systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

17. Oktober 2014
von Tom Levold
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»Welches Problem führt Sie zu mir?« Über die metaphorische Struktur von Problembeschreibungen

psychosozial 137 Metaphernanalyse

psychosozial 137
Metaphernanalyse

Gestern habe ich an dieser Stelle den Jahrgang 2014 der Zeitschrift psychosozial vorgestellt. Das letzte Heft ist dem Thema Metaphernanalyse gewidmet. Herausgeber Michael B. Buchholz schreibt in seinem Editorial: „Unüberbietbar ist das Thema deshalb, weil sich die Erkenntnis durchsetzt, dass unser gesamtes Denken, unsere Wissensorganisation und unsere tägliche Konversation durchzogen ist von Metaphern. Wissenschaftler jeglicher Provenienz können es nicht vermeiden, im Kern ihrer Theorien Metaphern zu verwenden, und Thomas Kuhn (1979) hatte die Paradigmen als Metaphern bezeichnet; Metaphern mit solchen Wirkungen und Reichweiten sind dann schon als »Weltanschauungen« anzusehen, als Wirklichkeitskonstruktion von Denkkollektiven (Fleck, 1983) mit erheblichen sozialen Bindewirkungen. Unsere Theorien sind von vielen unbemerkten Metaphern durchzogen, unsere Konversation im Alltag sowieso, und unsere körperlichen Begleitgesten tun das ihre dazu, dass es notwendig geworden ist, »multimodale« Metaphern zu untersuchen. Deshalb erscheinen große Zusammenstellungen (…) und detaillierte Untersuchungen zur Mitbeteiligung des Körpers (…), die wiederum an die Wiederentdeckung des Körpers (Stichwort: »Embodiment«) in weiten Bereichen der Wissenschaftstheorie, der Kognitionsforschung und der Neurowissenschaften anschließen können“.

Für dieses Heft habe ich einen Beitrag geschrieben, der sich mit der Frage auseinandersetzt, wie in Therapien über Probleme gesprochen wird, welche Metaphern dieser Rede über Probleme zugrunde liegt und welche Konsequenzen diese metaphorische Strukturierung von Problemerleben für mögliche Lösungen hat. Freundlicherweise hat der Verlag psychosozial einer Veröffentlichung dieses Textes im systemagazin zugestimmt, herzlichen Dank dafür! Weiterlesen →

16. Oktober 2014
von Tom Levold
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Posttraumatische Belastungsstörungen: EMDR als Methode in der Psychotherapie anerkannt

Berlin, 16. Oktober 2014 – Für die Behandlung gesetzlich krankenversicherter Patientinnen und Patienten, die an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden, steht zukünftig eine weitere psychotherapeutische Methode zur Verfügung. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am Donnerstag in Berlin einen entsprechenden Beschluss gefasst, der vorsieht, dass Eye-Movement-Desensitization and Reprocessing (EMDR) als Behandlungsmethode im Rahmen eines umfassenden Behandlungskonzeptes der Verhaltenstherapie, der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie oder der analytischen Psychotherapie angewendet werden kann.

„Patienten, die durch Ereignisse und Erfahrungen wie beispielsweise Vergewaltigung, Krieg, Entführung und Folter traumatisiert sind, steht mit EMDR eine weitere Methode in der ambulanten Psychotherapie zur Verfügung. Angesichts gravierender Symptome wie Angst und Suizid­gedanken und erheblicher psychischer Begleiterkrankungen, unter denen Patienten mit PTBS zu leiden haben, ist dies sehr zu begrüßen“, so Dr. Harald Deisler, unparteiisches Mitglied im G-BA und Vorsitzender des Unterausschusses Psychotherapie. „Der Nutzen der EMDR bei der Behandlung von Erwachsenen mit PTBS erwies sich im Bewertungsverfahren des G-BA als wissenschaftlich belegt.“

Die Behandlungsmethode EMDR kann auch bei der Verarbeitung weiterer als traumatisch erlebter Ereignisse und Erfahrungen, wie beispielsweise nach Unfällen oder der Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit, angezeigt sein. Das Kernstück der Behandlung bildet nach der Begründerin, der US-Amerikanerin Francine Shapiro, die „Desensibilisierung“. Dabei soll durch kurzzeitiges Inkontakttreten mit der belastenden Erinnerung bei gleichzeitiger bilateraler Stimulation wie rhythmische Augenbewegungen, Töne oder kurze Berührungen etwa des Handrückens die Blockierung aufgehoben und eine zügige Verarbeitung der belastenden Erinnerung ermöglicht werden.

