systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

31. Mai 2024
von Tom Levold
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Ausschreibung einer Universitätsprofessur für (systemische?) Klinische Psychologie und Psychotherapie in Klagenfurt

In Hinblick auf das neue Psychotherapiegesetz in Österreich wird eine zusätzliche Stelle für eine Professur Klinische Psychologie & Psychotherapie an der Universität Klagenfurt ausgeschrieben. Wie ich einem Brief aus dem Umkreis des psychologischen Institutes entnehmen kann, wünscht sich „das Institut […] jemanden aus der Praxis mit Forschungserfahrung und Publikationstätigkeit, vorzugsweise aus der Systemischen Familientherapie, weil die VT und die psychodynamischen Methoden am Institut gut vertreten sind, sodass auch das Systemische Cluster in Klagenfurt angeboten werden könnte (die Universitäten sprechen sich bis Herbst zusammen, es sieht so aus, als würden Lehr- und Forschungsverbünde entstehen, Klagenfurt überlegt sich hier mit Salzburg oder Graz zu kooperieren).

Bisher wird – nach ersten Gesprächen mit den um die 500 Studienplätze mitwerbenden öffentlichen Universitäten die Systemische Familientherapie in den regulären Studien in Österreich – ausgenommen an den zu bezahlenden Weiterbildungslehrgängen ohne Forschung (Wien, Graz usw.) – nicht berücksichtigt, was einen weitreichenden Forschungsnachteil und letztendlich zum Zurückdrängen dieser Fachrichtung im psychotherapeutischen Diskurs führen könnte. Daher wäre eine Universitätsprofessur mit Schwerpunkt Systemische Ansätze für die (Weiter-)Etablierung dieser Fachrichtung im deutschsprachigen Raum, in dem VT und Psychodynamik die Universitätslandschaften in der Forschung dominieren, essentiell.

Das Institut für Psychologie wünscht sich auch, dass das derzeit recht kleine, aber feine Angebot der technisch wunderbar ausgestatteten Psychotherapeutischen Ambulanz in Klagenfurt weiter zu Forschungszwecken genutzt wird und die Ambulanz der Universität mit örtlich versierten Psychotherapeutinnen* und Ausbildungskandidatinnen* weiter um einen in Kärnten dringend benötigten Schwerpunkt der Kinder- und Jugendpsychotherapie ausgebaut wird (oder eine andere, ähnlich notwendige Erweiterung passiert). […]

Auf diese Ausschreibung hin werden sich erfahrungsgemäß viele deutsche Personen mit Habilitation im Fach Klinischer Psychologie und aus VT und Psychodynamik berwerben. Dennoch stehen die Chancen, dass sich das Institut für eine* charismatische* Kandidatin* aus der Systemischen Familientherapie bei guter Forschungsleistung entscheiden würden, recht gut. Ich bitte dich darum um die Inbetrachtnahme deiner Bewerbung und/oder um die Empfehlung von aus deiner Sicht gut geeigneten Kandidatinnen*. The more the marrier – > energy flows where the attention goes….“

Zur Ausschreibung geht es hier entlang…

27. Mai 2024
von Tom Levold
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Systemik und Systemtheorie

Die Begriffskarriere des Wörtchens „systemisch“, die sich seit über 40 Jahren hierzulande vollzogen hat, ist eindrucksvoll. Gleichzeitig hat sich aber der Bedeutungshof dieses Begriffes immer weiter ausgedehnt, so dass er heute nahezu beliebig gebraucht wird. Theoretische Aspekte systemischen Denkens rücken zunehmend in den Hintergrund und fragt man jüngere Systemiker nach ihren Vorstellungen von Systemik, hört man nicht selten, es handele sich dabei vor allem um eine bestimmte Haltung, die von Wertschätzung und Ressourcenorientierung geprägt sei. Diese Haltung ist natürlich allen zu wünschen, die erfolgreich Menschen in Veränderungsprozessen beistehen wollen (und ist wohl in den erfolgreichen dieser Prozesse auch zu finden), ob sie das Alleinstellungsmerkmal des Systemischen ausmachen, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Insofern bleibt die Frage nach dem Wesenskern systemischen Denkens weiterhin offen, auch wenn das Interesse an dieser Frage nachgelassen zu haben scheint.

