systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

6. Dezember 2016
von Tom Levold
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Klaus G. Deissler wird 65!

Heute feiert Klaus G. Deissler seinen 65. Geburtstag und systemagazin gratuliert von Herzen. Als wir uns kennen lernten, 1980 auf der DAF-Tagung in Erlangen, waren wir beide noch keine 30 Jahre alt. Als jemand, der von Beginn an den Wandel von der familientherapeutischen Bewegung zur Systemischen Therapie nicht nur miterlebt, sondern auch initiiert hat, hat Klaus Deissler einiges zur Geschichte der Systemischen Therapie in Deutschland beigetragen. Von 1979 bis 1982 war er Gründungs- und Mitherausgeber der Zeitschrift Kontext, die seit 2000 von der DGSF getragen wird. 1982 richtete er in Marburg die DAF-Tagung aus, bei der Helm Stierlin den Eröffnungsvortrag hielt und erstmals US-amerikanische KollegInnen ihre Konzepte auch einem deutschen Fachpublikum vorstellten. Mit dieser Tagung hat er Geschichte geschrieben, sie führte zu einem innerverbandlichen, notwendigen Eklat und polarisierte das familientherapeutische Feld – waren doch dazumal die Positionen der Richter-Gruppe in Gießen dominant: keine Professionalisierung, keine institutionalisierte Weiterbildung, stattdessen Regionalgruppen nach dem Selbsthilfegruppen-Prinzip. Klaus Deissler hat der anstehenden Professionalisierung des systemischen Feldes eine erste Tür geöffnet – und musste dafür jede Menge Gegenwind aushalten (Als blutjunges DAF-Mitglied wurde ich gewählt, um die nachfolgenden Konflikte zwischen Verband und Organisationsgruppe zu moderieren, was für ein Einstieg in die familientherapeutische Szene 🙂 ).

Aus der Ferne konnte ich immer nur einen Teil von Klaus‘ Aktivitäten verfolgen. Angepasst hat er sich nie, trotz seiner freundlichen und positiven Art war er immer auch für Konflikte und klare Positionierungen gut. In den 80er Jahren gehörte er zu den Mitbegründern der IGST in Heidelberg, von der er sich bald wieder trennte, um seiner eigenen Wege zu gehen. 1992 übernahm er von Jürgen Hargens die Herausgeberschaft der Zeitschrift für systemische Beratung und Therapie, die er bis 2009 innehatte, und leitete auch hier eine deutliche Wende ein, indem er ihr ein klares sozialkonstruktionistisches Profil verpasste – auch hier hat er weniger eine integrative Haltung eingenommen, sondern stattdessen einer wichtigen Position (unter anderen) im systemischen Feld eine deutliche Stimme gegeben. Wie nur wenige andere steht er hierzulande für eine dialogische sozialkonstruktionistische Perspektive ein, im Mainstream steht er dabei nicht – und kann das auch gut aushalten.

Was mich immer sehr beeindruckt hat, war sein systemisches Engagement (gerade vor seiner Geschichte als alter Linker) in den ehemaligen sozialistischen Ländern, bevor der Export systemischen Gedankenguts im systemischen Feld schick wurde. Schon sehr früh hat er sich intensiv (und praktisch ehrenamtlich) dem Austausch mit KollegInnen aus und der Weiterverbreitung systemischer Konzepte in diesen Ländern gewidmet, noch vor der Wende, als all das leichter wurde. Viele seiner Aktivitäten u.a. in Polen und Kuba haben dort KollegInnen inspiriert und ermutigt. 2015 erhielt er die Ehrenmitgliedschaft der Psychiatrischen Gesellschaft Kuba, wo er von 1999 bis 2014 in Havanna eine Gastprofessur an der Universitätsklinik ausübte.

1993 haben wir gemeinsam mit anderen Instituten in Köln die Systemische Gesellschaft gegründet, auch das ist mittlerweile schon ziemlich lange her.

Lieber Klaus, zum runden Geburtstag alles Gute, bleibe uns mit Deiner Perspektive erhalten, sie würde im systemischen Chor sehr fehlen. Alles Gute und viel Glück, Erfolg und Gesundheit für die folgenden Jahre wünscht Dir mit anderen Gratulanten

Tom Levold
Herausgeber systemagazin  Weiterlesen →

6. Dezember 2016
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender: Das Fremde am eigenen Kind entdecken

Hans Lieb, Edenkoben: Das Fremde am eigenen Kind entdecken

6adventEine Klientin erzieht ihr dreijähriges Kind alleine. Sie hat ziemlich aversive Gefühle gegenüber dessen Vater, von dem sie schon länger getrennt lebt. Dieser hat gerichtlich das Umgangsrecht mit seiner Tochter erstritten. Die Patientin sieht in der Begegnung zwischen Tochter und Vater eine Belastung und auch eine  Beschädigung für das Kind. Nun übernachtet dieses – gerichtlich erzwungen – regelmäßig beim Vater.

