systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

21. März 2007
von Tom Levold
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Der Lenz ist

Das Lenzsymptom zeigt sich zuerst beim Hunde,
dann im Kalender und dann in der Luft,
und endlich hüllt auch Fräulein Adelgunde
sich in die frischgewaschene Frühlingskluft.

Ach ja, der Mensch! Was will er nur vom Lenze?
Ist er denn nicht das ganze Jahr in Brunst?
Doch seine Triebe kennen keine Grenze –
dies Uhrwerk hat der liebe Gott verhunzt.

Der Vorgang ist in jedem Jahr derselbe:
man schwelgt, wo man nur züchtig beten sollt,
und man zerdrückt dem Heiligtum das gelbe
geblümte Kleid – ja, hat das Gott gewollt?

Die ganze Fauna treibt es immer wieder:
Da ist ein Spitz und eine Pudelmaid –
die feine Dame senkt die Augenlider,
der Arbeitsmann hingegen scheint voll Neid.

Durch rauh Gebrüll läßt sich das Paar nicht stören,
ein Fußtritt trifft den armen Romeo –
mich deucht, hier sollten zwei sich nicht gehören …
Und das geht alle, alle Jahre so.

Komm, Mutter, reich mir meine Mandoline,
stell mir den Kaffee auf den Küchentritt. –
Schon dröhnt mein Baß: Sabine, bine, bine …
Was will man tun? Man macht es schließlich mit.

Kurt Tucholsky

20. März 2007
von Tom Levold
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Der Blinde und der Lahme

Von ungefähr muß einen Blinden
Ein Lahmer auf der Straße finden,
Und jener hofft schon freudenvoll,
Daß ihn der andre leiten soll.

Dir, spricht der Lahme, beizustehn?
Ich armer Mann kann selbst nicht gehn;
Doch scheints, daß du zu einer Last
Noch sehr gesunde Schultern hast.

Entschließe dich, mich fortzutragen:
So will ich dir die Stege sagen:
So wird dein starker Fuß mein Bein,
Mein helles Auges deines sein.

Der Lahme hängt mit seiner Krücken
Sich auf des Blinden breiten Rücken.
Vereint wirkt also dieses Paar,
Was einzeln keinem möglich war.

Du hast das nicht, was andre haben,
Und andern mangeln deine Gaben;
Aus dieser Unvollkommenheit
Entspringet die Geselligkeit.

Wenn jenem nicht die Gabe fehlte,
Die die die Natur für mich erwählte:
So würd er nur für sich allein,
Und nicht für mich, bekümmert sein.

Beschwer die Götter nicht mit Klagen!
Der Vorteil, den sie dir versagen
Und jenem schenken, wird gemein,
Wir dürfen nur gesellig sein.

Christian Fürchtegott Gellert

19. März 2007
von Tom Levold
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Ohne Text und Kultur. Die Systemtheorie und der ‚cultural turn’ der Literaturwissenschaft

