systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

13. Juni 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Felicitas Eßer & Jens Zinn

„Das moderne Dasein ist durch Nicht-Identität charakterisiert, nichts bleibt im Leben wie es ist. Und trotzdem bin ich morgen und gestern dieselbe wie heute. Gegenwart ist nie unmittelbar, sondern nur relational – zu Vergangenheit und Zukunft – erfahrbar: Auch “Gegenwart” ist eine Fiktion im Sinne eines absoluten gegenwärtigen, identischen Zustands. Im Moment des Sprechens oder Zeigens hat sich dieses gegenwärtige Sein schon wieder verflüchtigt. Der Trick besteht darin, durch Erinnerungsarbeit den Schein von Identität im Wissen zu erzeugen. Die Fiktion (biographischer) Identität – die Fiktion, eine Gegenwärtige zu sein – wird über die Beziehung zu sich selbst in der Relation von Vergangenheit und Zukunft hergestellt. Identität erscheint im Präsens – Temporalität (das Ich als Gewordenes) als ausdrückliches Moment der Selbstdarstellung ist in der Identitätslogik nicht vorgesehen und Gegenwart kann Vergangenheit als selbstverständlichen Horizont erscheinen lassen (Wenn ich weiß, wer du bist, weiß ich wer du warst.). Der Modus der Herstellung und Bearbeitung von Ungewissheit in der Moderne ist die biographische Reflexion. Biographie ist somit selbst eine Sicherheitskonstruktion im Sinne einer Vereindeutigung und Reduktion von Kontingenz – und Identität ist in diesem Sinne ohne Biographie nicht zu haben“ (In: Subjektkonzeptionen bei der Herstellung biographischer Sicherheit. Arbeitspapier 7 des SFB 536 “Reflexive Modernisierung”. Universität der Bundeswehr München)

13. Juni 2009
von Tom Levold
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Rhetorik der Exklusion

Sina Farzin arbeitet als Soziologin an der Fernuniversität Hagen und hat ihre Promotion über die Rhetorik der Exklusion und Inklusion in der Systemtheorie verfasst, die im transcript-Verlag 2006 erschienen ist. Im aktuellen Heft von„Soziale Systeme“ ist ein Beitrag zum gleichen Thema erschienen, der auch online gelesen werden kann. Ihr Ausgangspunkt ist dabei ihr Befund der theoretischen Unterbestimmung des Exklusionsbegriffs in der Soziologie:„Während ich die Diagnose des Theoriedefizits der Exklusionsdebatte in der folgenden Argumentation teile, werden die Ursachen hierfür jenseits der diskursiven Vorgeschichte des Begriffs gesehen. Vielmehr nehme ich an, dass eine stringente Konzeptualisierung von Exklusion theorieintern auf Widerstände auflaufen muss, da sie die Frage nach der Grenze des Sozialen aufwirft. Am Beispiel des systemtheoretischen Exklusionsbegriffs wird mit Hilfe einer rhetorischen Analyse aufgezeigt, wie das Sprechen über soziale Exklusion von den grundlegenden systemtheoretischen Metaphern des Beobachters und der Grenze geformt wird und zugleich den Rahmen der herkömmlichen theoretischen Begriffsbildung verlässt. Vielmehr vollzieht sich eine Irritation der theoretischen Sprachroutine durch den Einsatz von Metaphern und Exempla zur Beschreibung von Exklusionsphänomenen, die eine Öffnung der Theorie für systematisch ausgeschlossene Wissensbestände ermöglicht, wie am Beispiel der Grenzmetaphorik gezeigt wird“ Den scharfsinnigen Aufsatz zu lesen ist ein Vergnügen, denn eröffnet mit seiner Fokussierung auf die rhetorische Dimension im Werk von Niklas Luhmann vielfältige Perspektiven auf die zugrundeliegende Dynamik seiner Theoriebildung, die auch von allgemeinem Interesse für den systemtheoretischen Diskurs ist.
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12. Juni 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Georg Franck

