systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

9. Dezember 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Otl Aicher

„die welt, in der der mensch bislang lebte, war die ihn umgebende natur, der kosmos, in dem er stand. und philosophie war die frage, wie wir mit diesem kosmos verbunden sind.
erst seit etwas mehr als einem jahrhundert beschäftigt sich die philosophie mit den organisationsformen des gesellschaftlichen lebens, darunter den wirtschaftlichen bedingungen seiner existenz. es gibt eine philosophie der arbeit, eine philosophie der produktion, eine philosophie der technik gibt es nicht, keine philosophie. wie technik entsteht, entworfen, organisiert, vermarktet wird und verantwortet werden kann. wir gefallen uns in einer phi- losophie der erkenntnis und des wissens. eine philosophie des machens und des entwurfs steht aus.
der mensch ist umstellt nicht mehr von natur und welt, sondern von dem, was er gemacht und entworfen hat. gleichwohl wird das machen herabgesetzt. ein denker ist etwas besseres als ein macher, wer organisiert, ist mehr als wer produziert, der manager ist mehr als der ingenieur, die universität ist mehr als die technische hochschule, der bankier ist mehr als der fabrikant. ein handwerker ist ohnehin abgehängt. und wer gar selbst sein gemüse zieht, wird belächelt. man kann es doch kaufen.
auf hegel und marx geht zwar das heute allgemeine bewußtsein zurück, daß der mensch mitglied der gesellschaft erst wird durch sein handeln und seine tätigkeit. aber zwischen tätigkeit, arbeiten und machen sind essen- tielle unterschiede. die meisten menschen haben nur einen job, aber keine arbeit mehr, und von dem, der arbeitet, ist noch lange nicht gesagt, daß er etwas macht. machen ist ein selbst zu verantwortendes tun, an dem jemand mit konzept, entwurf, ausführung und überprüfung beteiligt ist. das, was er macht, steht unter seiner kontrolle und verantwortung und ist teil seiner selbst. machen ist die verlängerung des ich in die selbstorgani- sierte welt hinaus. im machen erfüllt sich die person. und dies in dem maße, als ein eigenes konzept, ein eigener entwurf beteiligt ist und in einer ständigen rückkoppelung aus dem machen erkenntnisse gewonnen werden für die korrektur von konzept und entwurf.
nur das schöpferische machen ist wirkliche arbeit, ist entfaltung der person. der entwurf ist das signum der kreativität, durch ihn wird aktivismus und job erst human. eine humane welt setzt eine arbeit und ein machen vor- aus, die durch den entwurf gekennzeichnet sind, weil im entwurf das motiv der person erscheint“ (In:„die welt als entwurf“. ernst & sohn, berlin 1991, S. 191f.)

9. Dezember 2009
von Tom Levold
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Adventskalender: 18 Monate später

Nicht immer erschließen sich bedeutsame Ereignisse sofort. Vor allem dann nicht, wenn man weiter weg wohnt. Rudolf Klein aus Merzig im Saarland war weit genug weg:„Ich schämte mich, weil ich an diesem Abend vor 20 Jahren alleine zu hause saß, im Fernsehen die Veränderungen sah und lediglich eine Art von Verwunderung, eher ein Gefühl leichten Bedauerns spürte. Ich war damals verwirrt. Keine Spur von Freude oder Erleichterung. Ich sah die Freudentränen der Menschen, hörte den Jubel und all das, was alle anderen auch sehen konnten – und es berührte mich kaum. Auch in der Zeit danach erschienen mir dieses Nationalgefühl und das Absingen der Nationalhymne befremdlich“ Was sich änderte, als er eine Einladung zur einem Workshop in Polen bekam und plötzlich auch eine Erfahrung in und mit Ostdeutschland machen konnte.
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8. Dezember 2009
von Tom Levold
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Adventskalender: Die Wende 1989 oder Ende einer Dienstfahrt

