systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

11. April 2007
von Tom Levold
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Die Funktionalität der Alkoholabhängigkeit auf dem Hintergrund mehrgenerationaler familiärer Muster

So lautet der Titel der Dissertation von Brigitte Gemeinhardt, systemische Psychotherapeutin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg–Eppendorf aus dem Jahre 2005.„Die zentrale Fragestellung der vorliegenden Arbeit ist die nach der Funktionalität des Symptoms der Alkoholabhängigkeit in der Mehrgenerationenperspektive auf verschiedenen Ebenen des familiären Systems. Die Betrachtung der den familiären Strukturen zugrunde liegenden Muster ist dabei ein wesentlicher Schritt zur Beantwortung dieser Fragestellung. Es wurde erwartet, dass die Ergebnisse zur Formulierung einer Theorie bezüglich der Funktionalitäten der Abhängigkeitserkrankung über die Generationen beitragen können. Zur Beantwortung dieser Fragestellung wurden die Muster in den Herkunftsfamilien von sechs Patienten mit einer Alkoholabhängigkeit betrachtet. Die Betroffenen befanden sich zum Zeitpunkt der Datenerhebung in der stationären Behandlung zum qualifizierten Alkoholentzug. Das Genogramm, ein in Therapie und Diagnostik etabliertes Instrument zur Strukturierung mehrgenerationaler Daten diente als Erhebungsinstrument. Die Ergebnisse zeigen in allen Biografien eine Funktionalität der Alkoholabhängigkeit auf unterschiedlichen Ebenen auf. Diese sind im Gesamtzusammenhang einzigartig, in vielen Facetten jedoch vergleichbar und stellen sich in einer großen Variationsbreite dar. So stellt die Erkenntnis, dass das Symptom der Suchtmittelabhängigkeit im familiär systemischen Kontext sowohl eine individuelle als auch eine familiäre bzw. beziehungsgestaltende Funktion einnehmen kann, ein wichtiges Ergebnis dar. Ein Symptom kann hier auch – im systemischen Sinne – generell von anderen Familienmitgliedern übernommen, quasi „vererbt“ werden. In einer Gesamtbetrachtung lassen die Ergebnisse verschiedene Schlüsse zu, die auf andere Familien von alkoholkranken Patienten übertragbar scheinen“
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10. April 2007
von Tom Levold
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Supervision in sich verändernden Organisationen – zwischen Anbieterkompetenz und Nutzererwartung

Am 2. und 3. März 2007 versammelten sich im Berliner Hotel Alexanderplatz, das sich irritierenderweise nicht am Alexanderplatz, sondern allenfalls in seiner „näheren Umgebung“ befindet, ansonsten aber ein für den Zweck dieser Tagung bestens geeignet war, über 200 Supervisorinnen und Supervisoren der unterschiedlichsten Fachverbände zur zweiten Tagung des „Verbändeforum Supervision“. Das Verbändeforum ist ein lockerer Zusammenschluss mehrerer Berufs- und Fachverbände, der zur Förderung des Austausches über Verbandsperspektiven hinweg dienen soll. Die Tagung wurde mit einem Vortrag von Rudi Wimmer (Foto) eröffnet. Für den erkrankten Wolfgang Looss sprang spontan und souverän Heidi Möller (Innsbruck) ein. Die Evaluation der Tagung zeigte, dass Thema, Referenten und das Tagungsambiente gut bei den TeilnehmerInnen angekommen sind. Tom Levold hat einen Tagungsbericht geschrieben.
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9. April 2007
von Tom Levold
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Forcierte Ambivalenzen. Ehescheidung als Herausforderung an die Generationenbeziehungen unter Erwachsenen

