Noch ist er nicht komplett, der diesjährige Adventskalender – aber ich bin zuversichtlich, dass sich einige Leserinnen und Leser dazu beitragen werden, ihn aufzufüllen. In diesem Jahr soll es um die Frage gehen, welche Personen einen ersten Eindruck von systemischem Denken und Handeln vermittelt oder angeregt haben, sich selbst intensiver mit Systemischer Theorie und Praxis auseinanderzusetzen? Im Unterschied zu den letzten Jahren werden Sie alle Beiträge direkt hier auf der Startseite von systemagazin lesen können – einige sind länger, andere sehr kurz geworden – aber lesen Sie selbst.
Den Anfang macht heute Wolfgang Loth – viel Spaß beim Lesen!
Ob mir einer mal vorgemacht hat, was systemisch sei?
Ich vermute, den Begriff systemisch habe ich Anfang der 1980er Jahre zum ersten Mal während meiner Ausbildung beim Weinheimer Institut durch Rudolf Kaufmann gehört. So richtig geheuer war mir das nicht, mir gings um Familien. Allerdings war ich 1983, als die Zeitschrift für Systemische Therapie an den Start ging, schon so vorgewärmt, dass ich sie von Heft 1 an für unsere Beratungsstelle haben wollte und bekam. Da fanden sich dann wundersam herausfordernde Texte mit so schönen Überschriften wie: Was ändert es, wenn man die Familie ein System nennt?, von Philippe Caillé (in Heft 1, 1983). Und darin ein so vielversprechend hinderlicher Satz wie Es ist falsch, den systemischen Ansatz zu allererst als eine pragmatische Methode zu verstehen, die strategisch darauf zielt, in einer vorher festgelegten Richtung eine schnelle Änderung herbeizuführen (S.7). Wieso hinderlich? Wieso vielversprechend? Hinderlich: ja, Herrgott, wer wollte denn nicht schnell zu einem Ziel kommen? Vielversprechend: ja, auch Herrgott, ging halt nicht immer so schnell, und vielleicht hatte das Methode, war kein Fehler, sondern Sinn. Welcher Sinn? Na, das wäre wieder längere Geschichte, nix für Kalenderblätter. Hab Caillé nie bei der Arbeit zugesehen, weiß also nicht, wie er systemisch gemacht hat, aber den Aufsatz habe ich nie vergessen. Gute Sauce über all die ZfST-Texte war dann die MRI-Konferenz in München 1984. Da ging mir von Glasersfeld auf, eher zufällig, den kannte ich gar nicht, und ich war von dem Mann fasziniert, nicht wegen systemisch, auch nicht wegen radikalkonstruktivistisch, sondern weil der sprach wie er sprach und war wie er war. Ruhig, freundlich, unerschrocken. Und Selvini war auch da und machte systemisch vor, also eigentlich nicht systemisch, weil ich glaube, das kann man nicht vormachen. Aber was sie machte, war faszinierend, vielleicht weil sie es machte. Und dann war sie im nächsten Jahr auch wieder da, als es in Heidelberg diesen Kongress über Familiäre Wirklichkeiten gab. Und sie erzählte etwas Zur Verteidigung störender Vorfälle. Und was sie da aus der Arbeit in, mit und für das Team eines regionalen psychiatrischen Zentrums erzählte, und wie der Patient, der Pedro hieß, die Station an der Kandare hatte und zerwirbelte, und was Selvini daraus lernte, dem Team vorschlug und alle miteinander, Team und Pedro, veränderten sich, und in der Art, wie Selvini das beschrieb, das war wie systemisch vorgemacht. Aber auch hier: ich habe so nie gearbeitet, hab nix nachgemacht, aber oft und viel drüber nachgedacht. Und manchmal denke ich, ob ich nicht doch immer noch Ausschau halte nach einem oder einer, die es mir so vormacht, dass ich es nachmachen kann oder will. Wie ich Kurt Ludewig einmal drei Tage bei der Arbeit über die Schulter schauen konnte, war das ungemein lehrreich, doch sagte der schließlich: Ich werde in jeder Therapie ein anderer sein. Ja, da hätte ich was zu tun, das nachzumachen. Oder so reden wie Gunther Schmidt, den wir längere Zeit als Supervisor hatten und dem ich traumhaft zuhören konnte ohne hinzuhören, ja, kamma nicht nachmachen. Oder so konsequent die Kundigkeit der KlientInnen anfragen wie Jürgen Hargens, da käme mir Hägar in die Quere glaube ich. So versuche ich das bislang immer noch selber, denke drüber nach, was andere so sagen, wie sies machen, versuche mit mir ins reine zu kommen während ich mit den KlientInnen, die ich mittlerweile nicht mehr Systeme nenne, auch versuche ins reine zu kommen. Ins reine? Auch so ein Begriff. Wann wäre ich ins reine gekommen mit was oder wem. Vielleicht hängt es doch an so was wie dem Verteidigen störender Vorfälle, dem Respekt vor dem Unrunden, dem Anerkennen des Eigensinnigen, und das dann als Ausdruck eines Gemeinsamen verstehen. So ein Anlauf und immer noch nicht fertig. Aber immerhin, wie war das noch: ruhig, freundlich, unerschrocken. Schon mal ein Anfang. Also doch von Glasersfeld. Sieh einer an.