Niels Werber (Foto: Gegeninformationsbuero.de) setzt sich in diesem Text mit der Ablehnung des Kulturbegriffes durch Niklas Luhmann kritisch auseinander:„Die Systemtheorie in der Ausformulierung Niklas Luhmanns und seiner Schule kommt bislang ohne elaborierte Theorien der Kultur und des Textes aus. Texte sind für Luhmann schlicht Medien ,schriftlicher Kommunikation‘ (Gesellschaft der Gesellschaft: 257). Der Begriff der Kommunikation ist zentral, auch der Begriff der Schrift ist wichtig für den evolutionstheoretischen Teil der Systemsoziologie, ein Textbegriff wird dagegen nicht entwickelt; ein Text ist das, was schriftlich oder gedruckt vorliegt. Der Begriff wird rein deskriptiv verwendet und ist für die Systemtheorie in etwa so problematisch wie die Begriffe Äpfel und Birne. C’est ça. Kultur dagegen erfährt etwas mehr Aufmerksamkeit, denn Luhmann hält ,Kultur‘ für ,einen der schlimmsten Begriffe, die je gebildet worden sind‘ (Kunst der Gesellschaft: 398). Auf sein Konto gehe es, so Luhmanns Vorwurf, dass die Ausdifferenzierung der Sozialsysteme vor dem 19. Jahrhundert nicht beobachtet und beschrieben werden konnte, weil Semantiken nicht systemspezifisch in den Blick genommen wurden, sondern system-indifferent als Teil einer integralen Kultur. Statt systemspezifische Selbstbeschreibungen zu entwickeln, wurde Kommunikation auf Kultur bezogen. So heterogene Erscheinungen wie Libertins, Atheismus, Esprit, Etikette, strengster Klassizismus, raffinierte Saucen und Ragouts, Arroganz und Eleganz konnten als Teil der französischen Kultur identifiziert werden und so weiterhin ,Gegenstand für Seinsaussagen‘ bleiben (ebd.). „Der Franzose ist dies oder das.“ Kurzum: Der Kulturbegriff habe die Selbstbeobachtung der Gesellschaft und ihrer Geschichte mit der Differenz von Gesellschaftsstruktur und Semantik verhindert. Dietrich Schwanitz übrigens, auch er ein Systemtheoretiker, übersetzt die Fragestellung des New Historicism in seiner Auseinandersetzung mit Greenblatt umstandslos in genau diese Unterscheidung der Form gesellschaftlicher Differenzierung und ihrem entsprechenden ,semantischem Gelände‘. Dabei geht, wie mir scheint, allerdings genau der spezifische Einsatz des New Historicism verloren, denn statt mit einer schier ,unendlichen Datenfülle ohne vorgegebene Ordnungsmuster‘ zu beginnen, setzt Schwanitz einen bestimmten historischen Stand der Ausdifferenzierung von Funktionssystemen voraus, der von der Literatur beobachtet, um nicht zu sagen: widergespiegelt wird. Die von Schwanitz inszenierte ,Konfrontation von Systemtheorie und New Historicism‘ kann dann natürlich nur mit der Aufzählung der ,Vorteile der Systemtheorie‘ enden“
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18. März 2007
von Tom Levold
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Navigieren, Driften und Wellen schlagen

Unter diesem Titel berichten Ulrike Borst, Fachpsychologin für Psychotherapie und klinische Psychologie, Lehrtherapeutin und Leiterin des Meilener Ausbildungsinstitutes und seit 1995 Leiterin der Unternehmensentwicklung der Psychiatrischen Dienste Thurgau, und Karl Studer, in den Ruhestand gewechselter Spitaldirektor und Chefarzt der psychiatrischen Klinik in Münsterlingen (Schweiz), von ihrem Projekt der Unternehmensentwicklung in der genannten psychiatrischen Klinik aus systemischer Perspektive. In ihrem Resüme halten sie fest: „Qualitätsmanagement-Systeme sind eine gute Basis für die Organisationsentwicklung an Kliniken. Feedbackschleifen sollten in ihrer qualitätsfördernden Wirkung allerdings nicht überschätzt werden. Schlichte Ursache- Wirkungs-Zusammenhänge sind eher selten, chaostheoretische und kybernetische Modelle helfen weiter. Schnelle Veränderungen in die beabsichtigte Richtung sind eher unwahrscheinlich: Befähigung der Mitarbeitenden braucht Zeit und Motivationsarbeit, und das ist der Hauptansatz, um letztendlich die Behandlung der Patientinnen und Patienten zu verbessern. Diese Befähigung ist «In House» besser erreichbar als durch kostspielige auswärtige Weiterbildungen“
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17. März 2007
von Tom Levold
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Lebensräume für demenzerkrankte Menschen

