systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

Sabine Klar: Wildgehendes Schreiben

| Keine Kommentare

Ich kreise um das, was ich suche, finde schließlich Begriffe, formuliere, was ich sagen will, und lege mich damit auf eine bestimmte Ausdrucksweise fest. Ich füge unterschiedliche Begriffswelten zusammen und schütze diese Verknüpfungen, indem ich eine Menge Sätze um sie herum baue und Bilder dazu entwerfe. Ich bahne damit Wege und schaffe einen Schein, den ich mag. Die gewählten Worte und damit verbundenen Assoziationen haben eine Selbstwirksamkeit, eine ihnen immanente, unsichtbare Erwartungsstruktur. Am interessantesten wird es in den Bereichen, wo die Begriffe sich reiben, weil sie sich selbst nicht mehr genügen und auf andere verweisen. Mir kommt vor, dass der Inhalt, den viele Begriffe ansprechen, hinter und zwischen ihnen zu finden ist – in der Dynamik der Bedeutungen, die umkreisen, was sich eigentlich nicht sagen lässt.
Ich habe die Vorannahme, dass das, was ich zu beschreiben suche, dem entspricht, was der jeweilige Begriff meint. Wenn es meine Vorliebe ist, die diese Vorannahme über die Verwendbarkeit des Begriffs stärkt, dann kann es sein, dass das, was mittels dieses Begriffs im sprachlichen Raum erscheint, mehr mit dieser Vorliebe zu tun hat als mit dem, was ich beschreiben wollte. Da mir andererseits das, was ich zu beschreiben versuche, wichtiger ist als mein dafür gefundener sprachlicher Rahmen und meine Bilder, nehme ich gleichzeitig Abstand davon und versuche herauszufinden, ob ihm andere Formen vielleicht angemessener wären. Im Hinblick auf die jeweils gefundene einzelne sprachliche Form hilft mir Gelassenheit und eine gewisse ironische bzw. humorvolle Distanz. Im Hinblick auf das eigentlich Gemeinte und auf den Versuch, es immer wieder von neuem in Sprache zu fassen, kann und will ich diese Gelassenheit und innere Distanz aber oft nicht aufbringen – denn es ist mir wichtig.
Deshalb versuche ich mich der Verführung zu entziehen, mich an dem einen oder anderen Ruheplatz begrifflicher Festlegungen auf Dauer häuslich niederzulassen. Manchmal schreibe ich etwas auf, um es dann wieder vergessen und mich mit anderem beschäftigen zu können – mit Abzweigungen von den gewohnten Wegen meines Denkens, Wegweisern in eine Richtung, die vielversprechender erscheint, weil sie mir eine andere Haltung zu mir selbst und einen anderen Zugang zu meiner Welt vermittelt. Ich notiere diese Abzweigungen vom Vorgegebenen, weil ich sie beizeiten wieder finden möchte, um sie näher zu erkunden. Leider ist ihre Zahl inzwischen recht groß, so dass es mir schwer fällt, mich zu orientieren. Zehntausend Word-Files umfasst meine Festplatte inzwischen – dem gegenüber scheint die Zahl der Texte, die ich veröffentlicht habe, sehr gering zu sein. Das Schreiben dient dem Suchen und bringt das dabei Gefundene in eine nur vorübergehend akzeptable Form. Ich habe damit begonnen, als ich in der Volksschule war – zuerst handelte es sich um Geschichten über kleine Mädchen und ihre Abenteuer, dann um Tagebuchtexte, in denen das inzwischen älter gewordene Mädchen in all dem Abenteuerlichen, das sie erlebte, nach Selbstverständnis suchte. Statt als Jugendliche die Lokale unsicher zu machen und mich mit Gleichaltrigen zu vergnügen, verfasste ich einen utopischen Roman. Während meines Zoologiestudiums versuchte ich in einem theoretischen Text Gott und die Evolutionstheorie zu vereinen – dies setzte ich zehn Jahre später im Rahmen einer theologischen Diplomarbeit fort, in der es um Gott und den Konstruktivismus ging. Und auch in den letzten Jahren kaue ich in meiner Freizeit an einem Buch über ein ähnliches Thema, das nicht und nicht fertig werden will. Dazwischen habe ich mich um ganz andere Texte bemüht – z.B. um Forschungsberichte, Fachartikel oder Skripten für die systemische Ausbildung, in denen ich versuchte, eine mir eigene Sprache für die vermittelten Inhalte zu finden. Glücklicherweise ist mir das Tagebuchschreiben in den letzten Jahren abhanden gekommen – hätte ich die Chance, jemals das Interesse einer Biografin zu wecken, dann wäre diese wohl trotzdem sehr beschäftigt und käme vor lauter Lesen zu gar nichts mehr. Ich habe mich in Gesprächen mit einem imaginären Beobachter (in dieser Phase Daimon genannt) aus vielen Problemen herausgeschrieben, habe schreibend die Antwort auf Fragen gesucht und schreibend neue Fragen erfunden. Ich habe Manuskripte von zweihundert Seiten auf ein Viertel zusammengekürzt um sie dann wieder auf das Doppelte zu erweitern. In meinen privaten Dateiordnern finden sich unveröffentlichte Gedichte, ein Theaterstück und ein fast fertiger Roman.
Manchmal frage ich mich, ob dieser Schreibwahnsinn ein Erbe meiner Familie ist. Bei meinem Großvater finden sich neben vielen Gedichten auch gereimte Memoiren, welche die 30er und 40er Jahre in Wien zum Inhalt haben. Mein Vater verfasste ebenfalls Gedichte und von meiner Mutter gibt als „Zeitzeugin“ viele persönliche Erinnerungen in Sammelbänden. Meine Tochter produziert Texte seitdem sie die ersten Buchstaben kritzeln konnte (vor kurzem sagte sie mir, dass das der Grund war, weshalb sie so schnell in die Schule gehen wollte – um endlich die Geschichten in ihrem Kopf auf Papier bringen zu können). Inzwischen hat sie die Schriftstellerei zu ihrem Beruf gemacht und hoffentlich bald ihren Platz in der literarischen Szene. Und auch mein Sohn ist seit kurzem angesteckt worden und probiert die Geschichten in Worte zu fassen, die sich – oft über Jahre hinweg – in seinen Gedanken entfalten.  
Meine Schreiberei bläst Begriffswelten auf und macht mich glücklich, hält mich aber auch vom Lesen und vom sonstigen Leben ab, denn sie kostet viel Zeit. Insofern ist sie ein teures Hobby – noch dazu wenn sie keinen unmittelbar in Geld oder Imagegewinn ablesbaren Nutzen bringt, wie bei mir. Wenn ich meine mit viel Mühe geborenen Wortgebilde nach Monaten und Jahren wieder lese, erscheinen sie mir fremd – so als hätte sie ein anderer verfasst. Manchmal erkenne ich, dass ich vieles geschrieben habe ohne es wirklich zu verstehen – dass ich mich in meine eigenen Worte verliebt und dabei den Inhalt übersehen habe. Dann beginne ich zu streichen und das Unnötige abzulösen. Ich schäle eine Zwiebel und ahne schon, dass letztlich nichts dabei herauskommen wird. Deshalb halte ich zeitweise inne, berge den vorübergehend saftig erscheinenden Kern in meiner Hand und verwende ihn zum Kochen.

Kommentar verfassen

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..