systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

4. April 2011
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Kusanowsky

„Der Journalismus wie übrigens alle anderen Systeme auch, die dem Dispositiv der Massenmedien zugeordnet waren, zeichnete sich dadurch aus, dass eine zentrale Referenzstelle wie ein Verlag, eine Sendestation oder ein Autor mehr Aufmerksamkeit auf sich zog als diejenigen, die diese Aufmerksamkeit bereitstellten, was eine Hierarchiesierung der Informationselektion zur Folge hatte. Dieses Muster der zentralisierten Informationsselektion zeigte sich auf allen Organisationsebenen: Verlag – Redaktion, Chefredaktion – Ressorts, Redakteur – freier Journalist, Lektor – Autor, Autor – Leser. Dieses Muster findet man übrigens überall dort, wo die Anschlussfindung hauptsächlich über die Verbreitung von Dokumenten funktioniert, so etwa auch an Universitäten (Professor – Studierende), Parlamenten (Abgeordnete – Wähler) oder im Vereinswesen (Vorstand – Mitglieder). Bilden sich solche Muster heraus und geraten durch Organisation in Konkurrenz zu einander, stellt sich die Situation ein, dass ein Vorrecht zur Informationsselektion notwendig beibehalten werden muss, um daraus resultierende Strukturen der Kapitalakkumulation durchzuhalten: nur, wer zuerst informiert ist, kann Entscheidungen treffen und Entscheidungen stellen sicher, wer zuerst informiert wird. So hat verloren, wer zuletzt oder wenigstens schon nicht zuerst informiert ist. Daher kommt der Dauerverdacht der Manipulation durch Massenmedien, da stets alle beteiligten Kommunikationssysteme, da sie auf gegenseitiges Informiertwerden notwendig angewiesen sind, plausible Gründe dafür finden, dass sie entweder nicht, nicht vollständig, also einseitig, parteilich, subjektiv oder nicht rechtzeitig informiert wurden: Politiker verdächtigen Journalisten, diese verdächtigen Politiker, Leser und Zuschauer verdächtigen mal die einen, mal die anderen, während die einen und die anderen wahlweise ihre Wähler oder Leser und Zuschauer verdächtigen, von anderern falsch und unzureichend informiert worden zu sein. Zur Lösung daraus resultierender Verwirrungssituationen entstand ein Expertentum, das sowohl Glauben als auch Zweifel über die Berichterstattung ermöglichte, womit jedoch nur eine Dauerirritation sicher gestellt wurde. Denn das gegenseitige Verdächtigungsspiel mit damit ja nicht ausgehebelt, sondern nur professionalisiert“ (In: Experteneinstellung: benutzerdefiniert #twitteraffäre)

2. April 2011
von Tom Levold
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„Grenzen – Systeme – Kulturen“: Marokko 2011

„Eine systemische Fachtagung in Marokko? Als der Workshop-Kongress„Grenzen – Systeme – Kulturen“ vor einem Jahr das erste Mal stattfand, reagierte ich skeptisch. Für eine Woche in die Wüste Marokkos zu fliegen, um dort auf Fachkolleginnen und -kollegen aus dem deutschsprachigen Raum zu treffen und Vorträge zu hören, die ich genauso in Mitteleuropa geboten bekäme, anstatt etwas vom Land mitzubekommen, erschien mir nicht ganz einleuchtend. Die durchweg positiven bis begeisterten Rückmeldungen einiger Teilnehmer danach ließen meine Vorbehalte jedoch bröckeln und machten mich neugierig. Das Programm von diesem Jahr gab schliesslich den Ausschlag, sodass ich mich im Januar kurzentschlossen für den 2. Workshop Kongress in Zagora/ Marokko vom 20.- 25.02.2011 mit dem Schwerpunktthema„Krisenintervention und Persönlichkeitsentwicklung“ anmeldete“ So beginnt ein farbiger Tagungsbericht, den Elisabeth Schmidt, Psychologin beim Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst Graubünden in Chur, für systemagazin erstellt hat, und der schon ein bisschen den Mund wässrig machen kann – auf die kommende Tagung in 2012.
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1. April 2011
von Tom Levold
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Psychotherapie-roboter marktreif!