Rudolf Welter, Umweltpsychologe und Architekt aus Meilen bei Zürich, hat sich als Berater und Begleiter von Projekten einen Namen gemacht, die die Schaffung bzw. Umgestaltung von altersangemessenen Lebensraums zum Ziel haben. systemagazin-Lesern ist er überdies aufgrund seiner außergewöhnlichen literarischen Texte bekannt. Gemeinsam mit dem Architekten Matthias Hürlimann betreibt er seit einiger Zeit eine Beratungsfirma, die sich auf die Begleitung von Planungsprozessen bei der Schaffung bedarfsgerechter Betreuungseinrichtungen für demenzkranke Menschen spezialisiert hat. Gemeinsam mit Katharina Hürlimann-Siebke, Wirtschaftswissenschaftlerin und Wissenschaftsjournalistin, haben beide ein Handbuch zur„Gestaltung von Betreuungseinrichtungen für Menschen mit Demenzerkrankungen“ verfasst und im Selbstverlag herausgebracht, das sich an Behörden, Einrichtungsträger, Heimleitungen, Pflegegruppenleitungen, Architekten, Innenarchitekten und Bauausführende richtet, also an alle, die in solche Planungsprozesse involviert sind. Tom Levold:„Insgesamt ein außerordentlich nützliches, ganz auf die praktische Umsetzung von Projekten durch die skizzierten Zielgruppen ausgerichtetes Buch, das nicht nur ausgezeichnet gestaltet ist, durch zahlreiche großformatige Fotos alter Menschen auch atmosphärisch vermitteln, was Beziehungsqualität für Demenzerkrankte beinhaltet. Eine begefügte CD, auf der das komplette Buch sowie die Materialien im Anhang als PDF abgespeichert ist, erlaubt auch den Zugriff in einer Arbeitssituation, in der die Printausgabe gerade nicht zur Hand ist. Auch wer im Bereich der Altenbetreuung Beratungsfunktionen ausübt, kann von der Lektüre dieses Bandes nur profitieren“
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16. März 2007
von Tom Levold
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Multidimensional Family Therapy for Adolescent Cannabis Users

Howard Liddle ist Professor für Epidemiologie und öffentliche Gesundheit und leitet das Zentrum zur Erforschung der Behandlung von Drogenmissbrauch bei Jugendlichen an der medizinischen Fakultät der Universität Miami. Als Psychologe und Familientherapeut ist er ein international anerkannter Experte für Drogenmissbrauch bei Jugendlichen und jugendliche Straftäter. Auf dem EFTA-Kongress 2004 in Berlin hat er seine Arbeit auch in Deutschland vorgestellt. Sein Buch„Multidimensional Family Therapy for Adolescent Cannabis Users“ ist online frei erhältlich. Im Vorwort heißt es:„MDFT is a family-based outpatient treatment developed for clinically referred adolescents with drug and behavioral problems …. The approach strives for consistency and a coherent and logical connection among its theory, principles of intervention, and intervention strategies and methods. The intervention methods derive from target population characteristics, and they are guided by research-based knowledge about dysfunctional and normal adolescent and family development. Interventions work within the multiple ecologies of adolescent development, and they target the processes known to produce and/or maintain drug taking and related problem behaviors. Similar developmental challenges may be common to all adolescents and their families, and these are central assessment and treatment focuses (Liddle & Rowe, 2000). At the same time, considerable variation may be demonstrated in the expression of these generic develop – mental challenges. In MDFT, therapists are sensitive to these individual adolescent and family variations. With each case, therapists seek to understand the unique manifestations of developmental problems“
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15. März 2007
von Tom Levold
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Chromosomen est non omen

„Chromosomen est omen, Name ist Schall und Rauch“ dichtete einst Hans-Dieter Hüsch. In der Systemischen Bibliothek ist nun ein ausgesprochen kenntnisreicher und differenzierter Aufsatz von Andreas Manteufel zu lesen, der dieses Zitat paraphrasiert und das Verhältnis von Psychotherapie zu den neuesten Entwicklungen in der Neurobiologie thematisiert (erstmals wurde er in„systeme“ 2003 veröffentlicht):„Zwei Thesen werden vertreten. Erstens: Trotz unterschiedlicher Tendenzen scheint die Entwicklung in den Neurowissenschaften auf ein synergetisches Modell der Selbstorganisation hinaus zu laufen. Da es bereits ein synergetisches Konzept für die Psychotherapie gibt (Schiepek 1999), ist die Chance für eine Annäherung von Neurowissenschaften und Psychotherapie unter dem Dach der Selbstorganisationsperspektive gegeben. Zweitens: Psychotherapie erhebt, auch als praktische Tätigkeit oder ,Heilkunst‘, Anspruch auf wissenschaftliche Fundierung. An den Entwicklungen der modernen Neurowissenschaften kommt sie daher nicht vorbei. Kritisch nimmt der Aufsatz aber Stellung zu Tendenzen, die einen Hegemonialanspruch der Neurobiologie über die Psychotherapie beanspruchen. Psychotherapie ist keine ,angewandte Neurobiologie‘. Psychotherapie sollte vielmehr gegenüber Krankheitskonzepten, ethischen und gesellschaftlichen Konsequenzen der modernen Neurobiologie eine kritische Funktion bewahren“
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14. März 2007
von Tom Levold
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Verhandlungen des Geschlechts