„Merkt die Wahrnehmung mehr, als der Verstand begreift, dann ist es die Sinnlichkeit selbst, die zur Quelle der Überraschung wird. Das Neue, das es dann zu entdecken gibt, liegt in der Fähigkeit der Sinne, sich weiterzubilden. Achtet man auf diese Fähigkeit, dann zeigt sich der Sinn für die Schönheit als etwas anderes als das Messen des Wahrgenommenen an einem vorgegebenen Ideal. Der Sinn für das Schöne entpuppt sich dann als das sinnlich werdende Verlangen des Bewußtseins nach Sinn und Kohärenz. Auch die Lust auf Neues und Überraschendes wird dann zu mehr, als es der bloße Wunsch nach Abwechslung wäre. Die Neugier bekommt dann damit zu tun, daß das Verlangen des Bewußtseins nach Sinn und Kohärenz unersättlich ist, und daß die Begierden der Aufmerksamkeit ihrer Erfüllung nachwachsen“ („Sinnliche Intelligenz. Was die Architektur umtreiben sollte“. In: Georg Franck, Herzog & de Meuron, Joep van Lieshout, What Moves Architecture? [In the Next Five Years]. Architekturvorträge an der ETH Zürich, Zürich: GTA Verlag, 2006, S. 10-53)

11. Juni 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Markus Schroer

„Während noch immer das nomadische Leben beschworen und Mobilität großgeschrieben wird, ist die eigentlich aktuelle Entwicklung die einer zunehmenden Seßhaftigkeit aufgrund der technischen Möglichkeiten, sich alles ins eigene Haus zu holen.„Wir können von zu Hause aus die ganze Welt erleben“, sagt der Zukunftsforscher Ian Pearson. Mit der Durchsetzung dieser Logik erhält ein anderer, uns wohlvertrauter Sozialcharakter wieder eine Chance, der gewissermaßen das Gegenteil des Nomaden darstellt: der Spießer. Denn eine überwältigende Mehrheit von Bundesbürgern träumt nach wie vor den Traum vom Eigenheim. Allerdings ist dieser Spießer so wenig ein klassischer Spießer wie der Neonomade Nomade ist. Der Mobile ist nicht mehr unterwegs in dem Sinne, daß er unerreichbar, unfaßbar und unkontrollierbar wäre wie bei Herodot die Skythen, und der Immobile ist nicht mehr derart ortsfest, daß er nicht auch mobil wäre. Beide Handlungstypen erfahren vielmehr eine spezifische Umwertung und machen deutlich, wie schnell eine scheinbar feststehende Konnotation in ihr Gegenteil verkehrt werden kann“ (In: Nomade und Spießer. Über Mobilität und Seßhaftigkeit. Merkur 2005, S. 1105-1109).

11. Juni 2009
von Tom Levold
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Systhema 2/09

Die neue Ausgabe von systhema ist diesmal keinem speziellen Thema gewidmet, sondern versammelt eine bunte Reihe unterschiedlichster Beiträge. Der Reigen wird von Rudolf Klein mit Überlegungen zum süchtigen Trinken eingeleitet, es folgen Arbeiten über Merkmale und Therapie von„Krisenbewältigungstypen“ (Hans Lieb & Barbara Brink), kritische Aspekte der Aufstellungsarbeit, Therapiegespräche mit Arbeitslosen (Hans Schindler), Gruppenarbeit mit Jugendlichen, Geschwisterkinder in Pflegefamilien, Sekundäre Traumatisierung und„Mitgefühlserschöpfung“ sowie ein Beitrag über Entscheidungen und die Rolle der Intuition.
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10. Juni 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Roland Schleiffer


