systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

31. August 2006
von Tom Levold
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Traumatherapie mit EMDR

Die Bearbeitung posttraumatischer Belastungsstörungen mit Hilfe von EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing, deutsch: Desensibilisierung und Neubearbeitung mit Augenbewegungen) ist keine eigenständige Therapieform, sondern eine Methode, die in unterschiedliche Therapieschulen integriert werden kann, so auch in die Systemische Therapie. Oliver Schubbe, Leiter des Instituts für Traumatherapie in Berlin, hat ein übersichtliches Handbuch herausgegeben, dass die pragmatische Vorgehensweise von EMDR sehr plausibel und eindrücklich darstellt.
Tom Levold:„Die Aufbereitung des Buches ist hervorragend gelungen. Eine durchgehende Marginalienspalte mit kurzen Stichworten gibt dem Leser jederzeit eine ausgezeichnete Orientierungsfunktion in die Hand. Die Gliederung ist überschaubar und nachvollziehbar, der Text flüssig und verständlich, so dass das Buch tatsächlich als Handbuch genutzt werden kann, vor allem auch wegen des ausgesprochen nützlichen fast 50seitigen Materialteiles am Ende des Bandes, der verschiedene Checklisten, Kopiervorlagen von Standardprotokollen, Übungen zur Distanzierung, Stabilisierung und Entspannung für die Klienten, Diagnostikbögen etc. enthält, die allesamt in die eigene Praxis übernommen werden können. Die didaktische Durchführung lässt das fehlende Register vergessen.
Wer von dieser Methode gehört hat, aber sich noch kein rechtes Bild machen konnte, kann von diesem Werk ebenso profitieren wie diejenigen, die bereits Erfahrungen damit gemacht, aber immer noch in der einen oder anderen Frage Fundierungsbedarf haben“
Als Begleitung zum Buch lässt sich auch noch eine DVD ordern, die die im Buch geschilderte Vorgehensweise anhand eines EMDR-Falles anschaulich illustriert und diverse technische und theoretische der EMDR-Arbeit erläutert.
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30. August 2006
von Tom Levold
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Luhmanns „Soziale Systeme“ wieder lesen!

Luhmanns„soziale Systeme“ ist nun auch ins Koreanische übersetzt worden, mit einem Vorwort von Dirk Baecker, das vollständig auf den Seiten des Management-Zentrums Witten als PDF zu finden ist. Baecker geht davon aus,„dass die Soziologie die Rezeption dieses Buches immer noch vor sich hat“:„Es ist bis heute auffällig, dass Luhmanns Theorie sozialer Systeme von Literaturwissenschaftlern, Juristen, Theologen, Pädagogen und Künstlern viel und gerne gelesen wird, aber in der Soziologie kaum Spuren hinterlassen hat“ Desweiteren betont er (gegen die Kritiker Luhmanns), dass dessen Theorie„mindestens so sehr Handlungstheorie wie Systemtheorie“ sei und auch dem„Menschen“ einen sehr viel größeren Platz einräume, als immer wieder Luhmann unterstellt werde. Er schließt diese erneute und nachdrückliche Lektüreempfehlung mit folgenden Sätzen:
„Nicht zuletzt kann man auch das, was man tut, wenn man dieses Buch liest, mithilfe dieses Buches besser begreifen als mit vielen anderen Büchern. Denn Lesen ist eine Form der Kommunikation, die sich auf Gesellschaft bezieht und von Interaktion erst einmal entlastet ist. Weder muss man befürchten, dem Autor weh zu tun, wenn man ihm nicht zustimmt, während man ihn liest, noch muss man befürchten, bei seiner eigenen Begriffsstutzigkeit erwischt zu werden. Man kann lesen und wieder lesen und es auch dabei offen lassen, was daraus resultiert. Verändert wird man in jedem Fall, aber man muss schon sehr genau hinschauen, wenn man herausbekommen will, wie man sich verändert. In jedem Falle sollte man die Unterscheidung zwischen Interaktion und Gesellschaft berücksichtigen, die, wie Luhmann vorschlägt, jedes soziale System als diese Differenz strukturiert. Nicht alles, was in der Gesellschaft möglich ist, zum Beispiel die Lektüre dieses Buches, sollte man auch einem Interaktionssystem zumuten. Man wird, versucht man es doch, schnell feststellen, dass sich das Buch und seine Theorie schon mithilfe der verwendeten Begriffe, ganz zu schweigen von der mitlaufenden Theoriearchitektur dieser Begriffe, davor schützt, nachdem es gelesen worden ist, auch noch gesprochen zu werden. So wie die Gesellschaft und jedes einzelne ihrer Systeme von ihrer funktionalen Analyse überfordert sind (die deswegen auch nur in einem Teilsystem der Gesellschaft, in der Wissenschaft, und dort in einer unscheinbaren Fachdisziplin, der Soziologie, vorgenommen wird), so wäre auch die Interaktion vom Sprechen der Systemtheorie überfordert. Herauszufinden jedoch, wie man sich auf die Subtilität und das Raffinement der Kommunikation in Interaktionen, in Organisationen, beim Einkaufen, vor dem Fernsehgerät, in der Kirche und vor einem Kunstwerk einlässt, nachdem man dieses Buch gelesen hat, das lohnt diese Lektüre allemal. Vermutlich beruht darauf sein Erfolg auch außerhalb der Wissenschaft. Und vermutlich kann es nicht zuletzt deswegen seinen Erfolg innerhalb der Wissenschaft nach wie vor gelassen abwarten“
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29. August 2006
von Tom Levold
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Ramin Jahanbegloo über die Rolle der Philosophie für die Demokratisierung im Iran