Der G-BA bewertet psychotherapeutische Behandlungsformen – ebenso wie andere medizinische Methoden – nach einem festgelegten Verfahren. Überprüft wird dabei, ob psychotherapeutische Verfahren, Methoden oder Techniken medizinisch notwendig und wirtschaftlich sind und ob sie für Patientinnen und Patienten einen wissenschaftlich belegten Nutzen haben.

Der Beschluss wird dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zunächst zur Prüfung vorgelegt und tritt nach erfolgter Nichtbeanstandung und Bekanntmachung im Bundesanzeiger in Kraft. (Quelle: Gemeinsamer Bundesausschuss – Stabsabteilung Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation Wegelystraße 8, 10623 Berlin).

16. Oktober 2014
von Tom Levold
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psychosozial

psychosozial 135 Intersexualitäten

psychosozial 135
Intersexualitäten

Ende letzten Jahres ist die Zeitschrift Psychotherapie & Sozialwissenschaft als eigenständige Publikation eingestellt worden. Die Zeitschrift, die 1999 erstmals im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht erschien, erreichte von Anfang an nur ein kleines Publikum. Die sozialwissenschaftlichen Dimensionen psychotherapeutischer Praxis scheint nur bedingt ein massentaugliches Thema zu sein. Nachdem der Verlag sich entschieden hatte, das defizitäre Projekt einzustellen, sprang Ende 2004 Verleger Hans-Jürgen Wirth in die Bresche und gab der Zeitschrift in seinem Psychosozial-Verlag eine neue Heimat. Hier erschien sie immerhin noch neun Jahre. Der Abschied erfüllt mich nicht nur deshalb mit Wehmut, weil ich eine Zeit lang selbst Mitherausgeber war. Bedauerlich finde ich vor allem, dass die spezifische Programmatik der Verbindung von

psychosozial 136 Vielfalt, Identität, Erzählung

psychosozial 136
Vielfalt, Identität, Erzählung

klinischen mit soziologischen und sozialpsychologischen Fragestellungen in einer Zeit wenig Resonanz findet, in der genau diese Verbindung so notwendig wie nie wird. 2014 wurde Psychotherapie & Sozialwissenschaft mit der im gleichen Verlag erscheinenden Zeitschrift psychosozial fusioniert, die mittlerweile im 37. Jahrgang erscheint und auch weiterhin den Titel gibt. psychosozial ist thematisch breiter aufgestellt, geht also weit über den therapeutischen Bereich hinaus. Im Unterschied zu Psychotherapie & Sozialwissenschaft erscheint sie nicht zweimal, sondern viermal jährlich. Geändert hat sich auch der Herausgeberkreis, der aus Michael B. Buchholz, Pradeep Chakkarath, Oliver Decker, Jörg Frommer, Benigna Gerisch, Rolf Haubl, Marie-Luise Hermann, Vera King, Carlos Kölbl, Joachim Küchenhoff, Jan Lohl, Kathrin Mörtl, Katja Sabisch, Jürgen Straub und Hans-Jürgen Wirth besteht.

psychosozial 137 Metaphernanalyse

psychosozial 137
Metaphernanalyse

Ab diesem Jahr wird psychosozial also die Liste derZeitschriften im systemagazin vervollständigen, deren bibliografische Angaben und abstracts mit jeder neuen Ausgabe vorgestellt werden.