Nach den Erfolgen, die japanische Techniker bei der Entwicklung von Pflege-Robotern für die Betreuung von Demenzkranken verzeichnen konnten, wurden heute bekannt, dass in Osaka erstmals ein Psychotherapie-Roboter der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, der noch im Sommer auf den Markt gebracht werden soll. Diese bahnbrechende Innovation macht den Erfindern zufolge den Einsatz von menschlichen Psychotherapeuten überflüssig und hebt damit die zahlreichen Nachteile bestehender Psychotherapie-Verfahren auf. Vor allem von Vertretern der evidenzbasierten Psychotherapie wurde die Neuentwicklung einhellig begrüßt.„Endlich haben wir eine verlässliche Alternative zu Verfahren, die aufgrund der Anwendung durch Menschen immer schon fehleranfällig waren“, heißt es in einer Verlautbarung der„Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN)“. Mit Hilfe der Psychotherapie-Roboter könne evidenzbasierte Therapie nun endlich manualgetreu durchgeführt werden, ohne dass persönliche Störvariablen den Therapieverlauf beeinträchtigen. Bislang funktionierte manualgesteuerte Psychotherapie nur mit Studenten, da ausgebildete Therapeuten meist dazu neigen, eigene Ansichten über Nutzen und Zweck therapeutischer Vorgehensweisen zu entwickeln. Psychotherapieforschung könne nun ein bislang ungeahntes Niveau erreichen, da nicht nur die Standardisierung von Interventionen, sondern erstmals auch Doppel-Blind-Versuche in der Psychotherapieforschung möglich wären. Zudem würden durch den Wegfall der Psychotherapieausbildung enorme gesellschaftliche Kosten eingespart. Die Roboter sollen ohne jede Selbsterfahrung über hervorragende Fähigkeiten zur Spannungsregulation und Affektabstimmung verfügen. Verschiedene Programme für Psychoanalyse, Verhaltenstherapie, Systemische Therapie und Gesprächstherapie sind frei einstellbar, darüber hinaus können Parameter wie Strukturierungsgrad, Abstinenz, Nähe-Distanz etc. vorgegeben werden. Ein WLAN-Modul ermöglicht die sofortige Übermittlung von Anträgen, Berichten und Gutachten an die entsprechenden Adressaten im Gesundheitswesen. Der Gemeinsame Bundesausschuss soll bereits überlegt haben, den Einsatz von Psychotherapie-Robotern in den deutschen Psychotherapie-Richtlinien zu verankern.

31. März 2011
von Tom Levold
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Diesseits des Lustprinzips – über den Wandel des Sexuellen in der modernen Gesellschaft

Sven Lewandowski, Lehrbeauftragter am Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Universität Hannover und wissenschaftlicher Beirat der„Zeitschrift für Sexualforschung“ (Foto: www.svenlewandowski.de), hat sich mit systemtheoretischen Überlegungen zur Sexualität einen Namen gemacht. In der SWS-Rundschau, der Zeitschrift der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft in Österreich, ist 2008 ein Artikel von ihm über den Wandel des Sexuellen in der modernen Gesellschaft erschienen. Im abstract schreibt er:„Der vorliegende Essay analysiert sexuelle Wandlungsprozesse aus gesellschafts- und insbesondere systemtheoretischer Perspektive und führt diese auf die Differenzierungsform der modernen Gesellschaft zurück. In idealtypischer Weise werden zentrale Leitunterscheidungen und Schemata diskutiert, die das Verhältnis der abendländischen Gesellschaften zum Sexuellen bestimm(t)en. Gezeigt wird dabei, dass sich die Sexualität der modernen Gesellschaft im Wesentlichen an der Differenz Begehren/ Befriedigung sowie am Orgasmusparadigma orientiert und eine Umstellung auf einen Primat sexueller Lust, mithin auf Selbstreferenz stattgefunden hat. Illustriert wird diese Umstellung schließlich an den Phänomenen Selbstbefriedigung, Pornographie und Prostitution, deren Entwicklungen jeweils zum sexuellen Wandel beitragen als auch dessen Ausdruck sind“
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30. März 2011
von Tom Levold
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Die Risiken von familiengeführten Unternehmen

