systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

5. September 2006
von Tom Levold
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Natascha Kampusch, die Medien und die Medientheorie

Medien entziehen sich nicht nur nicht der Beobachtung, sie müssen sie auch – wenn sie ausbleibt oder ermattet – selber herbeiführen oder herstellen. Auch – oder gerade weil – es nichts zu berichten gibt, weil sich die Person, über die zu berichten wäre, der Berichterstattung entziehen will, müssen die Medien dies allemal als Gegenstand der Berichtserstattung inszenieren. Wir erinnern uns an die Enttäuschung der Medien (und ihrer Nutzer) über die mangelnde Kooperation von Susanne Osthoff bei der Produktion von Aufmerksamkeit, nun mochte auch Natascha Kampusch, das wiederaufgetauchte Opfer einer Kindesentführung in Wien vor 8 Jahren, nicht an der Aufklärung ihres Schicksals mitwirken. Weil sie das nicht tut, müssen die Medien trotz ihres Schreibens Überlegungen anstellen, warum das nicht der Fall ist (Um Geld scheint es offenbar nicht zu gehen, was die Medien natürlich schon einmal ratlos machen dürfte). Die weitreichendste Erklärung: Das Stockholm-Syndrom, unter dem sich jeder etwas vorstellen kann, aber niemand nichts genaues.
Nun hat ein gewisser Harald Staun von der F.A.Z. die Gunst der Stunde genutzt und unter dem Signum„die Medien“ ein melancholisch-entschuldigendes Schreiben an Natascha Kampusch verfasst („Unsere Neugier ist grenzenlos…“), das wahr und ironisch gleichzeitig daherkommt:„Sie hatten gehofft, daß außerhalb Ihres Gefängnisses die Wirklichkeit wartet; jetzt stehen dort Kameras und Reporter. Die Flucht vor ihnen führt Sie erneut in die Isolation. Sie wollen nicht an die Öffentlichkeit, aber Sie haben keine Wahl: Ihre Freiheit heißt Öffentlichkeit. Ihre Geschichte ist unsere Geschichte“. Es scheint, als ob Frau Kampusch ein Einsehen zeigt, in dieser Woche wird die„Kronenzeitung“ (ausgerechnet) ein erstes Exklusivinterview bringen.
Auf ähnliche Weise sind die Medien natürlich auch mit der Beobachtung der Medien durch die Medientheorie verbandelt, die ihre (durchaus auch kritischen) Erkenntnisse nur durch Medien kommunizieren kann. Wobei wir bei der Medientheorie angelangt wären. In drei so spannenden wie köstlichen Gesprächsprotokollen, auf die ich heute beim Internet-Surfen gestoßen bin und die auf der großartigen medientheoretischen und -ästhetischen Internetplattform formatlabor zu finden sind, können wir Dirk Baecker im wahrhaft herausfordernden Diskurs über Medien und Systemtheorie„lesen“: Teil 1, Teil 2, Teil 3. Als Herausforderer wirken Till Nikolaus von Heiseler und Pit Schultz. Viel Spaß bei der Lektüre!

4. September 2006
von Tom Levold
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Normale Macht

Rainer Paris, Professor für Soziologie an der Fachhochschule Magdeburg-Stendal, beschäftigt sich seit geraumer Zeit als Soziologe mit dem Phänomen der Macht. Nach dem fulminanten und recht umfangreichen Werk „Figurationen sozialer Macht“, das er gemeinsam mit Wolfgang Sofsky verfasst hat und einem Suhrkamp-Bändchen mit schönen Fallstudien zum Thema unter dem Titel „Stachel und Speer“ folgt nun im Universitätsverlag Konstanz sein drittes Buch über Macht.
Tom Levold:„Das Buch steht in einer bestens ausgewiesenen Tradition beschreibender Soziologie in Deutschland. Nicht ohne Grund zitiert Paris den berühmten Satz Georg Simmels, dass Gesellschaft immer bedeute, ‚dass die Einzelnen vermöge gegenseitig ausgeübter Beeinflussung und Bestimmung verknüpft sind. Sie ist also eigentlich etwas Funktionelles, etwas was die Individuen tun und leiden, und ihrem Grundcharakter nach sollte man nicht von Gesellschaft, sondern von Vergesellschaftung sprechen‘. Macht als Vergesellschaftungsphänomen überall da zu analysieren, wo Vergesellschaftung stattfindet, ist eine soziologische Aufgabe, die Rainer Paris mit Eleganz und Sprachgewalt, Überzeugungskraft und Entwicklung origineller Perspektiven meistert – ein immer anregendes, oft überraschendes und nicht selten amüsantes Lesevergnügen“

