Handy, Handtasche und Ohrringen

Gunthard Weber, Wiesloch u. München

5 Kommentare

  1. Dr Hans Joachim Seeger sagt:

    Lieber Gunthart Weber,
    Danke für diese beeindruckende Adventsgeschichte (…und übrigens doch durch und durch systemisch geprägt…) und für das großartige Engagement.
    Macht mich sehr demütig…
    Liebe vorweihnachtliche Grüße
    Dr. Hajo Seeger

  2. Andreas Brenneke sagt:

    Lieber Gunthard Weber,
    was für eine wundervolle, Mut machende Geschichte. In unseren selektiv-manipulativen Medien, die der Notwendigkeit zu selektieren – wie wir alle – gar nicht entkommen können lenken Sie den Aufmerksamkeitsfokus auf eine Lebensgeschichte die zeigt, dass abseits der Almosenverwaltung der politisch-intentional orientierten offiziellen Entwicklungshilfe Ermöglichungen und Ressourcenentwicklungen Raum greifen können, die einen Unterschied machen, der einen Unterschied macht. Und das ist sehr systemisch und noch dazu konkret gelebte Nächstenliebe. Ihre Geschichte nährt zudem den Verdacjt, dass sie kein Einzelfall sei und das macht sie so wertvoll. Im Kontext eines „Adventskalenders“ sei es erlaubt: Danke für Ihr Engagement! Möge ihr Engagement und dass jener jungen Frauen gesegnet sein und bleiben.
    Liebe Grüße
    Dr. Andreas Brenneke

  3. Sabine Klar sagt:

    Danke für den Beitrag über diese so beeindruckenden Frauen!

  4. Martin Rufer sagt:

    Lieber Gunthard
    …ob systemisch oder nicht, zuversichtlich stimmend in Zeiten wie diesen auf jeden Fall..

  5. Christian Michelsen sagt:

    Danke lieber Gunthard, ich habe alles mit eigenen Augen gesehen! NELE, dir, Ruth und Wilfried Hoffer haben ungezählte Menschen in Mali viel, manche alles zu verdanken!

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