Am 27. April d.J. wurde mit Ramin Jahanbegloo der wohl renommierteste iranische Philosoph der jüngeren Generation verhaftet; er wird seither ohne formelle Anklage im berüchtigten Teheraner Foltergefängnis Evin festgehalten. Im Januar und Februar d.J. führte der amerikanische Journalist Danny Postel per E-Mail ein Interview mit Ramin Jahanbegloo. Die englische Version des Gesprächs erschien in dem amerikanischen Kulturmagazin „Logos“; die„Blätter für deutsche und internationale Politik“ präsentieren eine leicht gekürzte Fassung in eigener Übersetzung, die ich zur Lektüre sehr empfehle. Jahanbegloo äußerst sich über den Einfluss westlicher Philosophen wie Habermas, Rorty und Hannah Arendt (aber auch Kant und Hegel) auf die liberale interellektuelle Opposition im Iran, über das Scheitern des Marxismus-Leninismus und die Bedingungen für eine Demokratisierung und transkulturelle Verbreitung der Anerkennung der Menschenrechte. Zwei Ausschnitte:
„Ein weiterer wichtiger Punkt, den viele von uns bei Arendt gelernt haben, ist die Vorstellung, dass das Handeln an sich vollkommen frei ist, weil es um der Zukunft willen geschieht. Es handelt sich um den Ausbruch der Freiheit überall und in jeglicher Lage, jenseits politischer Zugehörigkeiten. Freiheit bedeutet, unterbrechen und zugleich neu beginnen zu können. Aus diesem Grund kann es sogar in einer Welt der Geheimpolizei und autokratischer Herrschaft Freiheit geben. Freiheit ist eine universelle menschliche Möglichkeit. Der Raum öffentlicher Freiheit ist seinem Wesen nach finit, aber im Lichte des Lebens, das den öffentlichen Raum erhellt, kann stets etwas Neues entstehen. In einem Land wie dem Iran, wo es eine pulsierende Zivilgesellschaft gibt, können an den Rändern der Politik die unwahrscheinlichsten Dinge geschehen. Was Männer und Frauen, junge und alte, in der iranischen Zivilgesellschaft befähigt, die Bürden des Lebens zu tragen, ist die ständige Herausforderung, die freie Tat lebendig zu erhalten“
„Ich bin der festen Überzeugung, dass der höchste Grad politischer Reife, politischer Mündigkeit heute darin besteht, in der iranischen Öffentlichkeit Raum für philosophische Debatten zu schaffen. Und hierbei könnten unsere Partner im Westen oder Osten von Nutzen sein. Eben deshalb habe ich mich bemüht, Schriftsteller, Philosophen, Wissenschaftler aus verschiedenen Weltgegenden hierher einzuladen, damit sie den Iran besser verstehen können, aber auch um intellektuelle Debatten mit ihnen über Themen zu eröffnen, die für uns von großem Interesse sind. Die Studenten im Iran möchten mehr über westliche Kulturen wissen und über ihre Auffassungen von Religion, Demokratie, Philosophie und Kultur mit westlichen Intellektuellen diskutieren. Worum sie bitten, ist nicht Sympathie, sondern Empathie. Sie sind bestrebt, von anderen zu lernen und mündig zu werden, indem sie von anderen lernen. Entscheidend bleibt dabei, dass „Empathie“, im Gegensatz zur „Apathie“, die erwünschteste, ja sogar die einzig angemessene philosophische Einstellung zu unserem Kampf um politische Mündigkeit ist. Eine Zivilgesellschaft wie die unsere, die Tag für Tag alternative Formen der Gemeinschaft erlebt und entwickelt, bedarf der Empathie und der Solidarität. Empathie ist für uns die Voraussetzung der Zugehörigkeit zu einer globalen Öffentlichkeit“
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29. August 2006
von Tom Levold
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Familie, System und Gesundheit

