systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

22. Juli 2008
von Tom Levold
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edition ferkel: Der Kodex der Chronizität

Frank Farrelly ist als Begründer der„Provokativen Therapie“ bekannt geworden. Bereits 1966, im Alter von 35 Jahren, veröffentlichte er gemeinsam mit Arnold Ludwig einen Artikel über den„Kodex der Chronizität“ in den Archives of General Psychiatry, der von seiner Provokativität nichts eingebüsst hat. Bemerkenswert vor allem ist die kriegerische Sprache, mit der den Konstrukten chronischer Erkrankung zuleibe gerückt wird. Berichtet wird u.a. von einem Projekt, in dem auf einer speziellen Station„chronisch Schizophrene“„normal behandelt“ wurden:„Der LoyalitätsKodex unter Straftätern, Gefängnisinsassen, Kriminellen und gewissen Gruppen unterdrückter Minderheiten ist ein bekanntes Phänomen. Dieser Verhaltenskodex steht nicht nur für die Anerkennung der Werte einer sozial abweichenden Gruppe, er hindert deren Mitglieder vor allem daran, mit Angehörigen anderer Gruppen zu verkehren, insbesondere mit denen, die Macht repräsentieren. Eine Verletzung des Kodex, der zur Ergreifung oder Bestrafung anderer Gruppenmitglieder führt, wird mit großer Wahrscheinlichkeit soziale Ächtung, Spott, physische Bestrafung oder gar den Tod des Verräters zur Folge haben. Mit „Spitzel“, „Drecksau“, „Streber“, „Arschkriecher“, „Schnüffler“ werden solche Personen gebrandmarkt, die mit Vertretern der Macht kooperieren, die für die Kontrolle oder Verhaltensänderung ihrer Gruppe verantwortlich sind. Interessant dabei ist die ambivalente Haltung der Autoritäten solchen Informanten gegenüber. Einerseits sind sie auf diese Leute angewiesen, um an wichtige Informationen zu kommen, andererseits betrachten sie Informanten als verachtungswürdige Verräter. Irgendwie haben also beide Gruppen die abweichende Subkultur wie die Obrigkeit einen ungeschriebenen, informellen Pakt geschlossen, um Leuten, die den Gruppenkodex brechen, Schutz und Trost vorzuenthalten. Obwohl solche Regeln ausführlich kommentiert worden sind, so ist doch wenig über das Vorhandensein ähnlicher Normen bei hospitalisierten chronischschizophrenen Patienten geschrieben worden. In geschlossenen Anstalten sind nicht nur solche Normen wirksam, auch das Verhalten des Personals gegenüber Patienten, die den Kodex brechen, gleicht oft dem Verhalten, das Autoritätsfiguren gegenüber Informanten an den Tag legen. So entsteht eine Situation, in der es Patienten schwer fällt, ihre Identität als chronischer Patient aufzugeben und sozial besser anerkannte Werte und Verhaltensweisen anzunehmen“ Der Artikel erschien in der Edition Ferkel 2001 auf Deutsch und ist nun auch in der Systemischen Bibliothek zu lesen.
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21. Juli 2008
von Tom Levold
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Organisierte Wissensarbeit

Bereits 1998 hat Helmut Willke für die„Zeitschrift für Soziologie“ einen Aufsatz über„Organisierte Wissensarbeit“ verfasst. Seither sind zahlreiche Arbeiten zum Thema Wissen und Wissensgesellschaft von ihm erschienen. Im abstract des vorliegenden Aufsatzes heißt es:„Wissensarbeit wird zu einem soziologischen Thema, weil sie ein Kernelement der Morphogenese der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft kennzeichnet. Das Thema Wissensarbeit wird darüber hinaus zum Anlaß für eine Revision der Theorie der Firma, weil sie im Kontext der Wissensgesellschaft von einer personengebundenen Tätigkeit zu einer Aktivität wird, die auf dem Zusammenspiel personaler und organisationaler Momente der Wissensbasierung beruht und weil organisierte Wissensarbeit den Prozeß des Organisierens nutzt, um Wissen zu einer für die Lern- und Innovationsfähigkeit von Organisationen kritischen Produktivkraft zu entfalten. Der Aufsatz skizziert einige Merkmale der sich formierenden Wissensgesellschaft, ebenso einige Merkmale intelligenter Organisationen, um dann diesen Rahmen für eine nähere Bestimmung von Wissensarbeit zu nutzen. Konkrete Formen der Wissensarbeit werden in Skizzen zu den Bereichen Unternehmensberatung und Finanzdienstleistungen illustriert. Als gesellschaftstheoretisch relevante Schlußfolgerung zeichnet sich ab, daß organisierte Wissensarbeit die schwindende Rolle der Nationalstaaten und nationaler Ökonomien in der Steuerung von Arbeit ebenso akzentuiert wie das zunehmende Gewicht des Produktionsfaktors Wissen“
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20. Juli 2008
von Tom Levold
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Elterliche Präsenz und gewaltloser Widerstand in der Praxis