Dem setzt die aktuelle Ausgabe des Kontext ein interessantes Debattenheft entgegen, in dem es um die inhaltliche Differenzierung von Systemik und Systemtheorie (hier der Luhmannschen Prägung) geht. Mitherausgeberin Barbara Kuchler eröffnet das Heft mit einem Artikel über das Verhältnis dieser beiden Denkschulen. Wie es im Editorial heißt, sieht sie „Systemiker:innen als Akteure in kleineren Beziehungssystemen der Integration von Unterschieden verschrieben. Dabei kann Integration beispielsweise bedeuten, dass das Ungelebte gelebt wird (»Ich habe endlich mal ›Nein‹ gesagt«). Hingegen sieht Kuchler Systemtheoretiker:innen als kühle Beobachter:innen größerer sozialer Systeme, die sich der immer präziseren Beschreibung der sozialen Welt durch immer elaboriertere Unterschiedsbildungen widmen. Luhmann habe auf Einheitsanmutungen recht allergisch reagiert, schreibt Kuchler. Wie ließe sich nun der Unterschied im Operieren mit Unterschieden zwischen Systemik und Systemtheorie erklären? Kuchler liefert dazu zwei Hypothesen: (1) Es ist die Rolle bzw. der Kontext. Systemiker:innen müssen unterstützende Impulse bereitstellen, die anschlussfähig sind für die Unterstützung suchenden Personen. Systemtheoretiker:innen arbeiten an abstrakten Problemen und sind dabei keinem professionsgebundenen Ethos verpflichtet. (2) Systemiker:innen arbeiten inhaltlich mit kleinen personnahen Beziehungssystemen (bspw. die Familie), Systemtheoretiker:innen hingegen mit sozialen Systemen, die intern nicht aus Beziehungen bestehen, quasi »Nicht-Beziehungssystemen«. Inwiefern nun könnte das Gras grüner sein auf der anderen Seite? Nun, Systemtheorie könnte für Systemik eine Anregung zur theoretischen Selbstreflexion, Systemik für Systemtheorie ein Impuls zur Steigerung der Anschlussfähigkeit (sofern diese denn gesucht wird) sein. Kuchler hofft am Ende ihres Textes, dass er eine gut gestellte Frage ist.“ Soweit das Editorial. Ob diese Unterscheidung trägt oder nicht, ist Gegenstand von Kommentaren und Erwiderungen, zu denen Arnold Retzer und Fritz B. Simon, Stefan Beher, Wolfram Lutterer und Klaus Eidenschink beigetragen haben.

Alle bibliografischen Angaben und abstracts finden Sie hier…

22. Mai 2024
von Tom Levold
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„Jubiläumstagung“ der Systemischen Gesellschaft

Am 21. und 22. Juni 2024 findet die diesjährige Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft statt, auf der das 30jährige Bestehen der SG gefeiert werden soll. Veranstaltungsort ist die Alte Münze in Berlin. Warum die Jubiläumstagung nicht schon im vergangenen Jahr ausgerichtet wurde (der Verband feiert dieses Jahr schon sein 31-jähriges Bestehen), geht nicht aus der Einladung hervor. Zentrales Thema der Tagung ist das Konzept der Resonanz – als Referenten für den Hauptvortrag am 21.6. konnte Hartmut Rosa gewonnen werden, der den Begriff der Resonanz in den Mittelpunkt seiner „Soziologie der Weltbeziehung“ setzt. Auf der Website der Tagung heißt es, dass er mit seinem Vortrag „Die Unverfügbarkeit von Resonanzbeziehungen“ u.a. „die Anschlussfähigkeit zur Systemtheorie sucht“. Darauf kann man gespannt sein, sieht sich Rosa doch eher in der Tradition der Kritischen Theorie von Marx über Adorno, Horkheimer, Benjamin und Fromm bis zu Habermas und Honneth als in Verbindung zur Systemtheorie. Ein zweiter Hauptvortrag von Daniel Dietrich behandelt das Thema „Als Individuum in der Gemeinschaft wachsen – und Mensch bleiben“.

