systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

26. August 2010
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Paul C. Rosenblatt

„Obliviousness can be defined as a state of being unmindful or unaware of something, of being ignorant of it or not conscious of its existence. When obliviousness is shared in a family, the family members will individually and collectively distance, avoid, lack interest in, be unaware of, or lack engagement with relevant information, perspectives, meanings, interactions, places, memories, and events. Almost always, shared family obliviousness does not represent a choice by anyone in the family or by the family collectively. Shared family obliviousness just happens. And in that obliviousness they are unconcerned about (in large part, or quite possibly entirely, because unaware of) whatever it is they are oblivious about. (…) Shared obliviousness is a property of social systems. All social systems tune out a great deal of available information as they function and work toward what seem to be their goals. Systems can do this through a summation of individual obliviousness and through organizing in such a way that the system and everyone who is part of it is oblivious. (…). That organization includes values about what counts as interesting and important. It includes education that focuses family members here and not there, walls (literal and metaphoric) that block off certain information sources, and system-wide rules that define only certain information sources as worthy of attention. General systems theories typically do not problematize inputs but assume that inputs are so obvious and can so be taken for granted that there is no reason for a system analyst to explore why it is that of all the potentially accessible inputs a system only detects and makes use of the ones it does. Similarly, in the information systems literature, information might be defined as any stimulus that has changed recipient knowledge (…). By contrast, the concept of shared obliviousness introduces the notion that systems at some level must always select and filter information. They must always have processes for separating what to attend to from what not to attend to. Understanding the bases for those processes would tell us a lot more than simply assuming that inputs are whatever they are or that they exist if something changes in the system in response to them. Inputs to systems should not be taken for granted. It is better instead to raise questions about how it is that the system takes in or reacts to this and not that. Shared family obliviousness does not necessarily involve a lack of focus or absorption. Indeed, an important process of achieving obliviousness about some matters is to be focused on and absorbed in other matters. Hence, an important reason for a family system to focus on this or that is that it is then much easier for it to be oblivious to other things.“ (In:„Shared Obliviousness in Family Systems“, State University of New York Press, New York 2009, S. 3f)

25. August 2010
von Tom Levold
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Gedanken zum 10-jährigen Bestehen der DGSF

(Der nachfolgende Text ist ursprünglich als Beitrag zum Jubiläum in der Verbandszeitschrift„DGSF-intern“ erschienen und wird hier mit freundlicher Genehmigung durch die DGSF veröffentlicht)

