systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

4. Dezember 2008
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender: Die verlorene Kunst des Heilens

Heute erzählt Rosmarie Welter-Enderlin von einer sehr aktuellen persönlichen Begegnung, die zwar nicht ihren Lebensweg geprägt hat, aber doch erheblich zu ihrem gegenwärtigen Wohlsein beiträgt, nämlich mit ihrem Physiotherapeuten:„Ich lerne viel von Herrn Müller, seine frei schwebende Aufmerksamkeit zum Beispiel, wie Herr Freud sie beschrieben hat, und Physiotherapie ,mit menschlichem Antlitz‘. In einer Zeit, da unser Feld als grauslich technizistisch beschreibbar ist, finde ich das menschliche Antlitz in der Physiotherapie wunderbar!“
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3. Dezember 2008
von Tom Levold
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CDU: Verfassungrang für deutsche Sprache

Auf dem Parteitag der CDU stimmte eine deutschliche Mehrheit dafür, der Deutschen Sprache mit einer Änderung des Grundgesetzes Verfassungsrang zu verleihen.„Die Pflege der deutschen Sprache wird damit zu einem der wichtigsten Verfassungsgüter“, machten die Antragsteller vom saarländischen Landesverband der CDU (Bild: cdu-saar.de) deutlich. Zukünftig sollen daher alle Deutschlehrer regelmäßig vom Verfassungsschutz daraufhin überprüft werden, ob sie diesem Auftrag auch aktiv nachkommen. Auf Vorschlag des Landesverbandes soll der Bestseller-Autor Bastian Sick („Der Genitiv ist dem Redakteur sein Lebensunterhalt“) auf eine führende Stelle im Verfassungsschutz berufen werden. Felerhafte Rechschreibung soll zukünftig ebenso wie der fahrlässige und absichtliche Gebrauch von Fremdwörtern als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Zudem sollen stärkere Kontrollen dafür sorgen, dass die Rundfunk- und Fernsehstationen nur noch maximal 15 % fremdsprachige Lieder ausstrahlen. Deutsche Volksmusik soll einen Anteil von mindestens 50% aller Musiktitel in Funk und Fernsehen erhalten. Ein Vorschlag von Wolfgang Schäuble, das BKA zu berechtigen, mit Hilfe von Online-Durchsuchungen Festplatteninhalte auf einen ausreichenden Anteil deutschsprachiger Inhalte zu überprüfen, konnte sich jedoch nicht durchsetzen.

3. Dezember 2008
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender: Chaos im Uhrwerkuniversum

Guido Strunk erinnert sich heute im Adventskalender an seinen Vater, den Uhrmachermeister, der ihm die ersten Lektionen in Sachen Komplexität erteilt hat, verbunden mit der Vorstellung, dass auch die Komplexität einem Plan, eben einem komplexen Plan folgt. Diese Vorstellung wurde dann von der Erkenntnis der Selbstorganisation dynamischer Systeme erweitert, aber lesen Sie selbst.
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2. Dezember 2008
von Tom Levold
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Adventskalender – Luc Ciompi: Change We need

Den zweiten Eintrag im systemagazin-Adventskalender steuert Luc Ciompi bei, der eine schöne Geschichte von einem Menschen erzählt, die Mut machen soll und kann:„Wieso werden solche hoffnungsgebende, jeder gleichmacherischen statistischen Prognostik zuwiderlaufende Fälle immer wieder systematisch ausgeblendet? Wieso werden sie nicht gezielter gesammelt und beforscht? An uns systemisch-ganzheitlich orientierten Therapeuten ist es, dies zu ändern („change we need!“ – ich schreibe diese Zeilen gerade 3 Tagen vor der amerikanischen Präsidentenwahl – let’s hope!)“. Nun da sich die amerikanische Hoffnung schon erfüllt hat, hoffen wir, dass sich auch in dieser Hinsicht bei uns ein wenig Change ergibt.

