systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

15. April 2007
von Tom Levold
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Im Frühling

Heute kein systemagazin-Eintrag: Zu schön der sommerliche Schluss der Osterferien, als dass man hätte arbeiten können. Aber doch noch ein Frühlingsgedicht:

Hier lieg ich auf dem Frühlingshügel:
Die Wolke wird mein Flügel,
Ein Vogel fliegt mir voraus.
Ach, sag mir, all-einzige Liebe,
Wo du bleibst, daß ich bei dir bliebe!
Doch du und die Lüfte, ihr habt kein Haus.
Der Sonnenblume gleich steht mein Gemüte offen,
Sehnend,
Sich dehnend
In Lieben und Hoffen.
Frühling, was bist du gewillt?
Wann werd ich gestillt?
Die Wolke seh ich wandeln und den Fluß,
Es dringt der Sonne goldner Kuß
Mir tief ins Geblüt hinein;
Die Augen, wunderbar berauschet,
Tun, als schliefen sie ein,
Nur noch das Ohr dem Ton der Biene lauschet.
Ich denke dies und denke das,
Ich sehne mich, und weiß nicht recht, nach was;
Halb ist es Lust, halb ist es Klage;
Mein Herz, o sage,
Was webst du für Erinnerung
In golden grüner Zweige Dämmerung?
– Alte unnennbare Tage!

Eduard Mörike

14. April 2007
von Tom Levold
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Die Überschneidungen von Systemtheorie und Grounded Theory

In der qualitativen Sozialforschung hat sich der Ansatz der„Grounded Theory“, der von Anselm Strauss und Barney Glaser repräsentiert wird, weithin Ansehen verschafft. In einer Arbeit für die Open Access-Zeitschrift„Qualitative Sociological Review“ 2005 haben Barry Gibson, Jane Gregory und Peter G. Robinson versucht, die Schnittstellen der Grounded Theory mit der Systemtheorie Niklas Luhmanns herauszuarbeiten. In ihrem abstract heißt es:„The aim of this paper is to outline how a theoretical intersection between systems theory and grounded theory could be articulated. The paper proceeds by marking that the important difference between systems theory and grounded theory is primarily reflected in the distinction between a revision of social theory on the one hand and the generation of theory for the social world on the other. It then explores figures of thought in philosophy that relate closely to aspects of Luhmann’s theory of social systems. An effectual intersection, an operational intersection, an intersection based on the concept of primary redundancy and a global/transcendental intersection between systems theory and grounded theory are proposed. The paper then goes on to briefly outline several methodological consequences of the intersection for a grounded systems methodology. It concludes by discussing the sort of knowledge for the social world that is likely to emerge from this mode of observation“
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13. April 2007
von Tom Levold
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Familienpolitik als hot topic

