systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

7. November 2014
von Tom Levold
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Die Historisierung der Soziologie

Im interessanten SozBlog der Deutschen Gesellschaft für Soziologie bloggt im November und Dezember 2014 Thomas Etzemüller, seines Zeichens Historiker und Vertretungsprofessor für neueste Geschichte und Zeitgeschichte an der LMU in München. In seinen Beiträgen macht er sich Gedanken über das Verhältnis von Soziologie und Geschichtswissenschaft. Während soziologische Klassiker seiner Meinung nach in ihren sozialtheoretischen Befunden öfter als überzeitlich gültig gelesen werden, neigen Historiker eher zu einer Historisierung von allem. „Soziologen […] verleihen ihren Theoretikern oft eine Art überzeitlicher Gültigkeit, als habe Weber mit seinen Thesen zum Protestantismus oder zur Bürokratie ein theoretisches Modell geliefert, mit dessen Hilfe man immer gültige Formen gesellschaftlicher Ordnung beschreiben kann. Dabei entstammt jede soziologische Beschreibung oder Theorie erst einmal den Erfahrungen einer spezifischen Zeit. Alle Geschichtsschreibung übrigens auch, von daher gibt es vielleicht tatsächlich nur Gegenwart, zu der sich jedes System seine Vergangenheit und Zukunft hinzurechnet. […] Was aber macht man dann mit — beispielsweise — Luhmann? Das ist eine meiner Säulenheiligen, und in der hoffentlich bald erscheinenden Biografie wird seine Systemtheorie sicherlich in seinen eigenen Erfahrungen um die Jahrhundertmitte verortet werden. Ist er dann ebenfalls nur noch unmittelbar zu sich, selbst winziges Partikel einer langen Geschichte, die er eigentlich als Beobachter x-ter Ordnung zu analysieren beanspruchte? Ich brauche ihn aber, vor allem die beobachtungstheoretischen Aspekte seines Werkes, um auf diese Weise Bourdieu, Foucault und Fleck als Theorien lesen zu können, die es erlauben, empirisch zu beschreiben, wie Beobachtungen möglich werden. Aus dieser Aporie können sich auch Historiker nicht mehr herauswinden, mit dem Historisieren muss es irgendwann ein Ende haben, aber man muss Luhmann mit seiner eigenen Theorie historisieren können.“
Genauereres können Sie im DGS-Blog lesen…

6. November 2014
von Tom Levold
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Petition zur Aufnahme der Systemischen und Humanistischen Psychotherapie in das leistungsrechtliche System der Patientenversorgung

Therapievielfalt für Deutschland

Vor kurzem ist eine sehr schön gestaltete website Therapievielfalt für Deutschland veröffentlicht worden. Sie bereitet eine Mitte November an den Start gehende Petition an den Bundestag vor, die die Aufnahme der Systemischen und Humanistischen Psychotherapie in das leistungsrechtliche System der Patientenversorgung fordern wird. Die Petition wird eingereicht von der Arbeitsgemeinschaft Humanistische Psychotherapie AGHPT, der Deutschen Vereinigung für Gestalttherapie DVG und dem Deutschen Dachverband Gestalttherapie für approbierte Psychotherapeuten DDGAP. Eine Vielzahl von bekannten Persönlichkeiten aus dem Feld der Psychotherapie gehören zu den Erstunterzeichnern der Petition ebenso wie eine Reihe anderer Psychotherapeuten-Verbände.