„Was ist unter »Geschlecht«, »Weiblichkeit« oder »Frau« zu verstehen? Wie kann die Kategorie »die Frau« definiert werden, wenn es die soziale, kulturelle und ethnische Diversität aller Frauen zu bewahren gilt? Und wie soll der für die Geschlechterforschung so grundlegende Begriff des Geschlechts gefaßt werden? Als etwas Körperliches oder Sprachliches? Als eine natürliche, biologische Tatsache oder als eine soziale Größe? Als eine individuelle und subjektive Erfahrung oder als Gegenstand eines allgemeinen objektiven Wissens? Als Thema des statistischen Nachweises einer Ungleichstellung zwischen Frauen und Männern oder als das Ergebnis von gesellschaftlichen Normen, die diese Ungleichheiten über entsprechende rechtliche und ökonomische Verhältnisse erst hervorbringen? Soll das Geschlecht als ein Begehren oder als Trieb verstanden werden, der das Handeln der einzelnen unbewußt bestimmt? Oder einfach als ein strategisches Vorgehen, das im Sinne eines Machtkalküls einer sozialen Gruppe dient? Oder handelt es sich beim Geschlecht um nicht mehr und nicht weniger als um die körperbedingte Wahrnehmung von Geschlechtlichkeit? Oder ist es doch eher ein kulturelles Phantasma, das unsere Handlungen leitet?“
So beginnt das Vorwort der Herausgeberinnen Eva Waniek und Silvia Stoller in ihrem Sammelband, der die gegenwärtige Entwicklung der Gender Studies in ihrer ganzen Komplexität und Vielschichtigkeit erörtert. Dabei werden insbesondere Innovationen hinsichtlich der seit Beginn der neunziger Jahre heftig diskutierten Sex-Gender-Unterscheidung in den Mittelpunkt gerückt und Ansätze zur Diskussion gestellt, die über die traditionelle Unterscheidung hinausführen können.
Die Zusammenstellung der Beiträge eröffnet einen interdisziplinären Überblick. Die einzelnen Beiträge stammen aus den Bereichen Politikwissenschaft, Kunsttheorie, Philosophie und feministischer Theorie.
Der Wiener Verlag Turia + Kant, der sich mit einem philosophisch, historisch und kulturtheoretisch inspirierten Programm einen Namen gemacht hat, stellt erfreulicherweise einzelne vergriffene Titel auf seiner Website zum kostenlosen Download zur Verfügung, so auch dieses Buch. Eine schöne Initiative, interessante, aber nicht mehr verfügbare Bücher der Vergessenheit zu entreißen.
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13. März 2007
von Tom Levold
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Der Holocaust im Leben von drei Generationen

Gabriele Rosenthal ist Professorin für„Qualitative Methoden“ an der Universität Göttingen. Sie hat mit einer Forschungsgruppe Fallstudien über Familien sowohl von Shoah-Überlebenden als auch Nazi-Tätern erstellt, die schon vor einiger Zeit im Psychosozial-Verlag erschienen sind. Renate Franke schreibt in ihrer Rezension dazu:„Man muss das Buch einfach lesen! Es gibt jedem der verschiedenen Generationen Anstöße zum Arbeiten mit der Familiengeschichte. Und sofern eine Öffnung für Verarbeitung und Transformation da ist, kann es nur gewinnbringend sein. Sowohl in den Einzel- und Familienschicksalen als auch in den umfassenden und fundierten historischen und psychologischen Zusammenhängen, die wiederum mit den konkreten Falldarstellungen korrespondieren, werden mit der dargestellten adäquaten narrativen Methode nicht nur Informationen, sondern eine realisierte und realisierbare Bewältigungsstrategie aufgezeigt. Wissenschaftlich wird wieder einmal eine uralte Weisheit bewiesen: ,Das Vergessen wollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.'“
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12. März 2007
von Tom Levold
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Familienaufstellungen als kurzzeittherapeutisches Verfahren in der Gruppentherapie