Familienpolitik ist derzeit in aller Munde. Ein Grund für die Herausgeber der Familiendynamik, sich mit den unterschiedlichen (oder ähnlichen) familienpolitischen Konzepten zu beschäftigen. Das neue Heft versammelt einen Überblick der familienpolitischen Programme aller im Bundestag vertretenen Parteien mit dem Ziel, einen„kritischen, auch kontroversen Dialog zwischen Familienpolitik und Familienexperten anzustoßen“ (104). Das wäre nun für sich genommen keine besonders hinreißende Lektüre, da die Programme genau das liefern, was man von Politikerprogrammen erwarten kann. Interessant ist aber die Rahmung der Texte, die sich die Herausgeber haben einfallen lassen. In einem ersten Beitrag macht der Familiensoziologe Hans Bertram, der Vorsitzende der Sachverständigenkommission zum 7. Familienbericht der Bundesregierung, darauf aufmerksam, dass junge Erwachsene heute im Gegensatz zu ihren Eltern angesichts der gegenwärtigen Anforderungen an Ausbildung, Beruf und Karriere nur halb so viel Zeit für die familiäre Zukunftsgestaltung bis zum 35. Lebensjahr haben, sich sozusagen in einer Rushhour des Lebens befinden. Die Zukunft der Familie hängt Bertram zufolge auch und vor allem von einem gelingendem gesellschaftlichen Umgang mit (Entwicklungs-)Zeit ab. Kurt Ludewig macht in einem engagierten Beitrag deutlich, dass die wirklich Benachteiligten von den gegenwärtigen Initiativen zur Förderung der Familie wahrscheinlich wenig profitieren werden:„Das Kindeswohl als Grundprämisse familienpolitischen Planens und Handelns anzusetzen ist nur dann sinnvoll, wenn dieser abstrakte Wert, der nur im jeweiligen Kontext verbindlichen Normcharakter gewinnen kann, nicht auf das reduziert wird, was die gebildete deutsche Mittelklasse dafür hält“ (122). Als dritter rahmender Beitrag fungiert ein in Anlehnung an einen Begriff von Bateson„Metalog“ genanntes Gespräch zwischen Oliver und Tomke König. Tomke König ist Soziologin und habilitiert derzeit zum Thema häusliche Arbeitsteilung an der Universität Basel, ihr Mann ist ebenfalls Soziologe und arbeitet in freier Praxis als Gruppentherapeut und Supervisor. Beide versuchen in ihrem Gespräch, den Politiker-Texten textimmanent auf den Zahn zu fühlen und zu erschließen, welche impliziten Problemdefinitionen den vorgestellten Lösungsangeboten zugrunde liegen. Darüber hinaus reflektieren sie aber auch ihre persönliche Situation als„junges Paar“ und vergleichsweise„alte Eltern“, die gerade ein anspruchsvolles Zeitmanagement mit einem Neugeborenen zu bewältigen haben. Ein interessantes Heft!
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12. April 2007
von Tom Levold
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Das Schweigen in Organisationen

Es ist mittlerweile ein Allgemeinplatz geworden, dass die interprofessionelle Zusammenarbeit in Organisationen aller Art von einer offenen und nicht anklagenden Kommunikation über Fehler und Schwierigkeiten bei der Arbeit profitieren kann. Umgekehrt blockiert das Schweigen über Probleme und Fehler (aus welchen Gründen auch immer) nicht nur die Verbesserung der Zusammenarbeit, sondern ist in bestimmten Feldern ausgesprochen gefährlich, etwa in Krankenhäusern. Bekannt ist, dass bei dem weitaus größten Anteil von Todesfällen Patienten nicht an den Krankheiten sterben, wegen derer sie ins Krankenhaus gekommen sind. In der Zeitschrift„Health Services Research“ (8/06) ist ein interessanter Artikel von Kerm Henriksen und Elizabeth Dayton aus Rockville (Maryland) erschienen, der sich mit dem Schweigen in der Organisation und den damit verbundenen Gefährdungen der Patientensicherheit beschäftigt. Blackwell Publishing hat diesen Artikel, der auch über Krankenhaus-Organisationen hinaus von Interesse ist, online freigegeben. In der Zusammenfassung schreiben die Autoren:
„Organizational silence refers to a collective-level phenomenon of saying or doing very little in response to significant problems that face an organization. The paper focuses on some of the less obvious factors contributing to organizational silence that can serve as threats to patient safety. Converging areas of research from the cognitive, social, and organizational sciences and the study of sociotechnical systems help to identify some of the underlying factors that serve to shape and sustain organizational silence. These factors have been organized under three levels of analysis: (1) individual factors, including the availability heuristic, self-serving bias, and the status quo trap; (2) social factors, including conformity, diffusion of responsibility, and microclimates of distrust; and (3) organizational factors, including unchallenged beliefs, the good provider fallacy, and neglect of the interdependencies. Finally, a new role for health care leaders and managers is envisioned. It is one that places high value on understanding system complexity and does not take comfort in organizational silence“
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11. April 2007
von Tom Levold
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Die Funktionalität der Alkoholabhängigkeit auf dem Hintergrund mehrgenerationaler familiärer Muster

