systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

18. August 2006
von Tom Levold
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Hörgeschädigte Kinder in der Regelschule – was brauchen sie für ihre psycho-soziale Entwicklung?

In einem neuen und aktuellen Beitrag für die Systemische Bibliothek befasst sich Cornelia Tsirigotis mit den besonderen besonderen Bedürfnissen von hörgeschädigten Kindern in Regelschulen für ihre psycho-soziale Entwicklung. Einer der wesentlichen Punkte ist der Prozess der »Identitätsarbeit«, die vielfältigen und widersprüchlichen Erfahrungen im Lebensfluss mit eigenen Bedürfnissen und Wünschen auszubalancieren. Wichtig für eine zufriedene psychosoziale Entwicklung ist die Unterstützung des Selbstwirksamkeitserlebens. Der Beitrag unterstreicht die Möglichkeiten sowohl von Lehrern wie von Eltern, hörgeschädigte Kinder dabei zu unterstützen, Erfahrungen von psychischer Stärke und Selbstwirksamkeitserleben zu machen.
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16. August 2006
von Tom Levold
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Soviel Wahrheit war selten!

 

Liebe systemagazin-Leser (und von mir aus auch Leserinnen),

auch wenn Sie es in der Vergangenheit nicht wahrnehmen wollten, verband Sie und uns von BILD bislang doch eines: unsere konstruktivistische Grundhaltung.„Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“. Sie erinnern sich? OK, vielleicht hatten Sie hin und wieder andere Vorstellungen davon, welche Wirklichkeit wir denn nun erfinden sollten. Schwamm drüber. Konstruktivismus war gestern. Vergessen wir das.
Ab sofort wollen wir von BILD nur noch die reine Wahrheit verbreiten. Wo andere nur wahr sind, werden wir wahrer, nein – am wahrsten sein. Versprochen. So wahr ich Kai Diekmann heiße.
Das erfordert natürlich wahrhaftig Mut. Wie unsere Kampagne zeigt, hatten den zwar auch schon Andere. Zum Beispiel Martin Luther King, Galileo Galilei, Sigmund Freud, Mahatma Gandhi und Albert Einstein.
Die schreckliche Wahrheit ist aber: die sind alle schon tot.
Deshalb wollen wir lieber die Wahrheit über das Leben verbreiten als die Wahrheiten von Toten. Zum Beispiel ganz aktuell: Während Freundin Estefania mit dem Kind zuhause in Deutschland sitzt, vergnügt sich Dieter Bohlen auf Mallorca. Die SPD ist derweil von Auflösung bedroht. Und Günter Grass wurde an Hitlers letztem Geburtstag verwundet. Deshalb das neue Buch in unserer Erotik-Bibliothek:„Ich roch seinen würzigen Duft nach Schweiß und Motoröl“. Soviel Wahrheit war selten. Und die Schlimmste von allen:„Tierheim-Irrsinn: Anal-Massage für Eichhörnchen“.
Wenn Sie das nicht aushalten können: bleiben Sie doch bei Ihrem Konstruktivismus.

Der Wahrheit auf immer verpflichtet!

Ihr Kai (Mann, ist der) Diekmann

15. August 2006
von Tom Levold
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Psychotherapie in Zeiten der Globalisierung?!

Bei Vandenhoeck & Ruprecht sind zwei Kongressbände zur Tagung „GRENZEN – Psychotherapie und Identität in Zeiten der Globalisierung“ erschienen, die im Sommer 2005 in Weimar stattfand – herausgegeben von Bernhard Strauß und Michael Geyer. Im vorliegenden Band sind den Herausgebern zufolge die Beiträge zusammengefasst, die sich „mehr oder weniger direkt mit der Globalisierungsthematik befassen“, der zweite Band (ebenfalls demnächst im systemagazin besprochen) gilt dem Thema der Grenzen psychotherapeutischen Handelns.
Zum Band„Psychotherapie in Zeiten der Globalisierung“ schreibt Tom Levold:„In ihrem Vorwort nehmen die Herausgeber unter Bezugnahme auf Heiner Keupp das Stichwort von der ‚Gesellschaftsvergessenheit der Psychotherapie‘, ja ihrer ’sozialen Amnesie‘ auf und konstatieren einen Bedarf, ’sich mit gesellschaftstheoretischen Fragen zu befassen und mehr noch diesbezügliche Impulse aus anderen Wissenschaftsdisziplinen zu erhalten‘. Diesem Bedarf soll dieses Buch abhelfen, ein Unterfangen, dass jedoch nur teilweise gelingt. Es zeigt sich vor allem, dass der zeitdiagnostische Anspruch der Reflexion der Herausforderungen, denen sich die Psychotherapie im Globalisierungszeitalter stellen muss, eher nicht eingelöst wird: das Spektrum der (offensichtlich von den AutorInnen selbst) gewählten Themenstellungen ist viel zu breit angelegt, trotz einiger ausgezeichneter Einzelbeiträge hält der Band im Ganzen nicht, was der Titel verspricht“