Auf die Einladung, ein paar Zeilen zum 10-jährigen Jubiläum der DGSF zu verfassen, habe ich mit Freude, aber auch mit einer gewissen Zurückhaltung reagiert. Welche Perspektive kann und soll ich einnehmen? Zum Zeitpunkt der Fusion von DAF und DFS im Jahre 2000 war ich schon – ziemlich genau – seit 20 Jahren DAF-Mitglied, wenngleich schon länger nicht mehr aktiv im Verband tätig. Ich fusionierte also mit und wurde auch Mitglied in der DGSF, der ich sehr gerne angehöre. Gleichzeitig gehöre ich als Mitbegründer und aktives Mitglied der Systemischen Gesellschaft seit 1993 aber auch zur „Konkurrenz“, die immerhin den Vorschlag von DAF und DFS, mit der SG einen gemeinsamen Verband zu gründen, 1998 abgelehnt hat. Als Mitherausgeber des „Kontext“ bin ich wiederum mit dem Verband auf besondere Weise verbunden, wenngleich aus einem gewissen Abstand heraus. Darüber hinaus verbinden mich freundschaftliche Beziehungen mit einer ganzen Reihe von Kolleginnen und Kollegen aus der DGSF, und das finde ich wunderbar.
Es gibt viele Gründe für mich, der DGSF zu gratulieren. Ihr ist es gelungen, zwei sehr verschiedene Vereine mit deutlich unterschiedlichen Organisationskulturen zu einem tatkräftigen und schlagkräftigen Verband zusammenzuführen und damals vorhandene Vorbehalte und Befürchtungen hinsichtlich möglicher Machtgefälle und Dominanzkonflikte (womit man bei Fusionen ja immer rechnen muss) weitestgehend aufzulösen. Respekt! Ein guter Schritt auf diesem Wege war sicherlich die Wahl eines Gründungs- bzw. Vereinigungsvorstandes, der mit Wilhelm Rotthaus und Friedebert Kröger an der Spitze nicht nur beträchtliche Außenwirkung erzielte (und damit interne Identifikationsgewinne ermöglichte), sondern auch im Binnenverhältnis über jeden Verdacht von Lagerbildung erhaben war und deshalb die Integrationsperspektive überzeugend vertreten konnte.
Auf diese Weise gelang es, nicht nur Verschiedenes zusammenzufügen und das Erreichte zu konsolidieren, sondern darüber hinaus in nur wenigen Jahren die Zahl der Mitglieder auf mittlerweile 3500 fast zu verdreifachen – und dies, obwohl die Systemische Gesellschaft (ursprünglich ein reiner Institute-Verband) ab 1999 ebenfalls eine Einzelmitgliedschaft erlaubte und mittlerweile selbst über 700 Einzelmitglieder hat. Diese Steigerung hat natürlich etwas mit dem Aufwind zu tun, in dem systemische Therapie und Beratung generell seit langem segeln. Andererseits sehe ich darin aber auch das Ergebnis einer intensiven inhaltlichen Profilierung, die es in dieser Klarheit bei den Gründungsverbänden zuvor nicht gegeben hatte. Auch wenn das Wort „Familientherapie“ immer noch den Verbandsnamen schmückt, ist mein Eindruck, dass die Idee der Familientherapie als eigenständiges Verfahren keine Rolle mehr spielt (Wenngleich im Zuge der Bemühungen um die Anerkennung des Wissenschaftlichen Beirates die Kunstfigur der „Systemischen Therapie/Familientherapie“ als Verfahren erfunden wurde). Die Systemische Therapie mit ihren mittlerweile zahlreichen Facetten ist der feste Grund, auf dem die inhaltliche Arbeit des Verbandes ruht. Das Patchwork-Muster sehr disparater Konzepte, Haltungen und berufspolitischer Orientierungen ihrer Mitglieder hatte die DAF gelegentlich fast zerrissen und oftmals gelähmt. Neben den Neuzugängen systemisch ausgebildeter Mitglieder hat auch u.a. der Auszug der psychoanalytischen Paar- und Familientherapeuten, die ihren eigenen Verband gegründet haben, eine inhaltliche Klärung der Grundsätze erleichtert und zu einer konzeptuellen Verdichtung beigetragen.
Dies alles war Im Juli 1998 schon zu wünschen, aber noch nicht abzusehen, als Marie-Luise Conen und Jochen Schweitzer (für die DAF), Anni Michelmann und Gisal Wnuk-Gette (für den DFS) sowie Kurt Ludewig und ich (für die SG) in einem Dachzimmer am Institut für medizinische Psychologie der Universität Heidelberg am Rande der ersten Tagung zur Systemischen Forschung zusammensaßen. Zu dem Treffen hatten DFS und DAF mit dem Vorschlag einer Fusion aller drei Verbände eingeladen. Wir lehnten damals wie erwähnt einen Beitritt der SG ab (was auf der Mitgliederversammlung der SG mit einem einstimmigen Votum bestätigt wurde), weil wir die Sorge hatten, dass ein Aufgehen im Großverband mühselig erarbeitete systemische Positionen und damit verbundene Anforderungen an die – institutionelle – Mitgliedschaft womöglich wieder aufgeweicht worden wären. Immerhin war die SG zum damaligen Zeitpunkt ein reines Mitgliedsinstitut.