Auf der website heißt es: „Die Initiatorengruppe des PsychThGs von 1998 hat den Ausschluss des Humanistischen Verfahrens aus der sozialrechtlichen Patientenversorgung erreicht. Dies ist wissenschaftlich nicht begründet und motiviert sich vielmehr aus ökonomischen Ängsten, sodass offenbar auch der Gesetzgeber irregeleitet wurde. Damalige und neuere wissenschaftliche Studien belegen die Wirksamkeit der Systemischen und der Humanistischen Psychotherapie. Die Effektivität der Behandlung ist mit der augenblicklichen Richtlinientherapien vergleichbar, die vielfältigen, unterschiedlichen Vorgehensweisen erlauben häufig sogar eine bessere Passung. Diese mangelnde Ressourcenausschöpfung ist letztlich zum Nachteil der Patienten, der Bevölkerung und der Krankenkassen. Daher setzt sich die Petition für mehr Therapievielfalt in Deutschland ein. Es wird ein wertschätzendes Neben- und Miteinander aller vier psychotherapeutischen Grundrichtungen (verhaltenstherapeutisch, psychodynamisch, systemisch und humanistisch) angestrebt. Die Nicht-Aufnahme des Humanistischen Verfahrens in die sozialrechtliche Patientenversorgung von 1998 sollte nun, 16 Jahre später, korrigiert werden.“

Diese Position dürfte sich in ziemlicher Übereinstimmung mit den Vorstellungen der meisten Systemischen TherapeutInnen in Deutschland befinden. Vor diesem Hintergrund ist es mehr als bemerkenswert, dass die systemischen Verbände SG und DGSF sich offensichtlich nicht an dieser Aktion beteiligt haben. Wurden sie nicht eingeladen? Kann ich mir kaum vorstellen. Gibt es gute Gründe, auf eine politische Vertretung des Anliegens auf Anerkennung der Systemischen Therapie verzichten zu können? Womöglich, um die eigenen Chancen bei der Prüfung durch den G-BA nicht durch eine allzu aktive und öffentliche Interessenvertretung zu verkleinern? Und wenn ja, ist das die Entsolidarisierung mit einem anderen Verfahren wert, dem mindestens genauso übel mitgespielt worden ist wie dem Systemischen Ansatz? Haben wir aus der Beobachtung der opportunistischen Haltung der psychoanalytischen Vereinigungen gegenüber der Politik des G-BA nicht schon genug gelernt?

Wie auch immer, dieser Petition steht gut an, wenn sich so viele Systemiker wie möglich daran beteiligen, damit die erforderliche Mindestzahl von 50.000 Unterschriften zusammenkommt.

5. November 2014
von Tom Levold
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Machtbewusstseinserweiterung für SozialarbeiterInnen

Johannes Herwig-Lempp (Foto: www.herwig-lempp.de)

Johannes Herwig-Lempp
(Foto: www.herwig-lempp.de)

In einem kleinen Artikel für Forum Sozial aus dem Jahre 2007 setzt sich Johannes Herwig-Lempp aus einer konstruktivistischen Perspektive mit dem Thema der Macht auseinander, welches gerade die Soziale Arbeit insofern auf eine besondere Weise beschäftigt, als sich die Arbeit mit den Klienten, die Tätigkeit innerhalb der sozialen Organisationen, bei denen man angestellt ist, als auch auch den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen Soziale Arbeit heutzutage stattfindet, in einem stetigen – und sich ausdehnenden – Spannungsfeld von Macht und Ohnmacht befinden, die eine individuelle und politische Orientierung im Funktionssystem der Sozialen Hilfen nicht leicht macht. In der Einleitung heißt es: „Wenn wir von ,Macht’ sprechen, neigen wir dazu, sie als etwas Negatives zu sehen. Dies führt dazu, dass wir kaum bereit sind, offen darüber nachzudenken, wo wir über Macht verfügen und wo wir gerne mehr Macht hätten. Demgegenüber ist die hier vorgestellte Grundidee, dass wir Macht als etwas Positives, etwas Erwünschtes und Wünschenswertes betrachten können. Die Selbstwahrnehmung und Selbstbeschreibung als ohnmächtig, machtlos, ohne angemessen Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, ist wenig hilfreich. Für SozialarbeiterInnen kann es aus Gründen der Professionalität hilfreich sein, Machtbewusstsein zu entwickeln, auszubauen und damit dann auch machtbewusst aufzutreten – sich bewusst zu vergegenwärtigen, über welche Möglichkeiten der Einflussnahme sie verfügen. Insofern lade ich hier SozialarbeiterInnen zu einer ,Machtbewusstseinserweiterung’ ein“.
Zum vollständigen Text geht es hier…