Arist von Schlippe und Michael Grabbe bieten als Herausgeber mit diesem„Werkstattbuch Elterncoaching“ eine gute Möglichkeit, die Auseinandersetzung mit dem Konzept des gewaltlosen Widerstandes in unterschiedlichen Praxis- und Forschungsbereichen zu vertiefen.„Mit den im Werkstattbuch vorgestellten Projekten und Weiterentwicklungen lösen sich die Konzepte der elterlichen Präsenz und des gewaltlosen Widerstandes endgültig von ihrem ursprünglichen Kontext ab. Der Indikationsbereich ist breiter geworden und bezieht sich auf viele Formen elterlicher Hilflosigkeit. Damit entwickelt sich das Elterncoaching zu einem umfassenderen pädagogischen Programm, in dem sich spezifische erzieherische Grundhaltungen mit Interventionen aus der Praxis des gewaltlosen Widerstandes verbinden“, schreibt Rezensentin Petra Bauer. Sie empfiehlt das Buch, kritisiert aber auch die darin angelegte Tendenz zur Standardisierung und Manualisierung:„Diskussionsbedürftig erscheinen mir vor allem zwei Punkte: Die Manuale, Falldarstellungen und insbesondere auch die Verknüpfungen mit spezifischen Störungsbildern verweisen darauf, dass sich die Konzepte immer weniger mit klassischer systemischer Therapie in Verbindung bringen lassen. Sichtbar wird stattdessen ein Ansatz, der den Grundgedanken von Elternbildung und der Förderung erzieherischer Kompetenzen folgt (…). Zum anderen betonen beiden Herausgeber in ihrem Vorwort sicher zu Recht, dass die Arbeit mit den von ihnen propagierten Konzepten immer auch auf die konkrete Situation der Eltern zugeschnitten sein muss. Die ausgeprägte Manualisierung und Konzeptualisierung, wie sie in diesem Band dargestellt wird, trägt u. U. aber auch dazu bei, genau das Gegenteil zu bewirken: die Orientierung an der Situation der jeweiligen Familien immer mehr zugunsten der Entfaltung eines allumfassenden Elternbildungskonzeptes zurücktreten zu lassen“
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19. Juli 2008
von Tom Levold
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Directive Family Therapy

Heute vor 85 Jahren wurde Jay Haley in Midwest, Wyoming, geboren. Mit 83 Jahren ist er am 13.2.2007 gestorben. Die Veröffentlichung seines letzten Buches, das er gemeinsam mit seiner Frau Madeleine Richeport-Haley verfasst hat, hat er nicht mehr erlebt. Tom Levold hat das Buch, das bei Haworth Press erschienen ist, die offensichtlich nun von Routledge geschluckt worden ist, rechtzeitig zum Jubiläum gelesen:„Das vorliegende Buch ist (…) nicht nur erfahrungsgesättigt, sondern bietet der Leserschaft auch einen einzigartigen Blick in die ,Pionierzeit‘ der 50er und 60er Jahre, als in Palo Alto im Umkreis von Gregory Bateson und an der Child Guidance Clinic in Philadelphia, wo Salvador Minuchin arbeitete, wichtige Weichenstellungen vorgenommen wurden. (…) Hier verteidigt kein Psychotherapeut langatmig seine eigene Schule, sondern bringt auf kurzweilige, gelegentlich ironische, aber doch immer substantielle Weise sein Interesse an der Veränderung problematischer Situationen durch erfindungsreiches eigenes Handeln und Tun zur Geltung. Ein Buch eines Altmeisters, das nicht nur für Fans von Interesse ist. Als er nach seinem Vermächtnis gefragt wurde, so kann man im Vorwort lesen, antwortete er, dass er als als ,ältester lebender Lehrer in Psychotherapie‘ in die Geschichte eingehen möchte. Diese Ehre ist ihm nicht vergönnt worden. Einer der besten Lehrer ist er sicherlich gewesen“
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18. Juli 2008
von Tom Levold
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Spiegelaffäre revisited