Dieses Buch ist aus dem Jahre 2000, also keine Neuerscheinung, aber dennoch unbedingt eine Präsentation im systemagazin wert.
Helm Stierlin schreibt in seinem Vorwort:„Als man mich kürzlich fragte, wo ich die größte Herausforderung und zugleich größte Chance für die Zukunft der systemischen Forschung und Therapie sähe, fiel mir die Antwort leicht: Sie liegt in einer systemischen Medizin, die der Familie eine zentrale Bedeutung zuweist. Und dies trotz und wegen der Tatsache, daß der systemischen Therapie erst kürzlich von einem maßgeblichen Expertengremium bescheinigt wurde, sie sei wissenschaftlich noch zu wenig abgesichert und daher einer Vergütung durch die gesetzlichen Krankenkassen nicht würdig.
Hätten sich die begutachtenden Experten die Mühe gemacht, die in diesem Band veröffentlichten Beiträge aufmerksam zu lesen, wären ihnen möglicherweise einige Zweifel an ihrer Entscheidung gekommen. Denn diese Artikel zeigen: Es gibt inzwischen eine ausgedehnte und noch wachsende empirische Forschung, die nachweist, daß eine systemisch inspirierte Familienmedizin nicht nur in
vielen Fällen weiterhilft als übliche, einer klassischen und einer vorwiegend somatischen Diagnostik und Therapie verpflichtete Verfahren, sondern daß sie auch erhebliche Kosten einzusparen vermag“
Die Rezensentin Susanne Altmeyer fasst (2002) ihren Lektüre-Eindruck zusammen:„
Das Lesen war kurzweilig, erforderte manchmal auch hohe Konzentration, bisweilen mußte ich laut lachen. Das Buch ist ein Ideengeber für Therapeuten und Berater, die mit kranken Menschen in der Praxis oder in Institutionen arbeiten und innovative systemische Konzepte zur Lösung ihrer Aufgaben einsetzen wollen. Ich wünsche dem Buch eine weite Verbreitung und nachhaltige Wirkungen“
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28. August 2006
von Tom Levold
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Unterschiede, die Unterschiede machen