Bislang sind drei Hefte in diesem Jahr erschienen. Heft 135 befasst sich mit dem Schwerpunktthema Intersexualitäten und liefert interessante Beiträge zum Umgang mit „Variationen der biologischen Geschlechtsentwicklung“, Heft 136 ist dem Thema Vielfalt, Identität, Erzählung gewidmet und untersucht Geschichtsberwusstsein und Geschichtskultur in der Wanderungsgesellschaft. Das aktuelle Heft 137, von Michael B. Buchholz herausgegeben, ist der Metaphernanalyse gewidmet. Alle bibliografischen Angaben und Zusammenfassungen finden sich hier…

15. Oktober 2014
von Wolfgang Loth
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Soziale Arbeit im Spannungsfeld zwischen Integration und sozialer Kontrolle

Thomas Roth hat im Jahr 2008 an der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel eine Dissertation vorgelegt, in der er die Entwicklung der öffentlichen Sozialhilfe sowohl in ihrem historischen Kontext als auch in Bezug auf ein breites Theorienspektrum diskutiert. Auf dieser Basis nähert er sich den praktischen Konsequenzen gesellschaftlicher und gesellschaftspolitischer Rahmenbedingungen Sozialer Arbeit, im Besonderen bezogen auf ihren Auftrag, effektive Hilfen zur sozialen Integration zu leisten. Der Titel seiner Dissertation: „Soziale Arbeit im Spannungsfeld zwischen Integration und sozialer Kontrolle am Beispiel des sozialen Integrationsauftrags der öffentlichen Sozialdienste“. Roth beleuchtet „die Spannungsfelder der öffentlichen Sozialhilfe zwischen sozialer Integration und Kontrolle aus soziologischer Sicht“ und konfrontiert diese „mit eigenen Beobachtungen, einer Befragung von Sozialarbeitenden, einer Mediensichtung sowie einer Auseinandersetzung mit der Fachliteratur“ (S.137).

Wie ein roter Faden zieht sich die nicht eindeutig zu verortende Grenze zwischen Unterstützung und sozialer Kontrolle durch Roths Arbeit. Roth skizziert die Entwicklung des soziologischen Kontrollbegriffs bis hin zu systemtheoretischen Überlegungen (im Hinblick auf letztere ergibt sich eine interessante Spannung zwischen der Überschrift des entsprechenden Kapitels im Inhaltsverzeichnis: „Kritische Anmerkungen zum systemtheoretischen Ansatz“, während das Kapitel im Text überschrieben ist mit „Bedeutung der systemtheoretischen Ansätze für die Soziale Arbeit“ (S.69ff.). Roth stimmt anderen Autoren zu, die Luhmanns „eher distanzierte Position“ hinterfragen, „welche ökonomische und strukturelle Ursachen – und damit auch jegliche politische Verantwortung – für soziale Probleme kaum genügend gewichtet“ (S.70). Dennoch spielen systemtheoretische Anregungen eine Rolle. Roth schreibt: „Die Ausgangslage für die Bildung meiner Orientierungshypothesen besteht – gestützt auf ein systemtheoretisches Konzept – in der Annahme von eher durchlässigen Grenzen des ,Systems Sozialhilfe‘ gegenüber übergeordneten Interessenkonstellationen, verbunden mit zum Teil rigiden Grenzziehungen des Hilfeleistungssystems Sozialhilfe gegenüber den direkten und indirekten Zielgruppen (…). Im Speziellen sollen diese richtungweisenden Hypothesen eine erste Annäherung an die Frage erlauben, wieweit diese Grenzziehungen in einem unzulässigen Masse berechtigte Personen und Personengruppen vom Zugang zur Sozialhilfe fern halten“ (S.20). Eine erste dieser Hypothesen postuliert in diesem Sinne: „Situative, anonymisierte und administrativ-technische Formen von sozialer Kontrolle in den materiellen und personenbezogenen Dienstleistungen der öffentlichen Sozialhilfe können je nach Konstellation integrierend, disziplinierend oder ausschliessend wirken“ (S.22). Hier lässt sich leicht eine Querverbindung zu Theorien nichtlinearer dynamischer Systeme ziehen. Je nach Ausprägung von Kontrollparametern kann als gleich gedachte Sozialhilfe soziale Integration im einen Fall fördern, im anderen behindern.