Wer sich von der Jubiliäumstagung eine Auseinandersetzung mit wichtigen Themen erwartet,die in der Geschichte des Verbandes von Bedeutung waren, wird eher enttäuscht werden. Es gibt weder einen Rückblick auf die vergangenen 30 Jahre und die damit verbundenen Weichenstellungen noch eine kritische Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen Stand systemischen Denkens nach der Aufnahme der Systemischen Therapie in das kassenfinanzierte Versorgungssystem – die Frage nach der Zukunft des systemischen Ansatzes bleibt ebenso ausgespart. In den zahlreichen Workshops geht es darum, „in Resonanz zu aktuellen Themen“ zu gehen, z.B. „Das Ich in Resonanz mit sich selbst?“, „Langeweile ein Zugang zu Selbstresonanz?“, „Resonanzerfahrungen – in Systemen schwingen!“, „Praxis des Traumasensiblen Yoga“, „Schwingen, Singen und Klingen – sich selbst als Resonanzraum erleben“ und viele andere.

Zur Anmeldung geht es hier…

19. Mai 2024
von Tom Levold
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Die Gestaltung von Familienritualen zur Bewältigung von Übergängen im Lebenszyklus

Heute feiert Evan Imber-Black ihren 80. Geburtstag und systemagazin gratuliert von Herzen. Sie ist eine wichtige Pionierin der Familientherapie, lehrte lange am Ackerman Institute in New York und hat das systemische Feld schon seit den 1980er Jahren immer wieder mit wichtigen Beiträgen bereichert. Von 1993 bis 1995 war sie Präsidentin der American Family Therapy Academy (AFTA), von 2004 bis 2011 war sie Herausgeberin der Family Process. Hierzulande ist sie schon in den 1980er Jahren vor allem über ihre Arbeiten zur Einbeziehung größerer Systeme in die therapeutische Praxis sowie über den Umgang mit Geheimnissen und über die Bedeutung von Ritualen im Familienzyklus bekannt geworden. Zu letzteren ist im Carl-Auer-Verlag ein Buch erschienen, das mittlerweile in der 6. Auflage auf dem Markt ist. Ein Buchkapitel zum gleichen Thema, das 2005 in einem u.a. von Betty Carter herausgegebenen Band The Expanded Family Life Cycle erschien, ist auch im Internet zu finden. In ihrem Fazit schreibt sie: „Idiosyncratic life cycle events and transitions pose particular difficulties for individuals and families. Lacking available maps that fit their situation and without wider contextual support and confirmation, complex feedback processes may be set in motion, resulting in symptoms and a high level of distress and isolation. Since rituals have the capacity to hold and express differences rather than homogenize them, they are particularly powerful resources for any life cycle transition that differs from the conventional. Therapy needs to include conversations about meaningful rituals. Creatively and sensitively crafted rituals, which both borrow richly from normative life cycle rituals and are simultaneously brand new, facilitate necessary transitions and the expansion of relationship possibilities“. Ein wichtiges Ritual ist natürlich immer die Feier eines Geburtstages, da passen unsere Glückwünsche zum Thema!

16. Mai 2024
von Tom Levold
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Supervision und die Verschiebung des Sagbaren – das Sagbare ermöglichen, das Unsagbare hüten und begrenzen

Der aktuelle Jahrgang der Zeitschrift Organisationsberatung, Supervision, Coaching ist bislang gesellschaftlichen Themen gewidmet, die nicht nur die breite Öffentlichkeit bewegen, sondern zunehmend auch in Beratungskontexten auftauchen oder thematisiert werden, und in bezug auf die sich Berater aller Formate positionieren müssen. Im ersten Heft ging es um die Rolle der Beratung in der gesellschaftlichen Transformation zu mehr Nachhaltigkeit. Das aktuelle Heft ist der „Verschiebung des Sagbaren“ gewidmet, d.h. der Frage, wie und in welchen Kontexten über relevante Themen gesprochen werden kann, darf, soll – und in welcher Weise der Gebrauch von bestimmten Wörtern in diesen Diskursen als legitim oder illegitim markiert wird. Auch das ein Thema, dass zunehmend in Supervisions- und anderen Beratungskontexten Einzug hält – und die Beteiligten vor komplexe Herausforderungen im Umgang miteinander stellt.