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3. September 2006
von Tom Levold
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Grass und das kommunikative Beschweigen in seiner Generation

Wer noch immer an der Grass-Debatte interessiert ist, hier ein Link zum ausführlichen Interview von Karin Fischer (Deutschlandradio) mit dem Soziologen und Generationenforscher Heinz Bude, der versucht, sich in die Situation von Grass einzufühlen:„Eine Generation ist auch dadurch charakterisiert, dass die voneinander wissen, worüber die anderen nicht reden.… die riechen das. … Schweigen heißt nicht unbedingt böses Schweigen, sondern Schweigen ist auch etwas, das man voneinander weiß, worüber eigentlich schwer zu reden ist“ Zum Interview (mp3, ca. 24 min.)…

2. September 2006
von Tom Levold
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Das primäre Dreieck

Wenn das vorliegende, vergleichsweise frische Buch (aus dem Jahre 1999 – deutsch 2001) bereits in der Klassiker-Rubrik eingeordnet wird, kann das selbstverständlich keine wissenschaftshistorischen Gründe haben. Diese Entscheidung verdankt sich der außerordentlichen konzeptuellen Kraft und der empirischen Originalität dieser Studie, die wirklich neuen und eindrucksvollen Erkenntnissen über familiäre Verhaltenskoordinationen auf der Mikroebene lieferte und für die Theorie affektiver Kommunikation bleibende Bedeutung haben wird.
Andrea Lanfranchi schreibt in seiner Rezension:„Manchmal lesen oder überfliegen wir Bücher, die einen fahlen Nachgeschmack hinterlassen, weil sie bereits (und besser) geschrieben wurden. Es gibt aber auch solche, die uns von der ersten Seite an packen und als überragend auffallen. Wir merken schon zu Beginn, dass sie einen unkonventionellen Ansatz lanciert haben. Sie gehen einer Forschungsidee mit originellen Methoden systematisch und konsequent nach, so dass Neues entsteht. Dieses Buch gehört eindeutig zu dieser Kategorie. …
Daniel Stern … zufolge ist das ‚Lausanner Trilogspiel‘ aufgrund seiner beflügelten Theorieentwicklung und der forschungsgeleiteten klinischen Exploration mit der ‚fremden Situation‘ nach Mary Ainsworth vergleichbar. Dies unter anderem, weil die identifizierten Familienallianz-Typen (kooperativ – angespannt – kollusiv – gestört) die gleiche vorhersagbare klinische Kraft wie die Bindungsmuster nach Ainsworth haben. Auch deshalb werde dieses Buch, so Stern, zum Klassiker. Stern übertreibt hier nicht, weil er weiss: Den zwei Lausanner Forscherinnen ist das gelungen, was ihm selber in seinen bedeutsamen Forschungen verwehrt geblieben ist, nämlich die Entdeckung der Triade als primäre Einheit der kindlichen Entwicklung“
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1. September 2006
von Tom Levold
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Sprachliche Interaktion und Diagnosen


In der Systemischen Bibliothek ist ein Beitrag von Michael B. Buchholz zu finden, der sich mit der Problematik von Diagnostik im Kontext therapeutischer Beziehungen beschäftigt und 1998 erstmals in der„System Familie“ erschienen ist. Sein Titel: Sprachliche Interaktion und Diagnosen. Überlegungen zu einem System-Umwelt-Verhältnis der Profession anhand einiger empirischer Befunde. Aus der Zusammenfassung:„Auch Familientherapeuten sehen sich zunehmend vor die Notwendigkeit gestellt, Diagnosen zu erstellen. Wie verträgt sich dies mit der eigentümlichen professionellen Leistung, Symptome in Beziehungen aufzulösen? Hier wird der Vorschlag gemacht, therapeutische Interaktion und Diagnosenerstellung als Systeme aufzufassen, die füreinander Umwelten bilden, aber nicht ineinander aufzulösen sind. Diese Position wird durch empirische Befunde aus der Psychotherapieforschung gestützt. Danach erweisen sich Diagnosen als abhängige Variablen der Interaktion. Es werden Überlegungen zu einer Einbettung diagnostischer Vorgehensweisen in ein Professionalisierungskonzept skizziert“
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31. August 2006
von Tom Levold
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Traumatherapie mit EMDR

