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Online-Journal für systemische Entwicklungen

systemagazin Adventskalender 2023 – 02. Barbara Kuchler

| 5 Kommentare

Wo finde ich im sozialen Leben Unterschiede (zwischen Menschen), die einen Unterschied machen, die irgendetwas in mir bewegen, die meinen inneren Zustand ändern, die dem Ideenmix in meinem Hirn einen neuen Anstoß gebe? 

Wir sehen es mit Besorgnis – als gute Systemiker und Gutmenschen und Linksliberale –, wenn Trump-Fans und Neue Rechte und Coronaschwurbler sich nur in ihren eigenen Blasen aufhalten und nichts von außerhalb an sich heranlassen. Aber ich halte mich auch 95% der Zeit in Blasen auf, zum Beispiel in der Systemikerblase, die auch eine Blase ist, oder in der Universitätsblase, die auch eine Blase ist. 

Mir hat mal ein kluger Mensch gesagt, der in einer internationalen Forschungsgruppe in der Pharmaforschung arbeitet: Wenn ein Außenstehender einen oberflächlichen Blick in ihr Labor werfen würde, wäre er beeindruckt, wie divers und gemischt und global es da zugeht, mit Leuten aus Indien und Finnland und den USA, die alle zusammen an denselben Projekten arbeiten. Aber wenn man genauer hinschaut, ist es die totale Blase von Leuten, die alle ähnlich ticken, auch wenn sie aus verschiedenen Ecken der Welt kommen. Es sammeln sich dort nämlich Leute, die das Profil des „nerdigen Naturwissenschaftlers“ erfüllen, oder des spezialbegabten Dorfkindes, das von irgendeinem Lehrer oder Stipendiumprogramm entdeckt wird und es aus dem indischen Dorf in die internationale Pharmaforschung schafft. Und im Labor sind sie dann alle zusammen und sprechen vielleicht verschiedene Sprachen, aber sie ticken alle gleich. 

Ein anderer kluger Mensch hat mir gesagt, dass sogar New York, eine Stadt mit besonders vielen diversen und bunten Menschen, in gewisser Weise eine Blase ist. Es ist nämlich eine Blase von Leuten, die dort, wo sie herkommen, jeweils der „bunteste Hund“ im Ort waren, die es gewöhnt sind, in ihrer Umwelt die jeweils Verrücktesten, Ehrgeizigsten, Krassesten, Besondersten zu sein. Die sind es nämlich, die dann nach New York ziehen, (in Deutschland: nach Berlin), und dort treffen sie sich dann und steigern sich aneinander nochmal hoch in ihrer Bunter-Hund-Heit, und deshalb ist das Leben dort so überdreht und anstrengend. Ich kenne New York nicht, aber es klang einleuchtend.

Wenn das so ist, wo ist man dann eigentlich nicht in einer Blase? Ich finde: am ehesten in Freizeitorganisationen, also dort, wo Menschen mit einem Teil ihrer selbst sind, der nicht „sie“ in ihrer Existenz, in ihrem Kern definiert, in ihrer ganzen Lebensweise oder Selbstdefinition. Für mich ist das zum Beispiel meine Samba-Band. Dort treffen sich Leute, die gern sehr laute Rhythmen auf sehr großen Trommeln spielen, aber ansonsten so gut wie gar nichts gemeinsam haben. Sie kommen aus allen Altersgruppen, allen Berufsgruppen, allen Milieus, (nicht unbedingt allen politischen Überzeugungsgruppen, muss ich zugeben). Das ist keine Blase, das ist eine entschiedene Nicht-Blase, und es ist eine Gruppe, die mir entschieden gut tut. Man kann dort viel lernen darüber, wie andere Menschen die Welt sehen, und man kann sehen, wie man selbst mit seinen Ansichten ankommt bei Leuten, die nicht apriori eh schon so denken wie man selbst. Und manchmal freut man sich dann, wenn man dort einen Menschen trifft, der auch so tickt wie man selbst, der dieselbe Sprache spricht, zum Beispiel die Systemikersprache. Das ist dann eine besondere Freude und nicht der selbstverständlich anzunehmende Normalzustand. 

Ein zweiter Raum, wo man Menschen außerhalb der eigenen Blase treffen kann, ist übrigens die Familie, im Sinn der erweiterten Familie. Auch dort gibt es in den meisten Fällen Menschen, die ganz anders ticken und ganz andere Leben leben als man selbst. Das Vergnügen ist dort allerdings meist gemischter, weil nicht nur die Heimeligkeit der Blase fehlt, sondern auch noch der selbstgewählte Verbindungspunkt der Neigungsgruppe, mal abgesehen davon, dass es emotionale Altlasten geben kann. Ich jedenfalls sehne mich dann doch schnell wieder in meine Blasen zurück, wo niemand einen Unterschied macht und ich in beruhigender, wohliger Unterschiedslosigkeit aufgehen kann. 

Wer will, kann insofern die Familientreffen aus weihnachtlichen und sonstigen Anlässen nicht nur als Fest der Gemeinsamkeit, sondern auch als Fest der Unterschiede begehen.

5 Kommentare

  1. Lothar Eder sagt:

    Frau Kuchler, wen oder was meinen Sie mit „Coronaschwurbler“?

  2. Danke für diese advent-lichte Bereicherung!

  3. Katrin Bärhold sagt:

    Oh ja! Das gefällt mir. Dieses Türchen hat einen tollen Knauf. Danke!!!!!

  4. Johannes sagt:

    Danke für den Familienbeitrag. Er wird mich unterstützen die Unterschiede auszuharren.

  5. Aus eigener Erfahrung stimme ich Dir wirklich zu, insbesondere im letzten Teil „Familie…“
    Clemens

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