Mit der Maueröffnung hatte an diesem Abend wohl niemand gerechnet – man wurde an allen möglichen Orten von ihr überrascht. Ruppert Heidenreich, ehemaliger Beamter im Schulwesen und systemischer Supervisor in Aachen, erlebte die zunehmend aufwühlenden Berliner Szenen am Autoradio, zum Ende einer Dienstfahrt durch das dunkle Nordrhein-Westfalen:„Wieder eine neue Meldung auf irgendeinem Radiosender: das DDR-Fernsehen bestätigt zwar die Ausreisemöglichkeiten für DDR-Bürger, aber es müssen Anträge gestellt und genehmigt werden. Also doch alles nur ein Sturm im Wasserglas? Da verändert sich doch nichts! Meine Stimmung kippt aus der Euphorie in eine verhaltene Depression. Alles vergeblich? Wieder nur, wie in den vergangenen Tagen, Nachrichten ohne Wert?“
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7. Dezember 2009
von Tom Levold
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ATZVENZKALENDER INTERAKTIV

Liebe Leserinnen und Leser,
ich hoffe, Ihnen gefällt der Adventskalender ebenso gut wie in den vergangenen Jahren – und wie mir. Damit es auch ein echter Adventskalender wird, bin ich aber noch auf Mitwirkung angewiesen, weil er sonst auf der halben Strecke stehenbleibt – das macht sich bei Adventskalendern nicht so gut, weil es die Schwächen der Planwirtschaft offenlegt. Wenn die bisherigen Beiträge Sie zum Nachdenken darüber inspiriert haben, wo und wie Sie eigentlich den 9.11.1989 erlebt haben, würde ich mich über Ihre Geschichte sehr freuen – Platz ist genug da und wie Sie merken konnten: Sie dürfen ruhig persönlich werden. Ich bin gespannt auf Ihre Einsendung!
Herzliche Grüße
Tom Levold

7. Dezember 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Walter Schwertl

Kooperation und Vertrauen werden häufig in engstem Zusammenhang genannt. Oft bleibt jedoch unklar, ob Vertrauen ein Ergebnis von Kooperation oder dessen Bedingung ist. Eine minimale Ausprägung von Kooperationen und Vertrauen in genau diese Kooperationen ist unverzichtbar, damit soziales Handeln überhaupt möglich wird25. An irgendeiner Stelle müssen wir die Relativierungen beenden, einstweilig gültige Markierungen setzen und uns daran messen lassen. Im täglichen Handeln (dies ist von Reflexionen desselben zu unterscheiden) haben wir keine Alternative. Wir kommen grundsätzlich über Trial und Error nicht hinaus. Wir müssen so tun als ob wir die Zeichen der Interaktionsprozesse valide lesen könnten. Es gilt sicherzustellen, dass die Zeichen zur Verfügung stehen (z.B. Regeln), dass diese gelesen werden und die Anderen erfahren, dass man das Regelwerk kennt. Des Weiteren ist (ohne Droh- gebärden!) klar zu kommunizieren, dass Vertrauen als absolut unverzichtbares Gut angesehen wird. Nur indem auf Vertrauen bestanden wird, können Andere mit Zuversicht davon ausgehen, dass genau dies die ihm gebührende Rolle spielt. Dies wirkt auf den ersten Blick widersprüchlich zur Aussage Vertrauen wäre nicht einklagbar. Zur Verdeutlichung: Wenn Vertrauen ein konstituierendes Merkmal erfolgreicher Coachingprozesse darstellt, aber nicht kommunikativ herbeigelockt werden kann, gibt es die Möglichkeit des Rückzuges durch den Coach. Wenn die Zuversicht und das Vertrau- en unserer Kunden wichtig sind, gilt es dies intern zu verdeutlichen und kompromisslos darauf zu bestehen. Wer bei diesem Teil des Aushandelns nicht gesehen wird, bleibt hinsichtlich der Frage im Dunkeln, wieviel Wert er Zuversicht und Vertrauen beimisst. Einmal gedreht lautet die Empfehlung für Kunden: Vertraue keinem Coach, der nicht auf Vertrauen und Zuversicht setzt!“ (In:„Business-Coaching. Der Coach als Mountain Guide und Hofnarr“. VS-Verlag, Wiesbaden 2009, S. 72f.)