Nachdem schon am 9. Mai im systemagazin ein Tagungsbericht von Hartmut Epple über die Jahrestagung der SG im April in Berlin erschienen ist, gibt es in systhema 2/08 einen weiteren Tagungsbericht von Peter Luitjens (Foto):„Das Tagungsprogramm kam spät und versprach außer der üblichen Abfolge von Plenar- und Kleingruppenveranstaltungen auch Rätselhaftes:„eine Spiegelaffäre in der Bundeshauptstadt“, außerdem gab es erstmalig Kleidungsvorschriften:„schwarz/weiße Kleidung zur guten Bewegung im Freien“ sowie„eine verspiegelte Sonnenbrille Ihrer Wahl“ Die erschienenen Tagungsgäste bewiesen, dass Instruktionen gegenüber erfahrenen Systemikern nicht gelingen können: man sah wie üblich vorwiegend gedeckte Kleidungsfarben und nur wenig Spiegelscheiben in den Sonnenbrillen. – Aber da damit zu rechnen gewesen war, konnte alles gelingen“
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17. Juli 2008
von Tom Levold
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Unsichere Kommunikationen – unsichere soziale Systeme

Colin B. Grant ist Professor of Communication Studies. In einem spannenden (englischsprachigen) Aufsatz, der 2004 in„Soziale Systeme“ erschienen ist, kritisiert er an Luhmanns Kommunikationstheorie, dass sie den sozialen Agenten zu wenig Aufmerksamkeit einräumt und daher zur Annahme überstabiler Systemgrenzen neigt, die durch das Postulat„binärer Codes“ unterstützt wird. Er plädiert dagegen für größere Offenheit und„Porösität“ des Kommunikationskonzeptes. Der Aufsatz ist auch online zu lesen. Im abstract heißt es:“Der folgende Essay handelt von einer kritischen Untersuchung der Beziehung zwischen Kommunikation und Unsicherheit im Kontext systemtheoretischer Überlegungen. Der Text verfolgt also das Ziel, an die von Dirk Baecker und Siegfried J. Schmidt und anderen initiierte kritische Reflexion anzuknüpfen, die im englischsprachigen Raum kaum Gehör gefunden hat. Es wird im folgenden argumentiert, dass Niklas Luhmanns Sozialtheorie – und zwar trotz seiner Behandlung von Unsicherheit – mit einer unzureichend komplexen Kommunikationstheorie operiert, die letztlich von überstabilen Systemgrenzen ausgeht. Da Luhmann Systemgrenzen nicht als flüssig konzipiert, werden kommunikative Sicherheiten im Sinne von binären Codes überbewertet. Diese Überstabilisierung von Kommunikationen rührt auch daher, dass Luhmanns Theorie sozialen Agenten bekanntermassen wenig Platz einräumt. Der Essay beginnt mit einer vorsichtigen Rekonstruktion der Grenze zwischen System und Umwelt und entwickelt anschliessend einen Vorschlag für unsichere Kommunikationen und unsichere Grenzziehungsoperationen in sozialen Systemen, dargestellt am Beispiel des heutigen ›Massenmedienterrorismus‹“
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16. Juli 2008
von Tom Levold
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Partner auf der Suche nach Erklärungen