4. November 2014
von Tom Levold
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2013: Zahl der Empfänger/-innen von Grundsicherung ab 65 Jahren um 7,4 % gestiegen

WIESBADEN – Am Jahresende 2013 bezogen in Deutschland rund 499 000 Personen ab 65 Jahren Leistungen der Grundsicherung nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch SGB XII „Sozialhilfe“. Wie das Statistische Bundesamt Destatis weiter mitteilt, stieg diese Zahl im Vergleich zum Vorjahr um 7,4 %. Am Jahresende 2013 erhielten im früheren Bundesgebiet 32 von 1 000 Einwohnern ab 65 Jahren und in den neuen Ländern einschließlich Berlin 21 von 1 000 Einwohnern dieses Alters Leistungen der Grundsicherung. Spitzenreiter unter den Bundesländern waren die Stadtstaaten Hamburg 68 je 1 000 Einwohner, Bremen 59 je 1 000 Einwohner und Berlin 58 je 1 000 Einwohner. Mit jeweils 11 Empfängerinnen und Empfängern je 1 000 Einwohnern ab 65 Jahren nahm die Bevölkerung in Sachsen und Thüringen diese Leistungen am seltensten in Anspruch. Auf Grundsicherung sind in der Altersgruppe ab 65 Jahren insbesondere westdeutsche Frauen angewiesen: Am Jahresende 2013 bezogen in Westdeutschland 36 von 1 000 Frauen und 27 von 1 000 Männern dieses Alters Leistungen der Grundsicherung. In den neuen Ländern einschließlich Berlin waren es 22 von 1 000 Frauen und 20 von 1 000 Männern.

via Pressemitteilungen – 2013: Zahl der Empfänger/-innen von Grundsicherung ab 65 Jahren um 7,4 % gestiegen – Statistisches Bundesamt Destatis.

4. November 2014
von Tom Levold
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Psychodramatische Gruppenpsychotherapie

Ulf Klein (Foto: home.mnet-online.de)

Ulf Klein
(Foto: home.mnet-online.de)

Heute wird Ulf Klein 60 Jahre alt. Der Lehrtherapeut und lehrende Supervisor für Psychodrama und Systemische Therapie lebt und arbeitet als Therapeut, Coach und Organisationsentwickler in München. 1988 hat er die Zeitschrift „Psychodrama – Zeitschrift für Szenisches Arbeiten in Training, Beratung und Therapie“ gegründet, die er bis heute herausgibt. 1991 kam die Gründung der inScenario Verlag und Verlagsbuchhandlung GmbH (München) hinzu, die er als geschäftsführender Gesellschafter führt. 1991 – 1996 hatte er die Leitung des Moreno Instituts für Psychotherapie und Sozialpädagogik in Stuttgart inne, von 1996 – 2008 war er Mitglied im Lenkungsteam des Instituts für Systemische Therapie und Organisationsberatung [ istob e.V.] in München. Seine Vielseitigkeit verdankt er seiner Fähigkeit zum Blick über den Tellerrand fach- und theoriespezifischer Einengungen. Lieber Ulf, ganz herzliche Gratulation zum 60. Geburtstag, alles Gute und weiterhin viel Erfolg mit Deinen vielseitigen Aktivitäten! Weiterlesen →