7. Dezember 2009
von Tom Levold
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Adventskalender: Desserkreationen ohne Helm Stierlin

Barbara Schmidt-Keller, Lehrtherapeutin bei der Saarländischen Gesellschaft für Systemische Therapie und am Wieslocher Institut für systemische Lösungen, hatte am 9.11.1989 die angenehme Pflicht, Helm Stierlin, der als Hauptreferent eines Symposiums in Homburg zu Gast war, nach dem bewältigten Arbeitstag zu einem angemessenen Sterne-Essen auszuführen. Es kam dann doch ganz anders als erwartet.
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6. Dezember 2009
von Tom Levold
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Adventskalender: Mauerfall und Reichspogromnacht

Der Tag der Maueröffnung ist heute ein Gedenktag, allerdings ist der 9.11. schon lange ein Datum, das in der deutschen Geschichte eine Rolle spielt, und an dem historischer Ereignisse gedacht wird – so auch 1989 von Christoph Schmidt-Lellek:„Diese Tage habe ich in prägnanter Erinnerung, weil ich mich mit einer ganz anderen unüberwindlich erscheinenden „Mauer“ befasst habe, nämlich der zwischen Juden und Deutschen. Es war die zweite Wuppertaler Tagung zum Holocaust, veranstaltet von der Universität Wuppertal in Zusammenarbeit mit dem israelischen Psychologen Dan Bar-On, Professor an der Universität Beer-Sheva. Daran teilgenommen haben u.a. etliche Mitglieder einer Dialoggruppe zwischen Kindern von Holocaust-Opfern und Kindern von Nazi-Tätern, die Bar-On ins Leben gerufen hat. In dieser außerordentlich dichten und spannungsreichen Atmosphäre war die Erinnerung an die genau 51 Jahre zurückliegende „Reichspogromnacht“ als Beginn der handfesten Judenverfolgung und -vernichtung sehr präsent“
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5. Dezember 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Hannah Arendt

„Liebe ist ein Ereignis, aus dem eine Geschichte werden kann oder ein Geschick. Die Ehe als Institution der Gesellschaft zerreibt dies Ereignis, wie alle Institutionen die Ereignisse aufzehren, auf denen sie gegründet waren. Institutionen, die sich Ereignisse gründen, halten der Zeit so lange stand, als die Ereignisse nicht völlig aufgezehrt sind. Vor solchem Verzehrt-werden sind nur Institutionen sicher, die auf Gesetzen basieren. Solange die Ehe, immer zweideutig in dieser Hinsicht, als unscheidbar galt, war sie doch wesentlich auf dem Gesetz, nicht auf dem Ereignis der Liebe gegründet und damit eine echte Institution. Inzwischen ist die Ehe zur Institution der Liebe geworden, und als solche ist sie noch um ein weniges hinfälliger als die meisten Institutionen der Zeit. Die Liebe wiederum ist seit ihrer Institutionalisierung ganz und gar heimat- und schutzlos geworden“ (In: Denktagebuch. 1950-1973, 2 Bde., hrsg. von Ursula Ludz und Ingeborg Nordmann, München-Zürich 2002, Dezember 1950; S. 49-51).

5. Dezember 2009
von Tom Levold
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Adventskalender: Sichtvermerke

„Mein Pass wurde am 22. November 1989 ungültig, wenn er nicht verlängert würde. Ich hätte aber schon im Sommer 1989 einen neuen Reisepass beantragen müssen, die Seiten für die Sichtvermerke/Visas waren erneut bis auf die letzte Seite voller rechteckiger Stempel in schwarz-grün, rotblau, grünblau, braun, gelbblau oder schlicht schwarz, mit Namen wie Staaken, Marienborn, Drewitz, Horst, Schwanheide, Frankfurt/Oder, Wartha, Görlitz und DDR 087, 188, 069 Transit oder wie auch immer voll und so also aufgebraucht. Auch der 9. November 1989 war ein Tag, an dem ich es erfolgreich vermieden hatte, einen neuen Reisepass zu beantragen. Wenn man gegen die Übellaune dieser großmützigen DDR-Grenzbeamten andiskutierte, weiblicher Charme half nur wenig, bekam man ja immerhin für die Transitstrecke lose Blätter in den Reisepass gelegt, auf denen die Stempel sogar etwas farbenfroher als auf den grünen BRD-Seiten wirkten. Welchem Rhythmus die Farben und Nummerierungen folgten, ist eines der vielen Rätsel, die die damalige DDR mit in ihr Grab genommen hat“ So beginnt Dörte Foertsch ihre Reflexion der Berliner Zeit vor und nach dem Mauerfall, der auch für sie und ihre Arbeit als Lehrtherapeutin in Berlin nachhaltig verändert hat.
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4. Dezember 2009
von Tom Levold
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Rudolf Wimmer im Gespräch

Auf der X-Organisationen-Tagung führte Stefan Seydel von rebell-tv ein zunächst etwas sperriges, dann aber zunehmend anregendes Gespräch mit Rudolf Wimmer über Paradoxien der Vertrautheit vor der Kamera, Exhibitionismus, Beobachtungen, Lektüre, Zwang zur Selektivität, Umgang mit Unsicherheit, gegenwärtige Zukünfte und Beratung.