In seinem abschließenden Fazit kommt Roth u.a. zu der Einschätzung: „die Phase der Erweiterung der sozialen Sicherungssysteme erscheint grösstenteils abgeschlossen und die bestehenden Sozialversicherungssysteme inkl. der Sozialhilfe dürften in Zukunft unter noch stärkeren Druck geraten. Paradox an dieser Entwicklung ist, dass die erhöhte Nachfrage nach Leistungen der Sozialhilfe – verursacht durch die mit der Prekärisierung der gesellschaftlichen Lebensbedingungen zunehmend komplexeren Notlagen, welche nicht durch traditionelle Sicherungssysteme wie die Alters- oder Invalidenvorsorge aufgefangen werden können – im Gegensatz zu früheren Epochen nicht zu einem erleichterten Zugang für die Betroffenen, sondern vielmehr zu verstärkten Abschreckungsmethoden gegenüber den potenziellen BezügerInnen führt“ (S.137). Und weiter: „Die öffentliche Sozialhilfe (Sozialdienste und Sozialhilfebehörden) reagiert auf die wachsende Inanspruchnahme ihrer Leistungen zunehmend mit technokratischen Reflexen, welche teilweise die soziale Integration erschweren und die Gefahr bergen, die Menschenwürde und das Selbstbestimmungsrecht der hilfesuchenden Personen zu verletzen“ (S.140).

Die Dissertation von Thomas Roth gibt es im web hier…

14. Oktober 2014
von Tom Levold
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The Planning Machine. Project Cybersyn and the origins of the Big Data nation

Im Juni 2008 habe ich auf einen sehr interessanten Text von Claus Pias hingewiesen, in dem er die Geschichte von Stafford Beer, Salvador Allende und das Schicksal der Kybernetik in Chile nachzeichnet. In der aktuellen Oktober-Ausgabe des „New Yorker“ erzählt Evgeny Morozov diese Geschichte noch einmal auf sehr spannende Weise:
„The consultant, Stafford Beer, had been brought in by Chile’s top planners to help guide the country down what Salvador Allende, its democratically elected Marxist leader, was calling “the Chilean road to socialism.” Beer was a leading theorist of cybernetics—a discipline born of midcentury efforts to understand the role of communication in controlling social, biological, and technical systems. Chile’s government had a lot to control: Allende, who took office in November of 1970, had swiftly nationalized the country’s key industries, and he promised “worker participation” in the planning process. Beer’s mission was to deliver a hypermodern information system that would make this possible, and so bring socialism into the computer age. The system he devised had a gleaming, sci-fi name: Project Cybersyn.“
Das kybernetische Projekt wurde letzten Endes nie realisiert, der Pinochet-Putsch bereitete ihm ein frühes Ende. Beer war zu der Zeit nicht in Chile, aber seine chilenischen Mitarbeiter kamen ins Gefängnis.
Morozov spannt einen breiten Bogen von der ursprünglichen Steuerungsidee, die auf einer Echtzeit-Analyse von Wirtschaftsdaten beruhte, die in dieser Form und mit dem damaligen Stand der Computer-Technik nicht umsetzbar war, hin zu den heutigen technischen Möglichkeiten einer „algorithmischen Regulierung“ mit Hilfe von „Big Data“, die als Kandidat für eine ganz neue Herrschaftsform im Gespräch ist, die die politische und ökonomische Steuerung der Gesellschaft durch die Aggregation und Analyse von jederzeit verfügbaren Nutzerdaten sicherstellt.
Zum vollständigen Text geht es hier…