So lautet der Titel der Dissertation von Brigitte Gemeinhardt, systemische Psychotherapeutin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg–Eppendorf aus dem Jahre 2005.„Die zentrale Fragestellung der vorliegenden Arbeit ist die nach der Funktionalität des Symptoms der Alkoholabhängigkeit in der Mehrgenerationenperspektive auf verschiedenen Ebenen des familiären Systems. Die Betrachtung der den familiären Strukturen zugrunde liegenden Muster ist dabei ein wesentlicher Schritt zur Beantwortung dieser Fragestellung. Es wurde erwartet, dass die Ergebnisse zur Formulierung einer Theorie bezüglich der Funktionalitäten der Abhängigkeitserkrankung über die Generationen beitragen können. Zur Beantwortung dieser Fragestellung wurden die Muster in den Herkunftsfamilien von sechs Patienten mit einer Alkoholabhängigkeit betrachtet. Die Betroffenen befanden sich zum Zeitpunkt der Datenerhebung in der stationären Behandlung zum qualifizierten Alkoholentzug. Das Genogramm, ein in Therapie und Diagnostik etabliertes Instrument zur Strukturierung mehrgenerationaler Daten diente als Erhebungsinstrument. Die Ergebnisse zeigen in allen Biografien eine Funktionalität der Alkoholabhängigkeit auf unterschiedlichen Ebenen auf. Diese sind im Gesamtzusammenhang einzigartig, in vielen Facetten jedoch vergleichbar und stellen sich in einer großen Variationsbreite dar. So stellt die Erkenntnis, dass das Symptom der Suchtmittelabhängigkeit im familiär systemischen Kontext sowohl eine individuelle als auch eine familiäre bzw. beziehungsgestaltende Funktion einnehmen kann, ein wichtiges Ergebnis dar. Ein Symptom kann hier auch – im systemischen Sinne – generell von anderen Familienmitgliedern übernommen, quasi „vererbt“ werden. In einer Gesamtbetrachtung lassen die Ergebnisse verschiedene Schlüsse zu, die auf andere Familien von alkoholkranken Patienten übertragbar scheinen“
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10. April 2007
von Tom Levold
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Supervision in sich verändernden Organisationen – zwischen Anbieterkompetenz und Nutzererwartung

Am 2. und 3. März 2007 versammelten sich im Berliner Hotel Alexanderplatz, das sich irritierenderweise nicht am Alexanderplatz, sondern allenfalls in seiner „näheren Umgebung“ befindet, ansonsten aber ein für den Zweck dieser Tagung bestens geeignet war, über 200 Supervisorinnen und Supervisoren der unterschiedlichsten Fachverbände zur zweiten Tagung des „Verbändeforum Supervision“. Das Verbändeforum ist ein lockerer Zusammenschluss mehrerer Berufs- und Fachverbände, der zur Förderung des Austausches über Verbandsperspektiven hinweg dienen soll. Die Tagung wurde mit einem Vortrag von Rudi Wimmer (Foto) eröffnet. Für den erkrankten Wolfgang Looss sprang spontan und souverän Heidi Möller (Innsbruck) ein. Die Evaluation der Tagung zeigte, dass Thema, Referenten und das Tagungsambiente gut bei den TeilnehmerInnen angekommen sind. Tom Levold hat einen Tagungsbericht geschrieben.
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9. April 2007
von Tom Levold
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Forcierte Ambivalenzen. Ehescheidung als Herausforderung an die Generationenbeziehungen unter Erwachsenen