Im Open-Access-„Journal für Psychologie“ 1/2007 hat Kerstin Zühlke-Kluthke über ihre Untersuchung erklärender Zuschreibungen von Partnern in konflikthaften und nach beendeten Partnerschaften beschrieben (Abb. storytellersnetwork.wordpress.com):„Das zentrale Ziel dieser Arbeit bestand darin, auffällige Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Ursachenzuschreibung bei konflikthaften und gescheiterten Paarbeziehungen basierend auf attributionstheoretischen Ansätzen aufzuzeigen. Die Methode des qualitativen Interviews mit Nachfragteil hat sich bewährt, solche Attributionen hervorzulocken. Gerade diese offene Herangehensweise in Verbindung mit attributionstheoretischen Aspekten unterscheidet diese Arbeit von anderen Untersuchungen zu Attributionstheorien. Obwohl durch die geringe Anzahl der Interviews je Gruppe nur ein kleiner Ausschnitt an Attributionen in konflikthaften und gescheiterten Partnerschaften gezeigt werden konnte, sind doch auffällige Übereinstimmungen und Unterschiede sichtbar geworden. Die Untersuchung zeigt, dass Partner die Handlungen des anderen subjektiv interpretieren entsprechend ihrem individuellen Beziehungskonzept und der eigenen sowie gemeinsamen Lern- und Lebensgeschichte. Für beide gibt es keine objektive Wahrheit, sondern nur subjektive Wirklichkeiten. Ähnlich wie Eva Wunderer (2003) den Beginn einer Liebe durch „verzerrte Wahrnehmung“ erklärt: „der oder die Geliebte werden als einmalig und allen anderen als meilenweit überlegen erlebt, obgleich die Unterschiede zum Rest der Menschheit vielleicht gar nicht so groß sind“ (Wunderer 2003, 32), werden möglicherweise auch konflikthafte und gescheiterte Paarsituationen verzerrt wahrgenommen, was sich in entsprechenden Attributionen niederschlägt. Die Wahrnehmung weicht auch in diesen Fällen von der Realität in eine Richtung ab, die das gegenwärtige Empfinden in der Partnerschaft verstärkt. Die Ergebnisse der Auswertung der Interviews lassen vermuten, dass konfliktbelastete Paare ungünstiger attribuieren: mehr individuelle Aspekte statt situativer Aspekte. Durch vermehrte Negativattributionen wird das negative Gefühl zum Partner aufrechterhalten. Gerade bei den Paaren, die konflikthaft zusammenleben und ihre Partnerschaft „retten“ wollen, bietet sich ein Re-attributionsverfahren an, was auf die Veränderung von Attributionen abzielt. Hier liegt die praktische Verwertbarkeit dieser Untersuchung“
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15. Juli 2008
von Tom Levold
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Stigma

Eines der vielen berühmten Bücher des viel zu früh gestorbenen Soziologen Erving Goffman (der im Juni 86 geworden wäre) ist den„Techniken der Bewältigung beschädigter Identität“ gewidmet.„Stigma“ gehört trotz der manchmal etwas angestrengten Übersetzung auch heute noch zu den unbedingt lesenswerten Arbeiten, die auch und gerade für Therapeuten von Interesse sein müssten. Tom Levold hat in im vergangenen Jahr im„Kontext“ eine ausführliche Würdigung von„Stigma“ in der Rubrik„Klassiker wiedergelesen“ veröffentlicht, die nun auch in der Klassiker-Rubrik von systemagazin zu lesen ist:„Die Lektüre von ,Stigma‘ hilft, den sozialen Konstruktionsprozess von Normalität und Stigma besser zu verstehen, ohne unbedingt Hoffnungen zu stärken, dass ein tieferes Verständnis dieser Konstruktivität zur Aufhebung dieser Unterscheidung führen könnte. Wir können sicherlich etwas gegen konkrete Stigmatisierungen (und die damit verbundenen Diskriminierungen und Benachteiligungen) unternehmen, Goffman zeigt aber unsentimental und eindrucksvoll, dass die für die Identitätsbildung konstitutive Unterscheidung von Norm und Stigma damit nicht verschwinden wird. Und damit auch nicht die Daseinsberechtigung von Psychotherapie als Stigma-Management: ,Zum Beispiel gibt es in einem gewichtigen Sinn nur ein vollständig ungeniertes und akzeptables männliches Wesen in Amerika: ein junger, heterosexueller protestantischer Vater mit Collegebildung, voll beschäftigt, von gutem Aussehen, normal in Gewicht und Größe und mit Erfolgen im Sport. … Jeder Mann, der in irgendeinem dieser Punkte versagt, neigt dazu, sich – wenigstens augenblicksweise – für unwert, unvollkommen und inferior zu halten.‘ (158) Diesem Satz haben die 44 Jahre, die seit der Niederschrift vergangen sind, aller political corrextness zum Trotz nicht viel anhaben können, auch wenn man heute selbstverständlich das weibliche Pendant einschließen würde. Aus den dargelegten Gründen erscheint mir ,Stigma‘ immer noch eine Pflichtlektüre zu sein: auch für Psychotherapeuten“
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14. Juli 2008
von Tom Levold
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Neurobiologie für die Klinische Soziale Arbeit