13. Oktober 2014
von Tom Levold
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Es gibt keine sozialen Systeme

Dirk Baecker

Dirk Baecker

Dirk Baecker geht seit einiger Zeit neue theoretische Pfade, auf denen er sich mit möglichen Limitationen der Theorie sozialer Systeme Luhmanns auseinandersetzt, u.a. auch mit der Frage, inwiefern Luhmanns Theorie tatsächlich in der Lage ist, Probleme zu lösen, mit denen sich die Soziologie beschäftigt (und beschäftigen muss). Immerhin beginnt das Vorwort zu seinem epochalen Werk „Soziale Systeme“ mit einem Hinweis auf die zu lösende Krise der Soziologie.Auf dem 37. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie hat er einen Vortrag zu diesem Thema gehalten, in seinem weblog hat er seine Thesen hierzu zusammengefasst. Unter anderem stellt er sich die Frage, was geschieht, wenn man Luhmanns Diktum und Ausgangspunkt „Die folgenden Überlegungen gehen davon aus, daß es Systeme gibt“ (ebd.) nicht mehr einfach übernimmt, sondern diese Überlegung als die Betrachtung eines Beobachters und Autors untersucht, der als Autor damit selbst nicht mehr hinter seinem Text verschwindet. Auf diese Weise käme die Systemtheorie wieder in eine andere Beziehung zu Theorien, die sich mit psychologischen und körperlichen Prozessen befassen. Weiterlesen →

12. Oktober 2014
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Thomas Fuchs

Die intersubjektive Zeit lässt sich als eine relationale Ordnung von individuellen und sozialen Prozessen betrachten, die grundsätzlich durch Synchronisierungen und Desynchronisierungen charakterisiert sind. Während die gelebte oder implizite Zeit grundsätzlich mit Synchronie verbunden ist, entsteht das explizite Zeiterleben vor allem in desynchronisierten Zuständen: Die

Th. Fuchs et al. (2014): Das leidende Subjekt

Th. Fuchs et al. (2014):
Das leidende Subjekt

Irreversibilität und die „Herrschaft“ der Zeit erfahren wir vor allem in Diskrepanzen, Remanenzen oder Trennungen von anderen, auf die unsere gelebte Zeit primär bezogen ist. Zeit wird besonders in der Ungleichzeitigkeit erfahrbar: als das „Zu-früh” oder „Zu-spät”, und damit als Zeit, die „kriecht“ oder „eilt“, die „vergeht“ oder gegen die man kämpft. Damit ähnelt sie der Gesundheit, die uns eigentümlich verborgen bleibt, solange wir nicht erkranken; oder dem Gleichgewicht, das wir erst in seinem Verlust, im Schwanken und im Schwindel kennenlernen. Aber es ist nicht „die Zeit“ als eine metaphysische Wesenheit, die wir dabei erfahren, sondern es sind Veränderungen in der Zeitigung unserer Existenz, die sich aus ihrem Verhältnis zu den Rhythmen und Prozessen ergeben, in die unser Leben von Beginn an eingebettet ist. Die Zeit, die uns äußerlich und scheinbar eigenständig gegenübertritt, wird tatsächlich nur in Relationen erfahren, und zwar primär in der Beziehung zu den Anderen, d.h. in Desynchronisierungen der intersubjektiven Zeitordnungen.

(aus: Psychopathologie der subjektiven und intersubjektiven Zeitlichkeit.
Erschienen in: In: Fuchs, T., Breyer, T., Micali, S., Wandruszka (Hrsg.) (2014): Das leidende Subjekt: Phänomenologie als Wissenschaft der Psyche. Alber, Freiburg.