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14. August 2006
von Tom Levold
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Zum 50. Todestag von Bertolt Brecht

Ballade von der Unzulänglichkeit
des menschlichen Planens

Der Mensch lebt durch den Kopf.
Sein Kopf reicht ihm nicht aus.
Versuch es nur, von deinem Kopf
Lebt höchstens eine Laus.
Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht schlau genug.
Niemals merkt er eben
Diesen Lug und Trug.

Ja, mach nur einen Plan!
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch ’nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht.
Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht schlecht genug.
Doch sein höhres Streben
Ist ein schöner Zug.

Ja, renn nur nach dem Glück
Doch renne nicht zu sehr
Denn alle rennen nach dem Glück
Das Glück rennt hinterher.
Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht anspruchslos genug.
Drum ist all sein Streben
Nur ein Selbstbetrug.

Der Mensch ist gar nicht gut
Drum hau ihm auf den Hut.
Hast du ihm auf den Hut gehaun
Dann wird er vielleicht gut.
Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht gut genug
Darum haut ihm eben
Ruhig auf den Hut!

BB

13. August 2006
von Tom Levold
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Neuere Entwicklungen in der Psychiatrie

Thomas Keller, Abteilungsarzt an den Rheinischen Kliniken Langenfeld und Lehrtherapeut der Systemischen Gesellschaft, fungiert nach 35 Berufsjahren in der„institutionalisierten Psychiatrie“ erneut als Gastherausgeber der Zeitschrift für Systemische Therapie und Beratung“ (ZSTB) zum Thema„Neuere Entwicklungen“ in der Psychiatrie. Unter anderem präsentiert er den letzten Artikel des im Februar 2004 bei einem Autounfall tödlich verunglückten Gianfranco Cecchin, den dieser gemeinsam mit Gerry Lane und Wendel A. Ray verfasst hat:„Exzentrizität und Intoleranz: Eine systemische Kritik“. Sein eigener Beitrag gilt der„Entfaltung systemischer Ideen und Arbeitsformen in der Praxis psychiatrischer Institutionen“, bei der vor allem dem Begriff der„Kooperation“ eine zentrale Bedeutung zukommt. Eine Autorengruppe um Jochen Schweitzer aus Heidelberg gibt einen Überblick über Praxis und Umsetzung der multiprofessionellen, klinikübergreifenden SYMPA-Weiterbildung als Teil des multizentrischen SYMPA-Projekts („Systemtherapeutische Methoden in der Psychiatrischen Akutversorgung“), das für Keller„zweifellos … derzeit wichtigste systemische Projekt in der Psychiatrie unseres Landes“. Der Beitrag von Jaakko Seikkula und Mary E. Olson stellt Arbeitsformen und Ergebnisse eines äußerst erfolgreichen netzwerkbasierten Modells flächendeckender gemeindepsychiatrischer Arbeit in Finnland dar. Schließlich berichtet Antja Müllenmeister aus ihrer eingehenden Erfahrung in der Enthospitalisierung von Psychiatrie-Veteranen.
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12. August 2006
von Tom Levold
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Entwicklung des Emotionswissens bei Kindern