1. Dezember 2008
von Tom Levold
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95. Geburtstag von Mary Ainsworth

Heute würde Mary Ainsworth, die 1999 gestorben ist, ihren 95. Geburtstag feiern. Gemeinsam mit John Bowlby hat sie die wesentlichen Konzepte der Bindungstheorie entwickelt. Sie wurde am 1.12.1913 als Älteste von drei Schwestern geboren. Beide Eltern waren Akademiker und setzten sich intensiv mit Erziehungsfragen auseinander. Als Ainsworth 5 Jahre alt war, übersiedelte die Familie nach Kanada. Das Buch„Character and the Conduct of Life“ von William McDougall weckte in der 15-Jährigen den Wunsch, Psychologin zu werden. Sie begann 1929 mit dem Psychologiestudium an der Universität Toronto, wo sie 1936 den Master machte und 1939 promovierte. Nachdem sie in Toronto einige Jahre als Dozentin gearbeitet hatte, trat sie 1942 in die Kanadische Armee ein, in der sie den Rang eines Majors erreichte. Nach ihrer Militärdienstzeit kehrte sie nach Toronto zurück, lehrte weiterhin Persönlichkeitspsychologie und war in der Forschung tätig. 1950 heiratete sie Leonard Ainsworth und zog mit ihm nach London. Dort fand sie eine Stelle in der von John Bowlby geleiteten Forschungsgruppe an der Tavistock Clinic, die den Einfluss der Trennung von Mutter und Kind auf die kindliche Entwicklung untersuchte. Ein Ergebnis der Untersuchung war, dass für eine vergleichende Analyse zuerst die gesunde Mutter-Kind-Beziehung erforscht werden müsste. Leonhard Ainsworth erhielt eine Stelle beim East African Institute of Social Research in Uganda. Mary Ainsworth reiste mit ihm und führte ein Feldforschungsprojekt über die vorbildlichen Mutter-Kind-Beziehungen beim Volk der Ganda durch, das sie in ihrem Buch Infancy in Uganda beschrieb. 1956 zog das Ehepaar Ainsworth nach Baltimore, wo Mary Ainsworth an der Johns-Hopkins-Universität lehrte. Nach der Scheidung von Leonhard 1962, führte sie ihre Studien über die Mutter-Kind-Bindung fort und untersuchte die Interaktion von Müttern und Kindern in ihrer natürlichen Umgebung. Sie suchte auch regelmäßig Familien auf, um das Verhalten von Müttern und Kindern zu beobachten. Mary Ainsworth starb im Alter von 85 Jahren (Quelle: Wikipedia). Inge Bretherton, die eng mit Mary Ainsworth zusammengearbeitet hat, hat 1992 für die Zeitschrift„Developmental Psychology“ eine Arbeit über„The Origins of Attachment Theory: John Bowlby and Mary Ainsworth“ vefasst, die auch online zu lesen ist.

1. Dezember 2008
von Tom Levold
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systemagazin adventskalender: Persönliche Begegnungen

Nachdem in den beiden vergangenen Jahren der systemagazin-Adventskalender als„special“ mit Geschichten von systemischen TherapeutInnen, SupervisorInnen und BeraterInnen auf große Resonanz gestoßen ist, gibt es auch in diesem Jahr wieder einen„Atzventz“-Kalender (wie der Rheinländer sagt). Auch dieses Mal geht es um ganz persönliche Eindrücke und Erinnerungen. Im Zentrum steht die Begegnung mit einem Menschen, die einen auf dem Weg zur Systemischen Therapie, Beratung, Coaching etc. beeindruckt, beeinflusst oder berührt hat, oder die es einfach Wert ist, nicht vergessen zu werden. An welche Begegnungen mit KollegInnen, LehrerInnen, FreundInnen denkt man besonders gerne zurück? Welche war besonders wichtig, an- oder aufregend, lustig oder anrührend? Welchen Stellenwert hat diese Geschichte noch heute? Wie sich zeigt, geht es bei vielen gar nicht so sehr um die Begegnung mit den MatadorInnen des Feldes, sondern oft um ganz andere Menschen. Die einzelnen Beiträge machen jedenfalls Freude und geben Anlass zur Besinnung. Lassen Sie sich überraschen und freuen Sie sich auf die Beiträge von Luc Ciompi, Rosmarie Welter-Enderlin, Jürgen Hargens, Arist von Schlippe, Wolfgang Loth, Kurt Ludewig, Bernd Schmid und vielen anderen. Übrigens: Wenn Sie sich angeregt fühlen, auch eine eigene Geschichte zum Kalender beizusteuern, freue ich mich auf Ihre Zusendung. Noch gibt es Tage zu besetzten, aber auch wenn der 24.12. erreicht ist, ist das für einen echten Atzventz-Kalender überhaupt kein Grund aufzuhören.