Im Jahr 2004 hielt Oliver König einen Kongress-Vortrag zu diesem Thema, der in dem Kongressband der Herausgeber Bernhard Strauß und Michael Geyer„Psychotherapie in Zeiten der Globalisierung“ 2006 veröffentlicht wurde. Es handelt sich hierbei nicht nur um eine Übersicht über die Aufstellungsarbeit, sondern gleichzeitig um eine Reflexion des Standortes der Psychotherapie als„angewandte Sozialwissenschaft“ sowie um eine Reflexion des Nachdenkes über Psychotherapie schlechthin. Gerade die Entfernung zum psychotherapeutischen Mainstream, die die konzeptuelle wie ökonomische Position von Oliver König auszeichnet, ermöglicht eine kritische Distanz, die leider zunehmend verloren geht. Allein schon deshalb lohnt sich ein ausführliches Zitat aus dem Beginn des Textes, das deutlich macht, dass es hier um noch viel mehr als um Familienaufstellungen geht:„Als Sozialwissenschafter eine reflexive Haltung einzunehmen erfordert ein Wissen darum, ,dass das Besondere seines Standpunktes darin besteht, ein Standpunkt im Hinblick auf einen Standpunkt zu sein‘ (Bourdieu). Die einzige Möglichkeit, die Einschränkungen der Standortgebundenheit unserer Wahrnehmungen und Analysen zu relativieren, besteht daher darin, die Perspektivität des eigenen Standpunktes auszuweisen. Dies ist umso notwendiger, wenn es um ein Thema geht, das so umstritten ist und innerhalb der psychosozialen und therapeutischen Profession derart skandalisiert wurde, wie dies für die Methode der Familienaufstellungen der Fall ist. In meinem Fall ist dieser Standpunkt in mehrerer Hinsicht randständig. Ich arbeite in freier Praxis psychotherapeutisch mit Familienaufstellungen, bin aber in der Perspektive des ,Zentrums‘ kein Psychotherapeut, sondern firmiere unter dem Begriff ,Heilpraktiker‘. Mit ,Zentrum‘ ist in diesem Fall jene hegemoniale Figuration von Institutionen und Personen gemeint, die in der Frage, was Psychotherapie und wer ein Psychotherapeut sei, die Definitionsmacht haben. Von dieser Position am Rande trete ich nicht nur als Vertreter der Arbeit mit Familienaufstellungen auf, sondern zugleich als ihr Kritiker. Da diese Kritik nicht von außen kommt, sondern von jemandem, der die Methode selber praktiziert, kann sie sich nie ganz von dem hegemonialen Beigeschmack befreien, ihrerseits definieren zu wollen, wie man diese Arbeit eigentlich machen müsse. Insofern führe ich vom Rande aus einen hegemonialen Diskurs gegenüber dem Rande. Dabei gerät aus dem Blick, dass die hegemoniale Definitionsmacht hinsichtlich des Feldes der Psychotherapie im Zentrum angesiedelt ist. Ein kritischer Blick auf die Arbeit mit Familienaufstellungen hat nur
dann eine Chance, sich von dieser Einseitigkeit der Kritik zumindest partiell zu befreien, wenn sie die gegenseitige Bezogenheit von Rand und Zentrum im Auge behält. Um dies zu tun, ist wiederum der Rand besser geeignet als das Zentrum, vorausgesetzt natürlich, man schließt sich an diesem Rande nicht einem jener Zirkel an, die sich in ihr Randdasein eingraben und zur Gemeinde werden, wie dies für die Szene um Bert Hellinger herum in der Vergangenheit zu beobachten war. Um in diesem Bild zu bleiben, geht es also um eine doppelte Randständigkeit. Der Preis dafür sind unklare Zugehörigkeiten. Der Vorteil ist jedoch, in dieser Position nicht so schnell von den Denk- und Handlungsselbstverständlichkeiten des beruflichen Feldes aufgesaugt zu werden, dem man angehört. Unterstützt wird dies dadurch, dass ich aus der Soziologie komme und in das berufliche Feld der Psychotherapie vorgedrungen bin, das traditionell von anderen Fächern als ihr Territorium angesehen wird, der Medizin und der Psychologie. Je länger ich mich in diesem Feld bewege, um so mehr wächst in mir die Auffassung, dass der Psychotherapie ein Selbstverständnis gut anstehen würde, sich als Teil der angewandten Sozialwissenschaften zu verstehen, zu der ich auch die Psychologie zählen würde. Als Sozialwissenschaft hat sie sicherlich eine wesentliche Schnittstelle zu den biologischen Wissenschaften vom Menschen, aber eben in dieser Gewichtung und nicht umgekehrt. Solange Psychotherapie „talking cure“ ist und bleibt, ist sie soziales Geschehen und sollte auch als solches analysiert und begründet werden“ Die Lektüre sei dringend empfohlen.
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11. März 2007
von Tom Levold
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Die Kunst des Lächelns