In einem Artikel von Rudolf Wimmer für den von Tom Rüsen herausgegebenen Band„Familienunternehmen erfolgreich sanieren. Der Einfluss des Familienfaktors bei Restrukturierungen“, der soeben im Erich Schmidt-Verlag erschienen ist, beschreibt der Autor die Gesellschafterkonstellation als Quelle der Selbstgefährdung, wobei er besonders die Erosion der unternehmerischen Kraft der Familie, personelle Fehlentscheidungen und besondere finanzielle Risiken, die in der Familienkonstellation schlummern, untersucht:„Die in Familienunternehmen systematisch eingebauten Selbstgefährdungspotenziale gewinnen immer dann besonders an Fahrt, wenn die verantwortlichen Entscheidungsträger in der Familie wie im Unternehmen aus welchen Gründen auch immer die nachhaltige Sicherung der Ertragskraft der Firma aus dem Blick verlieren. Wenn das passiert, dann ist immer Gefahr im Verzug. Denn ein langfristig ausgerichtetes, ertragsorientiertes Wachstum versorgt das Unternehmen mit jenem „Sauerstoff“, der die unerlässliche Voraussetzung dafür bildet, dass die Eigentümerfamilie ihre unternehmerische Identität von Generation zu Generation aufrechterhalten kann (bei gleichzeitiger Steigerung der im Unternehmen akkumulierten Vermögenswerte). Dieser Zusammenhang kann gerade bei Familienunternehmen leicht aus dem Blick geraten, weil es sich hier um einen Typ von Unternehmen handelt, der von seinem Wesen her den Sinn und Zweck des unternehmerischen Tuns in erster Linie gerade nicht in der bloßen Gewinnmaximierung sieht. Dieser grundlegende Unterschied zu vielen börsenorientierten Gesellschaften verliert jedoch seine ganze Identität stiftende Funktion, wenn die Ertragskraft des Unternehmens auf längere Sicht substanziell Schaden nimmt“
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29. März 2011
von Tom Levold
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Frames & Beyond

Wie beeinflussen Rahmenbedingungen professionelles lösungsfokussiertes Arbeiten? Und wie lösungsfokussiertes Vorgehen wiederum die institutionellen, gesellschaftlichen und persönlichen  Rahmen? Diese Fragen bilden den Hintergrund für die jährliche EBTA-Konferenz, die erstmals in den neuen Bundesländern stattfindet. Die Konferenz bietet eine Vielzahl von Workshops, Diskussionsgruppen, Life-Demos (Harry Korman, Yvonne Dolan) und ein kulturelles Rahmenprogramm. Vom Kennenlernen des lösungsfokussierten Ansatzes bis zum Austausch „alter Hasen“  erstrecken sich die Inhalte, die sich an TherapeutInnen und BeraterInnen in nahezu allen Anwendungsfeldern richten: Jürgen Hargens wird über den Rahmen eines lösungsfokussierten Gesprächs nachdenken, Heinrich Dreesen wird für„Entschleunigung“ sorgen, Ben Furman behauptet„it takes a web to fix a kid“, Ursula Bühlmann-Stähli will für Kinder Raketen zünden, Tom Küchler exploriert den Sozialraum, Deal Russel fragt sich, wieso man so viel sprechen sollte und Paul Köck, wie man sich als TherapeutIn am besten unnütz macht und das Team aus Aschendorf berichtet aus der lösungsfokussierten Praxis in der Kinderpsychiatrie, Hans Benniks beschäftigt sich mit lösungsfokussierter Suizidprävention, Joachim Hesse denkt über den Dreh einer lösungsorientierten Diagnostik nach, Marianne Roessler stellt den„signs-of-saftey approach“ im Kontext von drohender Gewalt dar, Frederic Linssen widmet sich impliziten Hypothesen, Michael Gross leuchtet die Bezugsrahmen von Pflegekindern aus , Kirsten Dierolf wird die Konferenz nutzen, um lösungsfokussiert Arbeitende stärker zu vernetzen, Scott Miller und Kenneth Gergen blicken über den lösungsfokussierten Tellerrand hinaus und vieles mehr. Kongresssprache wird Deutsch und Englisch sein. Die Diskussionen im Plenum und die Mehrzahl der Workshops werden simultan übersetzt. EBTA-Tagungen sind bekannt als inspirierende, lebendige Treffen, die einen fruchtbaren Austausch über Theorie und Praxis der Lösungsfokussierten Arbeit für KollegInnen aus ganz Europa bieten. Nach Dresden laden herzlich ein Flow e.V. & NIK.
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28. März 2011
von Tom Levold
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Atomkatastrophe überraschend zurückgetreten