Den Anfang macht heute Hartwig Hansen, der als Viertgeborener von einem Familienselbsterfahrungsseminar mit Martin Kirschenbaum über Geschwisterpositionen zu berichten weiß.
Eine schöne Lektüre wünscht Ihnen: Tom Levold
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30. November 2008
von Tom Levold
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systeme 2/08

Zum Jahresschluss erscheint das Heft 2 des 22. Jahrgangs der„systeme“, diesmal mit vier verschiedenen Arbeiten, die kein gemeinsames Oberthema haben: Stefan Geyerhofer und Carmen Unterholzer untersuchen Burnout aus systemischer Sicht, Erhard Wedekind und Hans Georgi fragen, wie das Lebensalter die Passung zwischen Klienten und Beziehungsarbeiter(innen) beeinflusst und Ingrid Egger berichtet von einem psychotherapeutischen Prozess mit einem Folterüberlebenden. Nach langer Zeit ist wieder einmal ein Beitrag von Ludwig Reiter zu lesen. Er fragt:„Gibt es in der deutschsprachigen Familientherapie und Systemischen Therapie eine schulenübergreifende Integration?“ und schließt damit an eine aktuelle Debatte im systemischen Kontext an. Seine Untersuchungsbasis ist das Handbuch„Paar- und Familientherapie“, das von Michael Wirsching und Peter Scheib 2002 herausgegeben wurde und von Reiter bibliometisch ausgewertet wird. Als Fazit sieht Reiter zwei mögliche Szenarien:„Das erste Szenario entspräche der gängigen Auffassung von schulenübergreifender Integration; das zweite würde eine zunehmende Auflösung der Schulgrenzen widerspiegeln (…). Schließlich ist es nicht unwahrscheinlich, dass die therapeutische Praxis den Publikationen vorauseilt und dass Therapeutinnen und Therapeuten in ihrer Arbeit mit PatientInnen und KlientInnen längst schulenübergreifend handeln“ Außerdem ist jetzt im Zeitschriftenarchiv der Jahrgang 2000 der„Familiendynamik“ erfasst. 

29. November 2008
von Tom Levold
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Im Auge des Betrachters

Harald Wasser, psychoanalytisch wie systemtheoretisch inspirierter Autor, hat interessante Überlegungen„Zur systemtheoretischen Konstitution von Gegenständen“ angestellt, die sich mit der Frage auseinandersetzen, worin denn eine systemtheoretische Phänomenologie bestehen kann, wenn sich diese nicht mehr ohne weiteres – wie bei Husserl (Foto: Wikipedia) – aus dem erlebenden Bewusstsein ergibt:„Der besondere Weg Luhmannscher Systemtheorie besteht (…) darin, sich vom Anspruch einer Phänomenologie des Erlebens insoweit zu lösen, als auch ganz andere Beobachter, die nicht in der Lage sind, zu erleben (stattdessen aber vielleicht: zu kommunizieren), als Beobachter von Phänomenen in Frage kommen. Eine weitere Besonderheit besteht dann darin, sich (wie es z.B. Freud in seiner Praxis einer »freischwebenden Aufmerksamkeit« gegenüber den »freien Assoziationen« seines Analysanden vorgemacht hat) auf die Beobachtung anderer Beobachter »aufzuschalten« und damit auf eine Theorie der Beobachtung zweiter Ordnung umzuschalten. Beobachtet man Theorien anderer Beobachter, so stellen diese zunächst etwas dar, das sich grundsätzlich durch nichts von anderen Phänomenen unterscheidet und so fallen sie sozusagen in die Phänomenologie. Eben darum lassen sie sich beobachten, ohne sogleich nach dem Schema des beobachteten Beobachters, etwa: nach »wahr« und »falsch« beurteilt werden zu müssen. Phänomenologisch gesehen existieren ja auch Einhörner nicht anders als Pferde. Um das prüfen zu können, bedarf es nur eines Blicks in die Literatur der Märchen und Sagen. Dort sind sie leicht als kommunikative Phänomene nachweisbar, ebenso wie Hexen und Götter und ewige Liebe. Die Phänomenologie konstatiert Phänomene. Sie behauptet folglich nicht, dass die von ihr notierten Phänomene für alle Beobachter und immer gelten. Wechselt ihr Blick in die Naturwissenschaft, etwa die Zoologie, so wird sie umgekehrt konstatieren müssen, dass (und sogar: warum) aus Sicht dieses Beobachters Einhörner keineswegs existieren. Die phänomenologische Arbeitsweise der Systemtheorie ist also treffend dadurch charakterisiert, dass sie die ihr gegebenen (und das heißt immer zugleich: die von ihr erzeugten!) Phänomene auf eine Weise beobachtet, in der sich eigene Beobachtungen als Beobachtungen anderer Beobachter manifestieren können (second order cybernetics)“ Der Artikel ist online auf www.hauptsache-philosophie.de zu lesen.