Unabhängig davon bin ich auch heute noch davon überzeugt, dass diese Entscheidung richtig war. Profile lassen sich leichter schärfen, wenn Unterschiede bestehen oder hergestellt werden können. Aus meiner Sicht war es für beide Verbände von Vorteil, keinen Alleinvertretungsanspruch geltend machen zu können.
Beide Verbände haben früh eine erfolgreiche Strategie gefunden, in den berufspolitischen Auseinandersetzungen um die wissenschaftliche Anerkennung der Systemischen Therapie sowie in der Vertretung der systemischen Sache im In- und Ausland gemeinsame Sache zu machen und dennoch ihre eigene Entwicklung voranzutreiben. Gemeinsam haben wir 2004 im Berliner ICC den wohl größten Psychotherapie-Kongress einer spezifischen therapeutischen Grundorientierung ausgerichtet, was die gemeinsamen Beziehungen nicht nur auf Vorstandsebene vertieft hat.
Die gemeinsamen Bemühungen um die Anerkennung durch den Wissenschaftlichen Beirat hat enorme Ressourcen in inhaltlicher und personeller Hinsicht verbraucht und waren schließlich von Erfolg gekrönt. Mit dem Ergebnis, das aus meiner Sicht sowohl zu wünschen wie auch zu fürchten war, bin ich nicht wirklich glücklich. Die Konzentration der Energie auf dieses Ziel hat m.E. dazu geführt, dass die ohnehin nicht sonderlich ausgeprägte Debattenkultur in unserem Feld weitgehend zum Erliegen gekommen ist (vielleicht auch aus der Sorge heraus, damit den Erfolg der Bemühungen um die Anerkennung der wissenschaftlichen Fundiertheit zu gefährden).
Die Aufgabe der Zukunft für die Systemische Therapie (und die beiden Verbände) scheint mir darin zu bestehen, das Charakteristische des Systemischen Ansatzes gegen Tendenzen zu verteidigen, Systemische Therapie zum Bestandteil einer am medizinischen Modell orientierten, störungsspezifischen Mainstream-Psychotherapie zu machen.
Dazu braucht es einen lebendigen Diskurs und Debatten über Theorien, Ideen, Konzepte ebenso wie über politische Entwicklungen und Strategien. Wesentlich ist darüber hinaus die Erhaltung von Multiprofessionalität und Interdisziplinarität der Systemischen Therapie, die aus meiner Sicht ein Kernaspekt systemischen Denkens und Handelns darstellen. Die DGSF ist aus meiner Sicht mit ihren Fachtagen, den Regional- und Fachgruppen sowie ihren vielfältigen politischen Stellungnahmen und Aktivitäten gut für eine solche Entwicklung gerüstet und in mancher Hinsicht der Systemischen Gesellschaft voraus.
Nach den Jahren der Konsolidierung und der Strategie des „getrennt marschieren und vereint schlagen“ scheint mir allerdings die Zeit gekommen, gründlicher über die Möglichkeiten einer gemeinsamen Zukunft in einem einzigen Fachverband nachzudenken. Inhaltlich wirklich Trennendes vermag ich immer weniger auszumachen. Der Verbrauch an personellen, organisatorischen und finanziellen Ressourcen durch eine Doppelstruktur ist immer weniger zu rechtfertigen. Kulturelle Unterschiede mögen immer noch gewichtig sein, nehmen aber an Bedeutung allmählich ab. Die Gründe für die Existenz zweier Verbände werden also immer schwächer.
Was bleibt, ist vielleicht die Angst vor der Arbeit, dem Misstrauen und den Vorbehalten, die mit einer Fusion einherge
hen (s.o.). Sicher kann ein solches Zusammengehen sich nicht in der Arbeit von Funktionsträgern erschöpfen, die Richtlinien und Satzungen ineinander überführen. Es braucht eine gemeinsame Anstrengung zu Entwicklung von gemeinsamen Visionen, die von einer breiten Gruppe aktiver Mitglieder initiiert und vorangetrieben wird. Es wäre eine Sache, die sich meiner Überzeugung nach lohnt und an der ich mich gerne beteilige.

