Stefan Beher, Bielefeld:
„Es gibt nichts Gutes, außer: man tut es“! So wenig diese Einsicht des großen Erich Kästner heute, beinahe 100 Jahre später, an Glanz verloren hat, so sehr muss sie doch um das psychologische und soziologische Wissen darum ergänzt werden, dass gutem Handeln ganz unterschiedliche Motive zu Grunde liegen können. Wer anderen seine moralische Integrität handelnd zur Schau stellt, dem werden beträchtliche Achtungsgewinne zu Teil, die gerade unter dem Gesichtspunkt von Nutzenmaximierung eine üppige Dividende abwerfen können. Denn nicht nur die Mafia, sondern alle sozialen Gemeinschaften belohnen das Handeln einzelner, wenn es von Eigeninteressen absieht und sich in den Dienst der Gruppe stellt mit einem der höchsten Güter, die uns erstrebenswert erscheinen: sozialer Anerkennung. Der Soziologe Peter M. Blau argumentiert deswegen, dass noch scheinbar selbstlose Handlungen in der Regel auf Eigeninteresse basieren und durch die Erwartung indirekter Belohnungen motiviert werden. Die Warnung vor Moral aus ethischen Gründen ist zudem ein alter systemtheoretischer Topos. Und ohnehin betrifft alles, was wir den Tag über so tun, uns selbst und zahlreiche andere auf mannigfaltige und höchst unterschiedliche, gute wie schlechte Weisen. Von dieser (konstruktivistischen) Warte aus ist also schon eine prinzipielle Skepsis geboten – wenn Gutes reklamiert wird, gerade wenn es sich als Handlung der praktischen Überprüfung entzieht.
Letzteres wird in Zeiten der Social Media-Echtzeitkommunikation zunehmend einfacher für Menschen, die es bloß auf Achtungsgewinne abgesehen haben. Gerade sie werden daran interessiert sein, die Preise zu senken und die Achtung günstiger für sich zu gewinnen: Durch bloßes Zurschaustellen des eigenen Feinsinns in moralischen Belangen etwa, ganz ohne sich dabei die Hände schmutzig zu machen. Ohnedies halten wir alle von uns selbst gerade unter dem Gesichtspunkt unserer Sittenhaftigkeit eine Menge. Noch Gewaltverbrecher, das wissen wir aus der psychologischen Forschung, halten sich im Allgemeinen für moralisch besonders achtenswert. Sie beurteilen sich in allen pro-sozialen Eigenschaften vorbildlich, lediglich in Punkto Rechtstreue als Durchschnitt.
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