Wenn es dann zu ihr zurückkommt,  gibt es jedes mal zwei Probleme: zum einen verhalte sich das Kind ihr gegenüber schwierig bis ablehnend.Zum anderen sehe und vor allem rieche sie am Kind den Vater (zum Beispiel den Geruch seiner Wohnung) worauf sie emotional und physiologisch stark reagiere. In den 2 bis 3 Stunden nach Rückkehr des Kindes vom Vater  sei es einfach „nicht mein Kind“.

Natürlich hat sie in früheren Beratungen und auch in der jetzigen Therapie die Hintergründe reflektiert und ist zig mal mit der Aussage konfrontiert worden, sie projizierte ihre eigenen Probleme auf das Kind und für dieses sei nun mal ein Kontakt zum Vater wichtig. Das alles wisse sie – aber mit derartigen Belehrungen läßt sich in der Arbeit mit dieser Patientin nicht viel Land gewinnen.

Hans Lieb

Hans Lieb

In der letzten Sitzung fragt sie: Wie kann ich damit umgehen, wenn das Kind vom Vater kommt? Nebst anderem hat ihr folgende Metapher oder Lösung am besten gefallen und sie meinte, das könne sie gut anwenden: Wir sind metaphorisch von der Situation ausgegangen, man sei in einem anderen Land und begegne zum Beispiel unguten Gerüchen (etwa von Speisen, die den Menschen dort schmecken und vielleicht sogar mir irgendwann schmecken könnten). Die Frage war nun : wie kann man gut mit solchen fremden und zunächst unangenehmen Gerüchen umgehen lernen? Ihre eigene Antwort war: Man müsse neugierig sein, die Dinge ansehen und beschnuppern und so das Land und dessen Eigenarten kennenlernen.

Wir haben das dann auf die Situation mit ihrem Kind, das vom Vater kommt, angewandt: Wenn das Kind dann zunächst nicht so richtig „ihres“ sei, weil etwas Fremdes an ihr hänge ( ein ‚vaterkontaminiertes’ Kind), dann gelte es vielleicht, dieses „andersartige“ Kind neugierig wie etwas fremdes kennen zu lernen.

Mit dieser Vision sah sie der nächsten diesbezüglichen Situation relativ gelassen entgegen: Die Abneigung, die Ohnmachtsgefühle und alles, was damit zusammenhängt, könne dann einer neugierigen Beobachterposition weichen. Das wolle sie versuchen.

(Die Klientin wurde um Zustimmung zur Veröffentlichung dieser Geschichte gebeten und war damit einverstanden, herzlichen Dank auch dafür).

5. Dezember 2016
von Tom Levold
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„Das tun, was funktioniert“

Heute würde Milton Erickson seinen 115. Geburtstag feiern. Grund genug, an dieser Stelle auf einen Autor zu verweisen, der in der Tradition von Erickson steht und arbeitet: Bernhard Trenkle. Für sein neues Buch „3 Bonbons für 5 Jungs – strategische Hypnotherapie in Fallbeispielen und Geschichten“ hat ihn Margarethe Seul-McGee vom Carl-Auer-Verlag interviewt:

Carl-Auer: Lieber Herr Trenkle, Ihr neues Buch „3 Bonbons für 5 Jungs – strategische Hypnotherapie in Fallbeispielen und Geschichten“ ist – bei aller erzählerischen Verve – nicht ganz einfach zu verstehen. Mit dem Begriffspaar „strategische Hynotherapie“ im Untertitel stellen Sie sich sehr explizit in die Nachfolge von Milton Erickson. Im Vorwort aber zitieren Sie Ericksons Tochter Betty Alice, die den therapeutischen Ansatz ihres Vaters definierte als, „das zu tun, was funktioniert“. Wie passen Strategie und Pragmatismus (oder Utilisation?) zusammen? Liegt darin im langläufigen Verständnis nicht ein gewisser Widerspruch?

