21. Dezember 2009
von Tom Levold
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„Funktionale Differenzierung produziert (
) genau jenen Widerspruch, auf dessen Hintergrund nichtintendierte Handlungsfolgen politisiert werden können. Unter funktionaler Differenzierung versteht man klassisch ein gesellschaftliches Differenzierungsprinzip, das besondere Mechanismen der Vergesellschaftung von Individuen etabliert. Inklusion, also die Einbeziehung von Individuen in gesellschaftliche Zusammenhänge etwa über soziale Rollen, wird in funktional differenzierten Gesellschaften durch Funktionssysteme organisiert. Der Wohlfahrtsstaat lässt sich in diesem Zusammenhang als Institution auffassen, die versucht, ein gewisses Maß an Inklusion dauerhaft abzusichern. Zugleich aber behalten die Funktionssysteme ihre Autonomie insofern, als sie jeweils eigene Kriterien für Inklusion und Exklusion, d.h. für soziale Berücksichtigung und Ausgrenzung entwickeln. Eine solche funktionssystemspezifische Steuerung von Inklusion und Exklusion hat zwei Folgen: Auf der einen Seite generiert sie das Postulat eines Inklusionsuniversalismus, weil niemand mehr aufgrund seiner Lebenslage und seines sozialen Status ausgeschlossen werden sollte. Insofern zielt funktionale Differenzierung ihrem Prinzip nach auf Allinklusion (
). Damit einher gehen relativ anspruchsvolle, legitime Erwartungen, an gesellschaftlichen Leistungen teilhaben zu können. Zugleich entwickeln sich egalitäre Gerechtigkeitsvorstellungen, die davon ausgehen, dass bei der Inklusion in Funktionssysteme alle Gesellschaftsmitglieder gleiche Chancen haben sollten. Auf der anderen Seite entsteht gerade dadurch, dass Inklusion auf autonome Teilsysteme übergeht, systembedingter Ausschluss. Funktionale Differenzierung verstärkt in diesem Sinne das Problem sozialer Ungleichheit und sozialer Ausgrenzung. Wir haben es also mit einer gleichzeitigen Universalisierung und Spezialisierung von Inklusion zu tun. Der paradoxe Effekt dieses Widerspruchs ist Exklusion aufgrund (der systemspezifischen Steuerung) von Inklusion. Die Enttäuschung, die von diesem Effekt ausgeht, bildet den Bodensatz für die Entstehung von Konflikten. Allerdings hat die Differenzierungstheorie und insbesondere die Systemtheorie genau diesen Zusammenhang zwischen sozialer Exklusion und sozialem Konflikt nicht nur weitgehend ignoriert, sie ist auch konzeptionell aufgrund eines sehr engen Exklusionsbegriffs nicht ohne weiteres in der Lage, die Frage nach der Konfliktträchtigkeit sozialer Exklusion zu beantworten“ (In: Exklusion als Macht. Zu den Bedingungen der Konfliktträchtigkeit sozialer Ausgrenzung. In: Journal für Konflikt- und Gewaltforschung 7 (2005), Heft 2, S. 41-67.)