28. November 2008
von Tom Levold
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Was ist Kulturgeschichte?

systemagazin proudly presents: Rezension Nr. 300! Vorgestellt wird heute ausführlich ein Buch, das bereits 2005 bei Suhrkamp erschienen ist und eine ganze Weile (gelesen) im Bücherregal des Referenten geruht hat. Irgendwie kam immer wieder anderes dazwischen, dabei ist es ein ausgesprochen schönes, leicht lesbares und kluges Werk. Warum sollen sich BeraterInnen und TherapeutInnen mit Kulturgeschichte auseinandersetzen? Die Antwort liegt auf der Hand. Die individuellen und sozialen Konstruktionen von Wirklichkeit können sich nur innerhalb kulturell vorhandener und vorfindbarer (Be-)Deutungsrahmen vollziehen, welche wiederum durch diese Konstruktionen im historischen Fortgang modifiziert werden. Wir haben es insofern nie mit geschichtslosen Problemen oder Anliegen a priori zu tun, sondern immer mit kulturell codierten Problembeschreibungen, die an spezifische soziale und historische Kontexte gebunden sind. Was auch immer unter Kulturgeschichte verstanden wurde und verstanden werden kann, der Leser wird von Peter Burke an ein reich gedecktes und appetitanregendes Büfett geführt, das die Reichhaltigkeit des Faches aufs Beste in Szene setzt. Wer sich an Kulturgeschichte sättigen möchte, wird schnell damit konfrontiert, dass es sich vor allem um Appetizer handelt, die Lust auf mehr machen. Das ist bei einem Buch von unter 200 Seiten kein Wunder. Bewundernswert ist aber, wie es Burke gelingt, ganz gelassen und entspannt, eigentlich im Plauderton, eine solche Fülle von Hinweisen und Anregungen zu geben, ohne den Überblick über das doch mittlerweile sehr umfangreiche Wissensgebiet zu verlieren. Hier erkennt man die Handschrift des erfahrenen Meisters seines Faches, der seine Schätze liebevoll auszubreiten versteht, ohne auf eine kritische Einordnung und Bewertung zu verzichten. Wer im Kontext von Beratung und Therapie arbeitet und für die Frage sozialer Praktiken in Organisationen wie in der alltäglichen Lebenswelt sensibel ist, wird von einer kulturwissenschaftlichen Perspektivenerweiterung im Sinne eines vertieften Kontextverständnisses profitieren und vielleicht Lust bekommen, sich mit dem einen oder anderen Thema intensiver auseinanderzusetzen. Auch Leser, die nicht gleich die Bibliotheken aufsuchen werden, um ihre Neugier zu befriedigen, werden in Burkes Zusammenschau ausreichend mit spannenden Material versorgt.

26. November 2008
von Tom Levold
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Clement: Neue Chance als Fozzi Bär?