Bernhard Trenkle: Milton Erickson war gegen das Gründen von Therapieschulen. Erickson war auch gegen das Gründen eines Erickson’schen Ansatzes. Das ist vielleicht der Grund, warum es bei den Therapeuten, die sich auf Erickson berufen, so eine kreative Vielfalt von effektiven Ansätzen gibt. Erickson befürchtete, dass die Klienten durch zu viel Therapie-Schule in das Prokrustes-Bett einer Theorie gezwängt werden könnten.

Erickson plädiert also dafür, sehr flexibel in der Situation zu entscheiden, welcher therapeutische Ansatz in der jeweiligen Situation angebracht ist. Von daher sind natürlich auch immer „strategische“ Entscheidungen nötig. Zum Beispiel die Entscheidung: Ist Hypnose angebracht oder eine andere Form von Therapie? Das habe ich hauptsächlich im Kapitel über die „Ordeal-Therapie“ thematisiert. Das dahinterliegende Hauptkonzept von Erickson ist Utilisation, das heißt, es wird versucht, alles inklusive der Pathologie für positive therapeutische Ziele zu nutzen.

Bernhard Trenkle

Bernhard Trenkle

Carl-Auer: Könnte man also sagen, Ericksons Strategie oder sein Konzept bestünde darin, sämtliche sich bietenden Eigenschaften, Ressourcen und selbst Aspekte der Störungsbilder eines Klienten einzubeziehen und für das therapeutische Ziel nutzbar zu machen? Setzt das nicht eine geradezu lauernd-beobachtende Distanziertheit des Therapeuten zum Klienten voraus?

Bernhard Trenkle: „Lauernd-beobachtend“ ist eine interessante Idee aus Ihrer journalistischen Perspektive. Wie wäre es, wenn wir das umformulieren in „wohlwollend-neugierige“ Haltung, um nützliche Potenziale für die Behandlungsziele des Klienten zu entdecken? Nossrat Peseschkian, der schon 1967 das erste Buch über Positive Psychotherapie geschrieben hat, beschreibt in einem seiner Bücher ein wunderbares Beispiel. Eine Klientin definierte sich selbst als frigide. Er antwortet: Sie sind nicht frigide. Sie haben die Fähigkeit, mit dem Körper Nein zu sagen. – Es ist dieser wohlwollend-neugierige Blick auf die positiven Potenziale und Anteile bei unseren Klienten, die die Erickson’sche Hypnotherapie auszeichnet und wovon wir auch Elemente in anderen Therapieansätzen finden.

Nun habe ich eine Gegenfrage. Wie würde unsere Welt aussehen, wenn auch die Mehrheit der Journalisten bei Interviews häufiger „wohlwollend-neugierig“ anstatt „lauernd-beobachtend“ unterwegs wären? In der Beantwortung dieser Frage habe ich mich z. B. strategisch entschieden, ein Beispiel eines Nichthypnotherapeuten zu bringen, und dann habe ich gleich noch die Möglichkeit gesehen, etwas zur Interviewführung zu sagen, was mich beim Fernsehschauen schon länger beschäftigt hat.

Das vollständige Interview können Sie hier lesen…

5. Dezember 2016
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender: Solang man heim kann…

Margret Omlin, Stans (Schweiz)

5adventZum Thema Ihres Adventskalenders „Fremd – Vertraut. Begegnungen mit der Fremdheit“ sende ich Ihnen ein Zitat von Franz Michael Felder (1839-1869), das fast so etwas wie eine paradoxe Intervention darstellt.

Fotografiert habe ich es am 4. Oktober 2014 auf der Fassadenscheibe des www.vorarlbergmuseum.at in Bregenz, das dem Vorarlberger Bauer, Rebell und Sozialreformer Franz Michael Felder zu dessen 175. Geburtstag eine wunderbare Ausstellung gewidmet hatte.

http://www.nzz.ch/feuilleton/buecher/felder-dichter-und-rebell-1.18391591

http://www.vorarlbergmuseum.at/fileadmin/user_upload/landesmuseum/Presse/Pressemappe_Ich_Felder_final_SF.pdf
solang-man-heim-kann-wenn-man-will_felder-bregenz_4-10-2014

Herzliche Grüsse aus der Schweiz,

Margret Omlin

4. Dezember 2016
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender: Wo sich Fremdes hereindrängt, bin ich noch niemals ins Nichts gefallen …

Sabine Klar, Wien: Wo sich Fremdes hereindrängt, bin ich noch niemals ins Nichts gefallen …