Unter diesem Titel haben die Familiensoziologen Kurt Lüscher und Brigitte Pajung-Bilger 1998 eine ausgezeichnete, wenngleich derzeit nur noch antiquarisch erhältliche Untersuchung vorgelegt, in denen in„Interviews mit Geschiedenen und deren Eltern oder Kindern, ein Dreigenerationenmodell also, in dem immer zwei Generationen aus ihren jeweiligen Perspektiven zu den durch die Scheidung ausgelösten Prozessen befragt werden“ Oliver König schreibt 2000 in einer ausführlichen Besprechung:„Therapeuten wird es nicht verwundern, daß hier schon einige Zugangsprobleme auftauchen, signalisiert doch die Bereitschaft, über eine Scheidung mit einem Forscher zu reden, schon eine in Ansätzen reflexionsbereite Haltung und damit einen bestimmten Umgang mit der Scheidung. Für eine qualitative Forschung, die Struktur und Dynamik und nicht Repräsentativität im Auge hat, ist dies aber zweitrangig. Die zum Teil in direkter Gegenüberstellung dokumentierten Interviews und die in ihnen zur Geltung kommenden Deutungsmuster werden als Handlungsmaximen aufgefaßt, die sich aus der Spannung zwischen ,der normativen, institutionellen und der subjektiven, beziehungsgeschichtlichen Dimension sozialer Beziehungen‘ ergeben. Diese Deutungsmuster werden in einem Vierfelderschema über zwei Dimensionen differenziert“ Nach einer genauen Darstellung dieser Deutungsmuster fasst König resümierend zusammen:„Für die (Familien)Therapie bieten die Überlegungen der Autoren vielfältige anschlussfähige Ideen, z.B. für eine sozialwissenschaftlich, d.h. konsequent interpersonell orientierte Diagnostik, und zudem eine empirische Bestätigung für viele Annahmen der mehrgenerationalen Therapie. Besonders lesenswert sind die vielen Falldarstellungen, die im Gegensatz zu den üblicherweise in der psychotherapeutischen Literatur vorliegenden stark theoriegesättigt sind und in denen dennoch die interpretativen Verdichtungen individueller Geschichten beispielhaft nachvollzogen werden können“
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8. April 2007
von Tom Levold
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Zugänge zu familiären Wirklichkeiten

Zum 25jährigen Jubiläum des Instituts für Familientherapie Weinheim im Jahre 2000 brachte die Zeitschrift systhema ein bereits 1995 erstmals erschienenes Sonderheft der mit dem Titel„Zugänge zu familiären Wirklichkeiten. Eine Einführung in die Welt der systemischen Familientherapie“ heraus, das von den Autoren Arist von Schlippe, Haja Molter und Norbert Böhmer als Beiheft zu ihrem gleichnamigen Einführungsfilm in das Thema gedacht war. Der Film erschien als Produktion der Video-Cooperative Ruhr, das Heft, das auf 48 Seiten einen leicht verständlichen Überblick über die Basics des systemischen Ansatzes gibt, steht als Download kostenlos zur Verfügung, und zwar
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7. April 2007
von Tom Levold
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TZI und systemischeTherapie: spielend kreative Lösungen (er-)finden

In der Systemischen Bibliothek erscheint heute eine Arbeit von Alexander Trost aus dem Jahre 1998. Der Autor schreibt:„Der folgende Aufsatz ist aus der persönlichen und beruflichen Verknüpfung von TZI und systemischem Denken und Handeln während der letzten 8 Jahre entstanden. Konkreter Anlaß für einen Vergleich war eine Arbeitsgruppe beim Internationalen Austauschworkshop 1995 in Wien. Nach einem kurzen Abriß der Charakteristika von TZI und systemischer Arbeit stelle ich beide Ansätze anhand eines wissenschaftstheoretischen Modells gegenüber, um dann ihren jeweiligen Beitrag zum Erreichen spielerischer Lösungen in Problemsituationen herauszuarbeiten. Den Abschluß bildet eine Darstellung der Lösungsorientierten Kurztherapie nach de Shazer, verbunden mit der Fragestellung, wie diese auch von der TZI genutzt werden kann … (oder schon genutzt wird???)“
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6. April 2007
von Tom Levold
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Bush begnadigt Guantanamo-Häftlinge