In der Reihe der Klassiker präsentiert systemagazin das Buch„Unterschiede, die Unterschiede machen“ von Fritz B. Simon aus dem Jahre 1988, besprochen von Wolfgang Loth im Jahre 1989:
„‚Unterscheiden‘ heißt das Zauberwort, und Simon legt mit einer Zusammenfassung von Spencer Browns ‚Gesetzen der Form‘ ein in deutscher Sprache in dieser Ausführlichkeit bislang vermißtes Handwerkszeug vor. … Mit Hilfe der zugehörigen ‚primären Algebra‘ zeigt Simon einen Weg der ‚Analyse der Schlüsse… , welche die untersuchten Personen aus irgendwelchen Prämissen … ziehen‘. … Die in den theoretischen Teilen zusammengefaßten Überlegungen bilden die Grundlage für eine großzügig angelegte Untersuchung mit dem Ziel, ‚Transformationsregeln zu formulieren‘, mit deren Hilfe die Wechselwirkungen zwischen körperlichen, psychischen und interaktionalen Prozessen beschrieben werden können (’spezifische Verknüpfungen zwischen individueller Handlungsorientierung, interaktionalen Mustern und Symptombildung‘). In Bezug auf diese Transformationsregeln wird die Spezifizität psychosomatischer, schizophrener und manisch-depressiver Symptomatiken untersucht. Als ‚Mischformen‘ werden Anorexie und schizoaffektive Psychose zusätzlich berücksichtigt“

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26. August 2006
von Tom Levold
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Die Zukunft von Organisation und Beschäftigung

Im systemagazin ist heute Rudolf Wimmer-Tag. Unter den aktuellen News finden Sie einen Hinweis über eine vom Management-Zentrum Witten organisierte und maßgeblich von Rudolf Wimmer verantwortete Tagung zum Thema„Wem nützt der Shareholder Value Ansatz„?
Passend zum Thema veröffentlicht das MZW heute auf seiner website einen Aufsatz von Wimmer mit dem Titel:„Aufstieg und Fall des Shareholder-Value-Konzepts“.
Und schließlich präsentiert die Systemische Bibliothek im systemagazin noch einen Beitrag von Wimmer mit dem Titel:„Die Zukunft von Organisation und Beschäftigung. Einige Thesen zum aktuellen Strukturwandel von Wirtschaft und Gesellschaft (Erstveröffentlichung: Zeitschrift für Organisationsentwicklung 3/1999, S. 26-41). Im abstract heißt es:„Die Zukunft der Arbeit ist zweifelsohne eines der brennendsten gesellschaftspolitischen Themen unserer Zeit. Natürlich ist diese Frage primär ein Steuerungsanliegen, das die Gestaltung der wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen unserer Gesellschaft betrifft. Bei näherer Betrachtung wird allerdings deutlich, daß diese Problematik auch auf das engste mit jenen Veränderungen verknüpft ist, denen sich viele unserer Organisationen in der Wirtschaft, in der öffentlichen Verwaltung, im Gesundheitswesen etc. gerade unterziehen. Der wachsende Druck auf die Leistungsfähigkeit bei gleichzeitig knapper werdenden Ressourcen stimuliert neue Organisationslösungen, die die Bedingungen nachhaltig beeinflussen, unter denen wir im nächsten Jahrzehnt arbeiten werden. Es gibt eine Reihe von Anzeichen, die es erlauben, die Konturen dieses Wandels zu beschreiben und damit sichtbar zu machen, wie sehr heute Fragen der Beschäftigung mit jener der Organisationsentwicklung verknüpft sind“
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25. August 2006
von Tom Levold
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„Selvini hat nie mit Studenten gearbeitet, das mochte sie nicht“

