Thomas Roth hat im Jahr 2008 an der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel eine Dissertation vorgelegt, in der er die Entwicklung der öffentlichen Sozialhilfe sowohl in ihrem historischen Kontext als auch in Bezug auf ein breites Theorienspektrum diskutiert. Auf dieser Basis nähert er sich den praktischen Konsequenzen gesellschaftlicher und gesellschaftspolitischer Rahmenbedingungen Sozialer Arbeit, im Besonderen bezogen auf ihren Auftrag, effektive Hilfen zur sozialen Integration zu leisten. Der Titel seiner Dissertation: „Soziale Arbeit im Spannungsfeld zwischen Integration und sozialer Kontrolle am Beispiel des sozialen Integrationsauftrags der öffentlichen Sozialdienste“. Roth beleuchtet „die Spannungsfelder der öffentlichen Sozialhilfe zwischen sozialer Integration und Kontrolle aus soziologischer Sicht“ und konfrontiert diese „mit eigenen Beobachtungen, einer Befragung von Sozialarbeitenden, einer Mediensichtung sowie einer Auseinandersetzung mit der Fachliteratur“ (S.137).
Wie ein roter Faden zieht sich die nicht eindeutig zu verortende Grenze zwischen Unterstützung und sozialer Kontrolle durch Roths Arbeit. Roth skizziert die Entwicklung des soziologischen Kontrollbegriffs bis hin zu systemtheoretischen Überlegungen (im Hinblick auf letztere ergibt sich eine interessante Spannung zwischen der Überschrift des entsprechenden Kapitels im Inhaltsverzeichnis: „Kritische Anmerkungen zum systemtheoretischen Ansatz“, während das Kapitel im Text überschrieben ist mit „Bedeutung der systemtheoretischen Ansätze für die Soziale Arbeit“ (S.69ff.). Roth stimmt anderen Autoren zu, die Luhmanns „eher distanzierte Position“ hinterfragen, „welche ökonomische und strukturelle Ursachen – und damit auch jegliche politische Verantwortung – für soziale Probleme kaum genügend gewichtet“ (S.70). Dennoch spielen systemtheoretische Anregungen eine Rolle. Roth schreibt: „Die Ausgangslage für die Bildung meiner Orientierungshypothesen besteht – gestützt auf ein systemtheoretisches Konzept – in der Annahme von eher durchlässigen Grenzen des ,Systems Sozialhilfe‘ gegenüber übergeordneten Interessenkonstellationen, verbunden mit zum Teil rigiden Grenzziehungen des Hilfeleistungssystems Sozialhilfe gegenüber den direkten und indirekten Zielgruppen (…). Im Speziellen sollen diese richtungweisenden Hypothesen eine erste Annäherung an die Frage erlauben, wieweit diese Grenzziehungen in einem unzulässigen Masse berechtigte Personen und Personengruppen vom Zugang zur Sozialhilfe fern halten“ (S.20). Eine erste dieser Hypothesen postuliert in diesem Sinne: „Situative, anonymisierte und administrativ-technische Formen von sozialer Kontrolle in den materiellen und personenbezogenen Dienstleistungen der öffentlichen Sozialhilfe können je nach Konstellation integrierend, disziplinierend oder ausschliessend wirken“ (S.22). Hier lässt sich leicht eine Querverbindung zu Theorien nichtlinearer dynamischer Systeme ziehen. Je nach Ausprägung von Kontrollparametern kann als gleich gedachte Sozialhilfe soziale Integration im einen Fall fördern, im anderen behindern.
In seinem abschließenden Fazit kommt Roth u.a. zu der Einschätzung: „die Phase der Erweiterung der sozialen Sicherungssysteme erscheint grösstenteils abgeschlossen und die bestehenden Sozialversicherungssysteme inkl. der Sozialhilfe dürften in Zukunft unter noch stärkeren Druck geraten. Paradox an dieser Entwicklung ist, dass die erhöhte Nachfrage nach Leistungen der Sozialhilfe – verursacht durch die mit der Prekärisierung der gesellschaftlichen Lebensbedingungen zunehmend komplexeren Notlagen, welche nicht durch traditionelle Sicherungssysteme wie die Alters- oder Invalidenvorsorge aufgefangen werden können – im Gegensatz zu früheren Epochen nicht zu einem erleichterten Zugang für die Betroffenen, sondern vielmehr zu verstärkten Abschreckungsmethoden gegenüber den potenziellen BezügerInnen führt“ (S.137). Und weiter: „Die öffentliche Sozialhilfe (Sozialdienste und Sozialhilfebehörden) reagiert auf die wachsende Inanspruchnahme ihrer Leistungen zunehmend mit technokratischen Reflexen, welche teilweise die soziale Integration erschweren und die Gefahr bergen, die Menschenwürde und das Selbstbestimmungsrecht der hilfesuchenden Personen zu verletzen“ (S.140).