In einem gerade erschienenen Beitrag für das Online-Journal Psychotherapie Wissenschaft stellt Serge Sulz aus der Schweiz, Honorarprofessor für Grundlagen der Verhaltensmedizin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie an der Kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt, noch einmal eine Übersicht über die Argumente vor, dass es sich bei der Psychotherapie nicht um eine Wissenschaft und auch nicht um angewandte Wissenschaft handelt, sondern immer um einen professionellen Prozess einer jeweils individuell einzigartigen Begegnung, der zwar durch wissenschaftliche Erkenntnisse grundiert und angeregt werden kann, aber nicht von diesen determiniert werden kann. Im abstract heißt es: „In Deutschland wird Psychotherapieausbildung in die Hände von Wissenschaftlern gegeben und die praktische Ausbildung hintangestellt. Dies führt zur Frage, inwiefern und in welchem Ausmaß Psychotherapie Wissenschaft ist. Beginnend mit einer Diskussion von Psychologie als Wissenschaft und ihren Fehlentwicklungen und Stagnationen wird zur Frage übergegangen, ob Psychotherapie Wissenschaft ist, die von den Wissenschaftlern bejaht wird. Die praktizierenden Psychotherapeuten dagegen sagen, dass sie eine Kunst ist, die auf Wissenschaft aufbaut, aber mehr ist als diese. Sie leiten daraus ab, dass diese Kunst nicht von Wissenschaftlern gelehrt werden kann. Aber auch unter den Wissenschaftlern herrscht keine Einigkeit. Die einen forschen unter experimentellen, laborähnlichen Bedingungen, während ihre Ergebnisse von den anderen als ungültig für die reale Welt außerhalb des Labors betrachtet werden. Schließlich wird der Frage nachgegangen, wo und wie die Kunst der Psychotherapie gelernt werden kann.“
Psychotherapie ist mehr als Wissenschaft oder: von der Wissenschaft zur Kunst
31. August 2015 | 3 Kommentare
Lieber Tom und Jürgen Hargens
Gerne schliesse ich mich in meinem Dank Jürgen Hargens an , wohl wissend und ernüchtert (aber nicht resigniert), dass es doch eher wir Oldies sind, die in eben solchen „Diskussion Fahrt aufnehmen“.
Was meines Erachtens, gerade auch in meiner Therapeuten -(Neben-)Rolle als Ausbildner/Supervisor/Lehrtherapeut, wichtig wäre, wenn die laufenden (un in Planung begriffenen) Curricula dieser Diskussion zugeführt würden. Leider beobachte ich auch bei uns (Schweiz, Systemiker), dass mit der Etablierung der psychologischen Psychotherapie (Psychologiegesetz in der Schweiz) nun Auflagen, Reglementierungen zur formellen und inhaltlichen Gestaltung verbunden sind in deren Folge v.a. das (schulen- und störungsspezifische) Wissen auf Kosten des Könnens (Uebens) ausgebaut werden muss/wird. Und da möchte ich mich Herrn Sulz gerne anschliessen, dass Letzteres (Synchronisation zwischen Therapeut und Klient/in, Therapeutenkompetenz usw.) wohl weder an der Uni noch in Theorie- Konzept und Philosophiediskursen, oft weit ab vom Alltag der Menschen, die psychisch schwer belastet sind und leiden, erfahren und eingeübt werden kann..
Mit kollegialem Gruss aus der Schweiz
Martin Rufer
Lieber Tom,
Danke für den Artikel, der ein in meinen Augen wichtiges Thema adressiert – was heißt Psychotherapie angesichts der zunehmenden Medikalisierung und empiristischer Forschung? Das ist in meinen Augen auch für systemische Therapie ein bedeutsamer Aspekt, der beim Anerkennungsprozess zu kurz zu kommen scheint. Und leider ist die Diskussionsfreudigkeit dieses Themas wenig ausgeprägt. Denn was bedeutet es für ein systemisches Grundverständnis, wenn sich systemische Therapie ins Bett des Psychotherapiegesetzes legt? Welchen Unterschied macht „systemisch“ zu anderen Therapien – z.B. was die Frage der „Wirklichkeit“ wie der Notwendigkeit von Diagnosen betrifft. Undsoweiter.
Wäre schön, wenn die Diskussion Fahrt aufnähme.
Mit friedlichem Gruß
Jürgen Hargens
Herzlichen Dank Tom Levold für den Hinweis zu diesem wichtigen Beitrag und herzlichen Dank an Prof. Dr. Sulz für diesen längst überfälligen Artikel.
Volkmar Abt