Nachdem Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel in ihrer heutigen Pressekonferenz darauf hingewiesen hat, dass die Ursachen für die Wahlniederlage, die sie als„schmerzlich“ bezeichnete, in der Atomkatastrophe von Japan lägen, ist diese schon am heutigen Nachmittag von allen Ämtern zurückgetreten.„Ich möchte mich bei allen Atomkraftanhängern in Deutschland und vor allem bei meinen Freunden von der CDU entschuldigen“, sagte die Katastrophe und stellte fest, dass sie mit sofortiger Wirkung keine öffentlichen Ämter mehr bekleiden wolle und nur noch privat vor sich hin strahlen werde.„Ich hoffe sehr, dass ich bald in Vergessenheit gerate und meinen Freunden bei ihrer zukünftigen Energiepolitik mit meinem Fehlverhalten nicht im Wege stehe“, betonte der Super-GAU mit typisch japanischer Bescheidenheit. Die Erklärung der Atomkatastrophe wurde von den Verantwortlichen in der CDU mit Erleichterung aufgenommen. Ob sich auch die Ereignisse in Libyen, die ebenfalls als Ursache der Wahlniederlage in Frage kommen, bereits bei CDU und FDP entschuldigt haben, war bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht in Erfahrung zu bringen.

28. März 2011
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Peter Fuchs

„Die Funktion der Psychotherapie ist situiert im Kontext einer funktional differenzierten Gesellschaft, die jede Einheitsprätention, jedes Bestehen auf eineindeutigen Identitätsbestimmungen prekär macht. Im Blick auf psychische Systeme fallen dabei (Leidensdruck erzeugende) Unschärfeprobleme an, auf die sich dann die Psychotherapie bezieht, indem sie nichtcodierte und nichtcodierbare Probleme nicht codifiziert, sondern gelten lässt – durch Strategien, die zu viablen Identitätskonzepten führen, innerhalb deren es möglich wird, mit Unschärfen zu leben. (…) Der Punkt ist, dass wir in der Kontingenzdrift der Moderne gewissermaßen »hechelnd« auf der Suche sind nach Identität, nach einer relativ zeitfesten Identität, die zugleich hochindividualisiert ist. Aber die Psyche kann dies alles nicht liefern. Dann bietet es sich evolutionär an, Verwalter der vagen Dinge zu finden, die aber eben nicht davon ausgehen, dass die Vagheit auflösbar ist in eine Klassifikation, in präzise Befunde, sondern vielmehr davon, dass – ein bisschen kurios ausgedrückt – das Leben immer vage »ist« und jede Festigkeit oder Präzision deswegen artifiziell. Darin läge ja auch der Unterschied zur Medizin, zu chirurgischen und/oder pharmazeutischen Strategien, die es mit codierten Problemen zu tun haben. Allerdings, und ich finde das heiter, wird heute den Medizinern angesonnen, auch nichtcodierte Probleme zu behandeln, die Patienten »ganzheitlich« aufzufassen und sich also auch seelischer Probleme anzunehmen. Das ist so etwas wie eine evolutionäre Umkehrung, da ja die Medizin lange Zeit die Psychotherapie okkupieren wollte. (In: Peter Fuchs:„Die Verwaltung der vagen Dinge, Gespräche zur Zukunft der Psychotherapie“. Carl-Auer-Verlag, Heidelberg 2011, S. 34).