In ihrem Editorial schreiben Heidi Möller und Stefan Busse:

„Aktuell scheinen wir vor allem unter Bedingungen der Aushandlung von Faktizität- und Sagbarkeitsbedingungen in Alltag und Gesellschaft zu leben. Es gibt eine Erschütterung und zugleich eine vehemente Verteidigung des Normalen. Der empfundene Normalitätsverlust zieht sich, wie es Stephan Lessenich (2022) unlängst in seinem Buch „Das ist doch nicht normal“ beschreibt, durch unterschiedliche politische Diskursarenen, die sich schneiden, überlappen und gegenseitig befeuern. In den politischen Krisen- und Konfliktdiskursen und den hochdifferenzierten identitätspolitischen und Antidiskriminierungsdiskursen macht sich eine „Verschiebung des Sagbaren“ bemerkbar. Die Beantwortung der metakommunikativen Fragen: „Was liegt vor (was ist wahr)?“, „Was kann ich authentisch noch sagen?“ und „Wie wollen wir miteinander reden?“ verletzt dabei zunehmend die Normen (Normalität) kommunikativer Vernunft.

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14. Mai 2024
von Tom Levold
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49 % der Bevölkerung leben in Familien – Anteil gesunken

Wiesbaden:

Immer weniger Menschen in Deutschland leben in Familien. Im Jahr 2023 traf dies auf 49 % der Bevölkerung beziehungsweise 41,3 Millionen Menschen hierzulande zu, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) anlässlich des Internationalen Tags der Familie am 15. Mai mitteilt. Im Jahr 2005 hatten noch gut 53 % der Bevölkerung in Familien gelebt; das waren 43,7 Millionen Menschen. Als Familien gelten in einem Haushalt lebende Eltern-Kind-Gemeinschaften, unabhängig von der Zahl der Elternteile und dem Alter der Kinder. Hintergrund für den Rückgang ist unter anderen die zunehmende Alterung der Bevölkerung.

Familien in Baden-Württemberg am meisten verbreitet, am wenigsten in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt

Zwischen den einzelnen Bundesländern zeigen sich deutliche Unterschiede bezüglich der Lebensformen. Gemessen am Anteil der Bevölkerung in Familien waren diese 2023 in Baden-Württemberg am meisten verbreitet (52 %), gefolgt von Rheinland-Pfalz mit 51 %. Anteilig am wenigsten Menschen lebten in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt in Familien (jeweils knapp 43 %). Im Jahr 2005 waren die Unterschiede zwischen den Bundesländern teilweise noch deutlicher ausgefallen: Damals hatte ebenfalls Baden-Württemberg den größten Anteil der Bevölkerung in Familien (58 %), Berlin mit 43 % den niedrigsten.

Land-Stadt-Gefälle mit Blick auf Familien weniger ausgeprägt als 2005

Ländliche Gemeinden ziehen Familien nicht mehr so stark an wie noch vor knapp 20 Jahren. Lebten im Jahr 2005 in kleinen Gemeinden mit bis zu 5 000 Einwohnerinnen und Einwohnern noch knapp zwei Drittel (61 %) der Bevölkerung in Familien, so waren es 2023 noch 52 %. Auch in Gemeinden mit 5 000 bis unter 10 000 Menschen ging der Anteil derer, die in Familien leben, deutlich zurück: von knapp 59 % im Jahr 2005 auf 51 % im Jahr 2023. Dagegen gab es beispielsweise in Großstädten mit mehr als 500 000 Einwohnerinnen und Einwohnern eine gegenteilige Entwicklung: Hier nahm der Anteil der Bevölkerung in Familien leicht zu – von knapp 45 % auf gut 46 %. In Großstädten mit 200 000 bis unter 500 000 Einwohnerinnen und Einwohnern ging er leicht zurück: von 46 % auf knapp 45 %. Damit lag er jeweils nach wie vor unter dem Anteil in ländlichen Gemeinden.