3. November 2014
von Tom Levold
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Mit Achtsamkeit in Führung

Paul J. Kohtes & Nadine Rosmann (2014): Mit Achtsamkeit in Führung

Paul J. Kohtes & Nadine Rosmann (2014):
Mit Achtsamkeit in Führung

Das Thema Achtsamkeit erlebt derzeit einen erstaunlichen Boom, nicht nur in der Mediationsszene, der Psychotherapie und Beratung, sondern auch in der Managementliteratur. Nun sind wir es gewohnt, dass jedes Jahr ein neues Führungsparadigma die Sau abgibt, die durchs Dorf getrieben wird, allerdings könnte man beim Thema Achtsamkeit auch auf die Idee kommen, dass es sich um einen Bewegungsimpuls handelt, der dem immer weiteren Drehen an der Leistungsschraube und der Eskalation von Verwertungsdenken etwas entgegensetzen könnte. Spannend ist also, ob es sich nur um einen Hype von vielen handelt oder ob sich tatsächlich die Einsicht durchsetzen kann, dass Beschleunigung nicht die Lösung aller Probleme ist. Im Klett-Cotta-Verlag ist in diesem Herbst das Buch Mit Achtsamkeit in Führung. Was Meditation für Unternehmen bringt. Grundlagen, wissenschaftliche Erkenntnisse, Best Practises von Paul J. Kothes (der Welt zufolge Deutschlands „PR-Papst) und Nadja Rosmann erschienen, die Meditation als systematisch einsetzbares Tool der Personal- und Führungskräfteentwicklung im Sinne der Unternehmensinteressen betrachten. Liane Stephan ist seit langem mit diesem Thema als Coach und Organisationsentwicklerin unterwegs und hat das Buch für systemagazin gelesen. Ihr Resümee: „Paul Kothes und Nadja Rossmann ist es gelungen, einen weiten Bogen zu spannen und Achtsamkeit nicht nur als Methode, sondern als Schlüssel, als grundlegende Voraussetzung, als Haltung für konstruktive Veränderungen zu beschreiben. Achtsamkeit als eine Möglichkeit der Kultivierung von Wachheit und Präsenz – eine Brücke im Spannungsfeld zwischen den Werteräumen von Person, Unternehmen und Gesellschaft. Die Frage bleibt, ob Achtsamkeit von den Unternehmen wirklich erwünscht sein wird, ob es als Instrument zur Erreichung der Unternehmensziele in Betracht gezogen wird. Vielleicht ist der kleine Same, der durch eine niederschwellige Herangehensweise gesät wird, eine gute Möglichkeit: denn wenn ein Mitarbeiter sich anders verhält, hat dies hoffentlich auch Auswirkungen auf Andere!“ Weiterlesen →

2. November 2014
von Tom Levold
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Familien 2013: Ehepaare noch dominierend, aber rückläufig – Statistisches Bundesamt (Destatis)

WIESBADEN – Im Jahr 2013 waren in Deutschland 70 % der insgesamt knapp 8,1 Millionen Familien mit mindestens einem minderjährigen Kind Ehepaare. Der Anteil der alleinerziehenden Mütter und Väter an allen Familien betrug 20 %. Die restlichen 10 % entfielen auf nichteheliche oder gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, zeigt sich ein Wandel der Familienformen: Im Jahr 1996 lag der Anteil der Ehepaare mit 81 % noch deutlich höher. Dagegen gab es damals wesentlich weniger Familien mit Alleinerziehenden (14 %) oder Lebensgemeinschaften (5 %).

Basis dieser Ergebnisse ist der Mikrozensus, die größte jährliche Haushaltsbefragung in Deutschland und Europa. Als Familien gelten in der vorliegenden Analyse alle Eltern-Kind-Gemeinschaften, bei denen mindestens ein minderjähriges Kind im Haushalt lebt. Zu den Kindern zählen dabei – neben leiblichen Kindern – auch Stief-, Pflege- und Adoptivkinder.

Im Ländervergleich gibt es bei der Verteilung der Familienformen im Jahr 2013 erhebliche Unterschiede: In Baden-Württemberg war der Anteil der Ehepaare an allen Familien mit minderjährigen Kindern mit 78 % am höchsten; in Berlin, Sachsen-Anhalt und Sachsen lag der Anteil der Ehepaare am niedrigsten (jeweils 51 %). Lebensgemeinschaften traten am häufigsten in Sachsen-Anhalt und Sachsen auf (jeweils 23 % aller Familien), in Rheinland-Pfalz dagegen am seltensten (6 % aller Familien). Die meisten Ein-Eltern-Familien lebten in Berlin: Dort waren knapp ein Drittel (32 %) der Familien Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern. In Baden-Württemberg traf dies nur auf rund jede sechste Familie (16 %) zu.

via Pressemitteilungen – Familien 2013: Ehepaare noch dominierend, aber rückläufig – Statistisches Bundesamt (Destatis).