Tom Levold

24. August 2010
von Tom Levold
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Zum Verhältnis von Mensch und Medium

Auf der website von Siegfried J. Schmid findet sich ein Beitrag von Oliver Jahraus, Professor für Neuere deutsche Literatur und Medien an der Ludwig-Maximilian-Universität in München (Foto: oliverjahraus.de), über„Die Verfügbarkeit und die Unverfügbarkeit des Mediums. Zum Verhältnis von Mensch und Medium“. Darin heißt es:„Die folgenden Überlegungen stehen in einem Spannungsfeld von zwei entgegengesetzten Positionen, die das Verhältnis von Mensch und Medium zueinander jeweils in einem konträr hierarchisierten Verhältnis modellieren. (I) Die erste Position lässt sich beispielhaft mit einem Satz benennen, der lautet: Es sind Menschen, die die Medien benutzen, in und mit Mediensystemen leben und auch durch Medien manipulierbar sind.(II) Die andere Position bringt dagegen zum Ausdruck, dass die Rede von Menschen die Komplexitätsebene des Mediums verfehlt und dass der Mensch, sofern man überhaupt noch vom Menschen sprechen will, eher als Epiphänomen oder als Effekt von Medien zu verstehen ist. Fragt man sich nun nach der entscheidenden Differenz zwischen diesen beiden Positionen, so darf man das Verhältnis nicht vorschnell auf eine Hierarchie zurückführen. Hierarchie würde in diesem Fall und in der ersten Position Verfügbarkeit ausdrücken. Und die entsprechende Frage würde sich darauf konzentrieren, ob Menschen grundsätzlich über Medien verfügen können oder ob das Medium eine Verfügbarkeit über – also eine konstitutive Funktion für – den Menschen in seinem Selbstverständnis und Selbstbewusstsein besitzt: Wer verfügt über wen? Insofern muss man differenzieren: Verfügbarkeit bedeutet nicht ein Herrschaftsverhältnis über und durch Medien, denn auch im Rahmen dieses Modells, das von der Verfügbarkeit der Medien für Menschen ausgeht, kann sehr wohl auch erfasst werden, wie Menschen selbst medialer Manipulation oder Herrschaft unterliegen. Aber das Medium ist grundsätzlich vom Menschen zu differenzieren und kann daher in eine objektive Relation zum Menschen gebracht werden. Demgegenüber wird in der anderen Position die Differenzierung zwischen Mensch und Medium unterlaufen und somit auf einer objektivistischen Basis hinfällig. Vorderhand möchte ich diese beiden Positionen mit der Differenz von Verfügbarkeit bzw. Unverfügbarkeit des Mediums auf den Begriff bringen. Doch die Differenz der Positionen reicht weiter und umfasst verschiedene Faktoren, die ich im folgenden mit einer Reihe von Einzelbeobachtungen eher essayistisch umreißen möchte“
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22. August 2010
von Tom Levold
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Welche Theorie braucht die Systemische Therapie?

Elisabeth Wagner (Foto: Lehranstalt) ist Psychiaterin und Psychotherapeutin in Wien mit forensischen und suchttherapeutischen Schwerpunkten, zudem Lehrtherapeutin an der Lehranstalt für Systemische Familientherapie in Wien. In der aktuellen Ausgabe des von der Lehranstalt herausgegebenen Periodikums„Systemische Notizen“ ist unter dem Titel„Welche Theorie braucht die Systemische Therapie?“ ein Artikel von ihr erschienen, der mit freundlicher Genehmigung der Lehranstalt auch in der Systemischen Bibliothek des systemagazins zu lesen ist. Wagner schreibt:„Seit Jahren plagt mich in meiner Identität als systemische Lehrtherapeutin ein „theoretisches Unbehagen“, d.h. das Gefühl, dass die Theorien, die wir Systemischer Therapie zugrundelegen, zu der Art von Systemischer Therapie, die wir mittlerweile anbieten (und lehren) in der bislang vollzogenen Ausschließlichkeit nicht mehr passt. Dieses Unbehagen führte zunächst dazu, dass ich psychologische Konzepte gesucht habe, die sich als Grundlage für die Interventionsplanung eignen und diese auch bei einem Jour fixe vorgestellt habe. Das wohlwollende Interesse der Teil- nehmerInnen hat mich – ebenso wie die kritischen Fragen – zum Schreiben dieses Beitrages veranlasst, in dem ich den Stand meiner Überlegungen (kritisch könnte man sagen – den aktuellen Stand meines Zweifels) zu einer grundlegenden Frage der Systemischen Therapie darstelle: Welche Theorie braucht die Systemische Therapie?
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22. Juli 2010
von Tom Levold
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Ferien