Methodische Hinweise:

Der Mikrozensus ist eine Stichprobenerhebung, bei der jährlich rund 1 % der Bevölkerung in Deutschland befragt wird. Alle Angaben beruhen auf Selbstauskünften der Befragten. Um aus den erhobenen Daten Aussagen über die Gesamtbevölkerung treffen zu können, werden die Daten an den Eckwerten der Bevölkerungsfortschreibung hochgerechnet. Dargestellt sind Personen in privaten Hauptwohnsitzhaushalten.

Familien umfassen im Mikrozensus alle Eltern-Kind-Gemeinschaften, das heißt gemischtgeschlechtliche und gleichgeschlechtliche Ehepaare/Lebensgemeinschaften sowie alleinerziehende Mütter und Väter mit Kindern im Haushalt. Einbezogen sind in diesen Familienbegriff – neben leiblichen Kindern – auch Stief-, Pflege- und Adoptivkinder. (Quelle: destatis.de)

13. Mai 2024
von Tom Levold
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Sollen wir wieder wissen, wo’s langgeht? 

Unter dem Titel „Sollen wir wieder wissen, wo’s langgeht? Gedankengänge zur Vermittlung des systemischen Psychotherapieverständnisses in der Ausbildung“ haben sich Sabine Klar und Danielle Arn-Stieger, beide Lehrtherapeutinnen bei der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für systemische Therapie und systemische Studien (ÖAS), Gedanken über die inhaltliche Ausgestaltung von Ausbildungscurricula in Systemischer Therapie gemacht, die gerade als Open Access-Artikel im Psychotherapie Forum veröffentlicht worden sind. Im abstract heißt es:

„Die gesellschaftliche Umgebung ist im Gesundheits- und Sozialbereich zunehmend von neoliberalistischer Kosten-Nutzen-Optimierung und Standardisierung geprägt. Klient:innen und deren Störungen sollen mit diversen psychotherapeutischen Techniken behandelt werden, um damit möglichst effizient gesellschaftlich erwünschte therapeutische Ziele zu erreichen. Systemische Ausbildungseinrichtungen geraten dadurch in ein Spannungsverhältnis – sie vertreten ihrer Tradition gemäß ein anderes Therapieverständnis und wollen gleichzeitig Studierende darauf vorbereiten, auch aktuellen Erwartungen zu entsprechen. Aus der Sicht der Autorinnen (die eine seit vielen Jahrzehnten Lehrtherapeutin, die andere erst seit kurzem in dieser Funktion tätig) wird eine (selbst)kritische Reflexion möglicher zukünftiger Entwicklungen als notwendig erachtet.“

Zum vollständigen Text geht es hier…

9. Mai 2024
von Tom Levold
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Gregory Bateson (9.5.1904-4.7.1980), ein ökologischer Vordenker

Heute jährt sich zum 120. Mal der Geburtstag von Gregory Bateson, der nicht nur ein Pionier der Kybernetik und ein wichtiger Mentor für die Entwicklung systemischer Konzepte in der Psychotherapie war, sondern auch früher als andere die aufkommende ökologische Katastrophe vorausgesehen hat. Im Juli 1967, wenige Wochen nach dem Sechs-Tage Krieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn (!), fand in London ein von dem schottischen Psychiater Ronald D. Laing initiierter Kongress „Dialectics Of Liberation“ statt, der mit Allen Ginsberg, Paul Sweezey, Paul Goodman, Herbert Marcuse, Stokely Carmichael, Michael X und Anderen einen beachtlichen Querschnitt radikal linker Meinungsführer der 60er Jahre als Referenten aufbot. Unter anderem hielt auch Bateson hier eine (offenbar frei gehaltene) Rede, deren Transkript auch im Netz zu finden ist. Schwerpunkt seiner Betrachtungen sind die Ideen zu den Folgen der unilinearen Eingriffe der Menschen in ihre ausbalancierten Ökosysteme durch technischen Fortschritt, Kriege usw. Wie diese Passage aus dem immerhin schon fast 60 Jahre alten Vortrag zeigt, waren ihm die ökologischen Folgen der menschengemachten Krise mehr als bewusst:

„Die Probleme, über die wir heute Morgen gesprochen haben, scheinen mir absolut wesentlich zu sein,
wenn wir uns mit der Bereitschaft und der Tendenz des Menschen befassen wollen, seine Gesellschaft, sein gesamtes Ökosystem und seine eigene Seele zu zerstören. Es gibt jetzt viele Möglichkeiten, mit denen dies erreicht werden kann. Es kann erreicht werden, indem man das CO2 in der Atmosphäre erhöht; CO2 ist durchlässig für Licht, aber nicht für Wärme. Wenn wir also den CO2-Gehalt in der Atmosphäre erhöhen, wird die Temperatur in der Welt – lange vor dem Eintritt der Asphyxie [Erstickungstod; T.L.] – in der Größenordnung von, sagen wir, durchschnittlich 5 Grad steigen. Irgendwo an diesem Punkt brechen die Eiskappen ab, die Polkappen: der Meeresspiegel steigt […]
und die Landwirtschaft wird eingehen. Punkt. Es gibt auch die Radioaktivität, die wir in der Atmosphäre ständig aufbauen; es gibt sehr merkwürdige Dinge, die wir ganz unverantwortlich im Van-Allen-Gürtel tun – wir veranstalten dort oben ein Durcheinander, wir haben nicht die geringste Ahnung, wie sich diese Aktionen auf das gesamte meteorologische Gleichgewicht auswirken, und die Meteorologie ist ein weiteres dieser kybernetischen Netzwerke. Dann gibt es noch die großen Risiken einer tatsächlichen atomaren Explosion, des radioaktiven Niederschlags und den Rest. Es gibt wahrscheinlich noch drei oder vier weitere große zerstörerische Möglichkeiten, auf die wir uns einlassen können, ohne wirklich darüber nachzudenken, was wir da tun, wenn wir nicht richtig nachdenken. Ich neige zu der Annahme, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die eine oder andere dieser großen Katastrophen in zehn bis dreißig Jahren eintritt. Die Probleme, die ich heute Morgen dargelegt habe, sind Probleme, die diese Zeitspanne erfordern, um zumindest ansatzweise darüber nachzudenken“ (Übersetzung: T.L.).

Das Transkript des Vortrages und der anschließenden Diskussion ist im Internet als PDF verfügbar.

7. Mai 2024
von Tom Levold
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Why We’re Turning Psychiatric Labels Into Identities

In der aktuellen Ausgabe des New Yorker ist ein Artikel von Manvir Singh erschienen, seines Zeichens Assistant Professor am Department of Anthropology der Universität von Kalifornien, der sich mit der Tatsache befasst, dass Diagnosen (etwa des DSM) nicht nur Problembeschreibungen konstruieren, als seien sie Ausschnitte einer objektiv beschreibbaren Realität, sondern auch Menschen dazu bringen, sich diesen Beschreibungen entsprechend zu verhalten. Im Text heißt es:

„The DSM as we know it appeared in 1980, with the publication of the DSM-III. Whereas the first two editions featured broad classifications and a psychoanalytic perspective, the DSM-III favored more precise diagnostic criteria and a more scientific approach. Proponents hoped that research in genetics and neuroscience would corroborate the DSM’s groupings. Almost half a century later, however, the emerging picture is of overlapping conditions, of categories that blur rather than stand apart. No disorder has been tied to a specific gene or set of genes. Nearly all genetic vulnerabilities implicated in mental illness have been associated with many conditions. A review of more than five hundred fMRI studies of people engaged in specific tasks found that, although brain imaging can detect indicators of mental illness, it fails to distinguish between schizophrenia, bipolar disorder, major depression, and other conditions. The DSM’s approach to categorization increasingly looks arbitrary and anachronistic.