4adventEin Weg entsteht dadurch, dass ich ihn öfter beschreite. Wenn ich auf ihm unterwegs bin, brauche ich mich damit nicht mehr zu befassen und kann mich auf anderes konzentrieren. In einer bestimmten Gegend aufgewachsen zu sein, alle Wege dort zu kennen, mich mit Vertrautem zu umgeben vermittelt mir Sicherheit. Vor allem wenn ich gestresst oder ängstlich bin, suche ich nach dem Gewohnten und will mir eine Heimat erhalten, die mir gleichzeitig ständig entzogen wird. Die Lage, in der ich mich heutzutage befinde, verlangt mir nämlich ganz anderes ab. Die berufliche Umgebung fordert Flexibilität und Mobilität im Hinblick auf den Arbeits– bzw. Wohnort, alles verändert sich sehr schnell, ich muss mich ständig mit Neuem konfrontieren. Manchmal ärgere ich mich über das Befremdliche, darf es aber nicht zeigen, weil ich es nicht korrekt fände und den eigenen Auffassungen auch gar nicht entsprechend. Bestimmte politische Parteien schaffen mir mittels ihrer Parolen dann Erlaubnisräume für meinen Frust – in ihrem Schutz darf ich ungestört dagegen wüten und schäumen und mich an abgedroschenen Phrasen erfreuen.

Gewohnheiten zu durchbrechen, von ausgetretenen Wegen abzuweichen, um unbekannte Gegenden zu erkunden, ist aus meiner Sicht nur möglich, wenn ich mich nicht in gewohnheitsmäßiger Weise an einengenden und schädigenden Vorstellungen und Beschreibungsformen festhalte. Die geistige und sprachliche Blase erwartet eine Situation, die gewissen Ideen und Bildern entspricht, aber durch die Konfrontation mit anderen und mit der Wirksamkeit der konkreten Lebenslage fallweise auch enttäuscht wird. Metaphorisch ausgedrückt, bekommt meine Welt dann Risse, Beulen und Brüche – sie erscheint

Sabine Klar (Foto: oeas.at)

Sabine Klar
(Foto: oeas.at)

mir nicht mehr so sinnhaft oder verstehbar wie früher. Risse, Beulen, Brüche gibt es an Grenzen – in Böden, Wänden und Mauern etwa, in Tüchern, Haut, Kleidern, die etwas bedecken, in Gefäßen, die etwas halten, in Zäunen, die etwas abwehren. Gedanken, die an bestimmten Ideen und Vorstellungen bauen, setzen solche Grenzen, indem sie unterscheiden, bewerten, zu- und einordnen. Ich merke die Grenzen, die ich gesetzt habe, erst dort, wo sie löchrig werden und das, was ich draußen haben wollte, nicht mehr abhalten. Der Riss im Verstehen, die Enttäuschung der Erwartung, die Frustration beim Hoffen – sie alle sprechen von einer Verletzung und Verbiegung jener (über Wahrnehmung, Urteil und Sprache) selbst erschaffenen Welt, die mein Sein wie eine Hülle umgibt, es konstituiert und schützt, Befremdliches draußen und Vorhandenes erhält. Die Brüche, Risse und Beulen in den diversen Weltkonzepten können die Basis meiner Existenz erschüttern, als kränkender Angriff auf meine eigene Person wirken und zu diversen Verteidigungs- und Rückzugsbewegungen führen. Hier habe ich einerseits die Chance zu begreifen, was ich unbedingt erhalten will, was mir also besonders wichtig ist. Andererseits werde ich mit dem Anderen, dem Fremden konfrontiert, das Grenzen überschreitet und auflöst. Deshalb sind die Brüche, Risse und Beulen, die mir das Leben oder die anderen von Zeit zu Zeit zumuten, zwar erschreckend, bestürzend und zutiefst verunsichernd – gleichzeitig aber auch eine Chance, mich mit ihrer Hilfe in einer Weise verwandeln zu lassen, an die ich ohne solch aufgezwungene Störungen nie auch nur ansatzweise herangekommen wäre. Wenn es mir gelingt, der Verletzung meines geistigen Gefüges etwas abzugewinnen, kann ich daraus gestärkt hervorgehen und erlebe mich in der Folge freier und beweglicher. Zumindest bekomme ich so unmittelbar mit mir selbst und meinen Grenzen zu tun, dass ich mich nachher besser kenne – was auch dabei hilft, andere Menschen zu verstehen.