1. November 2014
von Tom Levold
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Beziehungen und Affären – ein Gespräch mit Ulrich Clement

Ulrich Clement (Foto: ulclement.de)

Ulrich Clement
(Foto: ulclement.de)

Im Juli 2014 war in der Gesprächsreihe „Doppelkopf“ des Hessischen Rundfunks ein knapp einstündiges Gespräch mit Ulrich Clement zu hören, das auch auf der website des Senders als Podcast gefunden werden kann. In der Ankündigung heißt es: „Die meisten Paare wünschen sich eine romantische und zuverlässige Partnerschaft, möglichst ein Leben lang. Doch die Realität sieht anders aus: Der Alltag holt die Liebenden ein, die erotische Sehnsucht schwindet, manchmal schon nach kurzer Zeit.“ Ulrich Clement spricht hier über seine paar- und sexualtherapeutischen Erfahrungen, die er auch in seinen Büchern niedergelegt hat (die zum besten gehören, was Bücher über systemische Therapie zu bieten haben!). Herausgekommen ist ein wirklich hörenswertes Gespräch, das ich gerne weiterempfehlen. Interview-Partnerin ist Karin Röder.
Zur Audio-Datei geht es hier…

31. Oktober 2014
von Tom Levold
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Nachruf auf Roland Weber (22.2.1950 – 7.10.2014)

Roland Weber (22.2.1950-7.10.2014)

Roland Weber
(22.2.1950-7.10.2014)

Anfang des Monats ist Roland Weber gestorben, nachdem er kurz vor seinem Tod noch eine sehr erfolgreiche Ausstellung seiner unglaublich kraftvollen und farbenprächtigen Aquarell-Malerei präsentieren konnte. Dann ging alles sehr schnell. Roland Weber wurde in den letzten Jahren durch seine Bücher für Paare und Paartherapeuten einem größeren Publikum bekannt, ich selbst habe ihn schon in den 80 Jahren auf Veranstaltungen kennengelernt, die er im Psychotherapeutischen Zentrum in Stuttgart durchführte bzw. anfangs mitorganisierte. Wir sind uns eher sporadisch, aber immer sehr freundschaftlich begegnet. Im systemischen Theorie- und Politikzirkus war er weniger präsent, seine Präferenzen lagen auf anderen Gebieten. Seine Erfahrungen als Direktor eines wirklichen Zirkus (dem Tübinger Kinder- und Jugendzirkus Zambaioni) und als Künstler verbanden sich auf einmalige Weise mit einem tiefen professionellen Verständnis zu einer außerordentlich kreativen therapeutischen Praxis, die mir sehr in Erinnerung bleiben wird. Hans Jellouschek, Kollege und Wegbegleiter, hat für systemagazin einen Nachruf auf Roland Weber verfasst. Weiterlesen →