Ab heute ist systemagazin in den Ferien. Ich wünsche allen LeserInnen eine gute Zeit und gute Erholung, wo auch immer. Ab Mitte August geht es an dieser Stelle weiter, Sie werden mit einem Newsletter rechtzeitig erinnert.
Beste Grüße
Tom Levold
Herausgeber

20. Juli 2010
von Tom Levold
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Die Interdependenz formaler und informaler Strukturen im Lichte der Systemtheorie Niklas Luhmanns

In seiner 2009 veröffentlichten Dissertation befasst sich der Soziologe Henry Thiele mit der zunehmenden Bedeutung von Organisationen in unserer Gesellschaft unter einer systemtheoretischen Perspektive:„Die meisten Menschen verbringen heutzutage den Großteil ihres Daseins in Organisationen. Sie werden immer häufiger in Organisationen geboren (Krankenhaus), in Organisationen sozialisiert (Kindergärten, Schulen usw.), sind für ihre Existenzsicherung auf Lohnzahlungen von Organisationen angewiesen, und zunehmend fristen sie ihr Lebensende in Organisationen (Krankenhaus, Altenheim etc.). Aus soziologischer Sicht sind Organisationen deshalb besonders interessant und verdienen eine besondere Beachtung in der Gesellschaftsanalyse. In dieser Untersuchung soll nicht der Siegeszug der Organisation in der soziokulturellen Evolution der Gesellschaft im Mittelpunkt stehen, sondern die Frage: Wie kommt das Driften (Maturana, Varela, 1991) der Organisation zustande? Geht man davon aus, dass in der Evolution Aussterben die Regel und Anpassung die Ausnahme ist, scheint der Aspekt des Driftens organisierter Sozialsysteme besonderes Augenmerk zu verdienen. Liest man die für Deutschland veröffentlichten Zahlen der Unternehmensinsolvenzen, gerade in den heutigen Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise, scheint der Fortbestand einer einmal ins Leben gerufenen Organisation eher ungewiss als gesichert zu sein. Des Weiteren scheint es so zu sein, dass Organisationen gewissen Lebenszyklen (Küpper, Felsch) unterworfen sind. In den älteren Organisationstheorien wurde noch von einem einheitlichen Zweck ausgegangen, der die gesamte Strukturierung der Organisation übergreift. Alle Organisationsmitglieder haben ihr Handeln im Hinblick auf die Verwirklichung dieses spezifischen Zwecks der Intention nach rational zu gestalten. In der Organisationsanalyse stellte man aber fest, dass Zweckverschiebungen innerhalb der formalen Organisationen eher die Regel als die Ausnahme sind. (Mayntz, 1963 u.a.) Dies Problem der rational gestalteten Organisation wurde somit den Organisationsmitgliedern zugeschrieben. Gleichsam als die andere Seite der formalen Organisation agieren die Mitglieder der formalen Organisation in der informellen Organisation als Mikropolitiker (Bosetzky, Heinrich, 1989), die die formalen Strukturen unterminieren, um ihre persönliche Nutzenmaximierung voranzutreiben. Übernimmt man diese Perspektive für die Betrachtung der formalen Organisation, kann man sich schwer der Annahme verweigern, dass die Organisationsmitglieder grundlegend feindlich gegenüber der Organisation gesinnt sind. Mit dieser Perspektive würde man all den freiwilligen Mitgliedern in Hilfsorganisationen, sozialen Vereinen usw. nicht gerecht werden. In der hier durchgeführten Analyse wird die Perspektive der Luhmannschen Systemtheorie eingenommen. Damit sind die Organisationsmitglieder nicht aus der theoretischen Betrachtung eliminiert, sondern im Gegenteil, sie werden in der Umwelt der organisierten Sozialsysteme verortet. Das hat den entscheidenden Vorteil, dass den Organisationsmitgliedern aus der theoretischen Betrachtung heraus mehr Freiheit zugestanden wird als in akteurszentrierten Theorien. Denn Systembildung bedeutet immer die Streichung mindestens eines Freiheitsgrades (Foerster von, 1997). Mit der Luhmannschen Systemtheorie wird des Weiteren davon ausgegangen, dass sich gleichsam unbeobachtet hinter dem Rücken der Anwesenden ein Netzwerk webt, ein soziales System sich bildet. Alle sozialen Systeme beruhen letztlich auf der Unterscheidung von Bewusstsein und Kommunikation. Die Kommunikation selbst kann man nicht beobachten sondern nur erschließen. Solange sie störungsfrei läuft, bleibt sie den Anwesenden unbewusst. Erst bei Störungen des Kommunikationsflusses macht sie sich bemerkbar, obgleich sie fast nie den Anwesenden bewusst wird. Denn die Kommunikation drillt den Menschen auf den Menschen, weil sie sich der Wahrnehmung entzieht (Fuchs, 1998). Die Autopoiesis der Kommunikation ist auf die Anwesenheit zweier psychischer