Das Problem ist aus meiner Sicht nicht grundsätzlich die Angst oder Wut, die solche Verletzungen und Verbiegungen der eigenen Welt mit sich bringen können, sondern nur jene Gefühlslagen und Zustände, die dabei helfen, bestimmte Gedanken aufrecht zu erhalten – nämlich solche, die sich auf illusionäre Erwartungen und Vorstellungen beziehen und ein der eigenen Eigenart und Lage nicht angemessenes Selbstbild wichtiger nehmen als den nüchternen Blick auf die Gegebenheiten und das, was sich daraus ergibt. Üblicherweise verändert sich nicht nur die Situation, sondern auch die damit im Zusammenhang stehenden Wahrnehmungen und Empfindungen – schon allein bedingt durch den jeweiligen Zustand des Körpers, aber auch durch die sich ständig wandelndem Eindrücke und Erlebnisse in einer sich wandelnden Welt. Empfindungen und Wahrnehmungen kann ich nicht festhalten – sehr wohl aber manche Gedanken, die ich mir dazu mache. Dadurch interpretiere ich die sich verändernden Situationen, Empfindungen und Wahrnehmungen immer nach demselben Schema und missverstehe sie so unter Umständen oder erhalte mittels meiner Gedanken etwas aufrecht, das nur in meinem Kopf existiert. Es ließen sich viele Beispiele dafür finden, wie solche Ideen und Vorstellungen Probleme und Leiden hervorrufen können. Sie vermitteln unter anderem die Botschaft, dass irgendetwas anders sein sollte, als es ist. Ich distanziere mich von dem, was meinen Vorstellungen nicht entspricht, was aber gegeben und vorhanden ist, und entwickle ängstliche, misstrauische, ärgerliche, empörte, ungeduldige Gefühle, begründe sie – und festige damit den gewonnenen Eindruck. Ich bemerke nicht mehr, wo ich bin, sondern nur, wo ich lieber wäre.

Solche Gedanken lösen sich manchmal ganz von alleine auf, wenn ihnen die emotionale und geistige Nahrung entzogen wird, wenn sie sozusagen nicht mehr durch Identifikation mit „Ich-Energie“ gefüttert werden. Dann kann ich mich dem, was gerade da ist – auch dem „Gesicht des Fremden“ – unmittelbarer und achtsamer zuwenden und mich darin vertiefen. Darum geht es, denn das erfordert – besonders in schwierigen Lebenslagen – meine ganze Kraft und Aufmerksamkeit.

3. Dezember 2016
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender: sich befremden lassen

Edelgard Struß, Köln: Sich befremden lassen

3adventIns Museum für Ostasiatische Kunst gehe ich gerne, um mich befremden zu lassen. Wie beim Reisen in unbekannte Gegenden kann ich hinterher nicht sagen, ob ich mehr über das Fremde erfahren habe oder mehr über mich selbst. Oder mehr über etwas ganz anderes.

 

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Einmal saß ich in der Cafeteria im schönen Foyer des Museums. Im verschneiten Innenhof waren zwei tibetanische Mönche zu sehen, die eine Zeremonie ausführten. Währenddessen kamen Handwerker mit einem Gabelstapler, Leitern und Werkzeug ins Foyer gefahren. Sie fingen an, ein heiliges Tor für die kommende Ausstellung aufzubauen. Eine Viertelstunde später kamen die Mönche herein, um mitzumachen. Sie trugen jetzt, im beheizten Foyer, Vliesjacken über ihren traditionellen Gewändern. Die Gäste der Cafeteria, bisher damit beschäftigt, aus dem Fenster auf den See zu schauen, zu lesen oder sich zu unterhalten, hatten nach und nach ihre Stühle so umgestellt, dass sie den Handwerkern und Mönchen bei der Arbeit zuschauen konnten. Wir waren zum Publikum einer Performance geworden – ähnlich vielleicht wie bei ‚Some Cleaning‘, als die „Wartungs-Künstlerin“ Mierle Laderman Ukele 1996 die Reinigung von Kunstgalerien performte und erstaunte PassantenInnen sie vom Bürgersteig aus beobachteten.