Steven Hyman, who directed the National Institute of Mental Health from 1996 to 2001, told the Times that he considered the manual an “absolute scientific nightmare.” In 2009, four leaders of the DSM-5 revision wrote about their hopes to “update our classification to recognize the most prominent syndromes that are actually present in nature.” The outcome didn’t live up to those aspirations. In April, 2013, weeks before the DSM-5’s slated release, Thomas Insel, then the director of the N.I.M.H., remarked, “The final product involves mostly modest alterations of the previous edition.” As a result, he announced, the institute “will be re-orienting its research away from DSM categories.”

In “DSM: A History of Psychiatry’s Bible” (2021), the medical sociologist Allan V. Horwitz presents reasons for the DSM-5’s botched revolution, including infighting among members of the working groups and the sidelining of clinicians during the revision process. But there’s a larger difficulty: revamping the DSM requires destroying kinds of people. As the philosopher Ian Hacking observed, labelling people is very different from labelling quarks or microbes. Quarks and microbes are indifferent to their labels; by contrast, human classifications change how “individuals experience themselves—and may even lead people to evolve their feelings and behavior in part because they are so classified.”

Der vollständige Artikel lässt sich hier lesen…

3. April 2024
von Tom Levold
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Kybernetik für das 21. Jahrhundert

Yuk Hui (Foto) ist ein Philosoph aus Hongkong, der Technische Informatik, Kulturtheorie und Philosophie an der Universität Hongkong und am Goldsmiths College in London studierte. Er unterrichtete u. a. am Institut für Philosophie und Kunstwissenschaft der Leuphana Universität Lüneburg, an der Chinesischen Hochschule der Künste und an der Bauhaus Universität Weimar. Derzeit ist Yuk Hui Professor für Philosophie an der Erasmus-Universität Rotterdam und Professor an der City University of Hong Kong. Im Philarchive ist das von ihm herausgegebene (und per Open Access downloadbare) Buch über die „Kybernetik für das 21. Jahrhundert“ erschienen, das der „epistemologischen Rekonstruktion“ der Kybernetik gewidmet ist. In der Einleitung heißt es:

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24. März 2024
von Tom Levold
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Die im Schatten sieht man nicht – Eine Tagung zur Klimawende und ihren Gegenkräften

Angesichts der derzeit dominanten Kriegsthematik in der Politik und der medialen Öffentlichkeit ist die Frage der Transformation zu einer Wirtschafts- und Lebensweise, die (zumindest dem größten Teil) der Menschheit ein Überleben zu akzeptablen Bedingungen ermöglichen kann, in den Hintergrund getreten. Es stellt sich nicht nur das Problem, inwieweit die einzelnen gesellschaftlichen Funktionssysteme in der Lage sind, zur dieser Aufgabe die notwendigen Beiträge zur Verfügung zu stellen, es geht auch darum, dass es genug Akteure gibt, die die Anstrengungen zur Transformation unterlaufen, verzögern, blockieren. Barbara Kuchler berichtet von einer Tagung, die den damit verbundenen Schwierigkeiten und Konflikten gewidmet war. Auch wenn es sich nicht um eine „systemische“ Tagung im engeren Sinne handelte, ist doch ihr Bericht auch für Systemiker sehr lesenswert.

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9. März 2024
von Tom Levold
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Systems thinking: fostering collaboration and connections to strengthen the field. A conversation with Umberta Telfener 

Umberta Telfener (Foto: T. Levold)

Im Australian and New Zealand Journal of Family Therapy ist ein aktuelles Interview mit Umberta Telfener zu lesen, das Deisy Amorin-Woods mit ihr geführt hat. Umberta Telfener ist seit 2022 Präsidentin der European Family Therapy Association (EFTA). Sie ist Gesundheits- und klinische Psychologin und eine der führenden systemischen Fachleute und Denker in Italien. Zu ihren Lehrern gehörten Heinz von Foerster, Lynn Hoffman, Salvator Minuchin, Jay Haley, Carl Whitaker, Carlos Slusky, Bralio Montalvo, Harry Aponte, Luigi Boscolo und Gianfranco Cecchin. Im Interview, das auf Englisch geführt wurde, spricht sie über ihren Werdegang, ihre Erfahrungen mit den Pionieren des systemischen Ansatzes sowie über ihre Vorstellungen, was die Rolle der EFTA betrifft. Im Abstract heißt es:

„Umberta Telfener ist eine hoch angesehene Persönlichkeit, die für ihre vielfältigen Beiträge zu verschiedenen Facetten der Familien- und systemischen Therapie bekannt ist. Ihr Führungsstil hat ihr den Ruf einer ,Kulturanthropologin’ eingebracht, was ihre Fähigkeit widerspiegelt, Verbindungen zu schaffen, Beziehungen aufzubauen und Partnerschaften zu entwickeln. Ihr einzigartiger ,Umberta-Stil’ ist bekannt für ihre grenzenlose Energie, ihre aktive Führungsrolle und ihr leidenschaftliches Engagement, den Status quo in Frage zu stellen. Obwohl sie erst seit einem Jahr bei der European Family Therapy Association (EFTA) im Amt ist, hat Umberta bereits zahlreiche Projekte konzipiert und entwickelt und Netzwerke mit Praktikern und systemischen Denkern in der ganzen Welt aufgebaut. Verwurzelt in der klassischen philosophischen Ausbildung, ist ihr Ziel die systematische Untersuchung grundlegender Fragen zu Existenz, Vernunft, Wissen, Wert, Geist und Sprache. Umbertas Rolle erinnert an eine ,Chasqui‘, ein Quechua-Begriff für einen ,Boten’, der ihre agilen Netzwerkfähigkeiten treffend beschreibt. Sie kommuniziert aktiv und teilt wichtige Botschaften und unterstützt die internationale Gemeinschaft der systemischen Praktiker. Dieser Beitrag basiert auf einem persönlichen Gespräch, das im Juli 2023 in Umbertas Landhaus in der Toskana stattfand. In unserem Gespräch geht es um ihre umfangreichen beruflichen Erfahrungen, von der Ausbildung an der Philadelphia Child Guidance Clinic über die Betreuung durch Boscolo und Cecchin in Mailand bis hin zu ihrer Führungsrolle als derzeitige EFTA-Präsidentin. Umberta reflektiert über frühe Pioniere, die ihr Denken beeinflusst haben, und ihre wirkungsvolle Arbeit mit Systemen.“

Der Artikel in online als open access hier zu lesen…

8. Februar 2024
von Tom Levold
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Menschen in Deutschland bei erster Heirat immer älter – Durchschnittsalter auf neuem Höchststand

Pressemitteilung Nr. N007 vom 8. Februar 2024

  • Frauen bei erster Eheschließung 2022 im Schnitt 32,6 Jahre alt, Männer 35,1 Jahre
  • Zahl derjenigen, die mit 50+ zum ersten Mal heiraten, von 7 500 im Jahr 2002 auf rund 41 500 im Jahr 2022 gestiegen
  • Rund die Hälfte (49 %) der erwachsenen Bevölkerung war Ende 2022 verheiratet, bei den 65- bis 69-Jährigen gut zwei Drittel (68 %)

  • WIESBADEN – Wer in Deutschland heute zum ersten Mal heiratet, ist deutlich älter als noch vor 20 Jahren. Im Jahr 2022 waren Frauen bei ihrer ersten Heirat im Schnitt 32,6 Jahre alt, Männer 35,1 Jahre – in beiden Fällen ein neuer Höchststand. Das teilt das Statistische Bundesamt (Destatis) zum Welttag der Ehe am 11. Februar mit. Binnen 20 Jahren ist das Durchschnittsalter bei der ersten Heirat bei Frauen damit um 3,8 Jahre und bei Männern um 3,3 Jahre gestiegen. Der durchschnittliche Altersunterschied zwischen den Geschlechtern ist somit seit 2002 von 3,0 Jahren auf 2,5 Jahre leicht geschrumpft. Nach der Einführung der Ehe für alle im Oktober 2017 gehen seit dem Berichtsjahr 2018 auch gleichgeschlechtliche Eheschließungen in die Statistik ein.
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