Einen Tag, nachdem der iranische Präsident Ahmadinedschad die 15 britischen Gefangenen begnadigt und in die Freiheit entlassen hat, verkündete der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, George W. Bush, im Gegenzug überraschend die Begnadigung und Freilassung aller 510 Inhaftierten des Konzentrationslagers Guantanamo. Gleichzeitig verlieh er Tapferkeitsmedaillen an alle Beschäftigten des Lagers, die„im unermüdlichen Einsatz für die Verteidigung der Vereinigten Staaten auch gegen den Widerstand der Weltgemeinschaft nicht vor dem Einsatz notwendiger harter Verhörmethoden zurückgeschreckt“ seien. Von Quellen des Weißen Hauses, die ungenannt bleiben wollten, war zu vernehmen, dass Präsident Bush von der Friedensinitiative des Iran tief beeindruckt sei und seine Berater mit einer grundlegenden Kurskorrektur beauftragt habe. Die Verleihung der Tapferkeitsmedaillen diene in erster Linie dem Versuch, einen Gesichtsverlust der USA zu vermeiden.
Die Gefängnisbauten in Guantanamo werden demnächst nach Auskunft der US-Regierung von einem großen internationalen Touristik-Unternehmen übernommen, das die Gebäude im wesentlichen erhalten und in einen Freizeitpark umwandeln möchte. Einer so erlebnishungrigen wie zahlungskräftigen Kundschaft soll hier zukünftig die Möglichkeit gegeben werden, den Thrill„harter Verhörmethoden“ in zwei- bis dreiwöchigen Aufenthalten am eigenen Leibe erleben zu können. Dieses Konzept erlaube es, bei minimalem Service-Aufwand so viel militärisches Personal wie möglich zu übernehmen und gleichzeitig potentielle Anleger mit einer attraktiven Guantanamo-Rendite überzeugen zu können. Internen Meldungen zufolge soll Präsident Bush nicht abgeneigt sein, nach dem Ende seiner Präsidentschaft in den Aufsichtsrat des Guantanamo-Holiday-Center zu wechseln.

5. April 2007
von Tom Levold
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Niklas Luhmann über 68er, Theorieprobleme und Politik

In einem längeren Interview von 1993, das der Publizist Rudolf Maresch (Foto) mit ihm führte, äußert sich Niklas Luhmann über Fragen, die die praktische und politische Relevanz seiner Theorie für die Probleme der Gegenwart betreffen. Auf die abschließende Frage nach der zukünftigen Rolle der Intellektuellen antwortet er:„Meine Polemik richtet sich gegen die Identifikation des Intellektuellen mit Ideen. Er unterliegt dann immer dem Problem, die Fahnen wechseln zu müssen, wenn diese Ideen aus der Mode kommen wie jetzt die 68er. Als Identität haben sie jetzt nur noch den Protest, den sie über mehr als 20 Jahre konserviert haben. Wenn man die logische, mathematische und philosophische Entwicklung auf Paradoxie oder paradoxe Formen der Begründung hin anstelle eines Prinzips oder einer Einheitsbeschreibung akzeptiert, gibt es nur noch kreative und keine logischen Lösungen mehr. Aus Paradoxien kommt man durch richtiges Argumentieren nicht hinaus. Man muß sich demnach fragen: Gibt es eine Konstruktion, die uns momentan erträglicher erscheint? Der Staat etwa ist ein Paradox, insofern jede Kommunikation, die er macht, das Recht, so zu kommunizieren, zerstört. Mit Paul de Man könnte man formulieren: die performative Seite der Textproduktion widerspricht der konstativen. Was wäre dann eine plausible Staatsform, wenn es sowohl der Wohlfahrtsstaat als auch der Verfassungsstaat nicht mehr bringen? Reizvoller und logisch ungesicherter ist es zu sagen, das Problem scheint sich jetzt auf Weltgesellschaft und auf Risiko zu verlagern. Der Staat muß jedoch eine gute Adresse bleiben. Er muß die Betroffenen von der zeitweisen Annahme von Risiko überzeugen, er muß politische Konflikte ethnischer oder religiöser Art zivilisieren und nicht mehr als Wohlfahrtsstaat bloß distributive Funktionen erfüllen. Ein solches Umdenken erfordert Phantasie, Unbefangenheit und Neugier, also gewisse Eigenschaften, die gemeinhin dem Intellektuellen zugeschrieben werden. Das ständige Rückführen auf Paradoxien und Auflösung von Paradoxien wäre folglich eine zukünftige Aufgabe, die den Intellektuellen nicht auf eine fachspezifische oder rein ökonomische und politische Rolle und auch nicht auf Ideen festlegen würde“
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4. April 2007
von Tom Levold
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stationäre psychotherapie