 

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Fröhlich befremdete Fragen in der Cafeteria. Hatte es sich bei der Zeremonie der Mönche um einen Auftritt gehandelt? Um ein Gebet? Um den Probedurchlauf eines Rituals für die Ausstellungseröffnung? Sind die öffentlichen Aufbauarbeiten als Werbung für die Ausstellung gedacht oder geht es Handwerkern und Mönchen um normale Arbeitszeiten und das Tageslicht? Ist das Ganze von der Museumsleitung vielleicht sogar als performative labor konzipiert? Bedeutet die Mithilfe der Mönche beim Aufbau des heiligen Tores für sie eine Fortsetzung ihrer religiösen Handlungen? Oder handelt es sich für sie genauso um Arbeit wie für die Museumshandwerker? Gibt es noch etwas Heiliges an der Situation? Werden die Mönche dafür bezahlt – Mindestlöhne? Flächentarife für Museumshilfskräfte? Künstlersozialkasse? Wie ist es für die Mönche und die Handwerker, von einem ad-hoc-Publikum beobachtet zu werden? Und wenn sich das Ganze jetzt in Tibet abspielen würde im Museum für Westeuropäische Kunst ….?

struss2Weil ich so begeistert bin, dass es Leute gibt, die nicht SupervisorInnen und Coaches sind und sich mit genau diesen Fragen beschäftigen, hier zum Schluss ein Zitat und eine ausführliche Literaturangabe.

Das Konzept der performative labor: „evoziert […] weniger den Topos der Bühne als jenen des von Performenden, Gastgebenden und Besuchenden geteilten (Ausstellungs-)Raums. Die soziohistorischen Implikationen des Ausstellens und Konsumierens einer zugleich als körperlich, konzeptuell und affektiv gefassten künstlerischen Arbeit werden Teil eines kollektiven Geschehens.“ S 195 aus: Im Körper von Kuratierten: „You should always have a product that’s not you” Szene 6 – Performer_innen werden gecastet und vertraglich zu Arbeit verpflichtet. Abramovic´ Casting für das Gala-Dinner im Museum of Contemporary Art Los Angeles 2011. Adam Linder, Some Cleaning. – von Sabeth Buchmann und Kai van Eikel in: Netztwerk Kunst + Arbeit.art works. Ästhetik des Postfordismus. B_books.Berlin 2015

 

2. Dezember 2016
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender: Vertrautes im Fremden. Fremdes im Vertrauten

2adventHier mein Beitrag zum systemagazin-Adventskalender. In der Einladung wurde um Texte gebeten. Mein Beitrag ist allerdings kein Text und somit vielleicht auch fremd zwischen den vertrauten Formen von Text. Vielleicht kommt jedoch (nichtöffentlicher) Text im Betrachter auf und dann könnte der Beitrag etwas ins Vertraute rücken. Ich bin keine (studierte) Künstlerin und damit ist vielleicht auch meine Art zu zeichnen befremdlich. Dennoch kann vielleicht Fremdes gefallen und Vertrautes missfallen? Oder andersrum…

Ein herzlicher Gruß

Hannah Eller

 

Hanna Eller 2016

Hanna Eller 2016

1. Dezember 2016
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender – Corina Ahlers: Die Sprache des Fremden: Über das emotionale Miss-, Neben- und Unverstehen

1adventLiebe Leserinnen und Leser,

es ist wieder so weit: auch dieses Mal gibt es einen Adventskalender im systemagazin – mit einem Thema, mit dem sich vielleicht nicht jeder leicht tut: „Fremd – Vertraut. Begegnungen mit der Fremdheit“ ist das Motto des diesjährigen Kalenders. Die Globalisierung und die damit verbundene Möglichkeit der Echtzeitkommunikation weltweit gibt uns die Chance, jederzeit mit dem fremden in Berührung zu kommen. Wir sehen aber auch gerade gegenwärtig, welche Ängste und Befürchtungen dadurch mobilisiert werden. Der Wunsch nach Abschottung, nach dem vermeintlich Identitären nimmt zu. Betrachten wir die Welt als eine Fülle möglicher Wirklichkeitskonstruktionen, sollte uns das erschrecken. Der zentrale Affekt für Veränderung ist ja Interesse, die Voraussetzung für Exploration und Begegnung mit dem Unbekannten.

Wie auch in den vergangenen Jahren ist der Kalender für mich ein Abenteuer, denn er entsteht gewissermaßen „on the fly“. Die ersten Beiträge sind eingetroffen, aber die Türchen sind noch längst nicht gefüllt. Deshalb möchte ich Sie gerne auch jetzt noch einladen, Ihre Gedanken zum Thema zum beizusteuern. Die damit verbundenen Fragen könnten lauten: Wie wird uns das Fremde vertrauter? Wie können wir das Fremde im Vertrauten erkennen? Welche Erfahrungen in und mit der Fremde haben wir in unterschiedlichen privaten und beruflichen Kontexten gemacht und welche Schlüsse daraus gezogen? Was hat uns geprägt, angezogen, abgestoßen? Welche Rolle spielen dabei unsere eigenen kulturellen und milieugebundenen Vorerfahrungen? Wie ergeht es uns in der Arbeit mit Klientensystemen, die uns nicht ohne weiteres verständlich sind, weil sie ihre Werte und ihre Praxis aus uns fremden Bezugssystemen der Religion, Kultur und Weltanschaung beziehen? Welche Erfahrungen haben uns dabei bereichert, welche auch vorsichtiger gemacht? Welche Haltungen und Vorgehensweisen haben uns in der Auseinandersetzung mit diesen Themen unterstützt und geholfen? Wie sind unsere Klienten mit uns als Fremden zurechtgekommen und umgegangen?

