In der aktuellen Ausgabe von Psychotherapie Forum setzt sich Evelyn Niel-Dolzer aus Wien mit der Frage auseinander, wie die theoriebasierte Polarisierung von Subjekt und Sozialen Systemen, die in der Systemtheorie wie der Kybernetik praktiziert werde, aufgelöst werden könne. Im Editorial heißt es: „Mit Ludwik Flecks Konzept des Denkstils wird ein Vorschlag unterbreitet, Theoriebestände innerhalb eines zersplitterten Binnendiskurses hinsichtlich ihrer klinischen Nützlichkeitexplizit(er) herauszuarbeiten. Anhand einer konkreten Entwicklung in der Lehranstalt für Systemische Familientherapie wird gezeigt, wie der Wechsel von einem konstruktivistisch zu einem phänomenologisch fundierten Bezugsrahmen eine Alternative zur Polarisierung von Subjekttheorien und Theorien sozialer Systeme darstellt: Aus der Perspektive der Intersubjektivität lässt sich psychisches Erleben systemtheoretisch fundiert konzeptualisieren, theoriegeleitet beobachten und in der Ausbildung vermitteln. Anschlüsse und Beteiligung an schulenübergreifenden Diskursen als Anspruch an eine zeitgemäße Ausbildung werden sichtbar gemacht.“
Ausgangspunkt ist dabei die Annahme, dass Subjektivität eben nichts „Innerliches“ ist, sondern immer schon ein relationales intersubjektives Phänomen, dessen Folge (und nicht Ursache) subjektives Erleben ist. In dieser Hinwendung zu einer phänomenologischen Perspektive sieht Niel-Dolzer den möglichen Wandel von einem Denkstil der Kybernetik 2. Ordnung hin zu einer Kybernetik 3. Ordnung: „Der Wechsel des konstruktivistischen Bezugsrahmen der Kybernetik zweiter Ordnung lässt sich unter Bezugnahme auf Ludwik Fleck als Denkstilumwandlung in Richtung einer – möglicherweise – Kybernetik dritter Ordnung beschreiben. Ihre klinische Nützlichkeit erweist sich in ihrer „Sehhilfe“ auf psychisches Erleben als wirkmächtiger Aspekt therapeutischer Performanz. Wo sich klinisch relevantes Geschehen nicht durch die Theorien einer Kybernetik II (als Dekonstruktion von Problemen) konfigurieren lässt, sind Theorien einer Kybernetik III als „Sehhilfe“ auf die (intersubjektive) Genese und Aufrechterhaltung pathologischer Phänomene erforderlich. Relevant ist dies vor allem in Prozessen, in denen drohender Selbstverlust bzw. Selbstaufrichtung zentraler Aspekt des (impliziten) Behandlungsauftrages sind. Das sind v. a. Kontexte traumatischen Erlebens und existentieller Verluste/Zerstörung, Arbeit mit emotional schwer erreichbaren Klient:innen, und auch mit Kindern und Jugendlichen, wo die Orientierung an (Selbst)Entwicklungstheorien prinzipiell unverzichtbar ist“.
Auch wenn nicht so richtig klar wird, wofür es eine neue Kybernetik braucht und inwiefern die Nutzung phänomenologischer Konzepte nicht auch in eine Kybernetik II integriert werden kann (so lässt sich auch das Fragezeichen in der Überschrift deuten), ist dieser Text sehr lesenswert und als Open Access auch hier frei verfügbar.