Die aktuelle Ausgabe von„Psychotherapie im Dialog“ 1/2007 ist der stationären psychotherapeutischen Versorgung gewidmet und beleuchtet schulen-, berufsgruppen- und settingspezifische Aspekte wie auch ihre Einbettung in ökonomische und fachspezifische Kontexte. Die Herausgeber Wolfgang Senf, Volker Köllner und Henning Schauenburg merken in ihrem Editorial an:„Zuallererst kostet stationäre Psychotherapie Geld, das von den Krankenkassen oder von den Rentenversicherungsträgern aufgebracht werden muss. Da wird nicht nur argumentiert, dass das zu teuer sei, sondern auch, dass es stationäre Psychotherapie in dieser Form und diesem Ausmaß nur in Deutschland gebe, und es folgt die Frage, ob dieser Sonderweg effektiv und notwendig sei. … Inzwischen sieht es so aus, als würden die finanziellen und die klinischen Zuständigkeiten zwischen verschiedenen Interessengruppen hin und her geschoben bzw. gezogen. Die Leistungserbringer im System, also Krankenhäuser und Rehabilitationskliniken, tragen konkurrierende Standpunkte vor, wohin nun die stationäre Psychotherapie gehöre: Ist stationäre Psychotherapie Krankenbehandlung oder Rehabilitation? Die Kostenträger streiten sich ebenfalls, nämlich um die Frage, wer was zu bezahlen hat. Das sind Probleme, durch die die Kolleginnen und Kollegen in den psychotherapeutischen Krankenhäusern in den z. T. heftigen Auseinandersetzungen mit den Medizinischen Diensten der Krankenkassen unnötig viel Zeit und Kraft verlieren. Diese Streits um Kostenübernahmen enden oft erst vor den Sozialgerichten, meist im Nachhinein, d. h. nach erbrachter, aber eben nicht bezahlter Leistung.
Warum diese Diskussion in der PiD? Wir denken, wir müssen das Thema aufgreifen. In den Jahrzehnten scheinbar grenzenlosen Wohlstandes und ökonomischen Wachstums unserer Gesellschaft hatten wir, die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten die weltweit einzigartige Chance, die wissenschaftlich begründete Psychotherapie als anerkannte Heilmethode in der medizinischen Versorgung nachhaltig, strukturell zu implementieren. Stichworte sind die ärztliche Approbations- und Weiterbildungsordnung, das Psychotherapeutengesetz für Psychologen sowie das Finanzierungssystem. Qualifizierte Fachpsychotherapie ist unverzichtbarer Bestandteil unserer medizinischen Versorgung. Dies alles erscheint wegen kurzsichtiger, vor allem auch finanzieller Partikularinteressen gefährdet. Und dies betrifft zunächst eben auch die stationäre Psychotherapie.
Lösungen können wir mit diesem Heft wohl kaum bieten, das zeigt die Kontroverse unter Standpunkte, die wir hiermit nur präsentieren können, in der Hoffnung, dass sie zukünftig konstruktiv geführt wird. Wir möchten mit diesem Heft dazu beitragen, dass diese Diskussionen zumindest öffentlich und transparent stattfinden (Um dies in größtmöglicher Weise zu gewährleisten, ist die gesamte Standpunkte-Diskussion im Internet frei zugänglich unter www.thieme.de/pid)“
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3. April 2007
von Tom Levold
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Paul Watzlawick ist gestorben

