Am Samstag ist Ruth Cohn (Foto: Ruth-Cohn-Archiv Hamburg), die bedeutende Vertreterin der Humanistischen Psychologie und Begründerin des TZI-Ansatzes, im Alter von 97 Jahren in Düsseldorf gestorben. Eine Würdigung ihres Werkes, die Friedo Schulz von Thun anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch den Fachbereich Psychologie der Universität Hamburg vorgetragen hat, findet sich auf den Seiten des Ruth-Cohn-Archivs der Universität Hamburg. Ich habe zwei„Zitate des Tages“ ihr zu Ehren ebendort gefunden, beide aus dem Band„Es geht ums Anteilnehmen“ (Herder-Verlag, Freiburg 1993):
„Anteilnehmen gehört zu uns als Teilhabende an dieser Welt. An was und wie wir anteilnehmen, beruht auf unseren Fähigkeiten und unserer persönlichen Geschichte. Wir nehmen wahr, wir sind motiviert und wir handeln durch unsere Gefühle, Gedanken, Werte. Als Anteilnehmende antworten wir auf Geschehnisse – sind wir ver-antwort-lich. Nachrichten gibt es im Überfluß. Sie können uns bis zur Resignation überschwemmen, zum Abstellen bringen, zur Wählerapathie. Zuviel wollen oder zuwenig wollen macht ohnmächtig. Wenn ich zuviel oder zuwenig anteilnehme an zuvielen oder zuwenigen Botschaften aus meinem Körper, an Nachrichten aus der Familie oder von Freunden oder aus der großen Welt, erschlafft etwas in mir; ich kann zum Gegner meines eigenen Lebens werden. Doch ich kann mich auch als unendlich kleiner Teil der Welt ernst nehmen, wenn ich bewußt anteilnehme. Denn ich bin nicht ohnmächtig; ich kann nicht gar nichts. Ich bin nicht allmächtig, ich kann nicht alles. – Auch im Anteilnehmen und im Tun geht es ums menschliche Maß. (S. 8 )
Der Begriff Lebendiges Lernen impliziert den Gegensatz zum Toten Lernen, das wir aushalten müssen, weil du und ich – unsere Gesellschaft – es zulassen, daß Leben in Stunden toten Lernens oder toten Arbeitens und Stunden der Freiheit und Lebendigkeit aufgesplittert wird. Schüler werden aufgefordert, für„später im Leben“ zu lernen, um ihre Lebensberechtigung und ihren Lebensunterhalt zu verdienen, während ihr Hier-und-Jetzt-Dasein dieser Zukunft geopfert wird. Diese Trennung von Leben und Lernen ist ein grausiger kultureller Tatbestand und keine biologische Notwendigkeit. Das Baby greift nach seinen Zehen, betrachtet ein surrendes buntes Windrädchen, gibt gurgelnde Laute von sich und formt sie zu artikulierten Wörtern: es strampelt, es zappelt, es lallt – und wird wütend und schreit, wenn ihm etwas nicht gelingt. Lernen und leben sind noch ungeteilt. Dann zwingt unsere Zivilisation Kinder in ungemäße Lern- und Verhaltensformen. Wir bieten ihnen aggressive und rivalisierende, statt individuierende und kooperative Verhaltensweisen an. Was ein lebendiger Lern- und Wachstumsprozeß sein sollte, wird zu einem„Ich bin besser (schlechter) als Du“-Unternehmen, das entfremdende Motivationen einimpft und echte Lebenswerte zerstört. (S. 13)