Die Bearbeitung posttraumatischer Belastungsstörungen mit Hilfe von EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing, deutsch: Desensibilisierung und Neubearbeitung mit Augenbewegungen) ist keine eigenständige Therapieform, sondern eine Methode, die in unterschiedliche Therapieschulen integriert werden kann, so auch in die Systemische Therapie. Oliver Schubbe, Leiter des Instituts für Traumatherapie in Berlin, hat ein übersichtliches Handbuch herausgegeben, dass die pragmatische Vorgehensweise von EMDR sehr plausibel und eindrücklich darstellt.
Tom Levold:„Die Aufbereitung des Buches ist hervorragend gelungen. Eine durchgehende Marginalienspalte mit kurzen Stichworten gibt dem Leser jederzeit eine ausgezeichnete Orientierungsfunktion in die Hand. Die Gliederung ist überschaubar und nachvollziehbar, der Text flüssig und verständlich, so dass das Buch tatsächlich als Handbuch genutzt werden kann, vor allem auch wegen des ausgesprochen nützlichen fast 50seitigen Materialteiles am Ende des Bandes, der verschiedene Checklisten, Kopiervorlagen von Standardprotokollen, Übungen zur Distanzierung, Stabilisierung und Entspannung für die Klienten, Diagnostikbögen etc. enthält, die allesamt in die eigene Praxis übernommen werden können. Die didaktische Durchführung lässt das fehlende Register vergessen.
Wer von dieser Methode gehört hat, aber sich noch kein rechtes Bild machen konnte, kann von diesem Werk ebenso profitieren wie diejenigen, die bereits Erfahrungen damit gemacht, aber immer noch in der einen oder anderen Frage Fundierungsbedarf haben“
Als Begleitung zum Buch lässt sich auch noch eine DVD ordern, die die im Buch geschilderte Vorgehensweise anhand eines EMDR-Falles anschaulich illustriert und diverse technische und theoretische der EMDR-Arbeit erläutert.
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30. August 2006
von Tom Levold
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Luhmanns „Soziale Systeme“ wieder lesen!

Luhmanns„soziale Systeme“ ist nun auch ins Koreanische übersetzt worden, mit einem Vorwort von Dirk Baecker, das vollständig auf den Seiten des Management-Zentrums Witten als PDF zu finden ist. Baecker geht davon aus,„dass die Soziologie die Rezeption dieses Buches immer noch vor sich hat“:„Es ist bis heute auffällig, dass Luhmanns Theorie sozialer Systeme von Literaturwissenschaftlern, Juristen, Theologen, Pädagogen und Künstlern viel und gerne gelesen wird, aber in der Soziologie kaum Spuren hinterlassen hat“ Desweiteren betont er (gegen die Kritiker Luhmanns), dass dessen Theorie„mindestens so sehr Handlungstheorie wie Systemtheorie“ sei und auch dem„Menschen“ einen sehr viel größeren Platz einräume, als immer wieder Luhmann unterstellt werde. Er schließt diese erneute und nachdrückliche Lektüreempfehlung mit folgenden Sätzen:
„Nicht zuletzt kann man auch das, was man tut, wenn man dieses Buch liest, mithilfe dieses Buches besser begreifen als mit vielen anderen Büchern. Denn Lesen ist eine Form der Kommunikation, die sich auf Gesellschaft bezieht und von Interaktion erst einmal entlastet ist. Weder muss man befürchten, dem Autor weh zu tun, wenn man ihm nicht zustimmt, während man ihn liest, noch muss man befürchten, bei seiner eigenen Begriffsstutzigkeit erwischt zu werden. Man kann lesen und wieder lesen und es auch dabei offen lassen, was daraus resultiert. Verändert wird man in jedem Fall, aber man muss schon sehr genau hinschauen, wenn man herausbekommen will, wie man sich verändert. In jedem Falle sollte man die Unterscheidung zwischen Interaktion und Gesellschaft berücksichtigen, die, wie Luhmann vorschlägt, jedes soziale System als diese Differenz strukturiert. Nicht alles, was in der Gesellschaft möglich ist, zum Beispiel die Lektüre dieses Buches, sollte man auch einem Interaktionssystem zumuten. Man wird, versucht man es doch, schnell feststellen, dass sich das Buch und seine Theorie schon mithilfe der verwendeten Begriffe, ganz zu schweigen von der mitlaufenden Theoriearchitektur dieser Begriffe, davor schützt, nachdem es gelesen worden ist, auch noch gesprochen zu werden. So wie die Gesellschaft und jedes einzelne ihrer Systeme von ihrer funktionalen Analyse überfordert sind (die deswegen auch nur in einem Teilsystem der Gesellschaft, in der Wissenschaft, und dort in einer unscheinbaren Fachdisziplin, der Soziologie, vorgenommen wird), so wäre auch die Interaktion vom Sprechen der Systemtheorie überfordert. Herauszufinden jedoch, wie man sich auf die Subtilität und das Raffinement der Kommunikation in Interaktionen, in Organisationen, beim Einkaufen, vor dem Fernsehgerät, in der Kirche und vor einem Kunstwerk einlässt, nachdem man dieses Buch gelesen hat, das lohnt diese Lektüre allemal. Vermutlich beruht darauf sein Erfolg auch außerhalb der Wissenschaft. Und vermutlich kann es nicht zuletzt deswegen seinen Erfolg innerhalb der Wissenschaft nach wie vor gelassen abwarten“
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29. August 2006
von Tom Levold
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Ramin Jahanbegloo über die Rolle der Philosophie für die Demokratisierung im Iran