Paul Watzlawick ist am 31. März 2007 in Palo Alto, Kalifornien, nach einer schweren und langwierigen Krankheit im Alter von 85 Jahren gestorben. Nach einem Studium der Philosophie und moderner Sprachen an der Universität Venedig machte er von 1950 bis 1954 eine psychotherapeutische Ausbildung am C.G.Jung-Institut in Zürich. Von 1957 bis 1960 nahm er eine Professur für Psychotherapie in El Salvador. Ab 1960 war er Mitglied des Mental Research Instituts (MRI) in Palo Alto, von wo aus er durch viele Veröffentlichungen und zahllose Vorträge weltweit wirkte. Andrea Brandl-Nebehay formuliert im„personenlexikon psychotherapie“:„Watzlawicks Verdienst besteht vor allem darin, die sprühenden Ideen der Forschergruppe in Palo Alto (Gregory Bateson, Don Jackson, John Weakland, Jay Haley u.a.) formuliert, mit Beispielen aus der Literatur und Fallbeispielen versehen und so einem weiten Publikum verständlich gemacht zu haben“ (497). Diese Stärke offenbart sich nach wie vor in den enormen Verkaufszahlen seiner Bücher. Seine„Anleitung zum Unglücklichsein“ ist in der deutschen Fassung bereit in 23 Auflagen erschienen und gehört gegenwärtig zu den meistverkauften Büchern überhaupt. Im systemagazin sind ausführliche Besprechungen seines Klassikers„Menschliche Kommunikation“ (von Hildegard Katschnig und Kurt Ludewig) zu finden.
Wendel A. Ray, Professor für Family Systems Theory an der Universität Louisiana und Senior Research Fellow am MRI hat einen von der Familie Paul Watzlawicks autorisierten Nachruf verfasst, der dankenswerterweise von Monika Broecker ins Deutsche übersetzt wurde:

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2. April 2007
von Tom Levold
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Zur Krankenbehandlung ins Krankenhaus

Dirk Baecker ist auf der Suche nach dem„guten Krankenhaus“ von morgen, das er in einem„einem ebenso differenzierten wie unübersichtlichen Netzwerk der Krankenbehandlung“ platziert sieht. Sein Beitrag, dessen Manuskript auf seiner Website zu lesen ist, erscheint im April 2007 in einem von Irmhild Saake und Werber Vogd herausgegebenen Band„Moderne Mythen der Medizin. Probleme der organisierten Medizin“, der im Verlag für Sozialwissenschaften veröffentlicht wird. Das Resümee seines Textes:„Unsere hier vorgestellten Überlegungen zu den Variablen des Körperzustands, der Körperveränderung, der Interaktion, der Organisation und der Gesellschaft haben nicht zuletzt den Zweck, ein genaueres Beobachten der Art und Weise zu ermöglichen, wie auf dem Feld der Suche nach dem guten Krankenhaus die Karten neu gemischt werden. In dieser Hinsicht mag es verblüffen und beruhigen, dass der oft allzu verkürzt unter den Stichworten des benchmarking und der evaluation laufende Prozess einer globalen Ausweitung der Beobachtungshorizonte der Krankenbehandlung im Endeffekt eher auf Formen der Komplexitätsreduktion hinausläuft, die sich lokal durchsetzen lassen, wenn und weil sie sich global bewährt haben. Das benchmarking stellt den immer mitlaufenden Vergleich mit anderen administrativen und medizinischen Lösungen ähnlicher Problemstellungen sicher, wobei bereits in der Arbeit an der Problemstellung ein die Rationalität des Verfahrens sicher stellender Aufwand an Intelligenz stecken kann. Und die Bemühungen um Evaluation stellen sicher, dass einzelne administrative und medizinische Einheiten jene Befähigung zur Selbststeuerung erhalten können, die mit Netzwerkformen der Fremdsteuerung kompatibel sind (…), wobei auch hier gilt, dass die Arbeit an den Kriterien, an denen man sich messen lassen will und muss, bereits jenen Schritt zur Systemrationalität enthält, die es erlaubt, die Selbstkontrolle als ökologische Kontrolle im Netzwerk der unterschiedlichen Umwelten der einzelnen organisatorischen Einheiten zu entfalten. Im vielfach dezentrierten Zentrum des Geschehens steht jedoch nach wie vor das von Talcott Parsons beschriebene Arzt/Patient-Kollektiv (…). Unabhängig davon, wie sich die Netzwerke der Krankenbehandlung entfalten werden, wird es interaktiv, organisational und gesellschaftlich immer darauf ankommen, die Art und Weise zu moderieren, wie sich der Körper des Arztes dem Körper des Patienten nähert, dessen Zustände beschreibt und verändert und sich wieder von ihm löst. Technik und Bürokratie sind die Schnittstellen dieser ebenso körperlichen wie kommunikativen Begegnung, nicht die Bedingung ihrer Unmöglichkeit“
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1. April 2007
von Tom Levold
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Meisner: Rauchverbot verstösst gegen die Religionsfreiheit