Systeme bzw. Bewusstseinssysteme angewiesen. Sie ermöglichen überhaupt erst den Raum oder den Phänomenbereich, in dem die Autopoiesis sozialer Systeme möglich ist (Luhmann, 1990). Die Autopoiesis der Kommunikation setzt entsprechend immer Interaktion der Anwesenden voraus. In der Interaktion selbst, werden sich die Anwesenden in besonderer Weise wechselseitig bewusst und können sich entsprechend anders zur Geltung bringen, als in den Strukturzwängen einer formalern Organisation. Die Kommunikation selbst gibt den Beteiligten gewisse Changiermöglichkeiten an die Hand, z.B. das An- und Ausschalten verschiedener operativer Displacement (Fuchs, 1993), um ihren störungsfreien Ablauf zu ermöglichen und entsprechende Brüche zu vermeiden. Zum Beispiel den nahtlosen Übergang von einem Thema zu einem anderen. Die Interaktion selbst wird als zeitinstabiles Kontaktsystem (Luhmann, 1997) begriffen, das mit dem Auseinandergehen der Beteiligten erloschen ist. Die hier kurz angerissene Bedeutung der Kommunikation in der Luhmannschen Systemtheorie erklärt, warum ihr in der durchgeführten Analyse ein so breiter Raum eingeräumt wurde. Organisationen sind Sozialsysteme eines anderen Typs und besitzen damit verbunden ganz andere emergente Eigenschaften. Sie können mit der diffusen Kommunikation der Interaktion nichts anfangen. Ihre Operationen basieren auf Entscheidungen. Jede Entscheidung schließt an eine Entscheidungskommunikation an, aber sie selbst ist die Sinnverdichtung dieser Kommunikation. Und eben dieser Sachverhalt stellt ihre Effizienz, ihr Tempovorteil gegenüber allen anderen Typen sozialer Systeme dar. Erst wenn es der Organisation gelingt Entscheidungen an Entscheidungen zu knüpfen, ist sie in der Lage ihr eigenes Netzwerk ihrer eigenen Entscheidungen zu etablieren. Nur in der Form der Entscheidung kann sie ihre für sie selbst nicht weiter hintergehbaren Systemelemente (Entscheidungen) aneinander anschließen, Entscheidungen anhand von Entscheidungen produzieren. Gelingt ihr das, gewinnen die Entscheidungen füreinander Relevanz, können sich wechselseitig stützen, vorbereiten und entlasten. Jede Entscheidung muss jetzt ihre eigene Vorgängerentscheidung und den jeweiligen Kontext anderer Entscheidungen mit berücksichtigen. Es bildet sich ein Zusammenhang der Entscheidungen, der die Grenzen des Systems begründet und bezeichnet. Da jede Organisation sich immer nur jeweils im Moment ihres Entscheidens realisiert, bekommt sie ein Zeitproblem. Man muss nicht nur entscheiden, sondern man muss mit Bezug auf den Entscheidungszusammenhang korrekt und rechtzeitig entscheiden bevor sich das zu entscheidende Problem zu Ungunsten der Organisation von selbst erledigt hat. Alles was jetzt in der Organisation als relevant betrachtet werden soll, muss die Form einer Entscheidung annehmen. Dies bedeutet nicht, dass in der Entscheidungskommunikation nicht Einfluss auf die Entscheidung genommen werden kann, aber zum einen wird man aufgrund des Entscheidungsdrucks versuchen die Entscheidungskommunikation soweit wie möglich zu verkürzen, z.B durch Programmierung. Zum anderen sieht man der Entscheidung ihre Entscheidungskommunikation nicht an. Man kann sie nur noch erahnen. Organisationen kommunizieren am liebsten mit Organisationen in ihrer Umwelt, da diese gezwungen sind, selbst Entscheidungen zu produzieren, mit denen man selbst etwas anfangen kann. Man kann sie entweder in den eigenen Entscheidungszusammenhang übernehmen, oder man kann sie mit einer eigenen Entscheidung ablehnen. Aber jede Entscheidung, die die Organisation trifft bestätigt oder ändert ihre Strukturen. Dieser Gedankengang führte zu der Überlegung, dass informale Strukturen selbst organisierte Interaktionssysteme sein müssen. Sie müssen sich bereits in irgendeiner Form selbst organisieren. Sie stehen unter dem Gesetz des Wiedersehens. Die sozialen Kontakte werden sich in einem absehbaren Zeit- und Interessenhorizont wiederholen, sich verdichten und konfirmieren (Luhmann, 1997) und dies erfordert bereits ein gewisses Maß an Organisation. Man muss die nächsten Treffen pla
nen, ein Thema auswählen usw. Letztlich produzieren sie Entscheidungen mit denen die formale Organisation etwas anfangen kann. Dies ist einer der Gründe, warum sich die formale Organisation zunehmend den Zugriff auf informale Strukturen ermöglicht“
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19. Juli 2010
von Tom Levold
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Systemische Aspekte der Genesung vom Trauma

