Heute ist Christian Zniva, Psychotherapeut in freier Praxis aus Linz in Österreich an der Reihe, ein Adventskalendertürchen zu öffnen:
Die Geschichte, die ich erzählen will, stammt aus einem persönlichen Kontakt mit einem Priester aus Nigeria, der in Österreich seine Ausbildung zum Psychotherapeuten (Systemische Familientherapie) absolvierte. Meine Begegnung mit ihm fand in einer Veranstaltung zu dem Thema Religion als Gegenüber, als Herausforderung und als Ressource für Psychotherapie statt. Beeindruckt hat mich die Einfachheit seines Vortrags. Zentraler Inhalt seiner Ausführungen war die Frage: Wie kann man sich Psychotherapie in Nigeria vorstellen? Zwei Punkte, die mir besonders in Erinnerung geblieben sind, möchte ich an dieser Stelle kurz wieder geben. Der erste bezieht sich auf das Thema Setting, der zweite auf das Thema Methodik. Zum Setting: In Nigeria findet Psychotherapie immer in Anwesenheit der Familie statt. Dem Aussprechen von Problemen in Anwesenheit der Familie und dem Bekenntnis eigener Verantwortung zur Problementstehung vor der Familie wird in Nigeria eine heilende Funktion zugeschrieben. Intimität und Verschwiegenheit werden im Gegensatz zu unserem Kulturkreis nicht als lösungsfördernde Rahmenbedingungen angesehen. Vielmehr wird die Anwesenheit von Familie und anderen relevanten Personen als Ressource genutzt, ja geradezu als Voraussetzung für das Gelingen von Psychotherapie angesehen. Zur Methodik: In Nigeria hat das Ritual eine zentrale Funktion in der Psychotherapie. Gefragt nach den psychotherapeutischen rituellen Handlungen, die in Nigeria Anwendung finden, antwortete der Priester: In Nigeria ist das ganz einfach. Es gibt fünf Sachen, die der Seele gut tun: Reden, Weinen, Lachen, Tanzen und Singen. Auch wenn ich mich nicht der Illusion hingeben will, Weisheiten aus Nigeria 1:1 auf Psychotherapie in Zentraleuropa übertragen zu können, leitete ich zwei Aspekte für meine Arbeit aus dem Vortrag ab. Erstens: Ich denke auch bei erwachsenen Klienten öfter daran das Setting zu erweitern und Personen aus dem Herkunftssystem in die Therapie einzuladen. Zweitens: Auch wenn Probleme komplex erscheinen mögen, können Lösungen einfach sein.