Haja Molter stellt für das Interview-Archiv des systemagazin zwei Parallel-Interviews zur Verfügung, die er 1990 mit Gianfranco Cecchin und Luigi Boscolo geführt hat, in denen es u.a. um ihren Entwicklungsprozess von einer Kybernetik der 1. Ordnung zur Kybernetik 2. Ordnung, ihre wechselseitige Beobachtung und ihre (europäische) Abgrenzung zum (US-amerikanischen) lösungsorientierten Ansatz Steve de Shazers geht. Gianfranco Cecchin, der 2004 in einem Autounfall ums Leben kam, macht den Unterschied zwischen ihm und Lugi Boscolo einerseits und Mara Selvini Palazzoli andererseits an der verschiedenen Haltung zum Expertentum fest:„Unser Denken hängt von dem Kontext ab, wo wir arbeiten. Luigi und ich, wir arbeiten mit Studenten, das gab uns die Gelegenheit, dass sie uns kritisierten. Das gab uns die Gelegenheit, unterschiedliche Gruppen zu haben, unterschiedliche Ebenen der Beobachtung. Selvini hat nie mit Studenten gearbeitet, das mochte sie nicht. Sie bleibt immer in der Position der Autorität, sie ist die Expertin und die Studenten sind es nicht. Also ich denke, Studenten zu haben, die mit Familien arbeiten, das schafft einen enormen Lernkontext, um aus der Position des Experten herauszukommen. Ich denke, die Position von Selvini ist immer noch die Position des Experten. Sie liebt diese Position – und die kann ja auch sehr nützlich sein, es ist ja auch die Position von Jay Haley, Minuchin, strategischer Therapie“
Luigi Boscolo nimmt eine gewisse Zwischenposition ein:„ich denke, Gianfranco legt den Akzent mehr auf den Beobachter, er vernachlässigt zu sehr das beobachtete System. Es stimmt schon für mich, dass ich mich von einem Denken der Kybernetik erster Ordnung zu einem zweiter Ordnung bewegte, aber für mich liegt doch eine bestimmte Bedeutung in den Typologien des beobachteten Systems, ich denke immer noch, es gibt irgend ein Muster, das der Beobachter sieht, natürlich färbt er es mit seinen eigenen Ideen, Vorurteilen, Theorien, aber es muss irgend ein Muster geben, es gibt eine Wirklichkeit außerhalb“
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23. August 2006
von Tom Levold
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Soziale Systeme 2/05

Etwas spät ist das zweite Heft des 11. Jahrgangs (2005) der Zeitschrift “Soziale Systeme” erschienen. Es versammelt sehr anregende Aufsätze zu unterschiedlichen systemtheoretischen Fragestellungen. Werner Vogd setzt die Luhmannsche Theorie funktionaler Differenzierung auf die Analyse des Gesundheitssystems an und unterscheidet dabei zwischen Medizin, medizinischer Wissenschaft, medizinischen Organisationen auf der einen und den so genannten Gesundheitswissenschaft und der Gesundheitspolitik auf der anderen Seite. Sein Resümee: “Teile des gesundheitswissenschaftlichen Diskurses erscheinen nun als eine an die Politik angekoppelte Einheitssemantik, welche einen Zentralwert proklamiert, der sich jedoch im Sinne der Differenzstruktur der modernen Gesellschaft weder in der Medizin, noch in der Wissenschaft als Funktionsbezug wieder findet.” Rolf Nichelmann und Alexander Paquée versuchen eine funktionale Spezifizierung des Ethnizitätsbegriffes vorzunehmen, die auf der Unterscheidung von Risiko/Gefahr fußt und das Relevantwerden ethnischer Semantiken für das politische System als Vertrauenskrise zu beschreiben ermöglichen soll. Camilla Sløks englischsprachiger Beitrag befasst sich mit Niklas Luhmanns zweideutiger Haltung zur Religion, die aus ihrer Sicht mit der Annahme einer internen Differenzierung des Religionssystems aufgelöst werden kann, mit der Religion als Kirche von Religion als Reflexion unterschieden wird.
Ein weiterer englischer Beitrag von Michael Schiltz et al. untersucht die gesellschaftliche Bedeutung der Open Access Bewegung, die so die Autoren, zur Verbreitung nichtlokaler, globaler ‚epistemic communities‘ beigetragen und neue Definitionen von Information und Eigentum geschaffen. Thomas Kron und Lars Winter versuchen in einem interessanten Artikel, “die Luhmannsche Systemtheorie auf eine Modellierung mittels Fuzzy-Logik umzustellen und somit die Theorie autopoietischer Sozialsysteme in Richtung einer Theorie der Fuzzy-Systems fortzuentwickeln”. Uwe Schimank widmet sich der Frage, inwieweit das Konzept der funktionalen Differenzierung der modernen Gesellschaft mit Vorstellungen vereinbar ist, die bestimmten Teilsystemen einen gesellschaftsweiten Primat zusprechen.
Zwei weitere Aufsätze von Tobias Werron und Daniel B. Lee widmen sich der “Quantifizierung in der Welt des Sports” und dem Verhältnis von “Barbershop Quartett-Gesang und Gesellschaft”.