Unter diesem Titel haben die Familiensoziologen Kurt Lüscher und Brigitte Pajung-Bilger 1998 eine ausgezeichnete, wenngleich derzeit nur noch antiquarisch erhältliche Untersuchung vorgelegt, in denen in„Interviews mit Geschiedenen und deren Eltern oder Kindern, ein Dreigenerationenmodell also, in dem immer zwei Generationen aus ihren jeweiligen Perspektiven zu den durch die Scheidung ausgelösten Prozessen befragt werden“ Oliver König schreibt 2000 in einer ausführlichen Besprechung:„Therapeuten wird es nicht verwundern, daß hier schon einige Zugangsprobleme auftauchen, signalisiert doch die Bereitschaft, über eine Scheidung mit einem Forscher zu reden, schon eine in Ansätzen reflexionsbereite Haltung und damit einen bestimmten Umgang mit der Scheidung. Für eine qualitative Forschung, die Struktur und Dynamik und nicht Repräsentativität im Auge hat, ist dies aber zweitrangig. Die zum Teil in direkter Gegenüberstellung dokumentierten Interviews und die in ihnen zur Geltung kommenden Deutungsmuster werden als Handlungsmaximen aufgefaßt, die sich aus der Spannung zwischen ,der normativen, institutionellen und der subjektiven, beziehungsgeschichtlichen Dimension sozialer Beziehungen‘ ergeben. Diese Deutungsmuster werden in einem Vierfelderschema über zwei Dimensionen differenziert“ Nach einer genauen Darstellung dieser Deutungsmuster fasst König resümierend zusammen:„Für die (Familien)Therapie bieten die Überlegungen der Autoren vielfältige anschlussfähige Ideen, z.B. für eine sozialwissenschaftlich, d.h. konsequent interpersonell orientierte Diagnostik, und zudem eine empirische Bestätigung für viele Annahmen der mehrgenerationalen Therapie. Besonders lesenswert sind die vielen Falldarstellungen, die im Gegensatz zu den üblicherweise in der psychotherapeutischen Literatur vorliegenden stark theoriegesättigt sind und in denen dennoch die interpretativen Verdichtungen individueller Geschichten beispielhaft nachvollzogen werden können“
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8. April 2007
von Tom Levold
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Zugänge zu familiären Wirklichkeiten

Zum 25jährigen Jubiläum des Instituts für Familientherapie Weinheim im Jahre 2000 brachte die Zeitschrift systhema ein bereits 1995 erstmals erschienenes Sonderheft der mit dem Titel„Zugänge zu familiären Wirklichkeiten. Eine Einführung in die Welt der systemischen Familientherapie“ heraus, das von den Autoren Arist von Schlippe, Haja Molter und Norbert Böhmer als Beiheft zu ihrem gleichnamigen Einführungsfilm in das Thema gedacht war. Der Film erschien als Produktion der Video-Cooperative Ruhr, das Heft, das auf 48 Seiten einen leicht verständlichen Überblick über die Basics des systemischen Ansatzes gibt, steht als Download kostenlos zur Verfügung, und zwar
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7. April 2007
von Tom Levold
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TZI und systemischeTherapie: spielend kreative Lösungen (er-)finden

In der Systemischen Bibliothek erscheint heute eine Arbeit von Alexander Trost aus dem Jahre 1998. Der Autor schreibt:„Der folgende Aufsatz ist aus der persönlichen und beruflichen Verknüpfung von TZI und systemischem Denken und Handeln während der letzten 8 Jahre entstanden. Konkreter Anlaß für einen Vergleich war eine Arbeitsgruppe beim Internationalen Austauschworkshop 1995 in Wien. Nach einem kurzen Abriß der Charakteristika von TZI und systemischer Arbeit stelle ich beide Ansätze anhand eines wissenschaftstheoretischen Modells gegenüber, um dann ihren jeweiligen Beitrag zum Erreichen spielerischer Lösungen in Problemsituationen herauszuarbeiten. Den Abschluß bildet eine Darstellung der Lösungsorientierten Kurztherapie nach de Shazer, verbunden mit der Fragestellung, wie diese auch von der TZI genutzt werden kann … (oder schon genutzt wird???)“
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6. April 2007
von Tom Levold
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Bush begnadigt Guantanamo-Häftlinge