Köln, 1.4.2007: In scharfer Form hat sich Joachim Kardinal Meisner gegen ein allgemeines Rauchverbot im Kölner Dom ausgesprochen, von dem auch die jahrhundertealte Praxis des Weihrauchens betroffen wäre. In seiner Predigt zum Palmsonntag gab der 73jährige Kardinal zu, dass er um die Gefahren des Passivweihrauchens wisse, er bestritt aber nachdrücklich, dass die rückläufigen Mitgliederzahlen der katholischen Kirche eine Folge dieser Gesundheitsschädigung sei. Wenn nun erwogen werde, durch eine Änderung des Arbeitsschutzrechts Kirchen zur weihrauchfreien Zone zu machen, sei dies ein Schlag ins Gesicht aller Gläubigen. Auch die Einführung von abgeschlossenen Weihraucherzimmern könne keine Lösung sein, da das Passivweihrauchen in der Gemeinschaft aller Gläubigen fest in der christlichen Kultur verankert sei. “Das Weihrauchen ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Liturgie und gehört zur freien Religionsausübung dazu wie das Vater-Unser und meine Predigten”, sagte Meisner. Vor diesem Hintergrund seien auch Vorschläge, Raucherkirchen zukünftig mit einem “R” zu kennzeichnen, abwegig, da es keine Aufteilung zwischen Raucher- und Nichtraucherkirchen geben dürfe.
Meisner griff erneut Verbraucherminister Seehofer wegen dessen kompromissloser Haltung in der Raucherfrage an. “Wer außereheliche Beziehung unterhält, fügt der Volksgesundheit schon so viel Schaden zu, dass er nicht auch noch das Recht in Anspruch nehmen darf, sich in der Frage des Weihrauchens zu äußern”. Argumente zum Jugendschutz ließ der Kardinal ebenfalls nicht gelten. Die Kirche täte weit mehr als andere gesellschaftliche Institutionen für den Schutz der Jugend. Meisner erinnerte daran, dass der Messwein im Unterschied zur Praxis in der evangelischen Kirche ausschließlich von Priestern getrunken werde. Damit werde den gegenwärtig zu beobachtenden Tendenzen zum exzessiven Alkoholkonsum ein klarer Riegel vorgeschoben. Auch das Bestehen auf der vorehelichen Enthaltsamkeit gegen jeden Zeitgeist mache deutlich, dass die Kirche den Jugendschutz mehr als Ernst nehme und mit großer Zivilcourage betreibe. In diesem Zusammenhang sei das Weihrauchen in der Kirche geradezu als Lappalie anzusehen. Auch wenn es immer wieder einmal im Zusammenhang mit Weihrauchen zu kurzzeitigen Ohnmachten käme, sei doch in der Regel qualifiziertes Personal vorhanden, dass über ausreichende Erfahrung in der Betreuung von Personen mit übermäßigem Weihrauchkonsum verfüge.