Die Neurobiologie und ihre Implikationen für pädagogische, psychotherapeutische und beraterische Arbeitsfelder sind derzeit in aller Munde. Entsprechend groß ist der Bedarf an guten einführenden Werken, die auf verständliche Weise auch komplexe Theorien und Forschungsergebnisse handhaben. Das vorliegende Buch richtet sich an klinisch arbeitende Professionelle der Sozialen Arbeit, ist verständlich und befindet sich auf der Höhe der fachlichen Auseinandersetzung. Dennoch hat Andreas Manteufel das Buch sehr kritisch rezensiert:„Was fehlt, und das gilt für die meisten Publikationen in diesem Feld, ist eine kritische Auseinandersetzung mit den Methoden der funktionellen Bildgebung und der brüchigen methodischen Basis, auf der so viele Experimente beruhen, deren Ergebnisse aber wie selbstverständlich überall referiert werden. Auch die Auseinandersetzung mit den Begrenzungen neurobiologischen Erkenntnisgewinns oder den Gefahren, in einseitig biologische Krankheitskonzepte zurück zu fallen, vermisst der Rezensent in diesem Band völlig. Es ist daher ein Buch wie viele andere, so sympathisch der Beziehungsansatz, der hier vertreten wird, auch ist. Information: gut. Kritische Reflexion: Fehlanzeige“
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13. Juli 2008
von Tom Levold
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Sind Supervision und Coaching dasselbe?

…oder komplett unterschiedliche Beratungsansätze? Eine trennscharfe Unterscheidung aufgrund theoretischer Texte ist nicht leicht. Aber was kommt heraus, wenn man (potentielle) KlientInnen vn Supervision und Coaching befragt? Diese Frage stellte sich Markus Ebner, Wirtschaftspsychologe sowie Trainer und Coach und führte eine interessante Untersuchung mit 160 Psychologie-Studierenden an der Universität Wien durch. Diese wurden aufgefordert, jeweils zwei Assoziationen zu Supervision und Coaching zu äußern und diese anschließend zu bewerten. Das interessante Ergebnis: Die Assoziationen zeigen nur einen geringen Überschneidungsbereich, nämlich„Hilfe“ und„Beratung“. Es fiel den Studenten leichter, Assoziationen zu Coaching zu generieren, die im übrigen eher entwicklungsorientiert waren, während sie Assoziationen zu Supervision stärker mit Kontrolldimensionen verbunden waren. Ebner hat seine Untersuchung auf dem bestNET.Kongress 2007 vorgestellt, sie ist auch online zu lesen,
und zwar hier…