Am 27. April d.J. wurde mit Ramin Jahanbegloo der wohl renommierteste iranische Philosoph der jüngeren Generation verhaftet; er wird seither ohne formelle Anklage im berüchtigten Teheraner Foltergefängnis Evin festgehalten. Im Januar und Februar d.J. führte der amerikanische Journalist Danny Postel per E-Mail ein Interview mit Ramin Jahanbegloo. Die englische Version des Gesprächs erschien in dem amerikanischen Kulturmagazin „Logos“; die„Blätter für deutsche und internationale Politik“ präsentieren eine leicht gekürzte Fassung in eigener Übersetzung, die ich zur Lektüre sehr empfehle. Jahanbegloo äußerst sich über den Einfluss westlicher Philosophen wie Habermas, Rorty und Hannah Arendt (aber auch Kant und Hegel) auf die liberale interellektuelle Opposition im Iran, über das Scheitern des Marxismus-Leninismus und die Bedingungen für eine Demokratisierung und transkulturelle Verbreitung der Anerkennung der Menschenrechte. Zwei Ausschnitte:
„Ein weiterer wichtiger Punkt, den viele von uns bei Arendt gelernt haben, ist die Vorstellung, dass das Handeln an sich vollkommen frei ist, weil es um der Zukunft willen geschieht. Es handelt sich um den Ausbruch der Freiheit überall und in jeglicher Lage, jenseits politischer Zugehörigkeiten. Freiheit bedeutet, unterbrechen und zugleich neu beginnen zu können. Aus diesem Grund kann es sogar in einer Welt der Geheimpolizei und autokratischer Herrschaft Freiheit geben. Freiheit ist eine universelle menschliche Möglichkeit. Der Raum öffentlicher Freiheit ist seinem Wesen nach finit, aber im Lichte des Lebens, das den öffentlichen Raum erhellt, kann stets etwas Neues entstehen. In einem Land wie dem Iran, wo es eine pulsierende Zivilgesellschaft gibt, können an den Rändern der Politik die unwahrscheinlichsten Dinge geschehen. Was Männer und Frauen, junge und alte, in der iranischen Zivilgesellschaft befähigt, die Bürden des Lebens zu tragen, ist die ständige Herausforderung, die freie Tat lebendig zu erhalten“
„Ich bin der festen Überzeugung, dass der höchste Grad politischer Reife, politischer Mündigkeit heute darin besteht, in der iranischen Öffentlichkeit Raum für philosophische Debatten zu schaffen. Und hierbei könnten unsere Partner im Westen oder Osten von Nutzen sein. Eben deshalb habe ich mich bemüht, Schriftsteller, Philosophen, Wissenschaftler aus verschiedenen Weltgegenden hierher einzuladen, damit sie den Iran besser verstehen können, aber auch um intellektuelle Debatten mit ihnen über Themen zu eröffnen, die für uns von großem Interesse sind. Die Studenten im Iran möchten mehr über westliche Kulturen wissen und über ihre Auffassungen von Religion, Demokratie, Philosophie und Kultur mit westlichen Intellektuellen diskutieren. Worum sie bitten, ist nicht Sympathie, sondern Empathie. Sie sind bestrebt, von anderen zu lernen und mündig zu werden, indem sie von anderen lernen. Entscheidend bleibt dabei, dass „Empathie“, im Gegensatz zur „Apathie“, die erwünschteste, ja sogar die einzig angemessene philosophische Einstellung zu unserem Kampf um politische Mündigkeit ist. Eine Zivilgesellschaft wie die unsere, die Tag für Tag alternative Formen der Gemeinschaft erlebt und entwickelt, bedarf der Empathie und der Solidarität. Empathie ist für uns die Voraussetzung der Zugehörigkeit zu einer globalen Öffentlichkeit“
Link zum vollständigen Interview-Text…