10. Oktober 2014
von Tom Levold
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Luc Ciompi wird 85!

Heute feiern wir Luc Ciompis 85. Geburtstag, ein Datum, das man kaum glauben mag. Die Vitalität und Energie, die er versprüht, ist auch in hohem Alter immer noch und überall zu verspüren. Seine Begeisterungsfähigkeit, seine vielfältigen Interessen und nicht zuletzt seine freundliche und zuwendende Art bleiben allen in Erinnerung, die ihn bei einem Vortrag oder Workshop erlebt haben oder ihn persönlich kennenlernen durften. Er hat nicht nur maßgebliche Akzente bei der Entwicklung einer humanen und sozialen Psychiatrie mit seinem Soteria-Konzept in Bern gesetzt (wovon er in diesem Video erzählt), sondern seit den frühen 80er auch wesentliche Beiträge dazu geleistet, dass die Bedeutung der Affekte auch im systemischen Feld den Platz einnehmen, der ihm gebührt – keine Selbstverständlichkeit, hat sich die Systemische Therapie doch zunächst überscharf gegen alles abgegrenzt, was eher dem individualpsychologischen Erleben zugeordnet werden konnte. Seine Bücher (z.B. Affektlogik, Außenwelt und Innenwelt oder Die emotionalen Grundlagen des Denkens) sind durch eine mitreißende Begeisterung für die theoretische Durchdringung therapeutisch relevanter Sachverhalte gekennzeichnet, die sich auch im Gespräch mit ihm immer wieder mitteilt. Die Malerei ist ein weiteres von vielen Medien, in dem seine Kreativität und Gestaltungskraft ein angemessenes Gefäß findet.

Lieber Luc, ich gratuliere ganz herzlich zum Geburtstag und wünsche noch viele gute und gesunde Jahre, voll Schaffenskraft, Genuss und neuen Erkenntnissen – und damit bin ich nicht alleine, wie dieser Strauß von Gratulationen im systemagazin zeigt…
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9. Oktober 2014
von Tom Levold
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Die Realität der Massenmedien

Am 24. September habe ich an dieser Stelle auf ein Radio-Interview mit Niklas Luhmann hingewiesen, das Wolfgang Hagen für Radio Bremen anlässlich Luhmanns 70. Geburtstag geführt hatte. Das Gespräch hatte noch einen ebenso ausführlichen zweiten Teil, in dem es um Luhmanns Theorie der Massenmedien ging.

Auf der website von Radio Bremen heißt es dazu: „Die Realität ist so hinzunehmen, wie sie von den Massenmedien präsentiert wird und, auf sich selbst aufbauend, reproduziert wird. Diese Überlegungen stehen im Zentrum der Kommunikationstheorie, wie sie der Sozialwissenschaftler Niklas Luhmann formuliert hat.Sollten also der alltägliche Wahnsinn, so fragte der Spiegel prompt, sollten der Bildersalat des Fernsehens, die verblödende Werbung, der Schwachsinn der Unterhaltung ein „operatives, geschlossenes System“ darstellen, das nach eigenen Regeln erzeugt, was die Gesellschaft als die Realität akzeptiert? Genau dieses ist Erkenntnis und Kerngedanke der Luhmannschen Medientheorie, nachzulesen in seinem opus magnum: „Die Gesellschaft der Gesellschaft“. Luhmann verzichtet auf normative Wertungen. Er weigert sich zu sagen, wie die Medien eigentlich funktionieren müßten. Er beschränkt sich darauf, zu beobachten, wie die Medien beobachten. Die kommunikationswissenschaftlichen Überlegungen stehen im zweiten Teil des Gesprächs mit dem emeritierten Soziologie-Professor im Zentrum. Die Fragen stellte der Radio-Bremen-Redakteur Wolfgang Hagen.“

Das Audio-Interview können Sie hier hören, es gibt aber auch ein Transkript der Sendung.

8. Oktober 2014
von Tom Levold
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International Journal of Body, Mind & Culture

ijbmc-isfahanAus einer mehrjährigen Zusammenarbeit der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universität Freiburg (Ärztlicher Direktor: Michael Wirsching) und einer Arbeitsgruppe in Isfahan im Iran, an der neben der dortigen Universitätsklinik für Psychosomatik auch ein familientherapeutisches Weiterbildungsinstitut beteiligt ist, ist die Idee eines wissenschaftlichen Journals entstanden, das die Verbindung von körperlich-leiblichen, seelischen und kulturbedingten Dynamiken als zentrales Thema begreift. Programmatisch heißt es: „Modern medicine is supposed to be in a paradigmatic crisis in terms of the accelerative demographic, epidemiologic, social and discursive Aspects. The ontological, epistemological and methodological gaps in biomedicine lead to a chaotic condition in health believes and behaviors. Body, Mind and Culture is focused on interdisciplinary, cross-cultural and conceptual research; Theoretical papers, review articles, case reports and clinical trials which address biopsychosocial interchanges and interactions in the field of health and Medicine will be welcomed. The researches should focused on paradigmatic shift and/or humanizing medical practice. All interdisciplinary researches such as social sciences (e.g., sociology, anthropology, psychology), humanities (e.g., literature, religion, history, and philosophy and arts (e.g., music, cinema) which have an impact on medical education and practice are acceptable.“