9. Juli 2008
von Tom Levold
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Familiendynamik 3/08: Bindung

13 Jahre nach einem Themenheft über Bindungstheorie und Bindungsforschung im Jahre 1995 bringt die„Familiendynamik“ wieder einmal ein Schwerpunkt zum Thema Bindung heraus. Wie beim letzten Mal gibt es auch hier einen Beitrag von Klaus und Karin Grossmann („Die psychische Sicherheit in Bindungsbeziehungen“), ergänzt von einer Überblicksarbeit zu„Bindungstheorie und systemische Therapie“ von Kirsten von Sydow sowie einem Artikel einer Autorengruppe über„Die Funktionalität von Familien mit einem psychisch kranken Elternteil“. Eingeführt wird in das Thema in einem nachdenkenswerten Editorial von Arist von Schlippe, der hiermit seinen Einstand als Herausgeber gibt:„Studien an Risikopopulationen zeigen, dass unsichere Bindungen eine starke Vorhersagekraft für psychopathologische Prozesse besitzen. Die aus dieser Sicht zu ziehende Konsequenz ist, dass es nicht nur um die Veränderungen der Narrative, der Erzählungen gehen kann, wenn man konstruktive Veränderungen in Beziehung erreichen will – es braucht auch ein an den jeweiligen Bindungsstilen ausgerichtetes Vorgehen. Diese Befunde zu verfolgen ist spannend und, wie gesagt, zugleich herausfordernd. Denn die systemische Therapie steht in einem »natürlichen« Spannungsfeld zu psychologischen Theorien, die den Anspruch erheben, definitive Aussagen über seelische Wirklichkeit machen zu können, zumal wenn sie in klare Kausalmodelle eingehen. Die kritische Frage ist, ob mit einer Entwicklungsperspektive nicht auch wieder Normativität in die Arbeit mit Familien eingeführt wird. Wie verträgt sich ein Konzept wie das vom »richtigen« Elternverhalten als Ursache für kindliche Bindungsstile (»Welchen ich eigentlich?«) mit Überlegungen zur zirkulären Kausalität, mit dem Verzicht auf objektives Wissen und der Idee, dass sich in jeder Aussage auch die Person (ein Beobachter) ausdrückt? Es waren ja diese Überlegungen, die in der Familientherapie bzw. systemischen Therapie zur Akzentuierung einer Haltung des » Nicht-Wissens« als Grundlage des therapeutischen Vorgehens führten. Die in diesem Heft vorgestellten Ansätze gehen dagegen von einer Position des Wissens aus. Die Herausforderung ist da: Das Wissen ist fundiert, es beruht auf sorgfältigen Beobachtungen und die Befunde sind zu überzeugend, die Theorie zugleich zu nah an systemischen Modellen, als dass man sie ignorieren könnte. Vielmehr geht es darum, das geschilderte Spannungsverhältnis wahrzunehmen, zu diskutieren und danach zu suchen, wie die Positionen des Wissens und Nicht-Wissens zu verbinden sind“
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8. Juli 2008
von Tom Levold
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Fritz Perls in Berlin