Einen Tag, nachdem der iranische Präsident Ahmadinedschad die 15 britischen Gefangenen begnadigt und in die Freiheit entlassen hat, verkündete der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, George W. Bush, im Gegenzug überraschend die Begnadigung und Freilassung aller 510 Inhaftierten des Konzentrationslagers Guantanamo. Gleichzeitig verlieh er Tapferkeitsmedaillen an alle Beschäftigten des Lagers, die„im unermüdlichen Einsatz für die Verteidigung der Vereinigten Staaten auch gegen den Widerstand der Weltgemeinschaft nicht vor dem Einsatz notwendiger harter Verhörmethoden zurückgeschreckt“ seien. Von Quellen des Weißen Hauses, die ungenannt bleiben wollten, war zu vernehmen, dass Präsident Bush von der Friedensinitiative des Iran tief beeindruckt sei und seine Berater mit einer grundlegenden Kurskorrektur beauftragt habe. Die Verleihung der Tapferkeitsmedaillen diene in erster Linie dem Versuch, einen Gesichtsverlust der USA zu vermeiden.
Die Gefängnisbauten in Guantanamo werden demnächst nach Auskunft der US-Regierung von einem großen internationalen Touristik-Unternehmen übernommen, das die Gebäude im wesentlichen erhalten und in einen Freizeitpark umwandeln möchte. Einer so erlebnishungrigen wie zahlungskräftigen Kundschaft soll hier zukünftig die Möglichkeit gegeben werden, den Thrill„harter Verhörmethoden“ in zwei- bis dreiwöchigen Aufenthalten am eigenen Leibe erleben zu können. Dieses Konzept erlaube es, bei minimalem Service-Aufwand so viel militärisches Personal wie möglich zu übernehmen und gleichzeitig potentielle Anleger mit einer attraktiven Guantanamo-Rendite überzeugen zu können. Internen Meldungen zufolge soll Präsident Bush nicht abgeneigt sein, nach dem Ende seiner Präsidentschaft in den Aufsichtsrat des Guantanamo-Holiday-Center zu wechseln.

5. April 2007
von Tom Levold
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Niklas Luhmann über 68er, Theorieprobleme und Politik

In einem längeren Interview von 1993, das der Publizist Rudolf Maresch (Foto) mit ihm führte, äußert sich Niklas Luhmann über Fragen, die die praktische und politische Relevanz seiner Theorie für die Probleme der Gegenwart betreffen. Auf die abschließende Frage nach der zukünftigen Rolle der Intellektuellen antwortet er:„Meine Polemik richtet sich gegen die Identifikation des Intellektuellen mit Ideen. Er unterliegt dann immer dem Problem, die Fahnen wechseln zu müssen, wenn diese Ideen aus der Mode kommen wie jetzt die 68er. Als Identität haben sie jetzt nur noch den Protest, den sie über mehr als 20 Jahre konserviert haben. Wenn man die logische, mathematische und philosophische Entwicklung auf Paradoxie oder paradoxe Formen der Begründung hin anstelle eines Prinzips oder einer Einheitsbeschreibung akzeptiert, gibt es nur noch kreative und keine logischen Lösungen mehr. Aus Paradoxien kommt man durch richtiges Argumentieren nicht hinaus. Man muß sich demnach fragen: Gibt es eine Konstruktion, die uns momentan erträglicher erscheint? Der Staat etwa ist ein Paradox, insofern jede Kommunikation, die er macht, das Recht, so zu kommunizieren, zerstört. Mit Paul de Man könnte man formulieren: die performative Seite der Textproduktion widerspricht der konstativen. Was wäre dann eine plausible Staatsform, wenn es sowohl der Wohlfahrtsstaat als auch der Verfassungsstaat nicht mehr bringen? Reizvoller und logisch ungesicherter ist es zu sagen, das Problem scheint sich jetzt auf Weltgesellschaft und auf Risiko zu verlagern. Der Staat muß jedoch eine gute Adresse bleiben. Er muß die Betroffenen von der zeitweisen Annahme von Risiko überzeugen, er muß politische Konflikte ethnischer oder religiöser Art zivilisieren und nicht mehr als Wohlfahrtsstaat bloß distributive Funktionen erfüllen. Ein solches Umdenken erfordert Phantasie, Unbefangenheit und Neugier, also gewisse Eigenschaften, die gemeinhin dem Intellektuellen zugeschrieben werden. Das ständige Rückführen auf Paradoxien und Auflösung von Paradoxien wäre folglich eine zukünftige Aufgabe, die den Intellektuellen nicht auf eine fachspezifische oder rein ökonomische und politische Rolle und auch nicht auf Ideen festlegen würde“
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4. April 2007
von Tom Levold
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stationäre psychotherapie