In einer Rezension des Forschungsberichtes von Bettina Janke schreibt Dieter Irblich:„Leider liefert das Buch keine Hinweise darauf, welchen Nutzen die Befunde für den Umgang mit Kindern, noch dazu im beraterischen und klinischen Kontext haben. Für die Praxis wäre es aber von besonderem Interesse, Hinweise zu erhalten, wie sich das Emotionswissen außerhalb fiktiver Ereignisse aktualisiert, also dann, wenn Kinder sich in realen, emotionsauslösenden Situationen befinden, und inwieweit tatsächliche Verhaltensweisen dadurch beeinflusst werden können. Sinnvoll erschiene auch, das hier referierte ,experimentelle‘ Emotionswissen in Beziehung zu setzen mit mehr oder weniger fachlich fundierten therapeutischen und beraterischen Interventionen bei Kindern und ihren Familien, die der Emotionsregulation und der Bewältigung belastender Erfahrungen dienen. Auch wenn anwendungsbezogene Aspekte in dem Buch von Janke keine Rolle spielen, ergeben sich hier doch einige Denkanstöße zur Reflexion praktischer Handlungskonzepte z. B. im Hinblick auf ängstliche Kinder oder Kinder mit aggressiven Verhaltensweisen“

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11. August 2006
von Tom Levold
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Systemische Seelsorge


Die neue Ausgabe der Familiendynamik (alte Abb.), die – das sei hier einmal angemerkt – vor 30 Jahren unter der Herausgeberschaft von Helm Stierlin und Josef Duss von Werth das Licht der Welt erblickte (einen herzlichen Glückwunsch von dieser Stelle), beschäftigt sich mit dem Thema der Systemischen Seelsorge, als das erste Heft einer Zeitschrift im deutschen Sprachraum überhaupt, wie im Editorial stolz vermerkt wird. Aus dem Editorial:
„Passen konstruktivistische Ideen und Glaubensüberzeugungen überhaupt zusammen? Die Tatsache, dass Seelsorge systemisch praktiziert wird und nicht als teuflisch ausgeschlossen wird, lässt schließen, das es geht – dass es ‚irgendwie‘ gehen muss. Aber wie genau sieht es aus?… Martin Ferel beschreibt eine Seelsorge, die sich dezidiert von Problem- und Lösungsorientierung abhebt. Die Fragen nach Anliegen und Auftrag aus systemischer Sicht zeigen gerade, dass Seelsorge noch ganz andere Zugänge und Themen suchen kann, mit den sie wohlwollende Wirkung hinterlässt. … Rita Schaab gibt Einblick in den Mikrokosmos einer dörflichen Kirchengemeinde. … Heike Knögel beschreibt, wie die Organisation ‚Krankenhaus‘ die seelsorgerische Arbeit formt, Themen schafft, Krisen zeitigt, Lösungen im Rahmen der Organisation ermöglicht. … Christoph Morgenthaler entwickelt systemische Ideen zu einem Thema, das in Religionen einen zentralen Platz hat: Tod und Trauer. Günther Emlein zeigt mit Hilfe der Systemtheorie Unterschiede zwischen Seelsorge und anderer systemischer Praxis auf. Das Religion dort eine Rolle spielt, ist zu erwarten, aber was heißt dies für Kommunikation?“
Das Heft wird abgerundet durch einen Übersichts-Beitrag über den gegenwärtigen Stand der Reproduktionsmedizin sowie einen Aufsatz der Herausgeber mit Arnold Retzer über die Frage:„Wann endet eine Therapie?“
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10. August 2006
von Tom Levold
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Luhmann und die Kulturtheorie