Nachdem sich der Mitbegründer der RWE-Fraktion, Wolfgang Clement (Foto: Wikipedia), nach 38 Jahren Isolationshaft in der SPD selbst begnadigt hat, sorgt diese Entscheidung in der Öffentlichkeit für Empörung. Während Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) von einem„rechtsstaatlich ganz normalen Vorgang“ sprach, kritisierte Hessens SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti scharf das Angebot von Kermit dem Frosch, Clement einen Praktikumsplatz in der Muppet Show frei zu halten. Kermit seinerseits ließ wissen, dass Clement„längst bereut, er bittet um Vergebung, er möchte nur nicht vorgeführt werden in dieser Vergebungsgeste“. Kermit hatte Clement bereits 2005 angeboten, ein Praktikum in der Muppet Show zu machen. Er hatte dies damit begründet, dass der Expolitiker eine Chance zur Rückkehr in die Gesellschaft bekommen müsse. Wie zu hören war, soll Clement in der Muppet Show die Rolle von Fozzi Bär übernehmen. Fozzi Bär ist ein orange-brauner, zotteliger Bär mit Hut und rosa gepunktetem Halstuch, der sich als Komiker versucht. Aber niemand findet seine Witze lustig und so wird er nach seinen Auftritten meistens von Minderwertigkeitskomplexen heimgesucht. Regelmäßig gibt es spöttische Zwischenrufe aus dem Publikum, besonders von Statler und Waldorf, den beiden alten Herren, denen aber auch gar nichts gefällt. Kermit redet ihm dann jeweils gut zu und baut ihn wieder auf. Clement:„Eine wunderbare Rolle, die mir wie auf den Leib geschneidert ist“.

25. November 2008
von Tom Levold
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Von Patriarchen und anderen Vätern

Reinhard Sieder, dessen jüngsten Buch„Patchworks“ über„neue Familien“ kürzlich im systemagazin vorgestellt worden ist, hat im Jahre 2000 in der von ihm herausgegebenen„Österreichischen Zeitschrift für Geschichtswissenschaften“ eine Arbeit über„Männer in Familien nach Trennung und Scheidung“ veröffentlicht. Darin skizziert er die historische Entwicklung des Vaterbildes vom Patriarchen über den Miterzieher hin zum Neuen Vater. Über seine Vorgehensweise schreibt er:„Ein soziales und kommunikatives System und das innere Erleben der Akteure können empirisch durch die Interpretation und Analyse der in Texten gebundenen Erzählungen, durch teilnehmende Beobachtung, durch die Analyse von Photos oder Videofilmen etc. konstruiert werden. Doch bilden weder Erzähltexte noch irgendwelche ‚Abbildungen’ das Sozial- und Kommunikationssystem und das innere Erleben der beteiligten Personen resp. Akteure ab. Sie müssen im Wege der Text- oder Bildanalyse konstruiert werden. Dies geschieht, indem wir unsere Deutungen und Beobachtungen zu jeder Textsequenz systematisch nach einer binären Matrix sortieren: Für das soziale und kommunikative System beschreiben wir, was dort kommuniziert wird (das Manifeste) und was dort nicht kommuniziert werden kann (das Latente). In bezug auf das innere Erleben des Akteurs versuchen wir herauszufinden, was er weiß und erzählt (manifester Sinn) und was ihm nicht bewusst ist, was präreflexiv ist oder was nicht gesagt werden soll (Latenz und latenter Sinn). Für das Individuum als Person im sozialen und kommunikativen System stellen wir die Frage, was es hier mit seinem Einsatz von materiellen, sozialen, psychischen und kommunikativen Ressourcen an Ereignissen auslöst und was dies für die Dynamik des kommunikativen Systems und für die psychische Dynamik der Akteure bewirkt. Das Wissen und die Deutungen der Individuen werden interaktiv und diskursiv hergestellt. Jede Selbsterzählung enthält daher zahlreiche Bezugnahmen auf öffentliche und private Diskurse. Umgekehrt befragen wir das soziale und kommunikative System, was es im Akteur an affektiven und kognitiven Ereignissen auslöst und inwieweit es die Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsschemata – den Habitus des Akteurs – labilisiert oder verändert. Diese binäre Matrix von Latentem und Manifestem und der in der Interpretengemeinschaft kontrollierte Einsatz von Theorien aller Art unterscheidet diese sozial-, kultur- und kommunikationswissenschaftliche Hermeneutik vom intuitiven Vorgehen der klassischen geisteswissenschaftlichen Hermeneutik. Mit diesen theoretischen Werkzeugen, Begriffen und Methoden soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, was Männer als Väter in Familien und binuklearen Familiensystemen leisten, ob und wie Trennung und Scheidung ihre Vaterarbeit reduzieren, zerstören oder intensivieren können und schließlich, wie all dies mit diskursiven Skripts von Vatersein und Väterlichkeit, von Mannsein und Männlichkeit zusammenhängt“

24. November 2008
von Tom Levold
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Psychosoziale Arbeit in der Psychiatrie – systemisch oder subjektorientiert?