Corina Ahlers aus Wien macht dieses Jahr den Anfang mit einer Geschichte über die Sprachverwirrung(en) in der psychotherapeutischen Praxis. Viel Vergnügen in den nächsten Tagen wünscht Ihnen

Tom Levold
Herausgeber systemagazin

 

Corina Ahlers, Wien: Die Sprache des Fremden: Über das emotionale Miss-, Neben- und Unverstehen

Vor vielen Jahren sagte eine Chilenin während einer Paarsitzung über ihren Partner: „In Barcelona konnte er zu mir sagen ,te amo’, und hier, in Wien, kann er es in seiner Sprache nicht: ,Ich liebe Dich’. Warum ist das so?“ Ihr österreichischer Partner bestätigte das und kannte keine Antwort. Die Chilenin erinnerte sich an ihre vielen Verehrer in Chile und an deren unglaublich wortgewaltige Liebeserklärungen … Weiterlesen →

26. November 2016
von Tom Levold
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Systemische Therapie

sydow-systemische-therapieIm Reinhardt-Verlag ist 2015 das Buch „Systemische Therapie“ von Kirsten von Sydow erschienen. Lothar Eder hat es für systemagazin gelesen:

Lothar Eder, Mannheim:

Noch ein Lehrbuch über Systemische Therapie? Kirsten von Sydow klärt gleich in der Einführung auf, dass es sich bei ihrem Buch (nur?) um einen Überblick der ST handele, was ihre Grundlagen, ihre Praxis (Anwendungsformen) und diesbezügliche Forschungsergebnisse anbelangt. Allerdings wird der Begriff „Lehrbuch“ zwei Abschnitte später wieder eingeführt. Nun mag man einwenden, dass ein Lehrbuch die eine oder andere Ausführung, Vertiefung und exemplarische Darstellung mehr verdient hätte, als auf 181 Seiten inkl. Literatur und Register passen. Denn eines ist gewiß: die Autorin kann und weiß nicht nur viel, sie hat auch einiges mitzuteilen. Jedoch: auch in der Kürze liegt ja gelegentlich die Würze. Weiterlesen →

20. November 2016
von Tom Levold
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„Man muss so sein, wie man selber ist“. Ein Gespräch mit Eve Lipchik

Eve Lipchik

Eve Lipchik

Eve Lipchik wurde 1931 als Tochter einer jüdischen Familie in Wien geboren und konnte nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland in letzter Sekunde mit ihrer Mutter in die USA fliehen. Nach ersten Jahren in New York und Basel zog sie mit ihrem Mann Elliot nach Milwaukee, wo sie gemeinsam mit Steve de Shazer, Insoo Kim Berg und anderen das Brief Family Therapy Center BFTC gründete, das mit der Entwicklung des lösungsorientierten Ansatzes berühmt wurde. 1988 kam es zur Trennung: während Steve de Shazer und Insoo Kim Berg zunehmend mit der Vermittlung ihres Ansatzes in internationalen Weiterbildungsaktivitäten beschäftigt waren, konzentrierte sich Eve Lipchik verstärkt auf die therapeutische Praxis. In ihren Veröffentlichungen wurde sie vor allem durch ihre Arbeiten zur Bedeutung der Affekte und der Gestaltung der therapeutischen Beziehung bekannt, ein Aspekt, der für sie im lösungsorientierten Ansatz zu wenig Beachtung erfährt. Am 2. August feierte sie ihren 85. Geburtstag.

