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systemagazin Adventskalender 2024 – 17. Corina Ahlers

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Mit dem „F R E M D E N“  und dem „U N E R K A N N T E N“ zu leben wissen

Jährlicher Kontrolltermin – Mein Gynäkologe ist in Pension gegangen. 

Wie schade, noch ein Arzt mehr, der aus meinem Leben verschwindet, bzw. ein neuer, an den ich mich gewöhnen muss. 

Ich bin treu, ich bleibe in der Ordination meines alten Arztes, welche in meiner Nähe liegt. 

Die Ordination hat er weitergegeben. Sein Nachfolger ist aus Ghana.

Mich, die ich mich meistens als offen und neugierig wahrnehme, berührt die Fremdheit seiner Hautfarbe: Will ich von ihm angefasst werden? Ich konfrontiere mich mit meinem Gefühl, stelle es mir vor und beschließe, dass ich es ausprobieren möchte. Ich gestehe mir zu, dass auch ich diese Fremdheit in mir spüre und zwinge mich zum Neuartigen.

Ich erzähle mein Innenleben meiner amerikanischen Schwiegertochter, und sie missversteht mich sofort: „Oh Corina!“ Das ist ein Apell an mein inkorrektes Gefühl. Sie versteht nicht, dass ich ihr gerade sage, dass ich mich ja damit auseinandersetze. Das „in mich Gehen“, dass ich in mir betreibe, ist Ausdruck meiner Selbstreflektion als Psychotherapeutin. Ich ignoriere die für mich jugendliche und falsche Moralität meiner Schwiegertochter. Das Unverständnis zwischen uns bleibt.

Einen Tag später: Ich habe den gynäkologischen Kontrolltermin hinter mir. Er war jünger, aufmerksamer, zugewandter und genauer als mein alter Gynäkologe. Ich habe mich wohlgefühlt. Außerdem war er hübsch! 

Ich sage zu meiner Schwiegertochter: „Ich war dort, und er war hübsch!“ Sie antwortet wieder: „Oh Corina“. Auch dieser Satz von mir ist anscheinend inkorrekt. Ich darf meinen Gynäkologen nicht hübsch finden. Ich denke, sie hat die Ironie hinter diesem selbstreflexiven Satz nicht verstanden, eigentlich hat sie gar nichts verstanden. Mein Humor ist spanisch geprägt, er wird oft missverstanden, und ich verstehe den österreichischen Humor nicht. Amerika verstehe ich sowieso nicht. Und die moralischen Infragestellungen dieser jungen Generation schon gar nicht. Wohin soll das führen? Uns in die Bewertungsposition katapultieren, indem sie uns beurteilen: Ein Paradoxon. Ein bisschen Ärger kommt auf, und ich unterdrücke ihn.

Vor kurzem las ich in der Zeitung in einem Artikel von Eva Illouz, dass dieses spezielle Fokussieren der Linken auf das moralisch Inkorrekte, die Rechten eigentlich provoziert und stark macht. Das stimmt mich kritisch. 

Eigentlich wollen wir doch alle abseits jeder Polarisierung den guten Alltag miteinander leben, an gemeinsamen Freuden teilhaben und die Welt, so gut es geht, genießen können. 

Ich sinniere: Die Toleranz für das ständige Missverstehen in der Begegnung entsteht im Fluidum der Verkennung: Mein Lernprojekt für 2025 ist es, mehr auf diese Momente zu achten, das „Verstehen wollen“ aufzugeben, um das Fremde gut an mich heranzulassen. 

5 Kommentare

  1. Ellahe Engel-Yamini sagt:

    Und was, wenn er nicht hübsch wäre?
    Spahns Aufforderung direkt nach der Befreiung der gemarterten Menschen aus dem Gefängnis fand ich schrecklich. Keine Empathie. die Gesellschaft bringt ihm gegenüber als Schwulen Akzeptanz. leider kommt da nichts zurück. Schade.

  2. Katrin Bärhold sagt:

    OhmeinnGott!!! Das hätte ich sein können! Dieses Hin und Her und drunter und drüber, um das Gute und Hoffende in mir zu finden. Eieiei.

  3. Ulrike sagt:

    Vielen lieben Dank! Mich hat Ihre Reflexion sehr berührt.

  4. Gabby Thiede sagt:

    OMG, welch ein unzeitgemäßes Privileg, die eigenen Fremdheits- und Attraktivitätsgefühle derart zu entäußern und dafür öffentlichen Reflexionsraum in Anspruch zu nehmen! Welche Sozialisationsgeschichte gibt Ihnen das Recht, Ihrer Schwiegertochter eine „falsche“ Moralität zu attestieren? ich möchte Ihnen dringend anraten, diesen Themenkomplex mit professioneller Hilfe in einem achtsamen Rahmen weiter zu bearbeiten. Hier geht das auch online: https://tupokademie.de/.

    • Barbara Kuchler sagt:

      This is the most inappropriate answer to anything that I have ever read.
      Schreibe ich ohne jede Spur von amerikanischem Humor, oder deutschem Humor, oder sonst irgendeinem Humor, und mit so viel Fassungslosigkeit, dass ich es nicht mal in meiner eigenen Sprache denken will.
      Wenn wir die Dinge, die tief in uns sind, nicht denken dürften, weil sie politisch oder moralisch oder selbstverständnismäßig inkorrekt sind, müssten wir alle unser Bewusstsein und unser Unbewusstes abschaffen und auch den Beruf des Therapeuten abschaffen.

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