
Gisal Wnuk-Gette
Heute feiert Gisal Wnuk-Gette ihren 75. Geburtstag und kann mit ungebrochenem Elan und enormer Schaffenskraft auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Für die systemische Bewegung hat sie in den vergangenen Jahrzehnten Außerordentliches als Lehrerin, Verbandspolitikerin und Organisatorin geleistet und viele Generationen von systemischen TherapeutInnen ausgebildet und inspiriert. Gemeinsam mit ihrem Mann Werner Wnuk hat sie das Wenger Mühle Centrum als Ausbildungsstätte aufgebaut. In ihrer Region des Ortenau-Kreises hat sie gemeinsam mit einem engagierten Team und der örtlichen Jugendhilfe ein innovatives und beeindruckendes Familientherapie-Projekt mit mehrfach belasteten Familien durchgeführt, das als Beispiel für eine systemisch inspirierte Jugendhilfe auch heute noch Gültigkeit hat (auch wenn sich die staatliche Jugendhilfe wieder davon entfernt). Sie hat als langjährige Vorsitzende des DFS entscheidenden Anteil an der Fusion mit der DAF zur DGSF im Jahre 2000 gehabt und als deutsche Vertreterin in der EFTA gewirkt. Gisal hat nur wenig veröffentlicht und ihre Stärke mehr im Aufbau und der Gestaltung von Beziehungen gesehen, eine Fähigkeit, die dazu führte, dass vieles praktische Gestalt angenommen hat, was sonst das Licht der Welt nie erblickt hätte. Bis 2002 hatten wir uns aus ganz unterschiedlichen Gründen eine ziemlich distanzierte Beziehung, sowohl inhaltlich als auch persönlich. Sie wurde zu einer wunderbaren Freundschaft, als wir gemeinsam mit Kurt Ludewig, Arist von Schlippe, Wilhelm Rotthaus, Anni Michelmann und Friedebert Kröger die große EFTA-Tagung im Berliner Kongress-Zentrum vorbereiteten und durchführten. Ihr phänomenales Organisationstalent und ihr Blick für das große Ganze wie für die Kleinigkeiten, die letzten Endes die Stimmung ausmachen, haben mich damals wie heute enorm beeindruckt. Jeder, der schon einmal bei ihr zu Gast war, weiß, wovon ich rede (und sie hat kein Problem damit, dafür zu Sorgen, dass sich auch 100 Gäste auf der Wenger Mühle zuhause fühlen). Über ihr Leben gäbe es viel zu sagen, Wolf Ritscher hat für den Kontext 2013 ein schönes Gespräch mit ihr geführt, in dem sie aus ihrer Geschichte erzählt: »Ich will von meinem Glück etwas abgeben«.
Zum Geburtstag wünsche ich Dir mit dem systemagazin und vielen Kolleginnen und Kollegen alles Gute, vor allem Gesundheit und weiterhin die Kraft und Energie für alle Projekte, die Du Dir noch vornimmst – beruflich und privat.
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Liebe Leserinnen und Leser des systemagazin,
Das Adventskalenderthema von Tom Levold erinnert an die Eingangsfrage beim Hausarztbesuch: „Was fehlt Ihnen denn?“. Beantwortet wird diese Frage dann mit einer Auflistung dessen, was man hat, nämlich Beschwerden, Schmerzen, Fieber, ein Drücken hier, ein Ziehen da, bis der Arzt eine Vermutung äußert, was uns gesundheitlich fehlt oder, anders gewendet, was wir haben. Vielleicht schreibt er uns krank und wir nutzen die Zeit, um darüber nach zu denken, ob es sich besser mit einen Zuviel oder einem Zuwenig lebt.
Was ich trotz aller Sympathie noch einmal sagen wollte …
Bin ich da nicht geneigt zu sagen „nichts“, denn nicht für nichts habe ich das „Systemische“ gewählt, schon früh als viele meiner jüngeren systemischen Kolleginnen und Kollegen noch gar nicht erst mal auf der Welt waren. Und doch wie war das damals genau vor 40 Jahren als ich an der Universität in meinem Psychologiestudium mit Lern- und Entwicklungstheorien, vor allen Dingen aber mit viel Empirie und Statistik konfrontiert und geimpft wurde, da war für viele von uns doch die Psychoanalyse ein interessantes, v.a. auch gesellschafts- und wissenschaftskritisches Gegenmodell, das unsere Lust am Denken und Debattieren anregte. Etwas später dann ging es zur Sache. Es war die Zeit der Encountergruppen mit viel Selbsterfahrung, bei mir im Rahmen einer Gestalttherapie. Bei Rogers fanden wir dann ein Modell für die Gestaltung der Beziehung mit künftigen Klienten. Auch wenn ich dabei immer kritisch blieb, hat dies bei mir bis auf den heutigen Tag Spuren hinterlassen, weil es eben einen selbst berührte und darum auch gut verstehen kann, warum heute einige Kolleginnen und Kollegen, darunter nicht wenige Systemiker, auf der Achtsamkeitswelle surfen und ins EFT abtauchen, mit Schematherapeutischem Fehlendes ergänzen oder in einer persönlichen Krise auch ganz gerne mal einen Psychoanalytiker aufsuchen.
„Die Muskeln des Beobachters“ – so überschreibt Arno Widmann einen Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 6.12.2014. Eingefleischte Systemtheoretiker mag diese Wortwahl irritieren – ich lese sie als Hinweis auf das, was mir im systemtheoretischen Diskurs fehlt: das Muster, das die Perspektive Maturanas und die Luhmanns verbindet.
Ein kecker Kollege sprach mich letztens an und meinte: „Ihr Systemiker, ihr glaubt doch wirklich, ihr könnt alles gleich gut.“ Abgesehen von den Untertönen, die ich hier beiseite lassen möchte, habe ich mir doch darüber Gedanken gemacht. Umso mehr trifft es sich gut, dass Tom Levold heuer danach fragt, was dem systemischen Ansatz fehle.
Kann systemisch Alter? Oder vielleicht etwas klarer formuliert, widmen sich systemische Beraterinnen/Berater und Therapeutinnen/Therapeuten älteren Menschen und den damit zusammenhängenden Fragen und Ängsten?