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22. August 2006
von Tom Levold
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Systemisches Arbeiten mit und in Gruppen

Ludger Kühling schreibt in seiner Rezension über das von Haja Molter & Jürgen Hargens herausgegebene Buch„Ich – du – wir – und wer sonst noch dazugehört. Systemisches Arbeiten mit und in Gruppen“:„Die von Jürgen Hargens und Haja Molter herausgegebene Aufsatzsammlung über ‚Systemisches Arbeiten mit Gruppen‘ habe ich mit Gewinn gelesen. Systemiker/-innen werden durch das Buch angeregt, darüber nachzudenken wie sich systemisch-lösungsorientierte Konzepte in der Arbeit mit unterschiedlichsten Gruppen anwenden lassen. Leicht lässt sich nicht sagen, in welchem der insgesamt neun Beiträge für die Leser/-innen die für sie anregenden Ideen zu finden sind. Hier wäre eine kurze Zusammenfassung der jeweiligen Artikel in der Einleitung der Herausgebern nützlich gewesen. Die Herausgeber haben Systemiker/-innen aus unterschiedlichen Bereichen die Möglichkeit gegeben darzustellen, was sie an ihrer Arbeit als systemisch definieren und wie sie diese in der Arbeit mit Gruppen umsetzen“
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18. August 2006
von Tom Levold
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Hörgeschädigte Kinder in der Regelschule – was brauchen sie für ihre psycho-soziale Entwicklung?

In einem neuen und aktuellen Beitrag für die Systemische Bibliothek befasst sich Cornelia Tsirigotis mit den besonderen besonderen Bedürfnissen von hörgeschädigten Kindern in Regelschulen für ihre psycho-soziale Entwicklung. Einer der wesentlichen Punkte ist der Prozess der »Identitätsarbeit«, die vielfältigen und widersprüchlichen Erfahrungen im Lebensfluss mit eigenen Bedürfnissen und Wünschen auszubalancieren. Wichtig für eine zufriedene psychosoziale Entwicklung ist die Unterstützung des Selbstwirksamkeitserlebens. Der Beitrag unterstreicht die Möglichkeiten sowohl von Lehrern wie von Eltern, hörgeschädigte Kinder dabei zu unterstützen, Erfahrungen von psychischer Stärke und Selbstwirksamkeitserleben zu machen.
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16. August 2006
von Tom Levold
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Soviel Wahrheit war selten!

 

Liebe systemagazin-Leser (und von mir aus auch Leserinnen),

auch wenn Sie es in der Vergangenheit nicht wahrnehmen wollten, verband Sie und uns von BILD bislang doch eines: unsere konstruktivistische Grundhaltung.„Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“. Sie erinnern sich? OK, vielleicht hatten Sie hin und wieder andere Vorstellungen davon, welche Wirklichkeit wir denn nun erfinden sollten. Schwamm drüber. Konstruktivismus war gestern. Vergessen wir das.
Ab sofort wollen wir von BILD nur noch die reine Wahrheit verbreiten. Wo andere nur wahr sind, werden wir wahrer, nein – am wahrsten sein. Versprochen. So wahr ich Kai Diekmann heiße.
Das erfordert natürlich wahrhaftig Mut. Wie unsere Kampagne zeigt, hatten den zwar auch schon Andere. Zum Beispiel Martin Luther King, Galileo Galilei, Sigmund Freud, Mahatma Gandhi und Albert Einstein.
Die schreckliche Wahrheit ist aber: die sind alle schon tot.
Deshalb wollen wir lieber die Wahrheit über das Leben verbreiten als die Wahrheiten von Toten. Zum Beispiel ganz aktuell: Während Freundin Estefania mit dem Kind zuhause in Deutschland sitzt, vergnügt sich Dieter Bohlen auf Mallorca. Die SPD ist derweil von Auflösung bedroht. Und Günter Grass wurde an Hitlers letztem Geburtstag verwundet. Deshalb das neue Buch in unserer Erotik-Bibliothek:„Ich roch seinen würzigen Duft nach Schweiß und Motoröl“. Soviel Wahrheit war selten. Und die Schlimmste von allen:„Tierheim-Irrsinn: Anal-Massage für Eichhörnchen“.
Wenn Sie das nicht aushalten können: bleiben Sie doch bei Ihrem Konstruktivismus.