29. August 2006
von Tom Levold
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Familie, System und Gesundheit

Dieses Buch ist aus dem Jahre 2000, also keine Neuerscheinung, aber dennoch unbedingt eine Präsentation im systemagazin wert.
Helm Stierlin schreibt in seinem Vorwort:„Als man mich kürzlich fragte, wo ich die größte Herausforderung und zugleich größte Chance für die Zukunft der systemischen Forschung und Therapie sähe, fiel mir die Antwort leicht: Sie liegt in einer systemischen Medizin, die der Familie eine zentrale Bedeutung zuweist. Und dies trotz und wegen der Tatsache, daß der systemischen Therapie erst kürzlich von einem maßgeblichen Expertengremium bescheinigt wurde, sie sei wissenschaftlich noch zu wenig abgesichert und daher einer Vergütung durch die gesetzlichen Krankenkassen nicht würdig.
Hätten sich die begutachtenden Experten die Mühe gemacht, die in diesem Band veröffentlichten Beiträge aufmerksam zu lesen, wären ihnen möglicherweise einige Zweifel an ihrer Entscheidung gekommen. Denn diese Artikel zeigen: Es gibt inzwischen eine ausgedehnte und noch wachsende empirische Forschung, die nachweist, daß eine systemisch inspirierte Familienmedizin nicht nur in
vielen Fällen weiterhilft als übliche, einer klassischen und einer vorwiegend somatischen Diagnostik und Therapie verpflichtete Verfahren, sondern daß sie auch erhebliche Kosten einzusparen vermag“
Die Rezensentin Susanne Altmeyer fasst (2002) ihren Lektüre-Eindruck zusammen:„
Das Lesen war kurzweilig, erforderte manchmal auch hohe Konzentration, bisweilen mußte ich laut lachen. Das Buch ist ein Ideengeber für Therapeuten und Berater, die mit kranken Menschen in der Praxis oder in Institutionen arbeiten und innovative systemische Konzepte zur Lösung ihrer Aufgaben einsetzen wollen. Ich wünsche dem Buch eine weite Verbreitung und nachhaltige Wirkungen“
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28. August 2006
von Tom Levold
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Unterschiede, die Unterschiede machen

In der Reihe der Klassiker präsentiert systemagazin das Buch„Unterschiede, die Unterschiede machen“ von Fritz B. Simon aus dem Jahre 1988, besprochen von Wolfgang Loth im Jahre 1989:
„‚Unterscheiden‘ heißt das Zauberwort, und Simon legt mit einer Zusammenfassung von Spencer Browns ‚Gesetzen der Form‘ ein in deutscher Sprache in dieser Ausführlichkeit bislang vermißtes Handwerkszeug vor. … Mit Hilfe der zugehörigen ‚primären Algebra‘ zeigt Simon einen Weg der ‚Analyse der Schlüsse… , welche die untersuchten Personen aus irgendwelchen Prämissen … ziehen‘. … Die in den theoretischen Teilen zusammengefaßten Überlegungen bilden die Grundlage für eine großzügig angelegte Untersuchung mit dem Ziel, ‚Transformationsregeln zu formulieren‘, mit deren Hilfe die Wechselwirkungen zwischen körperlichen, psychischen und interaktionalen Prozessen beschrieben werden können (’spezifische Verknüpfungen zwischen individueller Handlungsorientierung, interaktionalen Mustern und Symptombildung‘). In Bezug auf diese Transformationsregeln wird die Spezifizität psychosomatischer, schizophrener und manisch-depressiver Symptomatiken untersucht. Als ‚Mischformen‘ werden Anorexie und schizoaffektive Psychose zusätzlich berücksichtigt“

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26. August 2006
von Tom Levold
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Die Zukunft von Organisation und Beschäftigung