Eva Bänninger-Huber, Psychologie-Professorin in Innsbruck und neue systemagazin-Autorin, befasst sich schon lange mit Mikroanalysen affektiver Kommunikation, die sie auch auf ihre Bedeutung als Wirkfaktor in der therapeutischen Beziehung hin untersucht. In ihrem Beitrag für die Systemische Bibliothek über das Lächeln („Plädoyer für eine differenzierte Betrachtung zwischenmenschlicher Beziehungsgestaltung“) stellt sie anhand verschiedener Beispiele u.a. auch eigene Forschungsergebnisse zum Thema zusammen und diskutiert die Bedeutung des Lächelns für die Regulation der sozialen Interaktion von Erwachsenen (auch in therapeutischen Prozessen) dar: „Therapeutische Interaktionen können mit Hilfe von Konzepten aus der Emotionsforschung besser verstanden werden. Andererseits ist die therapeutische Interaktion eine günstige Situation, um grundlegende emotionale Prozesse zu erforschen, weil das therapeutische Denken und Handeln sowohl die intrapsychische als auch die interaktive Perspektive kennt und berücksichtigt. Die differenzierte Beschreibung der therapeutischen Interaktion soll nicht nur dabei helfen, dem Therapeuten vertraute Phänomene zu erfassen, sondern darüber hinaus neue Zusammenhänge zu finden und dadurch das „therapeutische Auge“ weiter zu schärfen. Erst wenn besser verstanden wird, wie und mit welchen Mitteln eine therapeutische Interaktion von den beiden Beteiligten – intendierterweise oder nicht – gestaltet wird, können Aussagen darüber gemacht werden, worin die Wirksamkeit psychotherapeutischen Handelns begründet ist“
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10. März 2007
von Tom Levold
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Bateson, Mead und die Macy-Conferences

Gregory Bateson und Margaret Mead trafen sich 1932 in Neu-Guinea, wo sie beide ethnologische Feldforschungen durchführten. Sie heirateten 1936, bekamen 1939 eine gemeinsame Tochter, Mary Catherine Bateson, trennten sich aber später. Dies hielt sich nicht ab, bis zum Ende ihres Lebens miteinander freundschaftlich verbunden zu bleiben. Beide waren an der Entwicklung und Durchführung der berühmten Macy Conferences in den Jahren 1947-1953 beteiligt, die zum wissenschaftlichen Durchbruch der Kybernetik wesentlich beigetragen haben und zu der Heinz von Foerster später als Sekretär und Organisator hinzustieß. Stewart Brand führte 1976 für die Zeitschrift„CoEvolutionary Quarterly“ ein Interview mit Margaret Mead und Gregory Bateson über die Initialphase der Macy-Konferenzen durch. Zu diesem Zeitpunkt war Mead 75, Bateson 72. Es offenbart nicht nur ungewöhnliche Einblicke in die Aufbruchstimmung der damaligen Jahre, sondern auch in eine auch zum damaligen Zeitpunkt immer noch lebendige, widerspruchsfreudige und anregende Beziehung zweier außergewöhnlicher Persönlichkeiten.
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