30. Oktober 2014
von Wolfgang Loth
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Alte Frage und Neuer Realismus

loth_06Ob man Baeckers neue Thesen zum Sein oder Nichtsein sozialer Systeme, die kürzlich im systemagazin einiges an Kommentaren nach sich zogen, auch anders lesen kann? Nicht nur als systemtheoretische Selbstreflexion, sondern vielleicht auch als Kommentar zum „Neuen Realismus“ (NR), der in letzter Zeit für Diskussionen sorgt? Maurizio Ferraris und Markus Gabriel haben mit diesem Begriff eine neue Runde eingeleitet im – man möchte fast sagen: ewigen – Ringen um die Grundfesten von Wahrheit und Sein an sich. Das findet Anklang. Der „Neue Realismus“ wolle „das Selbstverständliche endlich auch wieder in der Philosophie durchsetzen“ schreibt die FASZ in ihrem Trailer zur zustimmenden Rezension von Cord Riechelmann (26.10.2014). „Und sie existiert doch!“ ist die Rezension überschrieben, Galilei lässt grüßen. Kritik gibt es anderenorts ebenfalls (streng: Nielsen-Sikora). Ob es sich beim NR um „Humbug oder Geniestreich?“ handelt, wie in einem Insider-Blog diskutiert wird, lässt sich wohl ohne Verständigung auf die dabei leitenden Prämissen kaum klären. Was vielleicht auch am Thema „an sich“ liegt und seinen selbstrückbezüglichen Fallstricken.
In der ZEIT gab es eine kleine Serie, in der NR von verschiedenen AutorInnen und unter verschiedenen Gesichtspunkten diskutiert wurde. An dieser Stelle möchte ich nur auf Bernhard Pörksens Beitrag in dieser Serie hinweisen. Pörksen hat zur Kybernetik 2.Ordnung und deren Konsequenzen für das soziale Miteinander immer wieder publiziert. Im vorliegenden Fall kommentiert er NR unter der Überschrift „Es braucht den Tanz des Denkens“. Mir scheint, er bietet damit einen sehr hilfreichen Anstoß, sich auch im Bereich des Systemischen über die eigene Position zum Thema klarer zu werden. Unter anderem heißt es in diesem Beitrag für die ZEIT: „Die Behandlung der Wahrheitsfrage ist nicht nur ein Spezialproblem für examinierte Philosophen, sondern sie steht im echten Leben auch unter dem Vorbehalt situativer Notwendigkeit. Und das bedeutet, dass es gelegentlich äußerst sinnvoll und geboten sein kann, erbittert für die eigene Wahrheit zu streiten. Aber manchmal kann es eben auch heißen, dass man einfach nur zuhört oder behutsam für eine Pluralisierung der Wahrnehmungsformen wirbt“. Und weiter, mit Bezug auf eine am Anfang erwähnte Geschichte, die schildert, wie Ivan Illich, der einen faustgroßen Tumor an seiner Backe nicht medizinisch behandeln lassen wollte, sich über einen Arzt ärgerte, der ihm dringend eine Operation empfahl, während er sich über ein Kind freute, dem dieses Gebilde in seinem Gesicht offenbar als „Kussbacke“ gefiel, mit Bezug auf das also schreibt Pörksen weiter: „Und gewiss sollte einen schon eine Art Minimalrespekt davon abhalten, einem Erwachsenen ins Gesicht zu fassen und ihn mit Vorschlägen zur Operation seiner Backe zu verfolgen. Und in manchen Momenten ist es einfach nur schön und unendlich liebevoll, in einem Tumor eine Kussbacke zu sehen. Und bei anderer Gelegenheit wäre dies wiederum ganz falsch. Kurzum: Es kommt darauf an.“ Und worauf es ankommt, dürfte im Kern wiederum eine Frage danach sein, wer sich mit wem über was wie (nicht) verständigen möchte. Es bleibt spannend. Pörksens Beitrag ist im Web hier zu finden.

29. Oktober 2014
von Tom Levold
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Relatives Armutsrisiko in Deutschland unverändert bei 16,1 % – Statistisches Bundesamt (Destatis)

WIESBADEN – Fast jede sechste Person war nach den Ergebnissen der Erhebung LEBEN IN EUROPA (EU-SILC) 2013 in Deutschland armutsgefährdet – das entsprach 16,1 % der Bevölkerung oder rund 13 Millionen Menschen. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, blieb damit der Anteil der armutsgefährdeten Personen in der Bevölkerung vom Berichtsjahr 2012 auf das Berichtsjahr 2013 unverändert.

Grundlage für die Einkommensmessung in einem Berichtsjahr ist das verfügbare Haushaltsnettoeinkommen (nach Steuern und Sozialabgaben) des Vorjahres. Um eine einheitliche Darstellung mit der europäischen Sozialberichterstattung zu gewährleisten, wird die Armutsgefährdungsquote ab sofort auf das Berichtsjahr bezogen.