1. April 2007
von Tom Levold
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Gerechtigkeit in nahen Beziehungen

Wolfgang Traumüller, neuer systemagazin-Autor, bespricht das Buch von Helm Stierlin aus dem Carl-Auer-Verlag:„Als erfahrener und politisch bewußter Psychoanalytiker ist Stierlin naturgemäß auch Historiker und als Systemiker ein meisterhafter Beleuchter der wechselhaften Szenerien, innerhalb welcher Menschen miteinander abrechnen. Im Wechsel der Beleuchtung nehmen wir wichtige Unterschiede wahr, die Voraussetzungen für das sind, was wir Lernen nennen, auch im sozialen Bereich. Mithilfe seines schon früher entwickelten Konzeptes der auf seine soziale Umwelt ,bezogenen Individuation‘ will uns Stierlin die Rolle der jeweils bedeutsamen Zugehörigkeitssysteme vor Augen führen und mit dem erstmals von Gunther Schmidt ins Spiel gebrachten hypno-systemischen Instrument des ,inneren Parlaments‘, das im Anschluß an Milton Erickson gleichsam die Eröffnung einer Art Konferenzschaltung zwischen allen externalisierten und utilisierten inneren Botschaftern darstellt, den Blick schärfen für die angemessene Ausrichtung unseres Urteilens und Handelns, um uns so vor Entgleisungen und Ver-rechnungen auf dem Beziehungsweg zu schützen. Symptome werden zu Elementen in Verrechnungen. Damit weist er zugleich Wege in Richtung auf ein mehr an Beziehungsgerechtigkeit und ein weniger an leib-seelischen Symptombildungen, die für die Betroffenen erste, aber meist kostspielige Lösungsversuche sind, um aus zugeschnappten Beziehungsfallen zu entkommen“
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31. März 2007
von Tom Levold
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Familienunternehmen

Die gerade erschienene Ausgabe 1/2007 des„Kontext“ beschäftigt sich mit Familienunternehmen. Die Gast-Herausgeber Torsten Groth und Arist von Schlippe schreiben in ihrem Editorial:„Beraterisch oder auch therapeutisch bedeutsam werden Familienunternehmensfamilien insbesondere dadurch, dass ein alleiniger oder auch nur anteiliger Unternehmensbesitz einen erheblichen familiendynamischen Unterschied zu anderen Familien macht. In diesem Themenheft wird daher die These vertreten, dass dieser Unterschied eine andere Aufmerksamkeit verdient als sonstige berufliche Umweltvariablen oder auch Arbeitskontexte. Damit soll keineswegs in Abrede gestellt werden, dass Stress am Arbeitsplatz, Mobbing, fortdauernde oder auch nur drohende Arbeitslosigkeit etc. erhebliche Einflüsse auf die Psychen der betroffenen Personen und deren Familien ausüben und ganz erhebliche Symptomatiken hervorrufen können. Vielmehr wird der Fokus auf Besonderheiten gerichtet, die das Leben der Mitglieder einer Unternehmerfamilie nicht nur im Arbeitsleben sondern von der „Wiege bis zur Bahre“ beeinflussen.
Denn eine Unternehmerfamilie stellt ein soziales System ganz besonderen Zuschnitts dar. Unter Differenzierungsgesichtspunkten trägt dieses System vormoderne Züge. Die Trennung von Haushalt und Betrieb, die Max Weber noch als Motor der Rationalisierung beschrieben hat, und die erst zur Ausbildung der modernen Kleinfamilie geführt hat, ist bei Unternehmerfamilien nicht vollkommen vollzogen. Familie und Unternehmen sind qua Eigentum, oftmals aber auch aufgrund des Tätigseins mehrerer Generationen im eigenen Unternehmen auf engste miteinander verbunden. Dadurch treffen immerfort Unternehmensspielregeln auf Familienspielregeln, kurzfristige Sachentscheidungen auf generationenübergreifende Verrechnungsmodi, Leistungsbewertungen auf Anerkennung und Liebe usw. – Alle Kommunikationsformen, Regeln und Rituale, die sich über mehr als zwei Jahrhunderte als typisch und funktional für ein Unternehmen oder für eine Familie rausgestellt haben, und die eigentlich mehr oder weniger eindeutig dem einen oder dem anderen Sozialsystem zuzurechnen sind, treten in Unternehmerfamilien gleichzeitig auf. Will also die Unternehmerfamilie sich selbst und dem Unternehmen gerecht werden und eine für beide Seiten förderliche Koevolution etablieren, muss sie eine Vielzahl von Konflikten und Dilemmata aushalten“ Im vorliegenden Heft befassen sich neben den Herausgebern noch David J. Klett, Brigitte Gemeinhardt, Cornelia Hennecke und Fritz B. Simon mit diesen Aspekten. In der Rubrik„Klassiker wiedergelesen“ laden Wilhelm Rotthaus und Tom Levold zur (Wieder-)Lektüre von Erving Goffmans Klassiker„Stigma“ ein.
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