„Es muss sich allerdings die Frage stellen, mit welchem Körper die körperorientierte Körperpsychotherapie zu tun hat. Lässt er sich als »Wahrheitsmedium« beobachten ? Wenn er schon der Rede mächtig ist, wieso sollte er denn nicht auch lügen können ? Wer stellt die Wahrheitsfrage, und wer will sie beantworten ? Da Bezugspersonen letztlich unvermeidlich de »wahren Körper« und somit auch das »wahre Selbst« nur verfehlen und dieses daher notwendig nur traumatisieren können, gerät (Körper-)Psychotherapie geradezu zur Psychotraumatherapie. Es verwundert daher auch nicht, dass sich in den Studien zur Körpertherapie immer wieder ein »hoher Ton« oder gar ein »Jargon der Eigentlichkeit« (Adorno) vernehmen lässt, wenn etwa vom »eigentlichen Gespräch«, vom »dialogischen Prinzip« oder vom »Moment der Begegnung« beim »psychosomatischen Dialog« die Rede ist. Überhaupt scheint die so beliebte Metapher der »Körpersprache« doch eine unscharfe Argumentation zu verdecken. Mit Hahn (1988) ist jedenfalls davon auszugehen, dass es niemals der Körper selbst ist, der spricht. Vielmehr wählt immer die Kommunikation bestimmte körperliche Veränderungen aus und misst ihnen Bedeutung und Sinn zu. Bei der »Körpersprache« handelt es sich um ein soziales Bedeutungssystem. Auch wenn und gerade weil der Körper sozial nicht vollständig kontrollierbar ist, wird das sozial nicht Kontrollierbare sozial verbindlich gedeutet. Immer hat man es mit einem beobachteten und somit sinnhaft kontextualisierten Körper zu tun. Dem Körper kommt eine sinntragende Realität nur zu, sofern er bezeichnet wird, und das heißt nur auf der Ebene sozialer oder psychischer Systeme. Insofern ist es eine Illusion, den Körper als ehrlich, authentisch und die Wahrheit verbürgend zu stilisieren, wie überhaupt ein solcher Rekurs auf Ursprünglichkeit, auf Fassbares, Greifbares, Handhabbares, auf etwas, was Sicherheit und Orientierung vermitteln könnte. Die immer wieder holistische und insofern in defragmentarisierender Absicht vorgetragene Argumentation kann nicht überzeugen, impliziert doch jede Beobachtung notwendig den Verzicht auf Ganzheitlichkeit“ (In: Der Körper als Adresse – Zur Funktion der Somatisierung. Kontext 39 (2), 2008, 104-126).

10. Juni 2009
von Tom Levold
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Die Stimme des Kindes in der Familientherapie

Dass die Position der Kinder in der Familientherapie keine einfache ist, liegt auf der Hand. Carole Gammer, eine der erfahrensten Therapeutinnen auf diesem Gebiet, hat vor einiger Zeit im Carl-Auer-Verlag einen überfälligen Überblick über ihren erfahrungsgesättigten und theoriefundierten Ansatz zur Arbeit mit Kindern und ihren Familien vorgelegt, der nur jedem, der in diesem Setting arbeitet, ans Herz gelegt werden kann. Wilhelm Rotthaus schreibt in seinem Vorwort:„Vielleicht muss sich der eine oder die andere Leser erst in den Stil des Buches einlesen. Aber es lohnt sich. Hier wird nicht in spektakulärer Weise ein Blumenstrauß an Ideen vorgestellt. Vielmehr entfaltet die Autorin ebenso gründlich wie systematisch die unterschiedlichen Facetten der einzelnen, von ihr vorgestellten Methoden, schildert die dem jeweiligen Entwicklungsstand der Kinder angepassten Varianten und diskutiert den Gewinn, den verschiedene Modifikationen der einzelnen Methoden erbringen können. Auf diese Weise lernt die Leserin kognitiv die Differenzialindikation für die jeweiligen Vorgehensweisen. Darüber hinaus erläutert die Autorin jede Variante mit kurzen Berichten aus ihrer Praxis. Diese Fallbeispiele lassen das Dargestellte nicht nur sehr anschaulich und lebendig werden. Sie verhelfen vor allem zu einem intuitiven Lernen, sodass man in einer der nächsten eigenen Therapiesitzungen fast versehentlich eine der von ihr beschriebenen Vorgehensweisen umsetzt und ihre Wirksamkeit staunend erleben kann“ Und Rezensent Peter Luitjens formuliert als Fazit:„ein empfehlenswertes Buch, das endlich die Überlegungen dieser bekannten amerikanischen Familientherapeutin, die seit über zwei Jahrzehnten in Europa praktiziert und ausbildet, allgemein zugänglich macht. Mit ihrer eigenständigen Entwicklung eines kindorientierten familientherapeutischen Vorgehens ist sie in der Gesellschaft von Systemikern wie Rotthaus, Bonney und Wilson zu sehen, die mit ihren Veröffentlichungen bereits in den Vorjahren auf die Notwendigkeit und die Möglichkeiten kindorientierter Vorgehensweisen hingewiesen haben“
Zur vollständigen Rezension…

9. Juni 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Paul Feyerabend

Die„Verfahren der Wissenschaften (fügen) sich keinem gemeinsamen Schema (…) – sie sind nicht ‚rational‘ im Sinne solcher Schemata. Kluge Menschen halten sich nicht an Maßstäbe, Regeln, Methoden, auch nicht an ‚rationale‘ Methoden, sie sind Opportunisten, das heißt, sie verwenden jene geistigen und materiellen Hilfsmittel, die in einer bestimmten Situation am ehesten zum Ziele zu führen scheinen“. (In: Erkenntnis für freie Menschen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1980, S. 9).