Eine Person gilt nach der EU-Definition für EU-SILC als armutsgefährdet, wenn sie über weniger als 60 % des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt (Schwellenwert für Armutsgefährdung). 2013 lag dieser Schwellenwert für eine alleinlebende Person in Deutschland bei 979 Euro im Monat (11 749 Euro im Jahr) und damit ähnlich hoch wie im Berichtsjahr 2012 (980 Euro im Monat). Für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren lag der Schwellenwert im Berichtsjahr 2013 bei 2 056 Euro im Monat.

Frauen trugen – wie bereits in den Jahren zuvor – ein höheres Armutsgefährdungsrisiko als Männer. Dies gilt ausnahmslos für alle Altersgruppen. So lag die Quote der armutsgefährdeten Personen bei den Frauen unter 18 Jahren mit 15,4 % zwar unter dem Bundesdurchschnitt, jedoch höher als das Armutsrisiko für die gleichaltrige männliche Bevölkerung (14,2 %). Ähnlich hohe Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern ergaben sich in der Altersklasse zwischen 18 und 64 Jahren (Frauen: 17,7 %, Männer: 16,0 %). Bei den Frauen ab 65 Jahren fiel das Armutsgefährdungsrisiko im Jahr 2013 mit 17,0 % deutlich höher aus als bei den Männern derselben Altersklasse mit 12,7 %.

via Pressemitteilungen – Relatives Armutsrisiko in Deutschland unverändert bei 16,1 % – Statistisches Bundesamt (Destatis).

29. Oktober 2014
von Tom Levold
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Hirnwelt oder Lebenswelt? Zur Kritik des Neurokonstruktivismus

Thomas Fuchs

Thomas Fuchs

Unter diesem Artikel hat Thomas Fuchs, Karl Jaspers-Professor für Philosophische Grundlagen der Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsklinik in Heidelberg (Foto: Uni-Klinik Heidelberg), 2011 einen sehr lesenswerten Artikel in der Deutschen Zeitschrift für Philosophie veröffentlicht, der sich kritisch mit der Vorstellung auseinandersetzt, dass sich alles, was wir wahrnehmen und empfinden, nur im Gehirn abspielt. Bewusstsein ist für ihn keine Hirntätigkeit, sondern eine organismische Eigenschaft, die den subjektiven Leib wie den organischen Körper umfasst: „So gesehen ist die Koextension von subjektivem Leib und organischem Körper nicht mehr verwunderlich. Sie ist aber auch funktionell sinnvoll: Das Bewusstsein ist dort, wo die ent scheidenden Interaktionen mit der Umwelt stattfinden – in der Peripherie, nicht im Gehirn. Schließlich ist der Körper der eigentliche „Spieler im Feld“; daher ist es sinnvoll, dass seine Grenzen, Stellungen und Bewegungen in der Umwelt leibräumlich erlebt und nicht nur kogni­tiv registriert werden. Theoretisch wäre es zwar auch denkbar, dass Schmerzen uns ebenso ortlos zu Bewusstsein kämen wie Gedanken oder Erinnerungen. Doch ohne die Koinzidenz der beiden Räume hätten wir unseren Körper nur als ein äußerlich zu hantierendes Werkzeug und wären nicht in ihm „inkarniert“. Nur weil das Bewusstsein in der schmerzenden Hand ist, zieht man sie unwillkürlich vor der Nadel zurück.14 Nur weil die Empfindung des Töpfers in seiner tastenden Hand sitzt, und er dort den Widerstand und die Struktur des Tones spürt, kann er ihn auch geschickt formen. Eine bloße „zentrale Verrechnung“ im Gehirn könnte niemals leisten, was die unmittelbare Präsenz des Subjekts in seiner Hand ermöglicht, nämlich die Verknüpfung von Leib, Wahrnehmung, Bewegung und Objekt in einem sensomotorischen Aktionsraum: „Mein Leib ist da, wo er etwas zu tun hat.“

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