Andreas Reckwitz hat seit diesem Jahr eine Professur für Allgemeine Soziologie und Kultursoziologie an der Universität Konstanz. Auf seiner Website stellt er zahlreiche seiner Texte frei zur Verfügung. Ein empfehlenswerter Aufsatz befasst sich mit den Differenzen einer kulturtheoretisch fundierten Sozialtheorie und der Luhmannschen Theorie sozialer Systeme, die sich in Bezug auf eine heutige Lektüre gewissermaßen wechselseitig kontextualisieren:„Die Spezifika von Luhmanns Theorieprogramm werden deutlich, setzt man es genauer in Beziehung zu jenem disparaten Feld der Kulturtheorien, die einen Großteil der zeitgenössischen Theorielandschaft ausmachen. Umgekehrt zeichnen sich die Konturen des kulturtheoretischen Programmes schärfer ab, betrachtet man es vor der Hintergrundfolie der Luhmannschen Theorieoptionen“
Spannend ist vor allem, wie Reckwitz das normative Motiv der Trennung des Sozialen von allen anderen phänomenologischen Sphären bei Luhmann herausarbeitet, während die kulturtheoretisch orientierten Sozialtheorien sich gerade die Grenzüberschreitung zwischen diesen Sphären zum Programm gemacht haben:
„Während Luhmanns Theorie des Sozialen auf einer grundbegrifflichen Separierung von sozialen, psychischen, organischen und mechanischen Systemen, damit auf einer Situierung des Sozialen außerhalb der Körper, des Bewußtseins und der Artefakte basiert, ist für das ‚praxeologische‘ Denken der Kulturtheorien eine Situierung des Sozialen und der Kultur in den Bewußtseinen, Körpern und Artefakten, mithin eine Grenzüberschreitung zwischen dem Kulturell-Symbolischen und den scheinbar asozialen Sphären des Körpers, der Psyche und der Materialität zentral. Wo in Luhmanns Gesellschaftstheorie die Moderne ihre Einheit im Prinzip funktionaler Differenzierung, in den eindeutigen Grenzen zwischen Subsystemen findet, arbeiten die Kulturtheoretiker den konflikthaften, uneinheitlichen Charakter der Moderne angesichts verschiedener kultureller, historischer, klassenspezifischer und geographischer Logiken heraus: Auch hier torpedieren sie die Logik der Grenzerhaltung durch den Verweis auf eine Logik von Grenzüberschreitungen. Es wird sich herausstellen, daß die unterschiedlichen Theorieentscheidungen bei Niklas Luhmann und den Kulturtheoretikern von verschiedenen normativen Grundüberzeugungen motiviert sind, auch wenn die Autoren selbst ihre normativen Motive selten explizit offenlegen“
Der Aufsatz ist 2004 im von Günter Burkart herausgegebenen Sammelband„Niklas Luhmann und die Kulturtheorie“ bei Suhrkamp erschienen und hier online als PDF zu lesen.

9. August 2006
von Tom Levold
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Familienaufstellung zwischen dem Sakralen und dem Profanen

In der Systemischen Bibliothek erscheint heute ein Aufsatz von Rudolf Klein aus dem Jahre 1998, in dem dieser anhand der Auseinandersetzung mit Familienaufstellungen Psychotherapie als Übergangsritual und (im Rückgriff auf Mircea Eliade) als Verbindungsmöglichkeit des Profanen mit dem Sakralen:„Oft wird die Unterscheidung sakral – profan mit der Differenz von real – irreal bzw. pseudoreal gleichgesetzt. Es handelt sich jedoch vielmehr um zwei Arten des In-der-Welt-Seins. …
Die radikal konstruktivistische Sicht definiert die Welterfahrung als eine kontextgebundene, dynamische, konsensuell konstruierte Beziehungswirklichkeit und betont die Gestaltungs- und Veränderungsmöglichkeiten des Einzelnen. Sie stellt damit m.E. eine profane Weltsicht des modernen Menschen in Reinform dar. Familienaufstellungen dagegen befassen sich zu einem großen Teil mit horizontalen und v.a. vertikalen Verwandtschaftslinien und den damit zusammenhängenden Themen wie Tod und Zugehörigkeit zu einer Sippe. Diesen Themen wird der Status nicht zu leugnender Gegebenheiten und der daraus resultierenden Notwendigkeit der Anerkennung dieser Fakten zugeordnet. Sie stellen damit der radikal-konstruktivistischen Weltsicht eine andere, das Sakrale repräsentierende Sichtweise ergänzend gegenüber. Sakral insofern, da ‚es sich als etwas vom Profanen völlig verschiedenes zeigt.‘ Wichtig scheint mir die Unterscheidung zwischen dem Sakralen und dem Religiösen. Das wesentliche Merkmal des Sakralen besteht darin, nicht in Frage gestellt werden zu dürfen – die Realität zu sein. In diesem Sinne bedeutet das Sakrale dann ’soviel wie Kraft und letztlich Realität schlechthin. Das Heilige ist gesättigt mit Sein.‘ (Eliade)“
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7. August 2006
von Tom Levold
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Taking Positions