Die Zeitschrift ist als Open Access Journal konzipiert, erscheint zweimal jährlich und steht kostenfrei online zur Verfügung. Start war 2014, die zweite Ausgabe ist soeben erschienen. Chairman des Journals ist Prof. Dr. Michael Wirsching, Editor-in-Chief is Farzad Goli MD. aus Isfahan, Co-Editors sind Carl Scheidt (Freiburg) und Alireza Monajemi (Tehran). Eine vollständige Übersicht über das Editorial Board findet sich hier. Weiterlesen →

7. Oktober 2014
von Tom Levold
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Wittgenstein: Realismus, Ethik und Ästhetik

Mario Brandhorst (Foto: www.uni-goettingen.de)

Auf dem 22. Deutschen Kongress für Philosophie hat Mario Brandhorst vom Philosophischen Seminar der Universität Göttingen einen Vortrag zum Thema „Wittgenstein: Realismus, Ethik und Ästhetik“ gehalten, der auch im Internet zu lesen ist. Seine Vortragseröffnung lautet folgendermaßen: „Mein Vortrag befasst sich mit Wittgensteins Spätwerk. Er betrachtet es aus einer ungewohnten Perspektive: der Perspektive der Metaethik. Das zu tun, ist in mindestens zweierlei Hinsicht gewagt. Erstens gibt es nur eine sehr kleine Basis von Texten, in denen Wittgenstein sich mit ethischen Fragen beschäftigt. Was er dort sagt, mag nicht sein letztes Wort sein; und es ist einfach nicht viel. Zweitens herrscht die Auffassung vor, Wittgenstein lehne jede Form von philosophischer Theorie ab, sodass es von vornherein verfehlt zu sein scheint, nach seiner ›Position‹ in der Metaethik zu fragen. Es gibt einen Mythos in Bezug auf Wittgenstein: Der Mythos lautet, er gebe keine Erklärungen, stelle keine philosophischen Thesen auf, über die man vernünftigerweise streiten könnte und breche mit jeder Metaphysik, insbesondere mit jeder Art von Ontologie. Natürlich ist der Mythos nicht ganz aus der Luft gegriffen. Im Gegenteil: Wer Wittgenstein kennt, hört leicht heraus, dass all das, was ich eben gesagt habe, um den ›Mythos‹ näher zu charakterisieren, so oder so ähnlich von Wittgenstein selbst gesagt wird. Das will ich natürlich nicht bestreiten – und auch nicht, dass wir das ernst nehmen müssen, was Wittgenstein hier über sich und sein Verständnis von Philosophie sagt. Eine umfassende Interpretation muss in der Lage sein, diese und andere Passagen zur philosophischen Methode zu integrieren, ohne ihnen ihre polemische Pointe zu nehmen – aber auch, ohne sie über Gebühr zu strapazieren und aus ihrem Kontext zu lösen. Dass das möglich ist, setze ich hier voraus, ohne es im Einzelnen belegen und erläutern zu können. Kurz gesagt: Wittgenstein scheint sich selbst in Passagen wie diesen nicht gegen jede, sondern eher gegen bestimmte sehr anspruchsvolle, ihm selbst nur zu gut vertraute Arten philosophischer Erklärung und die damit zusammenhängenden Thesen der Metaphysik und Ontologie zu wenden. Das Paradigma dieser verfehlten Art der Erklärung ist die Metaphysik und Ontologie des Tractatus. Es kann aber kein Zweifel darüber bestehen, dass Wittgenstein auch im Spätwerk Erklärungen anderer Art nicht nur zulässt, sondern selbst erwägt und entwickelt.“

Zum vollständigen Text geht es hier…