9. Juni 2009
von Tom Levold
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Computo Ergo Sum!

Mein schönes MacBookPro! Am Freitag abend hat es in einer Pension in Berlin seinen Geist aufgegeben. Im zarten Alter von 2,5 Jahren. Für einen Apple-Fan wie mich ist das keine schöne Nachricht. Zumal in unserem Haushalt immer noch ein alter Mac (15 Jahre!) klaglos seinen Dienst verrichtet (allerdings nicht mehr wirklich kompatibel mit der der aktuellen Software-Welt). Die gute Nachricht: Das Wochenendseminar funktionierte auch ohne die schöne Computerpräsentation ganz gut (ich kann es auch noch auswendig), die schlechte: die höheren Kosten für einen vernünftigen Rechner schlagen sich offensichtlich nicht mehr automatisch in einer längeren Haltbarkeit der Hardware nieder. Was heißt das für das systemagazin? Ein paar Tage Plackerei mit Ersatzrechnern, erzwungenen Pausen oder einfach: … Meditation, Innehalten, Überraschung, Überbrückung auf anderen Rechnern. Mal sehen…

8. Juni 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Niklas Luhmann

„Also die Systemtheorie ist sicher keine kausalistische Theorie. Schon deshalb nicht, weil man sonst Politik in die Wissenschaft mit einbeziehen würde. Wenn man sagen würde, wie es richtig gemacht werden sollte, würde man ja Politik machen, eine Art technokratische Vorstellung haben. Das ist sicher nicht der Fall und wird auch durch die Gesellschaftstheorie selber schon desavouiert, indem sie Politik oder auch Intimbeziehungen oder Religion oder Wirtschaft als eigene Systeme beschreibt, die von der Wissenschaft aus nicht gesteuert werden können. Aber es gibt natürlich Veränderungen in den typischen Problemstellungen. Und das kann man relativ deutlich spezifizieren. Wenn Sie z.B. die Probleme der Arbeitslosigkeit, der massenhaften Entlassungen in Europa sehen, dann kann man die Frage stellen: Ist das ein Effekt von Konjunktureinbrüchen? Müssen wir das zwei, drei Jahre durchhalten oder hat das strukturelle Gründe? Und da würde man vielleicht sagen, daß in der modernen Gesellschaft das Interesse an der Unternehmenserhaltung und das Interesse an Vermögenserhaltung auseinander laufen. Wenn ich mein Vermögen halten will, kann ich nicht mein Unternehmen halten. Und das ist auch völlig antimarxistisch gedacht. Ich habe mein Vermögen nicht im Unternehmen. Mein Vermögen fließt je nachdem, wo es angelegt werden soll. Und das Unternehmen ist eine andere Sache. Wenn man diese Tendenz beobachtet – und das läßt sich systemtheoretisch aufhängen – hat man natürlich ganz andere Vorstellungen in Bezug auf Politik und in Bezug auf öffentliche Meinung auch und in Bezug auf Weltkonstellationen, auf das Verlagern von Produktion in Billiglohnländer und dergleichen, als man sie hätte, wenn man sie nur konjunkturspezifisch sieht. Daraus folgt noch keine Handlungsanweisung. Aber ich denke, die Art wie man sich vor Probleme stellt, ist der Schritt, von dem aus man es der Wirtschaft oder der Politik überlassen kann, Konsequenzen zu ziehen“ In:„Interview mit Niklas Luhmann. http://fifoost.org/user/luhmann.html„)

8. Juni 2009
von Tom Levold
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erste Internationale Psychotherapeutische Tagung auf Kuba