Die aktuelle Ausgabe von„Psychotherapie im Dialog“ 1/2007 ist der stationären psychotherapeutischen Versorgung gewidmet und beleuchtet schulen-, berufsgruppen- und settingspezifische Aspekte wie auch ihre Einbettung in ökonomische und fachspezifische Kontexte. Die Herausgeber Wolfgang Senf, Volker Köllner und Henning Schauenburg merken in ihrem Editorial an:„Zuallererst kostet stationäre Psychotherapie Geld, das von den Krankenkassen oder von den Rentenversicherungsträgern aufgebracht werden muss. Da wird nicht nur argumentiert, dass das zu teuer sei, sondern auch, dass es stationäre Psychotherapie in dieser Form und diesem Ausmaß nur in Deutschland gebe, und es folgt die Frage, ob dieser Sonderweg effektiv und notwendig sei. … Inzwischen sieht es so aus, als würden die finanziellen und die klinischen Zuständigkeiten zwischen verschiedenen Interessengruppen hin und her geschoben bzw. gezogen. Die Leistungserbringer im System, also Krankenhäuser und Rehabilitationskliniken, tragen konkurrierende Standpunkte vor, wohin nun die stationäre Psychotherapie gehöre: Ist stationäre Psychotherapie Krankenbehandlung oder Rehabilitation? Die Kostenträger streiten sich ebenfalls, nämlich um die Frage, wer was zu bezahlen hat. Das sind Probleme, durch die die Kolleginnen und Kollegen in den psychotherapeutischen Krankenhäusern in den z. T. heftigen Auseinandersetzungen mit den Medizinischen Diensten der Krankenkassen unnötig viel Zeit und Kraft verlieren. Diese Streits um Kostenübernahmen enden oft erst vor den Sozialgerichten, meist im Nachhinein, d. h. nach erbrachter, aber eben nicht bezahlter Leistung.
Warum diese Diskussion in der PiD? Wir denken, wir müssen das Thema aufgreifen. In den Jahrzehnten scheinbar grenzenlosen Wohlstandes und ökonomischen Wachstums unserer Gesellschaft hatten wir, die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten die weltweit einzigartige Chance, die wissenschaftlich begründete Psychotherapie als anerkannte Heilmethode in der medizinischen Versorgung nachhaltig, strukturell zu implementieren. Stichworte sind die ärztliche Approbations- und Weiterbildungsordnung, das Psychotherapeutengesetz für Psychologen sowie das Finanzierungssystem. Qualifizierte Fachpsychotherapie ist unverzichtbarer Bestandteil unserer medizinischen Versorgung. Dies alles erscheint wegen kurzsichtiger, vor allem auch finanzieller Partikularinteressen gefährdet. Und dies betrifft zunächst eben auch die stationäre Psychotherapie.
Lösungen können wir mit diesem Heft wohl kaum bieten, das zeigt die Kontroverse unter Standpunkte, die wir hiermit nur präsentieren können, in der Hoffnung, dass sie zukünftig konstruktiv geführt wird. Wir möchten mit diesem Heft dazu beitragen, dass diese Diskussionen zumindest öffentlich und transparent stattfinden (Um dies in größtmöglicher Weise zu gewährleisten, ist die gesamte Standpunkte-Diskussion im Internet frei zugänglich unter www.thieme.de/pid)“
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