Bruce Wampolds Buch „The Great Psychotherapy Debate“ von 2001 gilt heute schon als Klassiker der Psychotherapieforschung, der sich entschieden vom „medizinischen Modell“ der gegenwärtigen Mainstream-Psychotherapie abgrenzt. 2015 ist eine zweite, überarbeitete Auflage in Ko-Autorenschaft mit Zac E. Imel erschienen, die in einer Adaption von Christoph Flückiger auch erstmals einem deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht worden ist. Stefan Beher hat das Buch rezensiert.
Stefan Beher, Bielefeld: Wirklichkeit und Wirksamkeit in der Psychotherapie: Eine Rezension zur „Psychotherapie-Debatte“ von Wampold, Imel und Flückiger
Die Frage, wie Psychotherapien wirken, beschäftigt uns, seitdem es Psychotherapien gibt. Beinahe könnte man die Geschichte der Psychotherapie als den Versuch rekonstruieren, spezifische Wirkmechanismen zu finden, die verlässlich zu erwünschten Effekten führen. An einem gibt es heute keinen Zweifel mehr: Psychotherapien wirken. Doch wie diese Wirkungen zu erklären sind und was wirklich die zugehörigen Effekte herbeiführt – darüber gibt es, auch nach über hundert Jahren Forschung, bislang wenig Aufschluss. Bruce Wampoldund Zac Imel versuchen nun in der zweiten, völlig neu überarbeiteten Auflage ihrer bereits zu Anfang des Jahrtausends vieldiskutierten „Great Psychotherapy Debate“, die von Christoph Flückiger übersetzt und an den deutschen Sprachraum adaptiert wurde (Hogrefe Verlag, 2017), die Geschichte der Psychotherapieforschung nachzuzeichnen und ihren aktuellen Stand in einigen wesentlichen Ergebnissen zusammenzufassen.
Danach fällt die Bestimmung der absoluten Wirksamkeit von Psychotherapie erstaunlich eindeutig aus: Psychotherapien wirken, das finden Meta-Analysen seit 40 Jahren wieder und wieder, mit einer Effektstärke von etwa 0.8 – einem Wert also, der besagt, dass 80% der mit Psychotherapie behandelten Klienten eine bessere Entwicklung nehmen als eine nichtbehandelte Kontrollgruppe. Wenngleich immer mitbedacht werden sollte, dass die erreichten Effekte in ihrer Höhe individuell höchst unterschiedlich ausfallen, erscheint dieser Wert nicht nur überraschend hoch und robust über die Jahrzehnte; er stellt auch zahlreiche etablierte Verfahren in der Medizin teilweise deutlich in den Schatten.
Schwieriger wird es, diese Effekte nun genauer zu erklären – oder sich überhaupt vorzustellen, was in Psychotherapien eigentlich entscheidend geschieht. Hier hat sich nicht nur in der Forschung, sondern ebenso in unserem Gesundheitswesen eine Vorstellung durchgesetzt, die Psychotherapie analog zu medizinischen Behandlungen versteht – das von Wampold und Kollegen so genannte „Medizinische Metamodell“. Damit ist gemeint, dass psychische „Krankheiten“ ähnlich wie körperliche Erkrankungen über bestimmte „Symptome“ definiert werden und dass eine Behandlung darauf abzielt, mit genau auf diese Symptome abgestimmten Interventionen die Krankheit zu lindern oder gar zu heilen. Mit dieser basalen Vorstellung, die in der Medizin nicht nur zu großen Behandlungserfolgen geführt hat, sondern die auch sozial mittlerweile gut eingeführt ist und deshalb intuitiv einleuchtet,ohne weiterer Erklärung zu bedürfen, hat sich Psychotherapie, auch und gerade in Deutschland, im öffentlichen Gesundheitswesen ihren Platz und im öffentlichen Diskurs ihre Anerkennung erkämpft – aus Sicht der Psychotherapie, aber auch für ungezählte Klienten insbesondere in Deutschland, die heute ihre Therapien weitgehend durch das öffentliche Kassensystem erstattet bekommen, ein riesiger Erfolg, der kaum zu überschätzen ist. Noch die Methodik der zu Grunde liegenden, die Therapien betreffende Forschung wurde dabei dem medizinischen Feld entnommen: Orientiert an Studien zur Wirksamkeit von Medikamenten müssen Therapieverfahren, um als wirksam zu gelten, sich in randomisiert-kontrollierten Studien beweisen. Dabei werden eingegrenzte Störungsbilder (Diagnosen) mit manualisierten, d.h. in ihren Einzelschritten ausführlich beschriebenen und festgelegten, insbesondere stets gleich ausgeführten Interventionen behandelt und in ihrem Ergebnis mit Kontrollgruppen verglichen, die zuvor anders oder gar nicht behandelt wurden. Das, was eine Therapie wirksam macht, besteht nach dieser Vorstellung also in einem bestimmten Verfahren, einer Technik, die in der Therapie angewendet wird – ähnlich einem Arzneistoff in der Medizin. Und nur Therapieverfahren, die über randomisiert-kontrollierte Studien ihre Überlegenheit zu Kontrollgruppen oder mindestens ihre Gleichwertigkeit zu bereits überprüften Verfahren belegen können, gelten als „evidenzbasiert“, also wirksam, weil sie alternativen Behandlungsformen und insbesondere bloßen Erwartungseffekten gegenüber sich als überlegen erwiesen haben. Auch die Systemische Therapie hat im vergangenen Jahr auf Grundlage solcher Studien ihre sozialrechtliche Anerkennung erhalten – als „wirksames Verfahren“ im „Medizinischen Metamodell“.
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