Ihr Geburtsland hat Eve Lipchik lange gemieden, der Kontakt mit Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für systemische Therapie und systemische Studien ÖAS führten dazu, dass Eve Lipchik ihre Geburtsstadt wieder besuchte und auch dort arbeitete. Ich lernte sie dort vor über 10 Jahren auf einer Tagung kennen und war sofort begeistert und hingerissen von ihrer Person. Schon damals entstand die Idee, ein längeres Interview mit ihr über ihr Leben zu führen. 2014 hielt sie auf der ÖAS-Tagung „fremd gehen“ einen Hauptvortrag, in dem sie ihre eigene professionelle Entwicklung rekapitulierte. Wir verabredeten uns am Rande dieser Tagung im Haus von Corina Ahlers, wo Corina und ich ein langes Gespräch mit Eve über ihre Kindheit in Wien, ihre Ausreise in die USA, ihre Familienzeit, die Ausbildung zur Sozialarbeiterin und die Zeit mit und nach dem BFTC. Ursprünglich sollte es ein Video-Interview werden, aber die Qualität der Aufnahmen und ein Fehler bei der Tonaufzeichnung machten Bild- und Tonsynchronisation unmöglich, was auch die Transkription und Überarbeitung in die Länge zog. Hier können Sie nun das gesamte Gespräch lesen. Unsere Fragen sind kursiv gesetzt.  Weiterlesen →

18. November 2016
von Tom Levold
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Frühe Kindheit

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Erneut stellt die Familiendynamik in ihrer aktuellen Ausgabe das Thema der frühen Kindheit in den Mittelpunkt. Die Herausgeber des Themenheftes Jörn Borke und Ulrike Borst schreiben in ihrem Editorial: „Mit dem vorliegenden Heft nehmen wir uns dieser so wichtigen Lebensphase erneut an. In den letzten Jahren hat sich die Welt, zumindest in unserer Wahrnehmung, stark verändert. Und wir fragen uns ganz allgemein, was Kinder brauchen, um in dieser Welt gut gedeihen zu können. Spezieller gefragt: Wie kann unsere wohlhabende, aufgeklärte Gesellschaft Herausforderungen begegnen, denen viele Kinder, die bei uns aufwachsen, gegenüberstehen – etwa durch Flucht und Vertreibung, kulturelle / sprachliche Barrieren oder dadurch, dass ihre Eltern unter prekären Bedingungen leben? Mehr noch als 2009 werden in diesem Heft also auch Ansätze, die in Krippen, KiTas, Beratungsstellen und Kleinkind- Ambulanzen umgesetzt werden, dargestellt. Außerdem geht es um die Hintergründe eines kultursensitiven Vorgehens sowie darum, wie dieses konkret aussehen könnte.“ Umgesetzt wird diesen Themenheft durch Beiträge von Bettina Lamm, Angelika Schöllhorn, Jörn Borke, Eva-Maria Schiller, Joscha Kärtner, Andrea Lanfranchi, Tina Eckstein-Madry, Lieselotte Ahnert, Christine Bark, Svenja Taubner und Anna Georg. Darüber hinaus gibt es noch einen Text zur „Systemische Fallkonzeption und State-Dynamik bei einer Patientin mit struktureller Dissoziation der Persönlichkeit“ sowie eine Studie zur „Manualtreue“ Systemischer Therapie: „Wie prüfe ich, ob es systemisch war?“. Garniert wird das Heft noch mit einem Beitrag von Sebastian Baumann über die bevorstehende Universitätsausbildung von Psychotherapeuten und von Hartmut Epple über die geplante Reform des SGB VIII – alle bibliografischen Angaben mit den Zusammenfassungen gibt es hier…

 

13. November 2016
von Tom Levold
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Heinz the Magician

Heute würde Heinz von Foerster (Foto: Wikipedia) seinen 105. Geburtstag feiern. 1979 ist ein Artikel von Humberto R. Maturana im Cybernetics Forum erschienen, in dem er unter dem Titel „The wholeness of the unity: Conversations with Heinz von Foerster“ beschreibt, wie ihn die Gespräche mit Heinz von Foerster während seines 10omonatigen Aufenthaltes am Biological Computer Laboratory an der University of Illinois während der Jahre 1968 und 1969 zu seinen Überlegungen hinsichtlich der Begriffe Funktion, Zwecke und Ziele von lebenden Systemen inspiriert haben. Diese Begriffe sind keine Aspekte lebender Systeme (etwa Zellen oder Organismen) selbst, sondern erhalten nur Sinn aus der Perspektive eines Beobachters. Diese Ideen werden anhand von einigen Anekdoten Heinz von Foersters, der u.a. tatsächlich auch als Zauberer aufgetreten ist, verdeutlicht. Der Artikel ist im Konstruktivismus-Archiv der Universität Wien gespeichert und kann hier gelesen werden…