4. Dezember 2009
von Tom Levold
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Adventskalender: Vorfall (Eine Art Zitat des Tages)

„Eigentlich wollte ich mich diesmal nicht beteiligen am Adventskalender. Was hätte ich zum Thema zu sagen als Bewohner einer einmal Bonner Republik , was könnte ich anderes beisteuern als bestenfalls sympathisierende Anekdoten? Natürlich weiß ich noch, wo ich war, als ich vom „Mauerfall“ erfuhr, von eröffneter Entgrenzung: ich wollte gerade von der Arbeit nach Hause fahren als ich im Autoradio davon hörte. Ich bin zurückgelaufen zu den KollegInnen in der Stelle und habe das Übliche gerufen – na was wohl… Und natürlich habe ich eher sentimental miterlebt, was dann zu sehen war auf dem Fernsehbildschirm. Und das innere Rauschen beiseite geschoben, wie das wohl wird nach dem Rausch“, schreibt Wolfgang Loth – und hat dann ein Zitat aus einem Interview mit Herbert Wehner ausgegraben, in dem er sich Gedanken gemacht hat, was womöglich nach einer Wiedervereinigung an Bewahrenswertem in beiden deutschen Landesteilen bewahrt werden könne.
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3. Dezember 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Peter Alheit

„Ein mentalitäres Grundmuster dieser entmythologisierten Arbeitsgesellschaft setzt sich fest und wird zur kollektiven Identität der DDR-Bürger: die Standardisierung des Lebens, die Egalität der sozialen Reproduktion. Die „arbeiterliche“ Gesellschaft, wie immer unproduktiv sie vor sich hin wirtschaftet, ist eine Gesellschaft der Gleichen. Und Gleichheit war keineswegs nur eine Ideologie der Herrschenden. Die Herstellung egalitärer Strukturen im Alltag, der Kleidung, des Auftretens, des Gesprächs war ein interaktiver Prozess. Dieser Prozess ließ Exposition nicht zu, verpönte das Besondere, Außergewöhnliche, stieß auch das Fremde ab, wenn es sich dem Egalitätssog widersetzte. Der sympathische Zug dieses egalitären Habitus, die Akzeptanz des „anderen Gleichen“, hat eine dunkle Seite: die kollektive Ausgrenzung des Anderen, Widerspenstigen, Eigensinnigen. Selbst die privaten „Nischen“ können sich der Egalitätsnorm nicht entziehen. Die DDR-Gesellschaft hat einen Aspekt der systemischen Formierung verinnerlicht und zur eigenen Sache gemacht: die Konformität – keineswegs als ideologische Konformität, sondern als eine Egalisierung des kollektiven Habitus. Und auch diese mentale Disposition ist „modernisierungsresistent“ und sorgt für das Überdauern der „ostdeutschen“ Haltung, selbst nach der Wiedervereinigung. Denn nun machen alle nicht nur die Erfahrung der Überschichtung durch eine westdeutsche Pseudo-Elite, sondern zusätzlich noch die erzwungene Bekanntschaft mit Habituszumutungen, die den verinnerlichten egalitären Habitus notorisch entwerten. Dieses Gefühl führt nicht nur zu kollektiven Kränkungen, es fordert auch das Bedürfnis nach kollektiven Abgrenzungen gegen alles Fremde, von dem „das Westdeutsche“ nur einen Aspekt darstellt“ (In: Biographie und Mentalität: Spuren des Kollektiven im Individuellen [36]. In: Bettina Völter, Bettina Dausien, Helma Lutz, Gabriele Rosenthal (Hrsg.): Biographieforschung im Diskurs. VS-Verlag, Wiesbaden 2004, S. 21-45)