Alexander Korittko ist Gastherausgeber des Heftes 3/2010 der Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung, das ganz dem Thema Systemischer Therapie bei der Bewältigung traumatischer Erfahrungen gewidmet ist. Neben einem Gespräch des Herausgebers mit Gerald Hüther und Lutz-Ulrich Besser gibt es noch Beiträge von Cornelia Oestereich, Alexander Korittko und Reinert Hanswille zu lesen.
Zu den vollständigen abstracts…

17. Juli 2010
von Tom Levold
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Netzwerktheorie und Systemtheorie

Wer seinen Urlaub vor sich und Spaß an Theorie hat, wird mit den aktuellen Heft der„Sozialen Systeme“ (2/2009!) bestens bedient, in dem es um das Verhältnis von Systemtheorie und Netzwerktheorie geht, die in den letzten Jahren eine unglaubliche Karriere erfahren hat. Die Herausgeber Boris Holzer und Johannes F.K. Schmidt schreiben in ihrem einleitenden Beitrag:„Der Anspruch einer Netzwerktheorie ist nicht nur insofern mit jenem der Systemtheorie vergleichbar, als beide Ansätze mit begrifflichen Prämissen arbeiten, die interdisziplinär anschlussfähig sind. Er beinhaltet auch, ausgehend vom Netzwerkbegriff – ebenso wie vom Systembegriff – alles Soziale erfassen zu können. Damit ist zwischen den beiden Theorieansätzen ein Verhältnis beschrieben, das Äquivalenz ebenso einschließt wie Konkurrenz. Auf der einen Seite finden wir Versuche, ausgehend von netzwerkanalytischen oder Konzepten eine fachuniverselle Theorie zu entwickeln. Hier ist in erster Linie Harrison Whites Versuch zu nennen, auf netzwerkanalytischer Grundlage eine über Netzwerke im engeren Sinne hinausgehende, konstruktivistische Sozialtheorie auszuarbeiten. Auf der anderen Seite steht die systemtheoretische Interpretation des Netzwerkbegriffs, die stärker als Whites Netzwerktheorie darum bemüht ist, den gesellschaftlichen Stellenwert von Netzwerken – und das heißt vor allem: ihr Verhältnis zu anderen sozialen Strukturen – zu klären. Trotz recht unterschiedlicher Ausgangspunkte versuchen beide Ansätze, Netzwerke nicht einfach vorauszusetzen, sondern ihre Konstitution zum Gegenstand soziologischer Erklärung zu machen. In Frage steht lediglich, ob es dabei um einen sozialen Sachverhalt (oder auch: einen Typus sozialer Systeme) neben anderen geht oder um die Grundlage von Sozialität schlechthin“ Zu lesen sind acht spannende Beiträge, zu den
vollständigen abstracts geht es hier…