Heute vor 115 Jahren kam Fritz Perls in Berlin zur Welt. Am 14.5.1970 ist er in Chikago gestorben. Friedrich Salomon Perls – auch Frederick S. Perls – begann 1913 Medizin zu studieren und schloss nach dem Krieg 1921 mit einem Dr. med. ab, um dann Neuropsychiater zu werden. Anfang der 1930er Jahre machte Fritz Perls eine Lehranalyse bei Wilhelm Reich. Er wurde Psychoanalytiker, entwickelte dann aber in Abgrenzung zur Psychoanalyse mit seiner Frau Laura Perls (geb. Lore Posner), Paul Goodman und anderen Mitarbeitern das spezifische erlebnisaktivierende Psychotherapieverfahren der Gestalttherapie (Informationen: Wikipedia). In einer umfangreichen Dissertation, die Bernd Bocian 2002 an der philosophischen Fakultät der TU Berlin vorlegte, untersucht der Autor die Lebenserfahrung und Theorieproduktion Fritz Perls in Berlin von 1893 bis zu seiner Emigration 1933. Sein„Beitrag zur deutschen Vorgeschichte und zugleich zur Aktualität von Gestalttherapie und Gestaltpädagogik“ ist eine ausführliche und detaillierte Darstellung von Perls erster Lebenshälfte im politischen und wirtschaftlichen Kontext seiner Zeit, vor allem, was die Situation der Juden im Deutschen Reich betraf. In seiner Einleitung schreibt der Autor:„Zentrale Haltungen, Theorien und Methoden der Gestalttherapie beinhalten für mich wesentlich ein durch den deutschen Nationalsozialismus vertriebenes Erbe. Die oftmals fehlende Wahrnehmung dieses historischen Hintergrunds hat meiner Ansicht nach auch damit zu tun, daß innerhalb der Gestalttherapie hierzulande eine weitreichende Amnesie in Bezug auf die deutsche Vorgeschichte unseres Ansatzes existiert. Dies macht auch den gestalttherapeutischen Anteil an der deutschen Amnesie in Bezug auf die angesprochene Zeit aus. Was mit Fritz Perls 1933 aus Deutschland geflohen ist und was Deutschland verlorenging, sind im Kern die Erfahrungen der sogenannten expressionistischen Generation. Diese gesellschaftlichen Außenseiter und Pioniere der Moderne erlebten und erlitten den sich in Deutschland und speziell in der Metropole Berlin rasant durchsetzenden Modernisierungsprozess am bewußtesten. Auf vorgeschobenem Posten versuchten sie mit dem umzugehen, was von aktuellen Zeitdiagnostikern (z. B. Zygmunt Baumann, Ulrich Beck, Heiner Keupp) als Chance und Gefahr für die Identitätsbildung der Menschen in den heutigen Industrienationen benannt wird. Gemeint sind hier etwa Diagnosen wie Pluralität der Weltdeutungen und Sinngebungen und die Auflösung der traditionellen Einbindungen mit Druck und Möglichkeit zur individuellen Lebensgestaltung bzw. Selbstkonstruktion. Damals betraf dies eine kleine Gruppe, eben die Avantgarde. Heute stellen sich anscheinend diese „riskanten Freiheiten“ (Beck) einem wachsenden Teil der Bevölkerung. Vor diesem Hintergrund stellt sich für mich der Entwurf der Gestalttherapie als ein Antwortversuch konkreter Subjekte auf die Bedrohungen und Chancen eines Prozesses sozialpsychologischer Veränderungen dar, der andauert und seitdem immer größere Teile der Gesellschaft erfaßt hat. Perls ist mit einer Sozialisationsgeschichte in die Emigration gegangen, die er mit der damaligen Großstadtavantgarde teilte“ Das ganze ist ungemein spannend zu lesen und ein schönes Beispiel für eine Psychotherapiegeschichte, die ihre gesellschaftlichen Umstände nicht aus dem Blick verliert.
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7. Juli 2008
von Tom Levold
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systhema 2/2008

Auch„systhema“ wartet mit einem Sommerheft auf, hier stehen diesmal klinische Fragestellungen im Vordergrund. Aus dem Editorial:„Der Schulmediziner Peter Heinl unternimmt mit seinem Plädoyer für die Einbeziehung einer Intuitiven Diagnostik einen erneuten Vorstoß in die sogenannte ‚unbewusste Medizin‘. Anhand eines eindrücklichen Fallbeispiels einer Patientin mit einer chronischen Schmerzerkrankung zeigt er Möglichkeiten auf, die bei einer Erweiterung der etablierten klinischen Diagnostik und Therapie um bildhafte intuitive Elemente im Sinne einer nachhaltigen Heilung genutzt werden können. Auch im Beitrag von Simone Lamerz und Ingo Spitczok von Brisinski steht ein ausführliches Fallbeispiel im Mittelpunkt. Selbstkritisch werden hilfreiche und hinderliche Hypothesen und Interventionen im Rahmen eines mehrwöchigen Klinikaufenthaltes einer Familie eines fünfjährigen Jungen mit einer ausgeprägten sensorisch aversiven Essstörung als Ausdruck einer spezifischen Phobie beschrieben und analysiert. Thomas Gruber zeigt Wege und Ansatzpunkte für eine konstruktive Arbeit mit Jugendlichen auf, die auf der Basis einer autonomen Kooperation, z.B. für die Arbeit mit jugendlichen Straftätern genutzt werden können“. Darüber hinaus gibt es noch einen Nachruf auf Michael White von Wolfgang Loth und einen Tagungsbericht von Peter Luitjens.
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