Vom 28.-30. April 2009 fand in Havanna die erste Internationale Psychotherapeutische Tagung auf Kuba statt. Die Tagung wurde von der ehemaligen Leiterin der psychiatrischen Abteilung des «Joaquin-Albarran-Krankenhauses» Havanna, Prof. Dr. Reina Rodriguez Mesa, und ihrem Team organisiert. Bisher gibt es in Kuba keine psychotherapeutische Ausbildung – dementsprechend war dieser Kongress auch ein Novum. Durch die ReferentInnen und TeilnehmerInnen aus verschiedenen Ländern (Argentinien, Bolivien, Deutschland, Frankreich, Kanada, Mexiko, Norwegen, Schweden, Spanien, USA) erhielt die Tagung ihren internationalen Charakter und wurde zur Geburtsstätte einer zukünftigen psychotherapeutischen Ausbildung in Kuba. Klaus Deissler und Thomas Keller haben für systemagazin
einen kurzen Tagungsbericht verfasst…

7. Juni 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Heiko Kleve

„Die Methode der Inszenierung von Ambivalenz kann jederzeit für das wissenschaftliche Schreiben, für die Genese von Theorien genutzt werden. Sie ist mithin besonders hilfreich, wenn man theoretisch arbeiten möchte. Theoretische Arbeiten gehen zumeist aus von anderen theoretischen Arbeiten, sie beziehen sich auf diese, setzen diese fort oder bieten alternative theoretische Blicke an. Die Methode der Ambivalenzinszenierung hat vor allem das Potenzial, alternative theoretische Deutungen zu produzieren. Sie ist, genau genommen, eine Beobachtung höherer Ordnung, die beobachtet, wie andere Theorien beobachten, und dann versucht, das, was diese durch ihre Begriffe nicht beobachten können, zu beobachten, einzublenden. Dabei werden vor allem zentrale Begriffiichkeiten beobachtet, Begriffiichkeiten, die wie selbstverständlich voraus- oder eingesetzt werden. Die entsprechenden Begriffe werden mit ihren möglichen Gegenbegriffen konfrontiert, und es wird gefragt, ob nicht zugleich auch die Gegenbegriffe Brauchbares über das Thema aussagen, beschreiben und erklären können. Mit der Methode der Ambivalenzinszenierung oder der Ambivalenzreflexion kann in drei Schritten vorgegangen werden: Erstens: Während der Lektüre von Texten, die Phänomene (z. B. der Praxis) beschreiben und erklären, die also Theorie betreiben, wird versucht, die scheinbar eindeutigen Selbstverständlichkeiten aufzuspüren und über sie zu staunen, sich über sie zu wundern. Zweitens: Nachdem die Selbstverständlichkeiten aufgespürt wurden, über sie gestaunt werden konnte, beginnt die Suche nach möglichen Gegenbegriffen zu den vermeintlich selbstverständlichen Begriffen. Dabei geht es darum, alternative Begriffe, Gegenbegriffe aufzuspüren, die einblenden, was ausgeblendet wird. Schließlich sollen die Begriffe, deren Selbstverständlichkeiten offenbart wurde, aus dieser Selbstverständlichkeit entrissen werden, indem mit den Gegenbegriffen aufgezeigt wird. was ebenfalls plausibel eingeblendet werden könnte. Drittens: In einem letzten Schritt erfolgt dann etwas, das mit der Methode der funktionalen Analyse der luhmannschen Systemtheorie (…) verwandt ist: Die Gegenbegriffe werden zunächst in Szene gesetzt, und zwar als auch mögliche Beschreibungen derselben Phänomene, mithin als Alternative zu den Begriffen, die die Selbstverständlichkeiten bezeichnen. Sodann wird eine alternative Erklärung des Phänomens unternommen mithilfe der Gegenbegriffe. Diese Erklärung wird neben die primäre Erklärung gestellt. Beide werden schließlich miteinander verglichen, aber als Pole in ihrer Unterschiedlichkeit belassen, und zwar so, dass die zuvor verborgene Symmetrie dieser Begriffe wieder zum Vorschein kommt und die Gleichzeitigkeit des Unterschiedlichen bezüglich eines Phänomens sichtbar wird“ (In: Heiko Kleve: Ambivalenz, System und Erfolg. Provokationen postmoderner Sozialarbeit. Carl-Auer Verlag, Heidelberg 2007, S. 24f.)