15. Juli 2010
von Tom Levold
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Coaching spürt keine Krise – vermehrte Nachfrage – steigende Professionalität

Die Beratungsfirma„Trigon Entwicklungsberatung“ hat seit 1997 mehrere Befragungen zum Thema Coaching durchgeführt und legt nun die Ergebnisse der aktuellen Umfrage 2010 vor. Dabei wurden ca.300 Personen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz befragt, die sich mit dem Thema Coaching als KundInnen, PersonalentwicklerIinnen oder als Coachs beschäftigen:„Zusammenfassend ist fest zu halten, dass die Kunden „professioneller“ geworden sind. Sie haben oft schon mehrere Coaching-Prozesse hinter sich (75 % mehr als einen Coaching-Prozess bereits erlebt!) und verlangen gute und effektive Arbeit. Das heißt wiederum, dass Coachs sich um profunde psychosoziale und sachliche Arbeit, um die Prozessgestaltung und Beziehungspflege mehr annehmen müssen als bisher. Das zeigen auch die Ergebnisse der Anforderungen an Coach und Coaching, die mehr Beziehungs-, Vertrauens- und Prozess-Aspekte enthalten als Fachaspekte. Hier wird eine Methode genutzt, die auch krisenresistent ist, was die Fragen an alle Beteiligten Zielgruppen deutlich aufzeigte“
Zur Zusammenstellung der Ergebnisse im Einzelnen…

14. Juli 2010
von Tom Levold
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Informationswissenschaftliche Begriffe und Kernprozesse aus Sicht des Radikalen Konstruktivismus

In der Reihe„Churer Schriften zur Informationswissenschaft“ ist die Diplom-Arbeit von Rene Frei über„Informationswissenschaftliche Begriffe und Kernprozesse aus Sicht des Radikalen Konstruktivismus“ veröffentlicht und im Internet zugänglich gemacht worden. In der Übersicht heißt es:„Die Informationswissenschaft beruht auf einer positivistisch-ontologischen Sichtweise, welche eine Realität als beschreib- und erfassbar darstellt. In dieser Arbeit werden die Grundbegriffe und exemplarische Kernprozesse der Informationswissenschaft aus Sicht des Radikalen Konstruktivismus betrachtet, einer Erkenntnistheorie, welche besagt, dass der Mensch seine Wirklichkeit nicht passiv erfährt, sondern aktiv konstruiert. Nach einer kurzen Beschreibung der Informationswissenschaft wird zum Radikalen Konstruktivismus übergeleitet und die daraus folgenden Konsequenzen für Verständigung und Wirklichkeit erläutert. Der konventionellen Anschauung von Daten, Information, Wissen, etc. wird dann diese neue Sichtweise entgegengestellt. Darauf aufbauend werden Informationsverhalten, – pathologien und -prozesse vom radikal-konstruktivistischen Standpunkt aus dargestellt. So sollen der Informationswissenschaft ein breiteres Verständnis für ihren Gegenstandsbereich und zusätzliche Kompetenzen vermittelt werden“
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