Im systemagazin ist heute Rudolf Wimmer-Tag. Unter den aktuellen News finden Sie einen Hinweis über eine vom Management-Zentrum Witten organisierte und maßgeblich von Rudolf Wimmer verantwortete Tagung zum Thema„Wem nützt der Shareholder Value Ansatz„?
Passend zum Thema veröffentlicht das MZW heute auf seiner website einen Aufsatz von Wimmer mit dem Titel:„Aufstieg und Fall des Shareholder-Value-Konzepts“.
Und schließlich präsentiert die Systemische Bibliothek im systemagazin noch einen Beitrag von Wimmer mit dem Titel:„Die Zukunft von Organisation und Beschäftigung. Einige Thesen zum aktuellen Strukturwandel von Wirtschaft und Gesellschaft (Erstveröffentlichung: Zeitschrift für Organisationsentwicklung 3/1999, S. 26-41). Im abstract heißt es:„Die Zukunft der Arbeit ist zweifelsohne eines der brennendsten gesellschaftspolitischen Themen unserer Zeit. Natürlich ist diese Frage primär ein Steuerungsanliegen, das die Gestaltung der wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen unserer Gesellschaft betrifft. Bei näherer Betrachtung wird allerdings deutlich, daß diese Problematik auch auf das engste mit jenen Veränderungen verknüpft ist, denen sich viele unserer Organisationen in der Wirtschaft, in der öffentlichen Verwaltung, im Gesundheitswesen etc. gerade unterziehen. Der wachsende Druck auf die Leistungsfähigkeit bei gleichzeitig knapper werdenden Ressourcen stimuliert neue Organisationslösungen, die die Bedingungen nachhaltig beeinflussen, unter denen wir im nächsten Jahrzehnt arbeiten werden. Es gibt eine Reihe von Anzeichen, die es erlauben, die Konturen dieses Wandels zu beschreiben und damit sichtbar zu machen, wie sehr heute Fragen der Beschäftigung mit jener der Organisationsentwicklung verknüpft sind“
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25. August 2006
von Tom Levold
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„Selvini hat nie mit Studenten gearbeitet, das mochte sie nicht“

Haja Molter stellt für das Interview-Archiv des systemagazin zwei Parallel-Interviews zur Verfügung, die er 1990 mit Gianfranco Cecchin und Luigi Boscolo geführt hat, in denen es u.a. um ihren Entwicklungsprozess von einer Kybernetik der 1. Ordnung zur Kybernetik 2. Ordnung, ihre wechselseitige Beobachtung und ihre (europäische) Abgrenzung zum (US-amerikanischen) lösungsorientierten Ansatz Steve de Shazers geht. Gianfranco Cecchin, der 2004 in einem Autounfall ums Leben kam, macht den Unterschied zwischen ihm und Lugi Boscolo einerseits und Mara Selvini Palazzoli andererseits an der verschiedenen Haltung zum Expertentum fest:„Unser Denken hängt von dem Kontext ab, wo wir arbeiten. Luigi und ich, wir arbeiten mit Studenten, das gab uns die Gelegenheit, dass sie uns kritisierten. Das gab uns die Gelegenheit, unterschiedliche Gruppen zu haben, unterschiedliche Ebenen der Beobachtung. Selvini hat nie mit Studenten gearbeitet, das mochte sie nicht. Sie bleibt immer in der Position der Autorität, sie ist die Expertin und die Studenten sind es nicht. Also ich denke, Studenten zu haben, die mit Familien arbeiten, das schafft einen enormen Lernkontext, um aus der Position des Experten herauszukommen. Ich denke, die Position von Selvini ist immer noch die Position des Experten. Sie liebt diese Position – und die kann ja auch sehr nützlich sein, es ist ja auch die Position von Jay Haley, Minuchin, strategischer Therapie“
Luigi Boscolo nimmt eine gewisse Zwischenposition ein:„ich denke, Gianfranco legt den Akzent mehr auf den Beobachter, er vernachlässigt zu sehr das beobachtete System. Es stimmt schon für mich, dass ich mich von einem Denken der Kybernetik erster Ordnung zu einem zweiter Ordnung bewegte, aber für mich liegt doch eine bestimmte Bedeutung in den Typologien des beobachteten Systems, ich denke immer noch, es gibt irgend ein Muster, das der Beobachter sieht, natürlich färbt er es mit seinen eigenen Ideen, Vorurteilen, Theorien, aber es muss irgend ein Muster geben, es gibt eine Wirklichkeit außerhalb“
Zu den vollständigen Interviews