Der Wahrheit auf immer verpflichtet!

Ihr Kai (Mann, ist der) Diekmann

15. August 2006
von Tom Levold
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Psychotherapie in Zeiten der Globalisierung?!

Bei Vandenhoeck & Ruprecht sind zwei Kongressbände zur Tagung „GRENZEN – Psychotherapie und Identität in Zeiten der Globalisierung“ erschienen, die im Sommer 2005 in Weimar stattfand – herausgegeben von Bernhard Strauß und Michael Geyer. Im vorliegenden Band sind den Herausgebern zufolge die Beiträge zusammengefasst, die sich „mehr oder weniger direkt mit der Globalisierungsthematik befassen“, der zweite Band (ebenfalls demnächst im systemagazin besprochen) gilt dem Thema der Grenzen psychotherapeutischen Handelns.
Zum Band„Psychotherapie in Zeiten der Globalisierung“ schreibt Tom Levold:„In ihrem Vorwort nehmen die Herausgeber unter Bezugnahme auf Heiner Keupp das Stichwort von der ‚Gesellschaftsvergessenheit der Psychotherapie‘, ja ihrer ’sozialen Amnesie‘ auf und konstatieren einen Bedarf, ’sich mit gesellschaftstheoretischen Fragen zu befassen und mehr noch diesbezügliche Impulse aus anderen Wissenschaftsdisziplinen zu erhalten‘. Diesem Bedarf soll dieses Buch abhelfen, ein Unterfangen, dass jedoch nur teilweise gelingt. Es zeigt sich vor allem, dass der zeitdiagnostische Anspruch der Reflexion der Herausforderungen, denen sich die Psychotherapie im Globalisierungszeitalter stellen muss, eher nicht eingelöst wird: das Spektrum der (offensichtlich von den AutorInnen selbst) gewählten Themenstellungen ist viel zu breit angelegt, trotz einiger ausgezeichneter Einzelbeiträge hält der Band im Ganzen nicht, was der Titel verspricht“

Zur vollständigen Rezension…

14. August 2006
von Tom Levold
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Zum 50. Todestag von Bertolt Brecht

Ballade von der Unzulänglichkeit
des menschlichen Planens

Der Mensch lebt durch den Kopf.
Sein Kopf reicht ihm nicht aus.
Versuch es nur, von deinem Kopf
Lebt höchstens eine Laus.
Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht schlau genug.
Niemals merkt er eben
Diesen Lug und Trug.

Ja, mach nur einen Plan!
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch ’nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht.
Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht schlecht genug.
Doch sein höhres Streben
Ist ein schöner Zug.

Ja, renn nur nach dem Glück
Doch renne nicht zu sehr
Denn alle rennen nach dem Glück
Das Glück rennt hinterher.
Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht anspruchslos genug.
Drum ist all sein Streben
Nur ein Selbstbetrug.

Der Mensch ist gar nicht gut
Drum hau ihm auf den Hut.
Hast du ihm auf den Hut gehaun
Dann wird er vielleicht gut.
Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht gut genug
Darum haut ihm eben
Ruhig auf den Hut!

BB