Sigrid Haselmann, Psychologie-Professorin an der Hochschule Neubrandenburg, hat zu dieser Frage ein Lehrbuch verfasst, das Sozialpsychiatrie und den systemischen Ansatz auf ihre jeweiligen Zugänge zur Psychiatrie befragt. Rezensentin Anja Boltin:„Die Autorin stellt sich und uns (…) die Frage, ob einer der beiden Perspektiven in der psychiatrisch-psychosozialen Praxis der Vorzug zu geben sei. Die Stärke des subjektorientierten Vorgehens sieht sie vor allem darin, dass die Betroffenen in ihrem Leiden und in den subjektiv sehr belastenden Krisen emotional verstanden und sinnstiftend begleitet werden können, während die systemischen Methoden vor allem in Entscheidungs- und Veränderungssituationen zu empfehlen sind, aber auch um drohende Chronifizierungen aufzuhalten oder schon erfolgte Chronifizierungsprozesse umzukehren. Sie plädiert insgesamt für eine sinnvolle Integration beider Arbeitsansätze und verweist diesbezüglich auf die erfreulicherweise auch hierzulande bekannter werdenden Modelle der Psychosentherapie skandinavischer Länder“
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23. November 2008
von Tom Levold
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Funktionen des Bewusstseins in sozialen Systemen

Bei Walter de Gruyter ist dieser Tage ein von Detlef v. Ganten, Volker Gerhardt und Julian Nida-Rümelin herausgegebener Sammelband mit dem Titel„Funktionen des Bewusstseins“ erschienen. Enthalten ist ein Aufsatz des Systemtheoretikers und Professors für Soziologie in Luzern, Rudolf Stichweh, zum Thema„Funktionen des Bewusstseins in sozialen Systemen“, der auf Stichwehs website heruntergeladen werden kann. Darin heißt es:„An die Stelle der Unterscheidung von sozialen und psychischen Systemen kann man in der Gegenwart die Unterscheidung von Kommunikation und Bewusstsein treten lassen. In dieser zweiten Fassung werden beide Seiten der Unterscheidung neu und sie werden anders bestimmt. Einerseits wird auf der Seite des Sozialsystems die kommunikationstheoretische Grundlegung der Soziologie benutzt, die seit der Informationstheorie der späten vierziger Jahre als eine Denkmöglichkeit verfügbar ist. Kommunikation ist unter diesen Voraussetzungen nicht etwas, was einem einzelnen Bewusstsein als seine Absicht oder einem einzelnen Akteur als seine Tätigkeit zugerechnet werden kann. Es handelt sich bei jeder einzelnen Kommunikation vielmehr um eine genuin soziale und elementare Einheit, die immer und mindestens zwei Prozessoren (Akteure; Psychen; Bewusstseine) voraussetzt, die an ihrer Produktion beteiligt sind. Eine Reduktion auf einen dieser Prozessoren ist nicht zulässig. Der Begriff des Bewusstseins wiederum kann nicht als bedeutungsidentisch mit dem Begriff des Psychischen gedacht werden. Vielmehr handelt es sich beim Bewusstsein um eine selektive Instanz, die sich, wie es Gregory Bateson formuliert, einer „Kodifikation und reduktiven Simplifikation eines weiter gefassten psychischen Lebens“ verdankt und dies auf der Basis einer „Spiegelung eines Teils der Psyche in das Feld des Bewusstseins“. Die dieser Überlegung zugrundeliegende Unterscheidung ist die von „bewusst“ und „unbewusst“. Jener Selektionsprozess, der Teile des Psychischen in das Bewusstsein spiegelt, ist selbst vermutlich eher ein unbewusster Prozess. Jedenfalls steht er unserer willentlichen Anstrengung nicht zur Verfügung“
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