Tom Levold stellt ein interessantes Buch von Davic Campbell und Marianne Marianne Grønbæk vor, in dem beide über ihre Arbeit mit einem Beratungstool berichten, den„semantischen Polaritäten“, eine Variante aus dem Bereich der Skalierungstechniken:„Wie bei allen Methoden, hängt auch bei diesem Modell der erfolgreiche Einsatz ganz vom umsichtigen und besonnenen Vorgehen der Berater ab, die ein ausreichendes Gefühl für den Kontext, gutes Timing und eine angemessene affektive Rahmung besitzen müssen. Wie die zahlreichen Fallbeispiele aus der Praxis beider Autoren zeigen, handelt es sich um ein außerordentlich breit einsetzbares Beratungs-Instrument mit minimalen technischen Voraussetzungen, dass in der Hand von erfahrenen Beratern schnell und effektiv zu kreativen Problemlösungen beitragen kann. Die scheinbare Simplizität dieses Tools täuscht allerdings leicht darüber hinweg, dass die zugrundeliegenden Fragestellungen erst einmal erfahren, verstanden und neu konzeptualisiert werden müssen“
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6. August 2006
von Tom Levold
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Anlassfreie Beratungsarbeit oder klare Zielverfolgung?

Das Thema der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift OSC („Organisationsberatung, Supervision, Coaching“, im Foto leider noch die Ausgabe 01/06) ist dem Thema„Lernen im Coaching, Lernen fürs Coaching“ gewidmet. Interessant ist dabei ein kurzer Aufsatz von Altmeister Wolfgang Looss, in dem dieser als Alternative zum„problemorientierten Coaching“ für eine„anlassfreie Beratungsarbeit über längere Zeit“ plädiert:„Die Erfahrung, sich auch ohne akuten äußeren Problemdruck tastend, unsicher, fragend und zweifelnd erleben zu dürfen, wird von Klienten als extrem produktiv und schon deswegen kostbar beschrieben. Da es keine Not-Wendigkeit gibt, fehlt auch ein Ziel, man kann auf vorgedacht Anzustrebendes verzichten. Und erst dadurch wird es dem Klienten möglich, seine gewohnte Realität behutsam zu dekonstruieren und sich der ‚Krise im Container‘ auszusetzen, wie das in der Dialogarbeit heißt“ (123).
Auch Klaus Eiderschink spricht sich – bei allem Respekt – für eine Relativierung der unbedingten Lösungsorientierung aus:„Insbesondere dienen die im Coaching eingebrachten Ziele häufig dazu, unangenehme Selbstwahrnehmungen besser ausschließen und verdrängen zu können“ (157). In ihrem – im übrigen eher langweiligen Aufsatz – halten Sabine Dembkowski und Fiona Eldridge dagegen:„Es gibt kein Coaching ohne systematisches Vorgehen und klare Zielverfolgung“ (169). Die Frage wäre ein eigenes Themenheft wert.
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5. August 2006
von Tom Levold
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USA: Massenhaft

Wie ein Beitrag des französisch-amerikanischen Soziologen Loïc Wacquant im online-Magazin Telepolis auf eindrucksvoll-bedrückende Weise deutlich macht, vollzieht sich in den USA eine Hyperinflation der Gefängnisse mit einer Vervierfachung der Gefängnispopulation im Laufe von 25 Jahren. Mit 740 Häftlingen pro 100.000 Einwohner und sechs- bis zwölfmal so viel wie in allen anderen Industrieländern nehmen die USA den unangefochtenen Spitzenplatz bei Inhaftierungen ein.
Insgesamt sind heute 6,5 Millionen (meist schwarze) Amerikaner unter Aufsicht der Strafjustiz. Während im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich systematisch gekürzt wird, ist der Strafvollzug zum drittgrößten Arbeitgeber der Nation avanciert, die Justiz wird zur entscheidenden Größe bei der Bekämpfung der Armutsproblematik. Davon profitiert eine immer stärker werdende private Gefängnisindustrie, die nun auch international aggressiv expandiert.
Da das System teuer ist, wird zunehmend versucht, die finanziellen Lasten des Strafvollzuges auf die Häftlinge und ihre Familien abzuwälzen, einschließlich der gerichtlichen Eintreibung der Schulden, die die Häftlinge bei ihrem unfreiwilligen Aufenthalt hinter Gittern angehäuft haben. Der Beitrag ist ein Kapitel aus dem Buch von Loïc Wacquant: „Das Janusgesicht des Ghettos und andere Essays“, das als Band 134 der Reihe Bauwelt Fundamente im Birkhäuser Verlag erschienen ist. Loïc Wacquant ist Professor für Soziologie am Institute for Legal Research der University of California at Berkeley.