Dennis Gildehaus, Bad Zwischenahn: Fremdheit in Nähe verwandeln
Innerhalb der letzten Monate sind in unserem kleinen niedersächsischen Ort Bad Zwischenahn (Niedersachsen) ca. 600 Flüchtlinge aufgenommen worden. Darunter vor allem viele unbegleitete Minderjährige, die besonders starken Belastungen ausgesetzt waren. Die Kinder und Jugendlichen mussten zum Teil den Verlust ihres Landes und ihrer Eltern allein bewältigen, die erlebten Traumatisierungen verarbeiten und sich darüber hinaus den neuen sozialen Beziehungen und unbekannten soziokulturellen Normen stellen.
Die Unterbringungsmodalitäten in Flüchtlingsheimen außerhalb des Ortskerns blockierten eher die Kontaktanbahnung und führten vor allem zu Unsicherheit und Skepsis auf beiden Seiten. Die Kinder und Jugendlichen aus Bad Zwischenahn waren einerseits sehr aufgeschlossen, Fremdheit in Nähe wandeln zu wollen und andererseits wurde diese Motivation durch Vorurteile der Erwachsenen wieder konterkariert.
Nach mehreren Wochen bewegten sich sukzessive immer mehr Kinder und Jugendliche außerhalb der Flüchtlingsunterkunft, um Bad Zwischenahn näher kennenzulernen. Schnell entdeckten sie auch das gut besuchte und meines Erachtens vor allem systemisch-pädagogische Jugendzentrum „Stellwerk“ und die dazugehörige Skateboardanlage. In dieser Einrichtung habe ich vor mehr als 15 Jahren mein Anerkennungspraktikum als Pädagoge gemacht.
In meiner heutigen psychotherapeutischen Praxis komme ich mit Flüchtlingen kaum in Kontakt und so hatte ich mich entschieden, eine durchaus vorhandene Fremdheit mit einem mir vertrauten Medium aufzulösen. Dies vor dem Hintergrund des Vereins „skate-aid e.V.“ Dieser Verein fördert mit der pädagogischen Kraft des Skateboards Selbstvertrauen, Gemeinschaftsbewusstsein, Eigenverantwortung und Zielstrebigkeit von Kindern und Jugendlichen und ihre freie Entfaltung – unabhängig von sozialer Herkunft, Ethnie, Sprache, Religion, Nationalität oder Kultur. Da ich bis 2001 Skateboard-Profi war, hatte ich als Erinnerung mehrere „Boards“ aufbewahrt. Auch wenn ich mit meinen 39 Jahren nicht mehr der eleganteste Praktiker bin, sind in meinem inneren Erlebnisrepertoire jedoch viele Tricks gespeichert, die durch imaginative Regressionen gut abrufbar sind.
An sonnigen bzw. trockenen Wochenenden treffen sich auf der Skateboardanlage in Bad Zwischenahn viele minderjährige Flüchtlinge, um Ablenkung zu finden von all ihren Erfahrungen der letzten Wochen, Monate und Jahre. Als Beobachter fiel mir auf, dass sie eher zurückhaltend und reserviert zuschauten und nicht aktiv den Kontakt zu den deutschen und deutsch-türkischen Kindern und Jugendlichen suchten. Die Barrieren bestanden nicht alleine in ihren fremden Sprachen, sondern auch auch in der Gestik, Mimik und Körperhaltung der Flüchtlinge. Sie waren eben äußerlich nicht so aufgeschlossen lustig, laut und schnell im Tempo.
Vorteilhaft war jedoch, dass oft auch Kinder und Jugendliche auf der Anlage waren, die als Dolmetscher gerne ihre Hilfe bei Bedarf anboten – also eine sehr soziale, sportliche Begegnung 2.0.
Für mich war es eine Herzensangelegenheit, denn die Kinder und Jugendlichen können über diesen Sport traumatische Erinnerungen abbauen, über Wünsche und Bedürfnisse kommunizieren, Emotionen zeigen, wieder Humor empfinden, sich physisch wieder spüren. Sport ermöglicht ihnen hypnoimaginativ Anschluss an ihre Welt vor der Flucht herzustellen und wieder einen Kontakt zu ihren Wurzeln zu bekommen, den ich „sportlich-therapeutisch“ begleiten konnte.
So nutze ich das Skateboard beispielsweise zur Zeitstrahlarbeit 2.0 auf der gesamten Anlage. Mit bunter Kreide zogen wir eine Linie von A nach B, die mit Symbolen (Jacken, Dosen, Spielzeuge etc.) und Bildern (Geburt, Schule, Familie, Haus bzw. Wohnung etc.) verknüpft war. Die Kinder und Jugendlichen beschrieben in ihrer Art ihren eigenen Weg, indem sie mit dem Skateboard ihre eigene „Landschaft“ befuhren und auf allen Sinneskanälen erlebten. Einstreuen ließen sich während dieser Übung auch immer wieder Fragen nach Ressourcen und bisherigen Lösungsversuchen – auch die der Angehörigen.
Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei Arist von Schlippe, Mohammed El Hachimi und Gesa Jürgens bedanken. Ihre Veröffentlichungen im multikulturellen Feld haben mir in jeglicher Hinsicht die Türen zu unbekannten Systemen geöffnet.
Eine Geschichte aus dem Frühjahr 1987. Keine große Sache. Interessant nur im Nachhinein. Mit dem Wissen von heute. Ich bin mit einem Freund für eine Woche in Ägypten. Herbert und ich wollen auf eigene Faust etwas sehen von Land und Leuten. Wir geraten in die letzte Woche eines Wahlkampfs.
Im Rahmen meiner Arbeit als Lehrerin an einer Grundschule leiste ich einen Beitrag, dass die Seiteneinsteiger-Schüler (Flüchtlingskinder) bereit sind, sich mit einer fremden Sprache, einem fremden Inhalt und Kontext auseinanderzusetzen. Dazu gehe ich den ersten Schritt auf sie zu. Ich gehe freundlich mit Gesten, Mimik und Worten auf sie zu. Ich lade sie ein mit mir in Beziehung zu treten, ihr neues Klassenzimmer zu entdecken und sich mit dessen Gegenständen vertraut zu machen und biete Spielräume; neue Lerninhalte zu entdecken. Dabei geht es ganz häufig darum mit dem Fremden und teilweise Befremdlichen zu kooperieren. Dies gilt sowohl für die Schüler untereinander als auch mit mir.
Eine Klientin erzieht ihr dreijähriges Kind alleine. Sie hat ziemlich aversive Gefühle gegenüber dessen Vater, von dem sie schon länger getrennt lebt. Dieser hat gerichtlich das Umgangsrecht mit seiner Tochter erstritten. Die Patientin sieht in der Begegnung zwischen Tochter und Vater eine Belastung und auch eine Beschädigung für das Kind. Nun übernachtet dieses – gerichtlich erzwungen – regelmäßig beim Vater.
Heute würde Milton Erickson seinen 115. Geburtstag feiern. Grund genug, an dieser Stelle auf einen Autor zu verweisen, der in der Tradition von Erickson steht und arbeitet: Bernhard Trenkle. Für sein neues Buch „3 Bonbons für 5 Jungs – strategische Hypnotherapie in Fallbeispielen und Geschichten“ hat ihn Margarethe Seul-McGee vom Carl-Auer-Verlag interviewt:
Zum Thema Ihres Adventskalenders „Fremd – Vertraut. Begegnungen mit der Fremdheit“ sende ich Ihnen ein Zitat von Franz Michael Felder (1839-1869), das fast so etwas wie eine paradoxe Intervention darstellt.
Ein Weg entsteht dadurch, dass ich ihn öfter beschreite. Wenn ich auf ihm unterwegs bin, brauche ich mich damit nicht mehr zu befassen und kann mich auf anderes konzentrieren. In einer bestimmten Gegend aufgewachsen zu sein, alle Wege dort zu kennen, mich mit Vertrautem zu umgeben vermittelt mir Sicherheit. Vor allem wenn ich gestresst oder ängstlich bin, suche ich nach dem Gewohnten und will mir eine Heimat erhalten, die mir gleichzeitig ständig entzogen wird. Die Lage, in der ich mich heutzutage befinde, verlangt mir nämlich ganz anderes ab. Die berufliche Umgebung fordert Flexibilität und Mobilität im Hinblick auf den Arbeits– bzw. Wohnort, alles verändert sich sehr schnell, ich muss mich ständig mit Neuem konfrontieren. Manchmal ärgere ich mich über das Befremdliche, darf es aber nicht zeigen, weil ich es nicht korrekt fände und den eigenen Auffassungen auch gar nicht entsprechend. Bestimmte politische Parteien schaffen mir mittels ihrer Parolen dann Erlaubnisräume für meinen Frust – in ihrem Schutz darf ich ungestört dagegen wüten und schäumen und mich an abgedroschenen Phrasen erfreuen.
Ins Museum für Ostasiatische Kunst gehe ich gerne, um mich befremden zu lassen. Wie beim Reisen in unbekannte Gegenden kann ich hinterher nicht sagen, ob ich mehr über das Fremde erfahren habe oder mehr über mich selbst. Oder mehr über etwas ganz anderes.

Weil ich so begeistert bin, dass es Leute gibt, die nicht SupervisorInnen und Coaches sind und sich mit genau diesen Fragen beschäftigen, hier zum Schluss ein Zitat und eine ausführliche Literaturangabe.
Hier mein Beitrag zum systemagazin-Adventskalender. In der Einladung wurde um Texte gebeten. Mein Beitrag ist allerdings kein Text und somit vielleicht auch fremd zwischen den vertrauten Formen von Text. Vielleicht kommt jedoch (nichtöffentlicher) Text im Betrachter auf und dann könnte der Beitrag etwas ins Vertraute rücken. Ich bin keine (studierte) Künstlerin und damit ist vielleicht auch meine Art zu zeichnen befremdlich. Dennoch kann vielleicht Fremdes gefallen und Vertrautes missfallen? Oder andersrum…
Liebe Leserinnen und Leser,
